Mitglied
- Beitritt
- 25.02.2018
- Beiträge
- 7
Fallen Angel
Ich war nicht auf der Suche, hatte keine Ambitionen, wollte keine Nähe, keine Gefühle, wollte kein Mensch sein. Rückschläge, Trauer und Verzweiflung hatten mich abgestumpft, wie eine Glasscherbe, die man achtlos in einen Ozean geschmissen hatte. Genauso trüb mussten meine Augen aussehen und die Kanten, die einst meinen Charakter ausmachten, waren vom Sand, der sich Leben nennt abgeschliffen. 0815 wäre meine Beschreibung auf den etlichen Datingprofilen gewesen, in denen arme Seelen, die jedoch anders als ich, ihre Hoffnung noch nicht aufgegeben hatten, nutzten, um sich selbst der Welt zu präsentieren, Spaß zu haben oder auf die große Liebe warteten, während sie mit ihren, durch die starke Lichtintensität ihrer Smartphones geröteten Augen nach Mr. Right Ausschau hielten. Mich hatte das alles nie interessiert. Weder im Kindergarten, wo alle ihre Sandkastenliebe "heirateten", noch in der Pubertät, der Zeit der liebestrunkenen Vollidioten.
Ich hatte immer gedacht, ich bleibe der kleine Junge mit der roten Cap, der seine Sandburgen alleine in der letzten Ecke baute, oder der "Freak", der sich in der Pause stets auf Toilette verzog und die mit Edding verzierten Kabinen betrachtet und sich über die grenzenlose Dummheit seiner Mitmenschen aufregt.
Doch dann traf ich Leyla. Ihre smaragdgrünen und mit goldenen Sprenklern versehenen Augen, leuchteten mir in der Bar entgegen, in der ich, so wie jeden Samstag, meinen 21 jahre gereiften Glen Fiddich trank. Das Lächeln, welches sie der Freundin schenkte, mit der sie am Tresen der kleinen Spilunke saß, ließ mich zittern und schwitzen zu gleich, als hätte ich 41°C Fieber, traff mich jedoch auch, wie der Hammerschlag eines Eisenschmiedes, der versucht, sein Werkstück zu begradigen.
Sie musste meinen Blick gespürt haben, denn sie drehte sich auf dem Stuhl zu mir um, um mir einen kritischen, messerscharfen Blick zuzuwerfen, der jeden Profiboxer das Weite hätte suchen lassen. Ich wollte nicht, doch mein Körper reagierte mit einem schüchternen Lächeln, welches ich nur hinter der Getränkekarte, hatte verstecken können. 2 Minuten, die sich anfühlten wie 2 Jahre betrachtete ich die Buchstaben, die wohl die Zutatenliste eines Cocktails ergeben sollten, den ich nie bestellen würde. Zusammensetzen konnte mein Kopf das Buchstabengewühl nicht, denn 1000 Gedanken zuckten gleichzeitig, wie die Blitze eines Sommergewitters durch meinen Schädel. Gedanken, die mir früher nicht mal im Traum eingefallen wären. "Sitzen meine Haare und sind meine Fingernägel sauber?", "Stinke ich? " , gefolgt von "Was soll das?", "Das wird nichts", "Verschwinde aus der Bar und komm nie wieder zurück", waren einige wenige Exemplare, der Phrasen, die mich in die unruhige See der Emotionen schmissen. Von glücklich auf Wolke 7, darüber, dass ich das erste Mal etwas vergleichbares wie Zuneigung verspüren konnte, über Trauer, da ich vermutete nie wieder dergleichen empfinden zu können und Wut, auf mich selbst, weil ich nie fühlen wollte und auf sie, dass sie es in einem Atemzug schaffte, meinen gut errichteten Wall, den ich mir gegen die soziale Außenwelt errichtet hatte, einzubrechen, wie eine Abrisskugel, das baufälligste Gebäude.
2 Minuten. Länger hatte es nicht gebraucht, um mich all das Fühlen zu lassen, vor dem ich 23 Jahre meines Lebens verschlossen hatte. 2 Minuten, bis ich realisierte, dass sie nicht nur einmal sonder immer wieder zu meinen Tisch schaute, und zwar nicht mit dem Blick Vladimir Klitchkos, kurz vor einem Kampf, sondern mit einem Blick, den ich nur als unverhohlene Neugier hatte interpretieren können. "Benjamin der Außenseiter", "Stück Scheiße", 'Keiner mag dich", "du bist wertlos", hallten die Stimmen der vergangenen Jahre durch meinen Kopf.
Als sie aufgestanden war, um sich zielstrebig auf meinen Tisch hinzubewegen, war ich mir sicher, dass ich wieder in die schlimmste Zeit meines Lebens zurückversetzt werden würde. Diesesmal jedoch nicht mit Füßen, sondern ausschließlich mit Worten zu boden getreten werden würde.