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Familienstolz

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10.09.2002
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Familienstolz

Familienstolz
Mit schnellen Schritten lief er durch den Bahnhof zum Bahnsteig 7. Der Zug nach Uetikon stand schon seit fünf Minuten da, wo er jeden Tag auf Paul wartete. So stieg Paul mit der pinken Tasche, die um seine graue Jacke hing ein.
Es war typisch für diese Uhrzeit recht voll. Paul trat vorbei an den Plätzen und setzte sich dann auf einen beim Fenster, gegenüber einer jungen, hübschen Frau. Da noch mehr Leute kommen könnten, nahm er seine Tasche auf den Schoss. Etwas später fuhr der Zug los und verliess den Bahnhof. Paul blickte immer wieder von seiner Tasche auf zu der jungen, hübschen Dame hinüber, um dann seinen Blick wieder verstohlen der Tasche zu zuwenden. Die Frau sah aus dem Fenster und schien den Anblick der vorbei rauschenden Bäume und Häuser zu geniessen. Paul holte seine Brieftasche hervor, als er den Schaffner kommen sah, um sein Ticket vorzuweisen. Freundlich bedankte sich der Schaffner, als er es kontrolliert hatte und ging weiter. Pauls Blick fiel, als er das Ticket zurück in die Brieftasche legen wollte, auf das Foto seiner Familie. Seine Frau, seine 6jährige Tochter, die inzwischen dreizehn war und sein 9jähriger Sohn, der nun schon bald das siebzehnte Altersjahr erreichte, waren darauf zu sehen, wie sie in der Küche posierten.
Er zog das alte Foto aus der Brieftasche hervor und betrachtete es auffällig. Immer wieder blickte er stolz lächelnd zu der Frau hinüber.
„Oh sind das ihre Kinder? Die sind süss. Ist das ihre Frau? Sie haben aber ein schönes Haus. Die Kinder sind bestimmt stolz so einen Vater zu haben.“
Paul öffnete seine Augen und ihm wurde klar, dass die Frau das nie sagen wird. Bisher hatte sie ihn noch nicht mit einem Blick gewürdigt. Er überlegte sich, sie irgendwie anzusprechen. Doch wie sollte er das tun, ohne aufdringlich oder wie ein notgeiler, unglücklicher Familienvater zu wirken.
Mit der Tasche unter dem Arm und dem Foto in der linken Hand stand er auf und begab sich zur Bahntoilette.
Er setzte sich auf die geschlossene Kloschüssel und sah sich das Foto noch einmal an.
„Wozu hat man Familie, wenn es niemanden interessiert. Wenn man niemandem davon erzählen kann?“, dachte er und bekam daraufhin sofort ein schlechtes Gewissen. Er öffnete seine Tasche und holte ein Taschenmesser hervor.
„Ich sollte mich jetzt und hier töten.“, dachte er nicht zum ersten Mal, „Die Schuld läge bei der Frau. Warum hat sie mich nicht angesprochen. Sie hätte nur herzusehen brauchen und mir zu meiner Familie zu gratulieren.“
Er legte das dicke, multifunktionale Taschenmesser, das ihm seine Frau zum 40. Geburtstag schenkte, auf den Rand des Waschbeckens und starrte in den Spiegel.
„Bin ich das wirklich?“ Er wischte sich seinen dünnhaarigen Scheitel zu recht und starrte in seine eigenen tiefgehöhlten Augen, die in dem mageren Gesicht eingebettet lagen, unter den dünnen kaum noch sichtbaren Augenbrauen. Blickte zur kantigen, langen Nase, die wie ein Strich nach unten zu seinem ungeraden, fusseligen Schnurrbart führte, der oberhalb des dünnen, kleinen Mundes mit den bleichen Lippen endete.
Wie gerne würde er in ein Geschäft treten, wo man sich ein neues Gesicht und neuen Körper kaufen konnte. Wo man von Modell zu Modell gehen konnte und sich seine eigene Gestalt nach Wahl und Preisumfang zusammenstellte. Und trotzdem sah er schon seit zwanzig Jahren so aus und versuchte sich nie irgendwie zu verändern.
„Scheissleben.“, sagte er in überzeugtem Ton zu seinem Spiegelbild und blickte entschlossen auf sein Taschenmesser.

Ein starker Ruck, die Passagiere erschraken und der Zug stand plötzlich auf offenem Geleise still.
„Was ist da los?“, rief der daher gelaufen kommende Schaffner.
„Schaut euch das an, ein Verrückter!“, rief eine Frau und zeigte nach draussen. Wo ein Mann schreiend, gröhlend und singend ins Land hinaus rannte. Sein Kopf war halb kahl und seine Kleider zerschnippelt.
Alle Passagiere hatten sich nun zur linken Seite des Zuges begeben und sahen der Gestalt nach, die toll geworden zu sein schien.
Vielleicht fand man Paul auch drei Stationen weiter tot, mit aufgeschnittenen Armen im Klo des Zuges,
aber wahrscheinlich packte er sein Messer wieder in die Tasche, kehrte zu seinem Sitzplatz zurück und sah weiter verstohlen zu der schönen, jungen Frau hinüber, sich vorstellend, was sie zu ihm sagen könnte, an einem Ort, wo es mehr nach seinen Wünschen wäre.

 

Hi Jismail,

im Prinzip eine gut Idee für eine Geschichte, jedoch etwas zu emotionslos umgesetzt.Der Stil ist zu monoton, verwende mehr Adjektive, um Gefühle auszudrücken, damit es nicht mehr so einschläfernd wirkt.Weiterhin kommt nicht klar und deutlich hervor, warum der Mann mit dem Suizidgedanken spielt.
Ich finde das Ende gut gelungen, die verschiedenen Versionen (Ausgänge) sind ein interessantes Mittel um die Inkonsequenz des Protagonisten auszudrücken.
Weiterhin beschreibst du einige Dinge ziemlich genau, z. B. wie sich der Protagonist im Spiegel betrachtet.Dadurch wirkt die Figur "lebensechter".

 

hi
danke erstmal für deinen Kommentar.
Erstmal ist es so, dass die Geschichte sehr gewollt relativ emotionslos ist. Das ist auch gleich eines der Hauptprobleme des Protagonisten. Die reale Welt trägt nicht hinter jedem Wort noch ein poetischwirkendes Adjektiv hinterher, oft ist sie ziemlich steril. Die Frau spricht ihn nicht einfach auf die Fotos an und findet ihn sofort total sympathisch und beneidet ihn-so ist es nicht.
Das ist auch einer der (so glaube ich) Gründe für seine Selbstmordgedanken, welche wohl nicht wirklich gerechtfertigt sind. Seîne kleine Welt stimmt nicht und das wird ja oft angedeutet. Die Familie, die er mehr als Objekt um damit Eindruck zu schinden, als als Objekt der Liebe sieht, wofür er sich aber auch schämt.
Er ist ein Typ der sich im Kopf ein anderes Leben vorstellt, der einen anderen Körper anstelle seines will, ne andere Frisur etc., aber er tut nichts dafür, sondern wartet auf das Holliwood-schicksal, welches in der Realität nicht existiert und so ertrinkt er im Selbstmitleid.
gruss Jismail (sorry für die Länge der Antwort)

 

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