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Falsches Fleisch

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28.06.2006
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Falsches Fleisch

U-Bahn

Etwas war heute Morgen anders. Marvin hielt sich in einem Klasse C-Waggon der U-Bahn auf den Beinen; zusammengedrückt wie eine Ölsardine mit all den anderen, die sich die werbungsfreie Zone nicht leisten konnten. Die Augen auf den Fensterbildschirm geheftet verfolgte er Reklame für Waschmittel, Dosenbier, Abflussreiniger; bunt, laut, penetrant. Welche Produkte beworben wurden spielte keine Rolle, solange ihn die Bilder am Einschlafen hinderten und kurzzeitig vergessen ließen, dass er sich sein Geld mit Toilettenschrubben verdiente.
»... entdecken Sie den virtuellen Raum ganz neu mit MyKill! Werden Sie Ihre Aggressionen auf moderne Art und Weise los, ohne moralische Bedenken, ohne Konsequenzen, ohne Risiko! MyKill macht’s möglich! Leben Sie ihre Phantasien aus, es gibt nichts, das nicht möglich wäre! MyKill erfüllt all Ihre Wünsche zu einem vernünftigen Preis! Worauf warten Sie noch? Weitere Informationen entnehmen Sie bitte unserer Homepage ...«
Die schmeichelnde Sirupstimme vermengte sich zusammen mit den Esoterikklangschalen zu etwas, das sich wie ein wattierter Dorn ins Hirn trieb.
Marvin fühlte sich eigenartig, als er Minuten später mit der Rolltreppe nach oben fuhr und ins Freie trat. Ein Ommm hallte nach, Liszt erschien vor seinem inneren Auge. Liszt mit seinem platinblond gefärbten Haarkranz und den kurzen Armen, die er immer hochriss, seinen Krokoschuhen und den Seidenhemden mit Schweißflecken unter den Armen. Nur weil er sich zum Filialleiter von Mac Toms hochgearbeitet hatte, bildete er sich ein, so etwas wie ein Halbgott zu sein.
Marvin ballte ärgerlich die Fäuste, so lange, bis die Nägel schmerzhaft in die Handteller schnitten.
Die letzten Kilometer trottete er zu Fuß. Der Himmel war mit Kondensstreifen vernarbt, die Stadt vibrierte, es roch nach Ozon, Autos hupten.
Marvin seufzte innerlich, eigentlich dürfte er sich nicht beklagen. Der Arbeitsplatz bot Vorteile gegenüber dem Job als Bahnhofsputze oder Friedhofswärter. Im Winter war es warm, die Toiletten verätzten einem nicht die Nasenflügel oder verursachten Brechreiz, und Pöbel kam nur in seltenen Fällen herein.

Mac Toms

Marvin war gerade dabei, die Fliesen des Eingangsbereiches zu wischen. Das gelbe Schild aus Plastik mit der Aufschrift »Vorsicht Rutschgefahr« hatte er neben sich auf den Boden gestellt. Liszt saß hinter der Glasscheibe in seinem Büro und warf von Zeit zu Zeit einen kontrollierenden Blick heraus.
Immer wieder durchquerten Kunden den feuchten Bodenbereich, hinterließen Schmutzspuren ohne es zu bemerken, ohne Marvin zu bemerken. Er war für sie so unsichtbar wie die Clownfische im Aquarium. Nicht mehr wert als eine Kübelpflanze. Vielleicht sogar noch weniger, da sein Organismus Sauerstoff verbrauchte, anstatt ihn zu produzieren.
Aus dem Augenwinkel beobachtete er die Kunden, ohne dabei selbst aufzufallen. Immer wieder wagte er Blicke, sagte präzise voraus, dass Tussi A mit dem Spezialmenü überfordert wäre, Blaue Jacke nervös nach Kleingeld kramen oder der Fette in der Ecke eine zweite Portion Pommes bestellen würde.
Ein Blicksprung auf die Wanduhr verriet Marvin, dass Liszt in dreißig Sekunden, um genau 11 Uhr, sein Büro verlassen würde, um sich eine halbe Stunde im Privatklo einzusperren. Danach käme er zurück, mit einem Lächeln, das zu geschätzten neunzig Prozent Befriedigung ausdrücken würde, und ließe sich wieder in seinen Stuhl fallen. Die Tür ging auf.
Eine halbe Stunde später zählte Marvin wieder abwärts. Countdown der erwarteten Rückkehr: Dreißig, neunundzwanzig, achtundzwanzig …

Jemand kommt

… Sieben, sechs, fünf, vier …
Marvin zählte nicht mehr. Er spürte einen Blick im Rücken, jemand war eingetreten und hatte ihn fixiert. Seine Schultern wurden noch runder, er zog den Kopf vorsichtshalber eine Spur tiefer ein und fand das Schachmuster des Bodens plötzlich sehr interessant.
Das Gefühl blieb, wurde zu einer Schlinge, die ihn lähmte. Eine herbe Pfefferminznote und der Geruch von Leder drangen an seine Nase. Er glaubte, ein Atmen wahrzunehmen. Seine Knöchel wurden weiß, so sehr krampften sich die Hände um den Stiel des Wischmobs. Im selben Augenblick verachtete er sich selbst für dieses Verhalten. Was sollte denn schon passieren, verdammt?
Dann quietschten Schuhe links hinter ihm, die Anspannung war mit einem Mal wie weggeblasen, und im nächsten Augenblick schritt jemand an ihm vorbei. Marvin hielt inne. Erstaunlich, dachte er. Ein Mann, Ende zwanzig wie er vermutete, in seinem Alter also.
Marvins Augen hefteten sich wie von selbst auf die Erscheinung, er hielt inne.
Die Bewegungen des Mannes zeugten von jenem souveränen Selbstbewusstsein, das Marvin so sehr bewunderte. Er war schwarz gekleidet, von oben bis unten, selbst das kurz geschorene Haar war dunkel. Auf dem Hinterkopf leuchteten zwei lange Narben wie ein Ypsilon. Seine Schultertasche wippte gegen die Hüften. Er passte hier ebenso wenig herein wie Clint Eastwood in einen Kindergeburtstag.
Dann tat er etwas, das Marvin beeindruckte: Er latschte nicht durch die frisch gewischte Stelle, sondern umrundete diese sorgfältig, drehte den Oberkörper beim Weitergehen kurz zurück und warf ihm einen wissenden Grinser zu, den er von James Dean geklaut zu haben schien. Marvin war baff. Ypsilonnarbe kehrte ihm wieder den Rücken zu und reihte sich in die wartende Schlange ein.
Minuten später stand Marvin bei Liszt im Büro.

Gespräche

»Keine halbe Stunde bin ich weg, und schon legt Marvie die Arbeit nieder!«
Marvin hasste es, wenn Liszt ihn so nannte, und der schien das zu wissen.
»Ich … es …«, begann er und wusste, dass es vollkommen gleichgültig war, was er sagte. »Es tut mir Leid.« Egal ob er zwei Sekunden oder drei Stunden in die Luft gestarrt hatte; Liszt hatte ihn so angetroffen.
»Das sollte es auch. Nur, weil sich der Roboter noch mehr Fehler geleistet hat als du, wischst du hier die Böden, und nicht dieser Schrotthaufen.« Liszt deutete mit dem Daumen auf einen geschlossenen Wandschrank hinter sich.
Marvin nestelte an seinem Hemd und nickte reumütig.

Wieder draußen wischte Marvin weiter. Von Zeit zu Zeit spähte er zum Pult und träumte sich selbst in die lila-grüne Uniform neben das siedende Öl, um Pommes zu frittieren. Vielleicht … irgendwann …, dachte er.
»Vorsicht«, sagte jemand wie zufällig und riss ihn aus seinen Gedanken. Marvin sah sich um. Ypsilonnarbe hockte an einem Tisch hinter ihm. Hatte er ihn die ganze Zeit über beobachtet? Unheimlich. Jetzt nickte er mit dem Kinn in Richtung Glasscheibe. Marvin verstand, wischte schnell weiter.
»Wie heißt du?«, fragte der Sitzende, schob sich einen Roller in den Mund und rieb sich fortwährend die haarlose Stelle hinter dem Ohr.
Nachdem sich Marvin überzeugt hatte, dass tatsächlich er gemeint war, entgegnete er: »Wieso?«
»Wieso nicht?« Er grinste kauend. »Komm schon, spuck’s aus. Ich verrat’s auch keinem.«
»Marvin«, sagte dieser.
»Nun, Marvin, das, was du tun willst, ist genau das Richtige für dich.«
»Was will ich denn tun?«
»Ich denke, du weißt schon, was ich meine.«
»Ach ja? Dann weißt du ja auch, dass ich jetzt gehe.«
»Moment! Gott, wo sind meine Umgangsformen! Ich bin … also … sag einfach Richard zu mir.«
»Na schön, Richard. Ich denke es geht nicht darum, was ich will, sondern was du von mir willst.«
»Ich könnte jetzt zu deinem Boss rüberschlendern und ihm verklickern, dass du deine Arbeit vernachlässigst und mich von der Seite angequatscht hast. Aber ich tu’s nicht. Weshalb? Die Burger schmecken hier einfach zu gut«, er lachte kurz auf, um dann fortzufahren: »und außerdem hast du’s nicht verdient. Siehst du, ich war mal so wie du.«
Marvin hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte und schwieg.
»Wenn du nicht aufpasst, explodierst du in spätestens zwei Jahren. Du läufst Amok und landest irgendwo in einer Zwangsjacke, in die du dann reinscheißt. Oder aber du stürzt dich von der nächstbesten Brücke. Wenn du Glück hast, überlebst du’s nicht. Sieh dich an!«
Marvin schwieg.
»Denk mal darüber nach. Es gibt andere Möglichkeiten. Bessere.«
Marvin schwieg.
»Schon mal von MyKill gehört?« Als Marvin nickte, machte er eine Kopfbewegung, die wohl »Na also!« bedeuten mochte. »Du hast es dir bereits vorgestellt, hab ich Recht?«
Widerwillig nickte Marvin erneut.
Richard stand auf, drückte ihm sein Tablett mit den Worten in die Hand, er solle es wegräumen und verschwand durch die Tür, einen Schweif Pfefferminzgeruch hinter sich herziehend.
Anfangs verdutzt, kippte seine Stimmung bald, er wurde zornig, ohne einen bestimmten Grund dafür nennen zu können. Mit höherem Kraftaufwand als angemessen schob er das Tablett in den Ständer. Und hielt inne. Ein beigefarbener Zettel lag darauf. In Dreißig-Punkt-Schrift stand »MyKill – Ihre Chance« darauf, hinterlegt mit einer Möbiusschleife aus winzigen Totenköpfen.
Marvin faltete das Papier hektisch zusammen und schob es so unauffällig wie möglich in seine Gesäßtasche. Natürlich würde er niemals zu dieser ominösen Agentur gehen, aber irgendwie war er neugierig. Was konnte es schon schaden? Er würde die notwendige Kohle ohnehin nie besitzen.
Plötzlich sah er Liszt, der wutentbrannt auf ihn zustrebte. Verdammt! dachte er, wie lange hatte er so dagestanden und versonnen in die Luft gestarrt? Gerade als der Filialleiter die Arme hochreißen wollte, stieß er einen verzerrten Laut aus, etwas quietschte, etwas knackte, und im nächsten Moment lag Liszt strampelnd wie ein Käfer auf Speed auf den feuchten Fliesen.
Alles drehte sich um und verfolgte Liszts einsetzende Flucherei gepaart mit Schmerzensschreien, teils amüsiert, teils schockiert.
Minuten später hatte man den Verletzten ins Krankenhaus abtransportiert. Verdacht auf Knöchelbruch. Marvins Kollegen gifteten ihn den restlichen Tag an. Er konnte ihre Gedanken förmlich hören. Jetzt wird Liszt auch uns das Leben zur Hölle machen!

Zu Spät

Wach auf! Wach schon auf! Festgesetzter Frittenfettgeruch in den Haaren begrüßte ihn in den neuen Tag. Nein, er konnte nicht auf der Couch eingeschlafen sein, das konnte nicht sein! Wach auf, verdammte Scheiße!
Es nutzte nichts, Marvin hatte sich verschlafen; kam zu spät zur Arbeit, ungekämmt und unrasiert, mit geröteten Augen und fauligem Geschmack in der Mundhöhle.
Liszt erwartete ihn bereits am Eingang. Mit Gips und Gehhilfe wirkte er noch bösartiger; war jetzt gefährlich.
Den ganzen Tag über verfolgte er Marvin mit seinen blöden Krücken, ließ ihn jede Stelle dreimal wischen, scheuern oder polieren, und versäumte keine Gelegenheit, ihn verbal zu piesacken. Die Worte schnitten tief wie ein Skalpell. Doch Marvin wehrte sich auf seine Art.
Kurz vor Schichtwechsel hatte Marvin Liszt bereits zweimal erdolcht, einmal erdrosselt und unzählige Male einfach abgeknallt. Es fühlte sich gut an, so gut, beinahe zu gut. Fast erwartete er die nächste Stichelei, um seinerseits in Gedanken loslegen zu können. Er musste sich zügeln, um nicht absichtlich Fehler zu begehen. Es war verrückt, seit wann tötete er in seiner Vorstellung?

Veränderung

Zwei Wochen später erledigte Marvin seine Arbeit besser als je zuvor. Liszt schien sich nicht entscheiden zu können, ob er wütend oder verwundert sein sollte. Marvin gab ihm keinen Grund mehr für Wutausbrüche und Beschimpfungen, doch das schien ihn erst recht wütend zu machen. Jetzt war Marvin am Zug.
Er hatte sich angewöhnt, seine Träumereien nebenbei laufen zu lassen. Kam Liszt wie zufällig an ihm vorbei, weidete er sich an dessen verdutzten Gesichtsausdruck, der auf den nächsten Fehler zu lauern schien.
Immer raffinierter wurden die Methoden, immer genauer stellte er sich den Ablauf vor, immer detaillierter konnte er die klaffenden Wunden sehen. Doch die Szenen blieben nur Phantasien, Trugbilder, nichts weiter.
Als er wieder einmal in der U-Bahn auf dem Nachhauseweg war, tauchte plötzlich Richard neben ihm auf. Er sagte nichts, schien ihn nicht mehr zu erkennen. Marvin spähte einige Male verlegen in seine Richtung. Als nichts passierte, drehte er sich weg. Was wollte er eigentlich mit ihm reden? Er kannte ihn kaum, eigentlich gar nicht, um genau zu sein.
Und doch ... bemerkte Richard denn gar nichts? Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Richard war sicher einer dieser Werbefreunde! Einer von denen, die sich an Wildfremde ranmachten, ihnen etwas von Freundschaft und Wohlwollen vorgaukelten und eigentlich nur ihre Dienstleistungen verhökern wollten. Wie hatte er nur so naiv sein können!
Wütend quetschte er sich durch die schwitzenden Massen zum nächsten Ausgang.

Blutungen

»Sag mal, was hältst du eigentlich von mir?«, erklang eine schneidende Stimme in seinem Rücken.
Marvin fuhr herum. Zwischen all den Menschen, die aus der Bahn drängten, stand Richard wie ein Betonblock, die Aussteigenden umspülten ihn wie Wasser. Seine Augen hatten sich in funkelnde Schlitze verwandelt, die Stirn lag in Zornesfalten.
»Komm mit, du Weihnachtsmann!« Damit fasste er ihn am Handgelenk und zog ihn unsanft neben sich auf eine Sitzbank. Die Bahn fuhr donnernd davon; es entstand ein Luftzug, der Marvins Haare zerzauste. Richard schien ehrlich aufgebracht.
»Ich bin kein Werbefreund«, stellte er klar.
»Schon verstanden, du bist der gute Engel von nebenan, der mich retten will.« Marvin wollte aufstehen. Richards Lachen hielt ihn zurück.
»Hör zu, Marvin. MyKill ist ja nur ’ne Möglichkeit. Eine von vielen.«
»Was soll denn das jetzt wieder bedeuten? Wer bist du eigentlich?«
Zur Antwort kramte Richard in seiner Tasche, holte eine e-card und eine Schachtel Burton hervor. Er reichte ihm die Plastikkarte zwischen Ring- und Mittelfinger geklemmt.
Während Marvin die Karte wenig überzeugt beäugte, steckte sich Richard eine Zigarette an.
»Hier ist Rauchverbot«, sagte Marvin automatisch.
»Gut, dann gehen wir zu dir.«
»Nein, ich möchte nur wissen, was das alles soll.«
»Hab ich dir schon gesagt. Ich will dir helfen.« Richard rieb sich jetzt wieder mit der linken Hand hinter dem Ohr, in der rechten glomm die Zigarette vor sich hin. »Auch eine?«, fragte er nach einer Weile.
»Nein. Hier.« Marvin gab ihm die Karte zurück. Sie bewies nur, dass er tatsächlich Richard hieß oder einen guten Fälscher für sich arbeiten ließ.
Es entstand eine Pause, in der niemand etwas sagte. Richard rauchte und genoss es offenbar, von Marvin beobachtet zu werden.
»Jetzt hör mal zu, Marvin. Du bist doch nicht blöd. MyKill ist das gottverdammt Beste für dich. Was hält dich eigentlich zurück?« Während er die Worte sprach stand er auf, schnippte den Rest der Zigarette auf die Gleise und rieb fortwährend weiter.
»Ich glaube nicht ... ich meine, ich kann doch nicht ... das ist doch krank. Und überhaupt, weißt du, wie viel Kreditpunkte man als Putze bekommt?«
Richard hatte nicht zugehört. Er starrte auf die Innenseite seiner linken Finger, sie waren blutig. Marvin glaubte, so etwas wie »Nicht schon wieder!« in seinen Zügen ausmachen zu können.
»Alles ok? Geht’s dir gut?«
Richard schien wie ausgewechselt, presste die Lippen aufeinander, sie bebten. Er sprang auf und entfernte sich ein paar Schritte.
»Was ist los mit dir?« Marvin stand ebenfalls auf. Gerade machte er einen Schritt auf ihn zu, da kehrte wieder Leben in Richard, er wich vor Marvin zurück, hielt dann inne und musterte ihn, als ob er ihn das erste Mal sähe. Nach einer Weile, Marvin wusste nicht recht, was er davon halten sollte, ließ Richard die Hand sinken. Seine Züge wurden weicher.
Er sagte: »Ach Marvin. Geld ist das Problem?«
Dann drehte er sich um und sprintete davon. Bevor er im Ausgang verschwand, rief er noch zurück: »Du kriegst das schon gebacken!«

Entscheidungen

Von diesem Zeitpunkt an kam Richard täglich ins Mac Toms, bestellte sich Roller und trank eine Coke dazu. In Marvins Nachtschichten unterhielten sie sich in der Männertoilette während Marvin die Hinterlassenschaften der Kunden entfernte. Richard rauchte, blutete manchmal hinter den Ohren, winkte aber immer ab, wenn Marvin wissen wollte, woher das käme.
»Ein halbes Jahr lang Miete.«
Richard formte Rauchkringel. »Das doppelte, wenn du das Fünf-Sinne-Programm buchst. Alles andere ist nicht mehr wert als das Zeug im Pissoir.« In seinem Lachen lag Geringschätzigkeit.
»Unmöglich. Einfach nicht drin.« Marvin zuckte die Achseln, entledigte sich der Gummihandschuhe und goss das übelriechende Putzwasser in den Abfluss.
»Stimmt nicht. Was ist mit der Kasse?«
»Ich bin kein Dieb«, entgegnete Marvin und schluckte.
Nun zuckte Richard die Achseln. »Wie du meinst. Aber ich könnte dir helfen. Eine Gans zu tranchieren ist weit schwieriger.«
»Red keinen Blödsinn. So was mach ich nicht.«
»Du kannst ja mal ’ne Nacht drüber schlafen.« Damit warf Richard die abgebrannte Kippe in eine Toilette und spülte. »Bis morgen«, meinte er und klopfte Marvin auf die Schulter, »ich muss los.«

Die nächsten drei Tage ließ sich Richard nicht mehr blicken. Wieder befiel Marvin das Gefühl, Richard sei doch nur ein Werbefreund und habe ihn die ganze Zeit über ... aber nein, das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein. Obwohl … meistens unterhielten sie sich über MyKill.
Je öfter Marvin sich vorstellte, selbst zu der Agentur zu gehen, alle moralischen Bedenken an der Eingangstür abzulegen wie Hut und Mantel, es einfach ... ja verdammt, einfach zu tun – Er wollte es. Er musste es. Richard hatte ihm den Mund wässrig gemacht.
Am vierten Tag hatte Marvin eine Entscheidung getroffen. Es war Donnerstag, kurz nach elf. Um diese Zeit waren höchstens drei Leute mit ihren Mahlzeiten beschäftigt. Bernadette ging dann immer nach hinten, um mit den gackernden Weibern zu schwatzen. Am Monatsende war die Kasse übervoll und in diesen paar Minuten unbesetzt.
Wie zufällig wischte Marvin gerade jetzt den Boden beim Pult. Mit den Augen tastete er die Umgebung ab, bereit, die erste Gelegenheit zu nutzen. Er war so sehr in diese Sache vertieft, dass er zusammenfuhr, als eine Stimme in seinen Nacken zischte:
»Warte noch dreißig Sekunden.«
Richard! Marvin fuhr herum. Da stand er, den Blick auf etwas geheftet, das am anderen Ende des Lokals lag, mit konzentriertem Blick und ernster Miene. »Genau dreißig, zähl abwärts, ab jetzt!«, befahl er.
Marvin zählte. Bei Null angekommen öffnete er die Kasse mit Bernadettes ID-Karte, die sie neben dem Gerät liegengelassen hatte. Nach einem Moment des Zögerns packte er die Bündel und stopfte sie hastig in seine Tasche. Das Herz klopfte ihm so heftig und schnell, dass er sicher war, im nächsten Moment würde es sich durch den Brustkorb arbeiten; seine Hände zitterten, er hatte Mühe, seine Bewegungen unter Kontrolle zu bekommen.
Insgesamt dauerte es vielleicht zehn Sekunden, doch Marvin hatte das Gefühl, Minuten seien vergangen. Aufgewühlt und mit heftig zitternden Händen schloss er die Lade.
»Gut gemacht, bin stolz auf dich«, sagte Richard kurz darauf und drückte ihm ein kleines Fläschchen in die Hand. »Pass genau auf. Ich bleibe noch hier. Du rufst die Tusse zum Bestellen her. Sobald der Diebstahl bemerkt wird und Liszt zurückkommt, schluckst du einen Tropfen hiervon. Und nimm deine Tasche mit! Danach lässt du dich krankschreiben. Den Rest überlässt du mir. Alles transparent soweit?«
»Wieso sollte ich das tun?«
»Wir sind ein Team. Ohne meine Hilfe würdest du gleich die Hauptrolle in dem netten Film >Marvies erster Coup< spielen.«
Marvins Herz setzte aus. Hier waren Kameras installiert?
»Bernadette, kommst du mal her? Kundschaft!«, rief er mit trockenem Hals.
Sie kam, einen genervten Ausdruck im Gesicht und ratterte gelangweilt ihr Sprüchlein herunter.
»Na endlich!«, regte sich Richard auf, »Ich stehe mir hier schon die Beine in die Gedärme. Verstehen Sie das unter unschlagbarem Service?« Er deutete auf den leuchtenden Schriftzug über dem Pult und funkelte Bernadette an.
Sie entschuldigte sich, sichtlich überrascht, und gab nach der Bestellung die Order weiter. Marvin entfernte sich mit seiner Tasche. Kurze Zeit später überschlugen sich die Ereignisse.

Tumult und Übelkeit

Marvin stürzte zu den Toiletten, sein Magen hatte sich in einen schmerzenden, pulsierenden Kloß verwandelt. Nur mit halber Wahrnehmung erfasste er den Tumult, der sich um den Kassenbereich abspielte. Es war beinahe ein Wunder, dass er neben der entsetzlichen Übelkeit an die Tasche gedacht hatte. Und dann kotze er sich die Seele aus dem Leib.
Selbst als sein Magen nur noch Luft und Magensäure ausstieß, ließ der Brechreiz nicht nach. So elend hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt, um genau zu sein, noch nie. Endlich, nach Minuten geifernden Würgens, ließ der Zwang etwas nach. Marvin fiel erschöpft auf den Boden, zittrig, mit Speichel auf den Lippen.
»Marvin?«
Marvin fuhr zusammen.
»Ja?«
»Alles ok?«, fragte Liszt.
»Ich ... eigentlich nicht … könnten ... könnten Sie mich … krankschreiben?«, stieß Marvin hervor, um danach gleich wieder zu würgen.
»Wenn’s sein muss«, sagte der Filialleiter einfach und ging hinaus.
Marvin kauerte noch eine Weile gegen die Zwischenwand gelehnt, atmete gequält. Dann stand er auf. Seine Beine hatten sich in Gelee verwandelt. Er spülte sich den Mund aus und wischte die Lippen sauber.
Mit umgehängter Tasche verließ er das Mac Toms und fuhr nach Hause.

Der Besuch

Aufgetürmt wie eine Pyramide strahlte die Haarkonstruktion der Empfangsdame etwas Würdevolles, Respekteinflößendes aus. Sie hatte das Bargeld ohne mit den aufgeklebten Wimpern zu zucken angenommen, in eine Metallbox gesteckt, eine Quittung ausgestellt.
Den federleichten, mit Sensoren durchwirkten Anzug unter den Arm geklemmt, betrat Marvin die Umkleidekabine. Er lauschte. Nichts zu hören. Nichts. Es war seltsam, er konnte sich nicht erinnern, jemals eine solche absolute Stille vernommen zu haben. Während er seine Klamotten gegen den Anzug tauschte, stiegen Fetzen von Liszts Schimpftiraden aus seinem Unterbewusstsein herauf. Die Stille verstärkte sie, verlieh ihnen mehr Nachdruck, ließ die Worte noch tiefer stechen.
Mit immer mehr Vorfreude auf das bevorstehende Intermezzo strich er sorgfältig alle Falten glatt, die zuvor kurz geschnittenen Haare stopfte er unter die Kapuze, folgte dann den restlichen Anweisungen des Monitors. Ein kleines, selbstklebendes Sensorplättchen auf die Zunge geklebt, zwei Sensorknospen in die Nasenlöcher geschoben, und er war fertig. Endlich konnte er loslegen! Er drückte den Bestätigungsknopf, worauf sich die Tür zum eigentlichen Raum aufschob. Marvin ging hinein.
Der abgedunkelte Raum erhellte sich, eine Stimme erklang.
Sie sagte: »Die von Ihnen gewählten Parameter werden geladen.«
Sekunden später stand Marvin in der nach Fett riechenden Mac Toms Filiale, gerade so wie jeden Tag. Die Illusion war perfekt, Marvin verfiel sogleich in seine gewohnte, geduckte Haltung, betrachtete mit runden Schultern suchend den Boden, war auf der Hut vor … ja, wovor denn eigentlich?
Langsam richtete er sich auf, drückte den Rücken durch, atmete mit geblähten Nasenflügeln ein. Er ballte die Fäuste, der ganze Körper gewann an Spannung und schien Funken zu sprühen. Seine Mine verfinsterte sich, er drehte den Kopf prüfend von links nach rechts. Wo war der Mistkerl? Wo zum Teufel war Liszt?
Und dann sah er ihn, wie er aus der Küche humpelte, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er gerade in die Zitronen des Salats gebissen, angewidert sah er aus und gleichzeitig bösartig.
Ihre Blicke trafen sich. Liszt wich kurz zurück, überrascht. Marvin gefiel das. Nach einer Weile, in der sich keiner der beiden rührte, lösten sie sich aus der Erstarrung und strebten einander zu. Liszt klapperte mit den Krücken und grinste dümmlich.
Endlich! Marvin spürte, wie ihm kochendes Blut durch die Adern schoss, er konnte fühlen, wie die Synapsen heiß liefen, er sah rot.
»Marvie! Wo ist dein Mob? Hast ihn wohl gefressen, weil du kein Wor…« Weiter kam Liszt nicht, der Rest wurde zu einem erstickten Gurgeln und später zu einem wütenden Heulen.
Richard! Wischmob! Würgen! MyKill! Kassa! Bargeld! Töten! Töten! Töten! Ein irres Lachen erfüllte die Filiale, die Kollegen verharrten geschockt, Marvin wütete wie der Leibhaftige. Ließ alles raus. Explodierte. Exaltiert, perfide, diabolisch. Er konnte Liszts Furcht riechen, den Schweiß. Seine brechenden Knochen fühlen. Sein Blut, seine Eingeweide schmecken. Sei Stöhnen hören. Die Todesangst in seinen Augen sehen. Liszt hatte eine Scheißangst.
Alles ging rasend schnell, lief ab wie ein Band, das vorgespult wurde. Viel zu schnell erstarb das Wimmern, endete die Gegenwehr. Bald schändete Marvin nur noch den leblosen Körper zu seinen Füßen. Doch auch das bereitete ihm Vergnügen. Liszt konnte sich nicht wehren, musste alles mit sich machen lassen. Mit toten Augen stierte er an Marvin vorbei und konnte nichts dagegen tun! Nichts!
Voll Wonne leckte er sich die blutigen Finger, schluckte, weidete sich daran. Wie herrlich das war!
Bernadette war die erste, die schrie.

Ein zitterndes, gekrümmtes Bündel lag auf dem Boden. Der Raum erhellte sich allmählich. Marvin atmete stockend, bekam kaum Luft. War es vorbei? Er besah sich seine Hände. Erwartete er sie blutverschmiert vorzufinden? Lächerlich! Er fror. Kalter Schweiß klebte im Nacken. Unter großer Anstrengung rappelte er sich hoch und kehrte in die Umkleidekabine zurück, begleitet mit den Worten: »Wir bedanken uns für Ihr Vertrauen in MyKill. Beehren Sie uns bald wieder und empfehlen Sie uns weiter, wenn Ihnen das Programm gefallen hat.«

Waschlappen

Natürlich klebte kein Blut an seinen Händen, aber … irgendwie doch. Marvin stand in der Badewanne, wusch und wusch, schrubbte wie ein besessener, verbrauchte zwei Behälter Flüssigseife aber der Geruch blieb. Der Geruch von Blut.
Er drehte das Wasser noch heißer, verbrühte sich beinahe, doch das war ihm nur Recht. Irgendwie musste er wieder sauber werden. Er musste diesen Ekel loswerden, diesen Gestank. Ein Krampf in den Eingeweiden sagte ihm, dass er seit zwei Tagen nichts mehr gegessen hatte, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Wie konnte er! Wo er doch so … unrein war. Scheiße.
Und dann heulte er. Es musste raus. Was hatte er da nur getan! Er war zum Dieb und Mörder geworden und konnte sich nicht mehr erinnern weswegen. Dann sackte er zusammen, schluchzte in die Armbeugen, fühlte sich so elend wie nie. Irgendwann kam kein heißes Wasser mehr aus der Leitung, der Strahl wurde eiskalt. Marvin stellte ihn ab und stieg aus der Wanne.
Die Haut gerötet, die Hände blutig und geschunden verschmierte er das Handtuch, holte dann Pflaster und Wundsalbe aus dem Schrank, fing an, die Stellen zu verarzten.
Als er in den Spiegel blickte, war er sich seltsam fremd. Nichts kam ihm bekannt vor. Er sah sich an, wusste um seiner selbst, doch er konnte nichts Vertrautes entdecken. Es war, als blicke er durch eine Fensterscheibe in die Augen eines Fremden. Marvin erschrak in tiefster Seele und zuckte voll Furcht zurück.
Wirre Gedanken drängten sich in sein Bewusstsein, als er seine Finger verband. Liszt lebt, du hast nichts getan. Aber der Geruch! Liszt lebt, du hast nichts getan. Aber die Bilder! Liszt lebt, du hast … ihn getötet. Nein hast du nicht. Oder doch? Seine Erinnerung sagte ihm, dass er Unsägliches mit seinem Chef angestellt hatte, doch sein Verstand leugnete die Tatsache.
Marvin verkroch sich unter der Bettdecke. Er legte sich auf die Seite, zog die Knie zur Brust und umschlang sie mit den Armen. Die Hände schmerzten, brannten. Er lag ganz ruhig da, lauschte dem Kratzen des Baumwollstoffes, der sich mit seinem Brustkorb hob und senkte, roch den Weichspüler und kniff die Augen zusammen bis sie tränten, obgleich er unter der Decke nichts sah. Innerlich erschauderte er.

Realität

»Marvie, geht’s dir gut? Du siehst aus, als bräuchtest du noch ein paar Tage Auszeit.«
»Nein, schon okay. Danke«, sagte Marvin.
»Bist du sicher? Notfalls könnte ich den Roboter einsetzen.«
»Es wird schon gehen.«
»Was hast du denn mit deinen Händen angestellt?«
»Nichts. Nichts ... ich … ich hab nur«, Marvin brach ab und zupfte an den Pflastern herum.
Seit wann war Liszt freundlich? Seit wann machte er sich Sorgen um seine Mitarbeiter? Warum war er nicht fuchsteufelswild?
»Herr Liszt?«
»Ja, Marvie?«
»Weiß man schon etwas über den Diebstahl?«
Es dauerte einige Augenblicke, bis er eine Antwort erhielt: »Nein, aber die Versicherung übernimmt den Schaden. Immerhin etwas. Das Ganze ist uns allen immer noch ein Rätsel.«
»Haben denn die Kameras nichts aufgezeichnet?«
»Wie meinst du das?« Liszts Stimme bekam einen misstrauischen Unterton.
»Sie haben doch sicher Kameras hier installiert, oder nicht?«
»Wie kommst du denn da drauf?«
»Ich dachte … hat nicht einmal …« Marvins Magen mutierte zu einem Bleiklumpen. Richard, dieser gottverdammte … ja, was denn eigentlich? Was sollte das alles? Warum hatte er ihn glauben lassen … warum hatte er ihm überhaupt geholfen? Ein Werbefreund würde niemals so weit gehen.
»… irgendjemand hat mal eine Andeutung gemacht«, versuchte Marvin die Situation zu retten. Liszt zuckte nur die Achseln und ging dann in sein Büro.

Falsches Spiel

Den Rest des Tages zerbrach sich Marvin den Kopf über Richards Motive. Die letzte halbe Stunde seiner Schicht verbrachte er auf der Männertoilette und schrubbte die Pissoires mit dem nach Wassermelone riechenden Reiniger. Als er fertig war, stellte er den Behälter auf den Waschbeckenrand und wusch sich die Hände.
Gerade wollte er nach dem Handtuch greifen, da spürte er den heißen Atem von jemandem im Nacken und im nächsten Moment wurde er gegen die Wand gedrückt.
»Du warst es! Du kleiner Dieb!«
Marvin fühlte sich ertappt, die Erinnerung an die Tat flammte auf, dann spürte er einen ziehenden Schmerz in den Schläfen und im nächsten Moment war alles vorbei, der Druck verschwunden und mit ihm die Erinnerung.
Kleine rosa Punkte tanzten vor seinem Gesicht, Marvin blinzelte einige Male, hielt sich am Waschbecken fest, dann drehte er sich um. Richard stand vor ihm, ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht wie ein Reißverschluss. Auf den Schläfen klebten Metallplättchen, Marvin hielt sie für so etwas wie Elektroden.
»Gut gemacht, Marvin!«
»Scheiße, was sollte das?« Marvins Stimme überschlug sich beinahe.
»Ich hab dich gerade von einer Last befreit. Sei also ein wenig dankbar.«
»Wie bitte? Du spinnst doch.«
»Bleib hier und sieh dir das an«, entgegnete Richard und hielt ihm eine Art Aufnahmegerät mit Farbdisplay vor die Nase. Er drückte auf Play.
Marvin klappte die Kinnlade herunter als er sah, wie er, er selbst, die Kasse plünderte. Wie konnte das sein, er hatte doch keinerlei Erinnerung daran!
»Das ist doch nur eine billige Fälschung!«
»Keineswegs mein Lieber. Erklär mir mal, wie du dir MyKill sonst leisten konntest.«
»Aber … ich … wie?« Marvin wusste überhaupt nichts mehr.
»Ich hab’s dir doch eben gesagt. Die Erinnerung daran ist jetzt hier drin«, sagte Richard und tippte sich an die Stirn.
»Was? Wie hast du das angestellt?«
»Unwichtig. Was zählt ist die Tatsache, dass du MyKill einen Besuch abgestattet hast. Ist doch so?«
Marvin nickte. Richards Augen weiteten sich, auf seiner Oberlippe glitzerten Schweißperlen. Irgendetwas in seinem Ausdruck verriet pure Gier. Aber Gier wonach? Marvins Gedanken ratterten, flogen, wirbelten.
»Aber du verkraftest den Besuch schlecht, nicht wahr?«
Marvin rührte sich nicht.
»Hast dir die Hände blutig geschrubbt, nicht wahr? Hast wahrscheinlich noch mehr gekotzt als mit meinen Tropfen.«
»Was willst du von mir?«
»Was ich von dir will? Du willst doch etwas von mir, mein Freund. Überleg doch mal.«
»Lass mich zufrieden, Richard. Damit muss ich selbst fertig werden.«
»Irrtum, Marvin. Ich häng da genauso mit drin wie du. Und ich kann dir helfen. Was hältst du davon, wenn ich dir die Erinnerung an MyKill abnehme. Ich tu das gern für dich. Du wirst ja doch nicht damit klar kommen. Glaub mir, ich hab da Erfahrung.«
»Einfach so? Du würdest das einfach so tun?«
»Gegen ein entsprechendes Entgelt, versteht sich.« Richard grinste wieder.
»Vergiss es. Du hast mir schon genug Probleme gemacht. Belassen wir es dabei.«
»Sorry, Marvin. Das geht nicht. In ein paar Tagen wirst du mich anflehen, dir die Erinnerung abzunehmen, glaub mir. Du wirst nicht mehr schlafen können, nicht mehr essen, deine Schuldgefühle werden dich platt machen. Warum willst du so lange warten? Ich verlange ja gar nicht viel. Mit ’nem Tausender bist du dabei. Na, was sagst du?«
»Du weißt so gut wie ich, dass ich das nicht bezahlen kann. Davon abgesehen werde ich schon damit fertig.«
Richard seufzte. »Na schön, dann für weniger. Aber gib sie mir! Gib mir diese Erinnerung, verdammt!«
»Sonst was?«
»Ich könnte sie mir auch so holen. Aber das ist verteufelt schmerzhaft für beide Seiten und könnte schief gehen. Am Ende extrahiere ich dir zuviel und du weißt nachher nicht mehr, wie man sich den Arsch abwischt. Aber warte nur, in zwei Tagen wirst du mich anflehen, sie loszuwerden und mir dafür die Kohle nachwerfen. Wart’s nur ab, mein Freund.«
»Lass mich zufrieden, Richard. Geh einfach, hau ab, ich will mit dir nichts mehr zu tun haben.«
»Das kannst du mit mir nicht machen! Du wirst schon sehen, was du davon hast«, zischte Richard und fuchtelte wieder mit dem Gerät herum. »Liszt wird richtig enttäuscht sein, wenn er erfährt, dass sich sein neuer Lieblingsmitarbeiter an der Kasse zu schaffen gemacht hat.«
»Das zählt gar nichts im Vergleich zur echten Erinnerung.« Während Marvin das sagte, wanderte seine Hand hinter den Rücken und tastete nach dem Reiniger auf dem Waschbeckenrand. »Der Rechner erkennt genau, ob Fakten im Gehirn gespeichert wurden oder nicht.«
»Darum geht es doch nicht, Marvin. Es geht mir um dich. Ich will dir helfen.«
»Blödsinn, du bist doch nur scharf auf meine Erinnerung«, entgegnete Marvin und umklammerte die Flasche mit der Hand, um dann fortzufahren: »Soll ich etwa noch mal an die Kasse gehen? Vergiss es! Ich muss damit selbst fertig werden, das hat gar nichts mehr mit dir zu tun.«
Während er sprach verfinsterte sich Richards Mine zusehends. Marvin spannte alle Muskeln seines Körpers und holte aus. Damit hatte Richard nicht gerechnet, Marvin schlug ihm das Gerät mit der Flasche aus der Hand. Richard sah verdutzt zu Boden. Das Gerät schlitterte scheppernd die Fliesen entlang, knallte gegen die Trennwand einer Toilettenkabine. Sekundenlang herrschte Totenstille, dann stürzte Marvin zur Kabine und trat mit dem Absatz gegen das Stück Technik. So lange, bis nur noch Scherben und Splitter übrig blieben. Er blickte auf.
Richards glasige Augen fixierten einen Punkt weit hinter Marvin, er rieb wieder hinter dem Ohr, Blut floss, stärker als all die anderen Male, rötete seinen Kragen. Marvin ahnte irgendwie, dass es sich dabei um eine Nebenwirkung der Erinnerungsübertragung handelte. Mein Gott, wie viele solcher Transfers hatte Richard schon durchgeführt? Er musste süchtig danach sein. Süchtig nach den Gewaltfantasien anderer Menschen. Marvin schauderte.
»Hör zu, Richard«, sagte er endlich, »dein Beweis hat sich erledigt. Ich mach dir einen Vorschlag. Du gibst mir deine Übertragungsausrüstung und gehst.«
Richard schien wieder zu sich zu kommen, schüttelte energisch den Kopf. Er schlich wie ein angeschossener Wolf zum Waschbecken und wusch sich das Blut von den Händen.
Marvin fragte: »Woher kommt das?«
»Das Blut? Nebenwirkung. Weiß nicht so genau«, krächzte Richard. »Ich mach dir einen anderen Vorschlag. Ich gehe einfach so und wir vergessen das Ganze. Ich versprech dir, du siehst mich nie wieder.«
»Vorher überlässt du mir die Ausrüstung.«
»Niemals. Kannst du vergessen.«
»Ich erinnere mich gerade an etwas. Natürlich! Ich habe jemanden beobachtet, der am Tag des Diebstahls um die Kasse geschlichen ist. Wird sicher nicht schwer sein, herauszufinden, wer das war.«
»Dazu fehlt dir der Mut.«
»Das denkst du. Ich habe gerade einen Menschen getötet und furchtbare Dinge mit ihm angestellt. Kannst du das von dir behaupten? Hast du es je selbst versucht? Oder hast du immer nur die Erinnerungen anderer abgezapft?«
Richard presste die Lippen gegeneinander bis sie bleich wurden. »Ich kann sie dir nicht geben. Sie ist die Einzige, die existiert.«
»Umso besser«, sagte Marvin.
»Du hast mir nicht zugehört.«
»Doch, das habe ich. Du musst dich entscheiden, Richard. Diebstahl wird heutzutage hart bestraft. Ist nicht sehr gemütlich im Knast. Du hast doch sicher noch ein paar Sachen im Hirn, die besser nicht an die Oberfläche kämen, oder?« Marvin war inzwischen nah an Richard herangetreten, konnte ihm nun genau in die Augen sehen. Er glaubte kaum, was er darin zu entdecken meinte: Unsicherheit und Angst. Plötzlich tat er ihm Leid. Genaugenommen war Richard um einiges schlechter dran als er selbst.
»Es geht nicht. Das Teil sichert meine Einkünfte. Du glaubst nicht, wie viel Geld mir manche Leute überlassen haben, damit ich ihr Gewissen erleichtere.«
»Leute, die du vorher unter Druck gesetzt hast, damit sie zu MyKill gehen?«
Richard schwieg.
»Gib mir die Ausrüstung und mach das, was du mir vor einiger Zeit einmal geraten hast.«
»Und das wäre?«
»Eine Therapie. Kohle hast du ja wohl genug.«
»Du bist verrückt.«
»Nicht mehr als du.«
Richard lachte plötzlich los. Ohne Vorwarnung. Er prustete, schnappte nach Luft, schlug sich auf die Oberschenkel. Marvin fiel ein, gemeinsam lachten sie sich die Lungen aus den Leibern bis ihre Gesichter purpurfarben anliefen. Minutenlang ging das so dahin, bis Richard sich an die Wand lehnte, langsam nach unten glitt und sich sein Lachen allmählich in ein Schluchzen umwandelte.
»Marvin ... Scheiße, du hast Recht, ich ... ich ... ach shitt.«
Dann zupfte er die Elektroden von den Schläfen und warf sie quer durch den Raum. »Der Rest liegt in der Tasche«, stieß Richard hervor, während er sich wieder hochrappelte. »Ich hau jetzt ab.« Er lächelte müde.
Marvin war baff, aber auch irgendwie erleichtert. Er hob die Elektroden hoch und griff nach der Tasche, wollte gerade fragen, ob Richard sie hier ließe. Die Tür stand offen, Richard war verschwunden.

Fluss

Marvin lehnte an einem Brückengeländer, neben ihm lag ein Bündel auf dem Boden. Er dachte an die vergangenen Wochen, an die Dinge, die er getan hatte, die Alpträume, die ihn bisweilen noch quälten, die Zukunft. Und an Richard. Seit jenem Tag hatte er ihn nicht mehr gesehen. Was wohl aus ihm geworden war? Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie Richard in einem Büro saß, eine Wohnung anmietete und ein ganz normales Leben führte. Er würde es wohl nie erfahren.
Nach einer Weile öffnete er die Augen, griff nach dem Bündel und ließ es in den Fluss fallen, beobachtete, wie es langsam in der Tiefe verschwand und von den Wellen davongetragen wurde.

FIN

 

Hallo zusammen,

eine längere Geschichte dieses Mal. Über Antworten und konstruktive Kritik freue ich mich jetzt schon. :D

Grüße, Plasma

 

Hi Plasma,

kenne noch keine Geschichte von Dir, aber hier gleich mal eine Rückmeldung zum Text:

U-Bahn
Was für eine Kurzgeschichte ziemlich ungewöhnlich ist: Titel über jedem Absatz. Ich mache erst mal Anmerkungen zum ersten Kapitel - und hab den Rest noch nicht gelesen.
Etwas war heute Morgen anders. Marvin hielt sich in einem Klasse C-Waggon der U-Bahn auf den Beinen; zusammengedrückt wie eine Ölsardine mit all den anderen, die sich die werbungsfreie Zone
hier würde ich eher schreiben, daß er die billigste Abteilklasse nutzt, in der "leider" die Hälfte des Reisepreises durch Werbung gesponsert wird. So wirkt es etwas nach"Hey, Leser, stell Dir vor, es gibt noch mehr Werbung ... "
nicht leisten konnten. Die Augen auf den Fensterbildschirm geheftet verfolgte er Reklame für Waschmittel, Dosenbier, Abflussreiniger;
hier würde ich eher nicht unbedingt was von Abflussreiniger lesen wollen. Wenn das nicht noch wichtig werden sollte, könte man das etwas allgemeiner fassen
bunt, laut, penetrant. Welche Produkte beworben wurden spielte keine Rolle, solange ihn die Bilder am Einschlafen hinderten und ihn von seiner Tätigkeit als Reinigungskraft ablenkten. In fünfzehn Minuten würde er wieder Toiletten schrubben.
Denkt er wirklich so konkret drüber nach, daß er von seiner Tätigkeit abgelenkt wird von der Werbung? und direkt im Anschluß weiß er auf die Minute genau, wann er an der Toilettenschüssel sitzt, und putzt? Nebenbei erscheint mir die Zeit sehr kurz, aus der U-Bahn, die noch unterwegs ist muß er zum Ziel, sich dort umziehen, den Putzwagen holen, und dann fängt er irgendwann einmal an, also eher 45 min ... oder "eine knappe Stunde" noch besser.
»... entdecken Sie den virtuellen Raum ganz neu mit MyKill! Werden Sie Ihre Aggressionen auf moderne Art und Weise los, ohne moralische Bedenken, ohne Konsequenzen, ohne Risiko! MyKill macht’s möglich! Leben Sie ihre Phantasien aus, es gibt nichts, das nicht möglich wäre! MyKill erfüllt all Ihre Wünsche zu einem vernünftigen Preis! Worauf warten Sie noch? Weitere Informationen entnehmen Sie bitte unserer Homepage ...«
hier leuchtet bei mir die Frage auf: das ist so betont, das muß wichtig werden (sollte das nicht so sein, anders schreiben)
Die schmeichelnde Sirupstimme vermengte sich zusammen mit den Esoterikklangschalen zu etwas, das sich wie ein wattierter Dorn ins Hirn trieb.
Das Bild ist mir - ehrlich gesagt - nicht aus eigener Erfahrung bekannt ... und ich hab versucht es mir vorzustellen, ging aber nicht so recht ...
Marvin fühlte sich eigenartig, als er Minuten später mit der Rolltreppe nach oben fuhr und ins Freie trat. Ein Ommm hallte nach, Liszt erschien vor seinem inneren Auge. Liszt mit seinem platinblond gefärbten Haarkranz und den kurzen Armen, die er immer hochriss, seinen Krokoschuhen und den Seidenhemden mit Schweißflecken unter den Armen. Auf seine Position als Filialleiter von Mac Toms bildete er sich ein, so etwas wie ein Halbgott zu sein.
Er bildet sich "etwas" auf seine Position ein - das geht. Er bildet sich ein, ein Halbgott zu sein - das würde bedeuten, er glaubt wirklich ein Gott zu sein, ging auch. Aber das "bildete sich ein" - etwas einbilden und sich einbilden, ein Goitt zu sein, geht nicht zusammen.
Biologisches Fastfood, Fleischersatz, pah!
Marvin ballte die Fäuste, so lange, bis die Nägel schmerzhaft in die Handteller schnitten. Irgendwann …
Ja, was denn? UNd wieso die Fäuste? Kapier ich nicht ...
Während er den letzten Kilometer zu Fuß ging, fiel ihm nicht auf, dass sich der Smog an einigen Stellen aufgelöst hatte und den Blick auf einen mit Kondensstreifen vernarbten Himmel freigab.
Hier wirst Du zum allwissenden Erzähler - wenn er es nicht sieht, wer dann? und warum fällt es ihm nicht auf? Ist doch dem Erzähler aufgefallen ...
Die Stadt vibrierte, es roch nach Ozon und Hektik, Autos hupten.
Marvin seufzte innerlich, eigentlich dürfte er sich nicht beklagen. Der Arbeitsplatz bot Vorteile gegenüber dem Job als Bahnhofsputze oder Friedhofswärter. Im Winter war es warm, die Toiletten rochen nach Wassermelone, verätzten einem nicht die Nasengänge oder verursachten Brechreiz, und Pöbel kam nur in seltenen Fällen durch die Tür.

 

Hi Plasma,

so, lese gerade weiter.
Die Zwischenüberschriften müssen auf jeden Fall raus "Gespräch 1" "Gespräch2"
"Zu spät", jemand kommt ...
also wirklich, das geht gar nicht! Die Kurzgeschichte hat normalerweise eine Einheit von Raum und Zeit - und hat niemals Kapitel - die dann auch noch nur Unterscheidungen zwischen einzelnen Gesprächen innerhalb einer Szene sind ... !

Dann die Szene, wo er wütet.

Alles ging rasend schnell, lief ab wie ein Band, das vorgespult wurde. Viel zu schnell erstarb das Wimmern, endete die Gegenwehr. Bald schändete Marvin nur noch den leblosen Körper zu seinen Füßen.
Also das schreibst Du zwar, aber was genau passiert denn?
Und "eine Leiche schänden" wird meist benutzt, um zu beschreiben, wie sich jemand daran vergeht. Passt hier so gar nicht. Außerdem: ist der Typ tot, oder nur leblos? Einerseit wäre heir genauere Schilderung angebracht, andererseits könnte das auch zu viel Blut ergeben.

Ganz allgemein zur Story:
Die Motivation Marvins erscheint mir zu "normal". Putzen ist ein vollkommen normaler Job, deshalb wird man nicht aggressiv oder verzweifelt. Ich glaube Marvin das nicht so ganz ...

Die Story ist schon locker und flüssig geschrieben, aber die Bilder stimmen oft noch nicht so richtig (mein Gefühl)
Dazu ist in dieser Geschichte die Motivation, und somit die Handlung der Hauptperson, nicht so recht nachvollziehbar.

Und irgendwo ist sie auch zu lang - zwischendurch geht es nicht mehr so recht voran.

Versuche mal, die knackigsten Szenen rauszuholen, und überlege, ob die erste U-Bahn-Szene nicht zb wegfallen kann.
Er könnte sich auch an die Werbung erinnern ... und so geht mal durch den Text durch ... Kürzen ist angesagt ... dann kann er gut werden!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Plasma!

Na, bricht jetzt der Übermut aus :D
Zwei Storys in einer Woche? Aber Hallo!

Mir hat die Geschichte recht gut gefallen. Besonders der Schluß.
Du läßt nämlich ganz geschickt offen, ob in dem Bündel nun das Übertragungsgerät oder doch der Filialleiter steckt. Das fetzt!

Dein Prot entwickelt sich auch recht schön vom feigen Kehrknecht zum gestärkten Helden. Obwohl die Art und Weise wie das mit ihm geschieht natürlich Geschmackssache ist.
Die Dialoge sind auch sehr schön, weil man die Personen durch den Stil gut unterscheiden kann.
Atmosphäre kommt auch klar rüber!

Hab ich das richtig verstanden, daß Richard im Endeffekt nix anderes ist als ein Adrenalinjunkie, der süchtig nach den Gewalttaten anderer ist und ihnen damit das Gewissen erleichtert? Und dafür müssen die Leidenden auch noch zahlen?
Man könnte jetzt zynisch sein und sagen, daß das schon mal da war.
Als Beichte in der katholischen Kirche samt Ablaßzahlung :D
Wenn ich das so lese, kriegt die Story einen gewaltige Bösartigkeit, die sie echt einzigartig macht, weil neu!

Ein paar unschöne Worte hast du noch drinnen und ein paar Stellen könnte man genauer und kürzer formulieren. Da geb ich dem Spaceson recht.
Wo ich ihm nicht recht gebe sind die kurzen kapitelartigen Überschriften.
Erstens macht das so mancher Großmeister auch, zweitens hat es mir die Geschichte aufgelockert und drittens zu einem gewissen Grad die Spannung erhalten. Man stoppt kurz, liest den Titel und ist gespannt, ob es sich diesem Titel folgend weiterentwickelt oder doch wandelt.
Und ich nehme mal nicht an, daß Spaceson einer von der "das-geht-nicht"-Sorte ist und lieber 5000 Geschichten mit klassischem Aufbau liest, als etwas Neues ;) Aber gut zu wissen Spaceson ich werde mir mal deine Geschichten... ach ist ja eh nur eine... auf den Aufbau hin durchlesen.

Ich war auch kurz geneigt den Titeln mehr beizumessen, weil ich während des Lesens dachte: "Interessant, vielleicht gibt es eine "alles-nur-ein-Traum"-Pointe. Vielleicht wird sein Leben als DVD abgespielt und wir sehen hier die letzten Kapitel"
Aber dann kam alles noch mal anders...
Das mit dem Leichen schänden find ich auch nicht so schlecht.
Wer weiß, wie er sich in seinem Haß noch an dem armen Liszt vergeht *würg*

Fazit: schöner Stil, am Anfang etwas langwierig, aber ab der Hälfte fetzig, sollte man auf alle Fälle lesen auch wenn es länger ist. Übrigens ein :thumbsup: für das durchhalten einer so langen Story.

Ich weiß nicht warum, aber ich mag diesen Satz:

Die schmeichelnde Sirupstimme vermengte sich zusammen mit den Esoterikklangschalen zu etwas, das sich wie ein wattierter Dorn ins Hirn trieb.
Der ist auch gut :D
Nicht mehr wert als eine Kübelpflanze. Vielleicht sogar noch weniger, da sein Organismus Sauerstoff verbrauchte, anstatt ihn zu produzieren.

Nun zu den schiachen Wörtern ;)
-Zwangsuniform
bitte bei der guten alten Jacke bleiben
-Umzugskabine
zieht da wer mit der Kabine um oder die Kabine vielleicht selbst?
Umkleidekabine...
und irgendwo steht
-Schimpftriaden
Tja, glaub ich schon, daß die chinesische Mafia nicht die feinste Wortwahl hat, aber sie gleich so zu verhauptworten ;)
Schimpftiraden...

Soweit von mir, weitermachen und bg LEichenwäscher

 

Hi Spaceson!

Danke erstmal dafür, dass Du Dich durch die (zugegeben sehr lange) Geschichte gekämpft hast. :)
In einigen Punkten stimme ich Dir zu, in anderen nicht so ganz.

Wenn das nicht noch wichtig werden sollte, könte man das etwas allgemeiner fassen
Wichtig wird es zwar nicht, doch präzise Aussagen lassen ein lebendigeres Bild entstehen.
Denkt er wirklich so konkret drüber nach, daß er von seiner Tätigkeit abgelenkt wird von der Werbung? und direkt im Anschluß weiß er auf die Minute genau, wann er an der Toilettenschüssel sitzt, und putzt? Nebenbei erscheint mir die Zeit sehr kurz, aus der U-Bahn, die noch unterwegs ist muß er zum Ziel, sich dort umziehen, den Putzwagen holen, und dann fängt er irgendwann einmal an, also eher 45 min ... oder "eine knappe Stunde" noch besser.
Da gebe ich Dir Recht, habe das erste Kapitel ein wenig geändert und gekürzt. Dann müsste auch das schiefe Bild mit dem Filialleiter und die Perspektive wieder stimmig sein.
Die Kurzgeschichte hat normalerweise eine Einheit von Raum und Zeit
Stimmt schon, aber in diesem Fall wäre es unglaubwürdig, dass Marvin von heute auf morgen eine solche Entwicklung durchmacht. Die Kapitelunterteilung mag ich, die bleibt einstweilen so. :D Das sind kurze Entspannungsinseln für den Leser, gerade weil sie so lang ist.
Einerseit wäre heir genauere Schilderung angebracht, andererseits könnte das auch zu viel Blut ergeben.
Das ist auch meine Befürchtung, ich möchte kein reines Gemetzel beschreiben sondern eher die Auswirkungen auf den Menschen, der sich denkt, so reagiere ich mich ab, aber dann Gewissensbisse bekommt. Gut, das werde ich auch noch einmal anpacken.
Dazu ist in dieser Geschichte die Motivation, und somit die Handlung der Hauptperson, nicht so recht nachvollziehbar.
:heul: Kürzen und die Motivation besser transprotieren, gut, wird gemacht! :)
Nochmals Danke.

Hi Lem,

Danke Dir für das Lob :bounce: und ja:

Hab ich das richtig verstanden, daß Richard im Endeffekt nix anderes ist als ein Adrenalinjunkie, der süchtig nach den Gewalttaten anderer ist und ihnen damit das Gewissen erleichtert? Und dafür müssen die Leidenden auch noch zahlen?
ganz genau so ist es gedacht. :D
Die schiachen Wörter sind getilgt.
Offenbar muss ich den ersten Teil noch einmal gründlich überarbeiten und kürzen.
Auch Dir ein Danke fürs Durchhalten. :D

Grüße, Plasma

 

Bonsoir Mademoiselle

Nachdem du die Rosen ja nun nicht wolltest, muss ich mich ja auch mal äußern;) .

Eine schöne, schön lange Geschichte. So was mag ich, für eine "Durchhalten!"-Parole gibt's hier keine Existenzberechtigung. (Am Ende bin ich zu folgender Erkenntnis gelangt: Langeweile ist ein Wort, dass mit L anfängt:D .)

Der Stil ist wie gewohnt mitreißend und souverän, wenn ich vorher noch nicht meinen Chef umbringen wollte, dann will ich es jetzt:lol: .
Die Figuren sind trotz kleiner strategischer Überzeichnungen sehr glaubhaft und (wie der lemsche Erbe schon gesagt hat) sprachlich individuell ausgearbeitet.

Thematisch auch sehr interessant: Wie weit kann man mit Tötungsphantasien gehen? Lohnt sich...

Ach und die Zwischentitel... Ich denke, sie sind hier zwar nicht dringend notwendig, aber sie stören auch nicht:shy: .

Ein paar bescheidene Anmerkungen meinerseits:

Marvins Augen hefteten sich wie von selbst auf die Erscheinung und verfolgten sie. Der Mob war zu Boden geglitten, Marvins Wischbewegungen erstorben. Aus irgendeinem Grund dachte er an die Werbung für MyKill.
Das ist ein wenig zu aufgesetzt. Wieso sollte er ausgerechnet jetzt an die Werbung denken. Und aus technischen gründen sollte Marvin vielleicht erst mit dem Wischen aufhören und dann den Mob fallenlassen.

»Was will ich denn tun?«
»Och, ich denke du weißt, was ich meine.«
»Ach ja? Dann weißt du ja auch, dass ich jetzt gehe.«
Das "Och" will mir einfach nicht so recht zu dem passen, was ich für Richards Sprachstil halte.

Immer raffinierter wurden die Methoden, immer genauer stellte er sich den Ablauf vor, immer detaillierter konnte er die klaffenden Wunden sehen. Bald schon aber erreichte er eine Grenze, die er nicht überschreiten konnte. So genau er sich die Szenen auch ausmalte, waren sie doch nur Phantasien, blieben nur Bilder, nichts weiter.
Das klingt noch ein bisschen hölzern. Wie wär's mit etwas in der Art:

...die klaffenden Wunden sehen. Doch sie blieben doch nur Phantasien, so genau er sie sich auch ausmalte, es waren Bilder, nichts als Bilder. Konnte er diese Grenze überschreiten?

Oder so ähnlich... :shy:

Die Haut gerötet, die Hände blutig und geschunden verschmierte er das Handtuch, holte dann Pflaster und Wundsalbe aus dem Schrank, fing an, die Stellen zu verarzten.
Jaaaa... Das Blut-an-den-Händen-dass-auch-mit-der-Drahtbürste-nicht-weggeht-Bild ist ein wenig abgegriffen, aber na ja...

Am besten hat mir eigentlich auch Richard gefallen, der fast wegklappt, wenn er sein eigenes Blut sieht, aber Fremdamok snifft. Fast schade, dass er aufhört:dozey: .

Summa summarum: Das warten hat sich gelohnt. Man freut sich aufs nächste:thumbsup: .

Es grüßt, der echte Trainingwunden leckt

omnocrat

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo omnocrat!

Freut mich sehr, dass Du zu meiner Geschichte gefunden hast. :) Danke fürs Lesen und Kommentieren. Deine Anmerkungen sind berechtigt, ich habe die Stellen inzwischen korrigiert. Wobei ich gerade überlege, die gesamte Geschichte umzuschreiben und ein wenig zu straffen, besonders den ersten Teil. Dann fallen vielleicht auch die Zwischentitel weg. :D Mittels Ich-Erzähler aus Marvins Perspektive könnte das Ganze noch zwingender rüberkommen.

Thematisch auch sehr interessant: Wie weit kann man mit Tötungsphantasien gehen? Lohnt sich...
Danke! :shy:

Das Blut-an-den-Händen-dass-auch-mit-der-Drahtbürste-nicht-weggeht-Bild ist ein wenig abgegriffen, aber na ja...
Ist mir bewusst, auch dafür muss ich mir noch etwas nicht so Klischeehaftes überlegen. :rolleyes: Es ist ja so einfach, gleich das erstbeste Bild zu verwenden, das einem in den Sinn kommt - klarer Fall von schriftstellerischer Faulheit, das muss ich mal in den Griff bekommen. :D

Nochmals Danke!
Grüße, Plasma

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Plasma,

ja, fast; ich hatte den Daumen schon auf dem Empfehlungsknopf, aber die Story hat zu viel innere statt äußere Handlung: Klo ... laber ... Klo ... laber ... Klo ... MyKill ... laber ... Klo. ;) Da stimmen die Gewichte nicht, entweder neue, interessante Szenen reinbauen oder ein paar innere Monologe killen; dennoch: Gail! Du produzierst genau die Droge, die ich auch in meinem Labor destilliere! :D Stil ist saugut, manchmal ein bisschen zu "treibend", aber dafür kommt auch Leben in die Bude. Gute Dialoge, da sitzt alles, wo es hingehört. Idee ist zwar recht klassisch, so ne Mischung aus "Total Recall" und "Strange Days", aber egal; ich gewinne auch keinen Innovationspreis mit meinen Ergüssen! ;)

zwei Sensorknospen
Das klau ich mir! :D Außerdem ist die Massakerszene toll!


Ach so: Mach doch auch beim CAPCo.de mit; Chancen zu gewinnen sind bei dir reichlich vorhanden! :thumbsup:


Ein fast begeisterter

Dante

 

Ach so: Mach doch auch beim CAPCo.de mit; Chancen zu gewinnen sind bei dir reichlich vorhanden!
Ja aber HALLO, jetzt les ich so ne abgekartete Sache schon zum zweiten Mal hier :D
Werd ich gar nicht mehr gefragt, ob ich gewinnen mag :heul:

Spaß beiseite, recht hat er der Dante mit dem Stil! Potential ist wirklich da :thumbsup:

bg, LE

 

Hi Dante!

Na das nenn ich mal einen Motivationsschub! Da brauche ich gleich einen :kaffee: zur Feier des Abends. Danke!

Dante schrieb:
ich hatte den Daumen schon auf dem Empfehlungsknopf
Beim nächsten Mal dann, jetzt ist mein Ehrgeiz geweckt. :D

Dante schrieb:
aber die Story hat zu viel innere statt äußere Handlung
Da zerbrech ich mir den Kopf, was an der Geschichte nicht stimmt und komm nicht drauf. Na klar, darum tut sich anfangs auch zu wenig. Moment ... gespeichert. :D Werde ich ändern.

@ Lem:

Lems Erbe schrieb:
Werd ich gar nicht mehr gefragt, ob ich gewinnen mag
Es gibt da diesen netten Spruch: Konkurrenz belebt das Geschäft. :D

Grüße, Plasma

 

Hi Plasma,

Einerseits ist mir die ganze Story zu konstruiert und als Leser fühle ich mich hintergangen, weil dieser deux et machina, also der “Erinnerungsabsauger” genau dann auftaucht, als es der Handlung notwendig wird.
Auch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Firma nicht selbst schlechte Erinnerungen löscht, gleich Null.
Ausserdem ist der Schluß ein wenig moralinsauer, was mir noch nie zugesagt hat.

Andererseits ist die Story nicht schlecht geschrieben, weil sich der technologisch-ethische Stand der Welt gut abschätzen läßt. Auch die subtextuale Hinterfotzigkeit (wolltest Du eine Satire auf die wirtschaftlichen Tendenzen in Deutschland schreiben (*g*)?) gefällt mir.

Eine der besseren Geschichten hier, aber wegen der angeführten Unzulänglichkeiten eben keine wirklich Gute.

Proxi

 

Hi Proxi!

Nun ja, kein Totalverriss, das lässt hoffen. :Pfeif:

Auch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Firma nicht selbst schlechte Erinnerungen löscht, gleich Null.
Ach, der Firma ist das egal. Die Leute müssen sich ja vorher überlegen, ob sie mit dem gewählten Szenario zurechtkommen. Richards Gerät ist ein Unikat.

Und das moralinsaure bekomme ich auch noch in den Griff. *rülps* :bier:

Grüße, Plasma

 

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