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Familientreffen
von M. Glass
Mir widerfuhr Seltsames:
Ich feierte meinen neunzehnten Geburtstag, da traf ich ein Mädchen. Sie war ungefähr in meinem Alter. Luise hieß sie, sah aber aus wie eine Luisa. Dass ich ihr das sagte, gefiel ihr und so kamen wir ins Gespräch. Sie war eines dieser Mädchen, die nett anzusehen sind, weil sie natürlich wirken, sich menschlich verhalten und sich aufgrund besonderer Makellosigkeit vom Durchschnitt abheben. Und als makellos gelten meinetwegen auch Menschen mit Falten und Muttermalen, nur darf herabhängende Haut nicht die Augen verdecken oder mitten auf einem Leberfleck ein Eiterpickel wachsen. Nicht grundlos also könnte man Luise als hübsch bezeichnen. Aber sie war mehr als das. Viele verwechseln es, aber sie ließ Schwänze springen. Sicher war sie hübsch, aber sie war auch verdammt geil und das findet man selten. Dass ich sie fand, war Glück und Unglück zugleich.
Wie sie mir am nächsten Morgen mitteilte, war ich ihr Erster. Das wunderte mich, hielt mich aber nicht davon ab, mich privilegiert und besonders zu fühlen. Als ich nachhakte, gestand sie mir, dass dies nicht ganz der Wahrheit entsprach. Sie fügte hinzu, sie würde sogar mit ihrem eigenen Bruder schlafen, gäbe es denn einen. Da musste ich husten und an all meine Vorgänger denken, und daran, dass ihr Liebeswerkzeug kein Trampelpfad mehr war. Aber das kümmerte mich angesichts der durstigen Lippen unter der Decke nicht weiter.
Erst nachdem ich nach sehr wachen Momenten wieder schlief und erneut aufwachte, bemerkte ich, dass ich im Bett meiner Eltern lag. Luise lachte nur und sagte: “Da hast du uns ja ein schönes Ehebett ausgesucht, mein Lieber.” Bis ich Schritte vor der Tür hörte, empfand ich diese Situation als ebenso komisch. Doch als ich das Gesicht meines Vaters sah, verging mir jeder Gesichtszug, der den Eindruck von Heiterkeit erwecken könnte. Gleichzeitig wollte ich mich und Luise aus dem Fenster schmeißen, unter das Bett rollen und im Schrank verstecken. Geschehen war nichts. Wir lagen einfach da. Unverschämt und nackt. Wäre mein Vater zehn Jahre älter gewesen, hätte er jetzt wohl einen Herzinfarkt erlitten. Mit seinen 67 Jahren musste Luise ihn aber auch in diesem Moment für meinen Opa gehalten haben. Ich wollte doppelt sterben.
Mein Vater war überrascht und nuschelte auf Brüste blickend irgendetwas von Jugend und Tieren. Dann trat er allen Ernstes an das Bett heran, um mir nachträglich zum Geburtstag zu gratulieren. Er schüttelte meine Hand und ich die Seine und Luise wusste nicht, ob sie sich jetzt mit Händeschütteln vorstellen oder lieber einen String überstreifen sollte. Tatsächlich interessierte sich mein Vater eher für ihren Körper als für ihren Namen. Irgendwann hatte Luise es aber dennoch geschafft, sich die Bettdecke als Sichtschutz zunutze zu machen. Dass sie damit einen äußerst fragwürdigen Fleck äußerst provokant demonstrierte, konnte sie nicht ahnen.
Was ICH nicht ahnen konnte, war die Überraschungstorte, mit der meine Mutter in das Schlafzimmer stürmte. Ich kann euch nur eines sagen: Noch nie zuvor in meinem Leben hat mich eine Torte mehr überrascht. Und als säße ein afrikanischer Callboy neben mir, verwandelte sich ihr anfängliches Grinsen in ein vorwurfsvoll, enttäuschtes Schluchzen. Ich wusste nicht warum, aber sie stürzte. Mit ihr die Schokoladentorte und all die listigen Wunderkerzen. Irgendwie war dann auch klar, dass das Bett brennen sollte. Sofort sprang ich aus meinen Lakenversteck und tanzte nackt auf dem Teppich, um nach etwas zu suchen, mit dem man den Brand schnellstmöglich zähmen konnte. Als mein Blick aus dem Fenster wanderte, blickte ich meinen Nachbarn ins Gesicht. Der schüttelte nur den Kopf und setzte seinen Spaziergang fort. Ich schnappte kurz nach Luft, sah meine Mutter weinen, meinen Vater lachen und zog Luise die Bettdecke vom Leib, um das Feuer zu ersticken. Dass ich anschließend rücklings mit dem Arsch voraus meiner Mutter in die Arme fiel, hätte ich am liebsten verschwiegen, aber wie hätte ich sonst erklären können, dass mein Vater im Anblick meines Genitals sagte: “Ich glaub, du hast dir deinen Ast verbrannt.”
Daraufhin hechtete ich aus dem Zimmer, um kurze Zeit später die Treppe hinab zu stolpern und durch die Haustür dem Wahnsinn zu entfliehen. Luise lief mir nach und stoppte mich noch bevor ich unseren Garten verließ, indem sie mich an meinen Kleidungsmangel erinnerte. Ich konnte es nicht fassen. Es war unverzeihlich. Luise musste mich hassen und mein Vater und meine Mutter und mein Nachbar. Aber Luise sagte nur: “Hey, ist doch nicht so schlimm, wenn dein Opa auf meine Oma steht.” Ich konnte nicht glauben, was sie da eben von sich gegeben hatte. Mehr als deutlich gab ich ihr zu verstehen, dass das ganz und gar nicht lustig sei. “Ich bin bei meinen Eltern unten durch, sag ich dir.” “Aber nein. Dein Opa wird schon...” “Mein Opa, mein Opa.”, schrie ich. “Das ist verdammt noch mal mein Vater, verstehst du? Papa, Dad, Vater!” Sie schwieg. “Ich weiß, er ist alt, aber er ist mein Vater, nicht mein Opa.” Luise sagte kein Wort. “Und >deine Oma< - wie du sie nennst - ist meine Mutter!” Luises Gelassenheit schwand mehr und mehr bis in ihren Augen nur noch Unsicherheit zurück blieb. Dann flüsterte sie: “Also... jetzt ganz im Ernst: die Frau, die eben das Bett in Brand gesteckt hat, ist deine Mutter?” Ich nickte nur. “Aber genau diese Frau ist auch die Mutter meiner Mutter und damit meine Oma.” Ich hätte Luise erwürgen können, wie sie so nackt vor mir stand, mit ihren Brüsten und ihrer reizenden Intimrasur, und dabei wie selbstverständlich behauptete, meine Mutter sei ihre Oma.
Aber genau in diesen mordlüsternen Moment kam meine Mutter und brachte zwei Bademäntel, in die wir dankbar schlüpften. Wenige Minuten später saßen wir zu viert im Wohnzimmer und lauschten meiner Mutter (oder Luises Oma).
“Franz. Georg. Es tut mir wirklich... wirklich leid.”
Sie sah zuerst mich an und dann ihren Mann.
“Jetzt muss ich euch wohl erzählen, wovon ich euch schon viel früher hätte erzählen sollen. Es ist passiert und ich war jung und jetzt ist es so und nicht anders und man, wir... also ich kann es nicht mehr ändern, es ist nicht zu ändern und jetzt ist es so ...”
“Kannst du bitte auf den Punkt kommen?”
“Mach es mir nicht schwerer, als es ohnehin schon ist! Ich war jung - siebzehn um genau zu sein. Da hab ich Bernd kennen gelernt. Ich hab mit ihm geschlafen. Ohne die Technik von heute.”
“Wie bitte?” “Lass es sein, Franz”, sagte Luise ganz leise.
“Ohne Pille, ohne Gummi. Er hat mich einfach gefickt...”
“Mama!!!!!!!”
“Tut mir leid.”, sie räusperte sich. “Auf jeden Fall wurde ich dann schwanger. Nach neun Monaten. Also... schwanger wurde ich wahrscheinlich gleich, aber Lili bekam...”
“Ich glaube, wir wissen, was du meinst”, kürzte ich ungeduldig ab.
“Lili kam zur Welt und ich war achtzehn. Ich konnte sie nicht behalten. Ich war jung und erst achtzehn.” Meine Mutter sprach weiterhin im Krebsgang. Da fing mein Vater an, zu rechnen.
Nach knapp einer Stunde wusste ich, dass meine Mutter Luises Großmutter war und ich eine fast vierzigjährige Stiefschwester namens Lili habe, was im Umkehrschluss bedeutete, dass ich Luises Onkel bin und sie meine Nichte. Und als wäre das nicht genug, wollte Vater wissen, ob Lili am 8.4.1976 geboren wurde. Als meine Mutter dies bestätigte, hat er den Raum verlassen.
Wie sich später herausstellte, war er es, der Lili in jungen Jahren schwängerte.
Luise blieb noch bis sechs Uhr. Dann verabschiedete sie sich mit einem Wangenkuss.
“Wärst du nicht mein Stiefbruder, würde ich dich nie wieder sehen wollen.”