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Familie Schwartz, 2. Episode: Schwartze Tage
Diese Serie ist eine Koproduktion von SAN und mir
Gerade war Markus von einem anstrengenden Arbeitstag im Tochbühler Seniorenheim nach Hause gekommen. Eine der Insassinnen hatte beim Mittagessen so fest auf den Löffel gebissen, dass ihre dritten Zähne zerbrochen waren. Und natürlich war er derjenige, der sich darum kümmern musste, dass sie zum Zahnarzt und wieder zurückkam. Da sie wegen ihres starken Übergewichts in einem ächzenden Rollstuhl sitzend befördert werden musste und sie nebenbei auch noch mit einem penetranten Mundgeruch gesegnet war, gehörte sie in der Tat nicht zu seinen Lieblingspatienten.
Dementsprechend geschafft, fläzte er sich in den bequemen Wohnzimmersessel und gönnte sich ein frisches Glas Eau de Wasserhahn. Ein schelmisches Klingeln seitens der Türglocke riss ihn aus seiner eben erreichten Phase der Ruhe.
"Lotte, geh du an die Tür, ich hab grad keinen Bock!", rief er sogleich in den Raum.
"Ich zieh mich grad an, geh du!", erwiderte seine Schwester dumpf aus dem Bad.
Grummelnd hievte sich Markus aus dem Sessel und wälzte sich missmutig zur Tür.
Als er sie öffnete, verschwand seine Müdigkeit urplötzlich und er musste einen großen Batzen Spucke seinen eingeengten Rachen hinunterdrücken. Sein Puls beschleunigte sich auf mindestens 150 Schläge pro Minute und seine Hypophyse sendete fleißig jede Menge Hormone an die verschiedensten peripheren Körperteile. Tausende von Blutkapillaren weiteten sich und ließen unter anderem sein Gesicht an rötlicher Couleur gewinnen.
Der Grund für diese Vorgänge befand sich direkt hinter der geöffneten Tür. Sybille Wolfskind, ein 17-jähriges Mädchen mit blond gefärbtem Haar und einem glitzernden Piercing in der Nase, hatte sich entschlossen, ihre beste Freundin zu besuchen.
"Hallo Markus, alles klar bei dir?", begrüßte sie fröhlich grinsend den leicht vertrottelt dastehenden jungen Mann.
"Ist Liselotte da?", fragte sie den immer noch verwirrten Bruder.
In dem Moment kam Liselotte mit einem turbanartig geschwungenen Handtuch auf dem Kopf zum Eingang.
"Hallo Sybille! Markus, was stehst du denn so blöd im Weg, lass sie doch rein."
Einer Erwiderung unfähig, trat der unter akutem Kontrollverlust Leidende zur Seite.
"Dankeschön!", säuselte das Mädchen, das in seinen Augen eine Halbgöttin war und warf ihm einen Blick zu, den man durchaus als kokett bezeichnen konnte.
Markus stand noch etwa eine halbe Minute lang vor der geöffneten Tür, die Klinke in der Hand, während die beiden schon auf Liselottes Zimmer gegangen waren. Mit etwas Speichel im Mundwinkel schloss Markus schließlich die Haustür und bemerkte nun erst die knüppelharte Erektion, die seine Jeans auf sehr prägnante Art und Weise ausbeulte.
Hatte Sybille etwas gemerkt? Ihm trat der Schweiß auf die gefurchte Stirn. Sie würde es bestimmt seiner Schwester erzählen und diese hätte wieder Stoff, um ihn wochenlang auf zu ziehen.
Auf einen Schlag wurde ihm klar, dass es keine Frau gab, die er mehr begehrte. Sah er Sybille, fing er jedes Mal fast zu sabbern an, und wenn er näher als zwei Meter an sie herantrat, verlor er nahezu jede Sprechfähigkeit.
Die Sache wurde für ihn langsam aber sicher zu einem echten Problem. So konnte es nicht mehr weitergehen. Er musste sie haben, koste es, was es wolle. Da Lottes ausufernd großer Freundeskreis größtenteils aus Dauerpärchen bestand, war zwar wenig Hoffnung, dass sie solo unterwegs war, aber vielleicht hatte er ja Glück.
Ein stiller Drang in seinem Inneren legte ihm nahe, jetzt als erstes mal für ein Weilchen auf die Toilette zu verschwinden. Markus war so verwirrt über seine Gefühle für Sybille, dass er bei diesem Versuch zuerst ein paar mal völlig unkoordiniert gegen die geschlossene Badezimmertür taumelte.
Er hatte bislang noch niemandem sein Leid unterbreitet, noch nicht einmal seinem besten Freund Gregor. Unter anderem natürlich weil dieser außer seinem Computer kaum ein anderes Interesse hatte und das Ganze wohl nicht nachvollziehen können würde. Aber es half nichts, mit irgend Jemand musste er sein Leid teilen.
Nachdem er sein Work-Out im Bad beendet hatte, machte er sich also kurzerhand zu seinem Freund auf, der nur ein paar Straßen weiter wohnte.
Gregor öffnete ihm schon nach sieben mal Klingeln die Tür. Er war ein untersetzter, blasser Junge mit fettigem, braunen Haar. Auf seiner Nase machte sich ein ehrgeiziger Pickel breit, der seinen Zenit gerade zu erreichen schien. Er hatte nur Boxershorts und ein T-Shirt an und seine Augenringe waren grandios.
"Was’n los? Du störst mich beim Counterstrike spielen. Hoff mal es ist was wichtiges.“
Markus trat in die kaum beleuchtete Wohnung.
"Gregor, ich weiß nicht, ob du mir helfen kannst, aber ich brauche deinen Rat. Ich hab sonst niemanden, mit dem ich drüber reden könnte."
"Boah, Alter, mach keinen Stress hier. Zieh dir mal deine Schuhe aus, pflanz dich in mein Zimmer und nimm dir ne Cola.", er schloss die Tür ab und pflügte sich seinen Weg durch die angeschimmelten Pizzaschachteln.
In Gregors Zimmer waren die Rollos gänzlich runtergezogen. Das einzige Licht kam von drei fluoreszierenden Bildschirmen. Neben dem Bett türmte sich ein Stapel gebrauchter Socken und Unterhosen in die Höhe. Das letzte mal hatte Gregor wohl vor einer Woche gelüftet, vermutete Markus und unterdrückte seinen Brechreiz.
"Gregor, ich hab ein Problem. Ich bin verliebt."
Gregor bohrte mit seinem rechten Zeigefinger ausführlich in seiner Nase.
"Aha. Und?"
"Du solltest sie mal sehen, sie ist wunderschön. Ihr Lächeln ist das eines Engels und ihr Körper ist wie aus dem Playboy rausgeschnitten."
Gregors Lebensgeister erwachten und seine Augen blitzten auf. Der Finger ploppte aus dem Nasenloch.
"Was? Goil, goil. Wer isses denn?"
"Sybille. Die beste Freundin meiner Schwester."
"Sybille? Warte mal, ich glaub, die hab ich schon mal gesehen. Lol, Ist das die mit den Hasenzähnen, die immer mit so komischen Ohrringen rumrennt?"
Markus wurde rot im Gesicht.
"Was? Willst du sie beleidigen?"
"Alter, was geht? Omg, du bist ja voll drauf!"
Markus beruhigte sich wieder.
"Na sag ich doch! Ich trau mich nicht es ihr zu sagen, und außerdem krieg ich eh kein Wort raus, wenn ich vor ihr stehe. Was soll ich machen?"
"Ich kann dir ja nen Porno geben, damit du ne ungefähre Vorstellung hast. Ist gar nicht so schwer, wenn de dir die Techniken eingeprägt hast."
"Verarschen kann ich mich selber, vielen Dank. Ich glaub ich geh wieder."
"Ne warte mal, ich mach doch nur Spaß. Also, jedes mal, wenn du sie siehst, denn kriegste nen Ständer bis an die Decke, right?"
Markus mochte offene Gespräche, aber langsam ging es ihm doch zu weit. Trotzdem wollte er an seinem Plan festhalten, Gregor in seine Gefühlslage einzuweihen.
„Nein! Naja OK. Ja, stimmt."
"Wenn de verliebt bist, dann ist jedes Mittel recht. Ich hab nen Vorschlag für dich. Wenn ihr das nächste Mal allein seid, dann greifst du ihr einfach unter das T-Shirt. Wenn sie was von dir will, wird se dich fummeln lassen, und wenn nicht, nu ja, dann merkste das auch schnell."
Markus ließ seinen kurz angehaltenen Atem entweichen.
"Das ist dein Vorschlag."
"Alter, was willste? Fällt dir denn was besseres ein? Also, mach keinen Terz hier."
Markus konnte aus Gregors Ratschlägen ableiten, dass sich dieser offensichtlich noch nie mit einem derartigen Problem auseinandersetzen musste. Er würde sich also selbst weiterhelfen müssen. So dumm war er schließlich nicht, in seiner Schulklasse war er immer der Beste gewesen. Da sollte ihm doch was einfallen. Mit erzwungener Gemütsruhe dachte er ein paar Sekunden nach.
"Ich glaube, ich werd die Sache langsam angehen müssen.“
"Langsam, ach komm schon, Digger, langsam geht die Welt zugrunde."
"Ich werd versuchen, ihr jedes Mal ein bisschen näher zu kommen. Zuerst versuch ich einfach mal ganz locker mit ihr zu reden. Das kann doch nicht so schwer sein. Und dann muss ich ab und zu versuchen, sie ungezwungen und scheinbar zufällig zu berühren. Ich hab mal gehört, dass man so Frauen näher kommen kann.", ein erzwungenes Lächeln legte sich auf Markus Lippen.
"Mann, Junge, was gehste mir auf den Geist mit deinem Problem, wenn de eh schon weißt, was de machen willst? Zieh dein Ding durch. Wird schon was werden. Ich zock jetzt erst mal ne Runde."
Gregor setzte sich wieder an seinen PC, fing zu daddeln an und rief von Zeit zu Zeit "Headshot!" oder "Du blöder Pisser, dich mach ich fertig!"
Markus saß noch ein paar Minuten auf seinem Stuhl, und murmelte vor sich hin, bis er schließlich aufstand und sich auf den Weg zu seinem trauten Heim machte.
Sybille stand zusammen mit Lieselotte im Wohnzimmer, mit jeweils einem selbst gemixten Cocktail in der Hand. Immer wenn die Eltern außer Haus waren, wurde Papis umfangreiche Hausbar geplündert. Die junge Windelträgerin, das Baby Sophia, war noch nicht im sprachfähigen Petz-Alter. Und die alten Windelträger, Opa und Oma Schwartz, die bekamen sowieso nur noch die Hälfte mit.
Langsam näherte sich Markus dem Objekt seiner zügellosen Begierde. Die Zeit verlangsamte sich.
„Wenn du Mama und Papa erzählst, dass wir uns an Papas Bar vergriffen haben, petzen wir, dass du in deinem Zimmer heimlich rauchst!“, begrüßte Lotte den soeben Eingetroffenen und zerstörte damit die Slow-Motion.
"Aber ich rauche doch gar nicht!“, verteidigte sich Markus.
„Dann geh rein und schnüffel mal!“, meinte Sybille und kicherte. Tatsächlich, ihre Schneidezähne waren hasenartig. Nicht schlimm, aber zumindest ein bisschen. Und ihre Ohrringe waren wirklich ein bisschen groß. Gregor setzte seine Augen zwar mindestens halbtags den Bildschirmen seiner PCs aus, ganz erblindet war er dabei anscheinend aber noch nicht.
Jetzt, beschloss Markus, kam seine große Stunde.
Lasziv schritt er auf Sybille zu. Knisternde Erotik lag in der Luft. Die Deckenlampen surrten für eine paar Sekunden.
Er schluckte einmal kurz die angesammelte Flüssigkeit runter, legte Sybille nach einem unglaublichen Akt der Selbstüberwindung seinen Arm um die Schulter und raunte ihr unschuldig zu,
„Baby, hast du mal ne Kippe?“
Lieselotte fing lauthals zu prusten an, verteilte dabei den zuvor in ihren Mund geflößten Cocktail im Raum und ließ ihr halbvolles Glas fallen. Der Opa fing sogleich in seinem Fernsehrzimmer zu schreien an.
„Haltet den Schnabel, ich schau hier fern! Die Bomben von den Sowjets waren Babyfürze gegen euren Radau!“
Die Oma kam sofort mit Wischmop und Eimer angedackelt, schüttelte mehrmals den Kopf und beseitigte die Unordnung pingelig.
„Klar hab ich eine Kippe für dich!“, erwiederte Sybille lächelnd und reichte ihm die Marlboro-Schachtel.
Markus, als bekennender Nichtraucher, nahm sich eine Zigarette und steckte sie lässig in den Mundwinkel.
„Andersrum, du Dödel!“
Lotte lag nun vor Lachen auf dem Boden. Sybille grinste verschmitzt, während die mit Putzen beschäftigte Oma weiterhin ihren Kopf von rechts nach links und rundherum schwang.
„Früher hätte es so etwas nicht gegeben.“, nuschelte sie in ihren ausladenden Damenbart.
Nachdem dieses Mißverständnis beseitigt war, zündete Sybille endlich Markus Zigarette an. Nach einigen ungeübten Zügen und einem ansehnlichen Hustenanfall schnippte er die nur halb fertig gepaffte Zigarette auf die andere Hälfte des gerade von der Oma gesäuberten Teppichs. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis aus diesem die ersten Flammen züngelten.
Den Lachkrampf von Lieselotte hätte man ins Guinessbuch der Rekorde stellen können, befand Markus. Und zu ihrem Lachen gesellte sich nun auch ein beachtlicher Schluckauf, so dass sie wie ein an Elektroschocks verendender Frosch klang.
„Du bist schon in Ordnung, Markus!“, befand Sybille und küsste ihn auf die Wange. Sein Gesicht wurde daraufhin feuerrot, so ähnlich wie der Teppich.
Der Preis für diesen Kuss zeigte sich als Vater Schwartz zeitgleich mit den Nachbarn, die mit Feuerlöschern die Wohnung stürmten, nach Hause kam.
Die Oma unterstützte die Nachbarn wo sie nur konnte. Und war es nur indem sie selbstgebackene, zuckerverklebte Plätzchen an die Herren reichte und alle aufforderte, doch mal eins zu probieren.
Der Opa rief unterdessen gewissenhaft und ausdauernd nach einer neuen Fernbedienung. Die alte sei kaputt gegangen. Doch niemand interessierte sich für den alten Mann. Er hatte sein Testament eh schon gemacht.
Markus stand nach all dem Tumult schließlich allein mit seinem irritierten Vater im Wohnzimmer und genoss immer noch den Kuss, den Sybille ihm auf die Wange gehaucht hatte.
„Was für Kacke hast du da schon wieder gebaut, Markus?“ Die Frage seines Vaters holte ihn zurück in die Realität. „Wäre das nicht der hässlichste Teppich im Haus gewesen, wär ich jetzt echt sauer! Aber jetzt kann ich mir endlich den neuen kaufen, ohne dass deine Mutter was dagegen haben könnte. Und da du eh für deinen Zivildienst Geld bekommst, zahlst du die Reparatur des Fußbodens und wir sind quitt.“
Etwas betreten und noch nicht ganz bei Sinnen akzeptierte Markus das Angebot.
Wohin waren die Mädels verschwunden? Weder Lieselotte noch Sybille waren zu erblicken. Allerdings konnte man durchs geöffnete Küchenfenster irgendwo einen Frosch verenden hören.
Am Abend, gerade als er sich völlig erschöpft ins Bett fallen lassen wollte, bekam Markus eine SMS:
“Hast du morgen Lust auf Kino? LG Sybille”
Hatte sich die Sache doch gelohnt.