Familie
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man sich seine Freunde jedoch nicht seine Familie aussuchen kann. Und obwohl ich für kluge Sprüche eigentlich nicht viel übrig habe, muß ich zugeben, dass dieser tatsächlich zutrifft.
Für manche mag die Familie das Ein und Alles sein; Stütze in harten Zeiten oder eine Schulter an der man sich anlehnen kann.
Für mich ist sie allerdings nur eine Ansammlung seltsamer Menschen mit denen mich außer dem Blutsband, nicht viel verbindet.
Da gibt es zum Beispiel meinen Onkel Rüdiger, der zwei Häuser weiter wohnt.
Der Mann hat so viel Stil wie der Gummiring eines Flensburger Pils Verschlusses.
Klassisch gekleidet, in einem Trainingsanzug der Marke Aldi, Farbe dreckig Lila, sehe ich Ihn ab und zu die Straße vor seinem Wohnhaus überqueren, als Ziel ein Lokal mit dem einladenden Namen „Ecki’s Klause“. Dort trifft er meist einen seiner Kollegen aus der Interessengemeinschaft „Saufen“, mit dem er dann stundenlang über hoch brisante politische Themen oder Sport im allgemeinen diskutiert.
Wenn er mal nicht trinkt, arbeitet er in einem Schrauben-Versand-Handel als fachlich-kompetenter-Schrauben-Ein.- und Aus.-sortierer.
Seine Frau, wenn man Sie denn als solche bezeichnen kann, heißt Petra.
Tante Petra besticht nicht nur durch ihre dekadente Ausstrahlung, sondern vielmehr durch ihre Trinkfestigkeit sondergleichen. Für sie ist der Inhalt einer Flasche Korn nicht mehr als ein Aperitif. Sie besitzt zudem noch die Fähigkeit, jeder auch noch so langweiligen Familienfeier Ihren Stempel aufzudrücken, so daß es jedes mal zu einer unvergeßlichen Angelegenheit wird. Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut , wenn ich an den fünfundsechzigsten Geburtstag meines Großvaters zurückdenke.
Ich hatte mich bereit erklärt meinen Onkel und meine Tante nach Hause zu bringen, da ich den Wagen meiner Eltern hatte und sowieso in die Richtung fuhr.
Die erste Viertelstunde der Fahrt gestaltete sich recht angenehm.
Rüdiger saß vorne und kämpfte gegen seine Augenlieder, die sich unbedingt schließen wollten und Petra schlief hinten mit offenem Mund.
Ich hoffte nur, dass ich den beißenden Geruch des Alkohols wieder aus den Wagen bekommen würde.
Plötzlich, wie durch den Blitz getroffen, zuckte Petra auf und schrie „Bleib stehen, bleib stehen !!! Ich muß kotzen !!!“
Nachdem ich mich versichert hatte, daß ich keine anderen Verkehrsteilnehmer behinderte, trat ich auf die Bremse und blieb mitten auf der Kreuzung stehen.
Ich hörte wie sich hinter mir die Tür öffnete, Petra anfing zu würgen und ihren Mageninhalt, bestehend aus Nudelsalat und Korn mit Bananensaft, auf die Straße entlehrte.
Das ich mich Ihr nicht angeschlossen habe, verdanke ich nur meiner Willensstärke und der Tatsache, daß ich die Musik lauter machte, um die ekelerregenden Geräusche nicht wahrzunehmen.
Doch es sollte noch schlimmer kommen.
Die laute Musik weckte meinen Onkel, der zwischenzeitlich eingeschlafen war, und als er sah wie seine Frau gerade ein Kunstwerk aus verdauten Lebensmitteln auf der Straße erschuf, entschloss er sich spontan sich ihr anzuschließen.
Dieses Bild meiner sich übergebender Angehörigen erfüllte mich nicht nur mit Ekel, sondern weckte in mir auch Einsicht, daß sich meine Verwandtschaft doch irgendwie von mir unterschied. Nicht das ich niemals nach übermäßigen Alkoholgenuß auf der nächsten Toilette gelandet wäre...
Vielleicht ist es die Tatsache, daß ich mir die Haare Rot tönte, bevorzugt in zerrissenen Jeans rumlief, die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen, eher aus destruktiven als aus politischen Gründen, ablehnte und aus Prinzip versuchte bei jeder Gelegenheit ein rebellisches Bild abzugeben. Diese Haltung stieß bei meiner Verwandtschaft selten auf Gegenliebe und vor allem nicht bei meinem Großvater, der konservativer nicht sein könnte.
Mein Opa Karl, wie man ihn liebevoll in der Familie nennt, ist vom Typ Eckel-Alfred.
Er beherrscht es perfekt seine Gemütsverfassung, ein Wechselspiel zwischen schlecht gelaunt und mies drauf, auf seine Umwelt zu projizieren.
Die Wohnung meiner Großeltern ist in zwei Territorien unterteilt:
das Bad, das Schlafzimmer und die Küche ist der Bereich meiner Großmutter und das Wohnzimmer gehört eindeutig meinem Opa Karl.
Als Kind hatte ich immer etwas Angst in den heiligen Hallen einzutreten. Nach dem Begrüßungsritual, dass aus einem strengen „Schuhe aus !“ bestand, durfte ich die Ordentlichkeit eines sauberen und mit System aufgeräumten deutschen Wohnzimmers bewundern. Staubfrei und sortierte Videokassetten (Kriegsfilme), staubfrei und sortierte Bücher (Kriegsromane), staubfrei und sortierte Langspielplatten (Schlager) und der heilige Gral meines Großvaters; seine Landser Sammlung.
Auf dem Ledersofa lagen Millimeter genau plazierte Lederkissen, mit einem Knick in Ihrer Mitte, der ihnen das Aussehen von braunen Herzen verlieh.
Auch wenn man es im ersten Augenblick nicht bemerkt, ist das Wohnzimmer meiner Großeltern ein Schlachtfeld und mein Großvater ein ranghoher Offizier.
Bewaffnet mit einem rosa-grün gestreiften Staubwedel führt er einen ewigen Krieg gegen Tausenden von Staub- und Dreckpartikeln, die drohen die deutschen Tugenden, Ordnung und Sauberkeit, zu untergraben. Manchmal hatte ich sogar das Glück eine Schlacht hautnah mitzuerleben. Es war immer wieder faszinierend zu beobachten, wie er sich mit seiner Katzenhaften Agilität an seine Gegner heranpirschte, um sie mit einer blitzschnellen Bewegung aus dem Handgelenk in die ewigen Staub-Jagdgründe zu verbannen. Kaum war die Feindesfront vernichtet, erspähte mein Großvater schon einen Staub-Aufklärungstrupp der sich tückisch auf den Fernseher niedergelassen hatte. Doch auch dieser wurde binnen Sekunden gnadenlos vernichtet. Der Kampf dauerte bis der letzte Staubkorn, die letzte Fluse ausgerottet war. Erst dann setzte sich mein Opa neben mich auf das Sofa, schaltete den Fernseher ein und schaute mürrisch durch das Wohnzimmer, denn er wußte, der nächste Angriff würde kommen.
Er ist das perfekte Beispiel für meine These, dass man sich auch durch gezieltes Meckern und antrainierte Unfreundlichkeit, erfolgreich durchs Leben schlagen kann.
Zum Geburtstag seines Bruders wollte er ihm eine Flasche Aldi Eierlikör schenken, die er schon seit sechs Jahren in der hintersten Ecke seiner Minibar hatte.
Nachdem er die Flasche vom Staub befreit hatte, bemerkte er, dass die Flüssigkeit nicht die Typische Farbe von Eierlikör hatte, sondern eher grünlich war. Ein Blick auf das Haltbarkeitsdatum verriet ihm, dass die Farbänderung wahrscheinlich durch eine Chemische Reaktion verursacht worden war, die im direkten Zusammenhang mit der Tatsache stehen mußte, dass der Eierlikör seit dreieinhalb Jahren abgelaufen war.
Also ging er zum Aldi, machte dort die Verkäuferin zur Sau, beschuldigte sie Ihn vergiften zu wollen und bekam dafür eine neue Flasche, die er dann in die Bar stellte.
Seinem Bruder schenkte er ein Buch über Stalingrad.