- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Fahle Erinnerung
Fahle Erinnerung
Ich nehme mir einen alten Flyer und falte ihn einmal in der Mitte. Am rechten unteren Ende knicke ich beide Ecken nach außen und stelle die fertige Mischpappe vor mir auf den Tisch. Dann greife ich nach meiner Zigarettenschachtel und löse einen Filter aus deren innerem. Ich halte inne und lasse meinen Blick über den Tisch wandern. Flyer. Weed. Marlboro. OCB Slim. Kein Feuerzeug. Ich taste meine Hose ab und finde es schließlich in der rechten Außentasche. Das Feuerzeug nun rücklings in der rechten Hand zwischen Daumen und Zeigefinger haltend, klemme ich den Filter dazwischen und ziehe ihn einige Male durch. Ich muss dabei immer an diese Geschenkschleifen denken, die man nach dem Verpacken mit einer Schere nach dem gleichen Prinzip kräuselt. Den gerollten Filter lege ich nun neben die Mischpappe und nehme mir das Tütchen mit Weed. Es ist eines dieser Tütchen, die man aus Headshops kennt. Rein passen ungefähr vier bis fünf Gramm und man schließt es am oberen Rand mit einer Art Klemmverschluss, sowie bei einem Gefrierbeutel. Ich nehme eine dicke Knospe heraus und lege sie auf die Innenfläche meiner linken Hand. Es ist eine schöne Knospe. Umhüllt von einem dicken Film Kristallen und durchzogen von kleinen rötlichen Fäden. Orange Bud. So hat man mir zumindest gesagt. Aber eigentlich ist es mir auch ziemlich scheißegal was es für eine Sorte ist. Hauptsache es macht dicht und verkauft sich gut. Die Knospe ist trocken genug, sodass ich sie mit den Fingern zerdrücken und auf die Mischpappe streuen kann.
Für frisches Weed brauchte man häufig einen Crusher. So ein Crusher ist eine kleine Dose, welche im Inneren mit vielen kleinen Zähnchen ausgekleidet ist. Legt man nun frisches, feuchtes Weed hinein und dreht ihn einige Male, zermahlt er es zu einem groben Pulver. Ich weiß aber ohnehin nicht mehr wohin ich meinen gelegt habe.
Nun lange ich nach meiner Schachtel und ziehe eine Zigarette heraus. Ich halte sie am Filter fest, während ich den Klebestreifen mit der Zunge anfeuchte. An diesem reiße ich sie nun auf und lasse den Tabak auf das Weed fallen, indem ich ihn mit dem Daumen aus dem Papiermantel herausdrücke. Schließlich vermenge ich alles gründlich.
Dann ziehe ich schließlich ein Paper aus der Packung, lege den gebauten Filter ans rechte untere Ende und klemme beides zwischen Zeigefinger und Daumen. Darauf schütte ich mein Tabakgemisch. Mit Hilfe der anderen Hand rolle ich nun alles zusammen. Lecken, kleben, andrücken.
Den fertigen Stick lasse ich noch ein, zweimal auf die Tischplatte fallen, damit sich alles setzen kann. Gerade als ich ihn zum Mund führen will bemerke ich, dass meine Hand zittert. Ich halte inne und lege ihn in den Aschenbecher. Stille.
Ich bin nervös. Seit nun mehr drei Tagen versuche ich ihn zu erreichen. Auch wenn er nicht zu der zuverlässigsten Sorte Mensch gehört, ist das sehr ungewöhnlich und macht mich nachdenklich. Vor allem gemessen an dem, was in den letzten Tagen passiert ist.
Die Anspannung, die mich allmählich überkommt, liegt mir immer schwerer auf der Brust. Ich mache mir Sorgen. - Nicht nur um Rafik, sondern vorrangig darüber, was dies bedeuten könnte.
Während ich gedankenverloren den Aschenbecher betrachte versuche Ich nochmal die letzten Wochen Revue passieren zu lassen.
Rafik, Serdal, Orlow und Ich trafen uns Anfang letzter Woche, um zu besprechen, wie es weiter gehen sollte.
Freddy war weg. Verschwunden. Mit über 30. 000 Euro Schulden. Mit siebentausend war er bei uns im Soll und mit dem Rest stand er bei Serdal und Orlow in der Kreide. Irgendein Dennis, den ich nicht kannte, saß in Untersuchungshaft. Er war einer von Serdals Leuten. Wir wussten nur, dass er zu Hause festgenommen und ein halbes Kilo Pep bei ihm sichergestellt wurde. Serdal hatte daraufhin Schiss bekommen und war nach seiner Festnahme irgendwo in die Türkei abgehauen, kam jedoch nach zwei Wochen wieder zurück, weil er es dort nicht ausgehalten hatte.
Aber vor allem war ich besorgt wegen eines Zeitungsartikels. 12 Kilo. Holländischer Fahrer. Das alles machte mich stutzig, denn die Personenbeschreibung passte nur allzu gut zu dem Lieferanten, mit dem wir uns ein paar Wochen vorher zu einer Übergabe im Ibis Hotel getroffen hatten.
"Gehört der zu uns?", fragte ich Serdal nachdrücklich.
"Nein, der hat nix mit uns zu tun.", log er.
Ich wusste, dass er und noch einiges mehr sehr wohl mit uns zu tun hatte, entschließ mich aber es erstmal dabei zu belassen.
"Wie verhalten wir uns jetzt und wie soll's weiter gehen?", fragte ich, mich dieses mal an Orlow wendend. Dieser zögerte und blickte nachdenklich auf seine im Schoß zusammengefalteten Hände. Er schien unsicher und suchte wohl nach den richtigen Worten. Eigentlich war diese Frage auch nicht notwendig. Wir alle wussten, dass wir observiert wurden und das nicht erst seit der Festnahme dieses Dennis. Ein Klicken in der Leitung. Ein leises Echo beim Sprechen. Schlecht getarnte Zivilstreifen, mit zwei Antennen auf den Dächern. Wir konnten also definitiv nicht verleugnen, dass Sie an uns dran waren. Doch bisher war dies ein allgemein berechenbares Risiko gewesen. So glaubten wir zumindest. Wir wussten, was wir taten, und dass es irgendwann Aufmerksamkeit erregen würde. Allerdings dachten wir, dass wir die Schlaueren bei diesem Katz und Maus Spiel sind. GPS-freie Handys. Falsch registrierte Prepaid-Karten. Verschiedene Bunkerplätze. Übergaben an gut einsehbaren Orten.
"Keine Telefonate mehr.", sprach Serdal schließlich und ergriff somit abermals das Wort.
"Alles, was wir bereden müssen, klären wir hier im Kiosk."
Besagter Kiosk gehörte Orlow. Ein kleines Büdchen inmitten einer Sozialbausiedlung mit einem vollgepackten Hinterraum. Das war sozusagen unser Büro. Auf Pfandkisten sitzend vereinbarten wir hier Zahlungsziele, Mengen und reichten letztlich natürlich Geld weiter an die Beiden. Der Ablauf war dabei immer der Gleiche. Alle Handys wurden vor Treffpunkt ausgeschaltet, die Akkus und SIM-Karten herausgenommen und im Handschuhfach verstaut. Geparkt wurde immer mindestens einen Block weiter, um dann zu Fuß auf Schleichwegen durch die Siedlung zum Kiosk zu laufen. Ich ertappte mich dabei jedes Mal wie ich im Dämmerlicht der grauen, blauen und gelben Plattenbauten jede Gestalt musterte und alle paar Meter einen Blick über die Schulter warf. Ehe ich den Kiosk erreichte drehte ich meist noch eine Runde, nur um sicher zu gehen, dass mir wirklich niemand folgte. Paranoid.
Aber niemals machten wir hier Übergaben. Denn Übergaben sind eine besondere Geschichte und bedarfen größter Sorgfalt. Solche Plätze mussten gut ausgewählt sein und immer wieder aufs neue variiert werden. Es gibt dabei verschiedene Kriterien, die eine Rolle spielen. Zunächst einmal muss zwischen großen und kleinen Übergaben unterschieden werden. Die letzteren betreffen die Weitergabe der Ware an Kunden und sind weitestgehend unproblematisch. Hier mal ein Kilo Weed, dort ein paar hundert Gramm Speed oder ein bisschen Koks. Bewährungsstrafen. Wenn man sich vor Gericht nicht all zu dumm anstellt. Es reicht hier also so etwas wie ein öffentliches Parkhaus, die Umkleide eines Fitneßstudios oder auch irgendeine Wohnung vollkommen aus. Mit großen Übergaben sieht es hingegen bedeutend anders aus. Solche müssen mit besonderer Vorsicht ausgewählt werden. Schon der Weg zu einem solchen Treffpunkt muss gut durchdacht sein, um sich abzusichern, dass man keinen Rattenschwanz mit sich zieht. Entlegene Sportplätze, Hotels oder auch gut einsehbare Feldwege dienen diesem Zweck ausgezeichnet. Dabei muss alles schnell gehen. Kontrolle, Verladen und wieder weg. Zwei bis drei Minuten.
Der Kiosk war definitiv kein Ort dafür.
Wir verabredeten , dass wir vorerst keine Verkäufe mehr tätigten bis klar war, was dieser Dennis zu Papier gab. Klar war, dass er reden würde.
Es gibt keinen Ehrenkodex, selbst wenn man vorher einen vereinbart. Letztlich ist jeder nur um sein eigenes Wohl bemüht. Türke. Russe. Araber. Aramäer. Eriträer. Oder Deutscher. Am nächsten steht der Mensch nur sich selbst. Das wussten wir. Besonders wusste das auch die Kripo. Wichtig war nun, dass wir die Kontrolle nicht vollkommen verloren. Ferit hatte die Anwälte für diesen Dominik besorgt. Mit diesen mussten wir jetzt abstimmen, -nach Akteneinsicht-, wie dieser Junge Stellung nehmen sollte. Wie wir Stellung nehmen sollten.
Es hieß also abwarten und still halten. Alles lag erstmal brach. Rafik und ich beschränkten uns darauf, unsere Kunden einzustimmen und sie darauf vorzubereiten, was kommen könnte. Außerdem mussten wir unser Geld einsammeln. Geld war jetzt wichtig. Sehr wichtig. Allerdings war das allein schon schwierig genug. Denn wenn in einem Schneeballsystem kein neuer Schnee fällt, werden auch keine neuen Bälle geworfen.
Solch ein System erschwert auch zudem einen Ausstieg, selbst wenn man ihn will. Wenn man Ware auf Kommission bekommt und meist auf gleichem Wege an seine Kunden weiterreicht, entstehen Lücken. Lücken, die gefüllt werden müssen, indem man wieder neue Ware bezieht. Der Grundgedanke dieses Kreislaufs ist, dass letztlich der Gewinn in Material angehäuft wird. Wenn alle Schulden also durch den Verkauf beglichen sind hat man einen schönen Batzen Geld. So die Theorie. Bezahlt aber ein Kunde nicht, haut ab oder geht hops zerfällt dieses Konstrukt. Die Folge ist, dass man wieder Geld aus seinem Gewinn abziehen muss, um neue Ware zu holen. Der Kreislauf geht also wieder weiter. So ist es mit Geschäften auf Pump.
Plötzlich klingelt mein Telefon. Unbekannt. Mich überkommt ein ungutes flaues Gefühl. Ich nehme das alte Nokia 3210 in die Hand und betrachte das Display. Ich lasse noch einmal klingeln und hebe schließlich ab. Klicken in der Leitung.
"Ja.", leises Echo. Kein Wort.
"Hallo!?", rufe ich angespannt.
"Es ist passiert. Wir müssen reden. Nicht am Telefon.", spricht Rafik mit schwerer, müder Stimme. Echo. Verfluchtes Echo.
Ich nehme das Handy vom Ohr und lege auf. Es ist passiert. Endlich.
Wieder blicke ich auf meinen Stick im Aschenbecher. Schließlich greife ich nach ihm, dann nach dem Feuerzeug und stecke ihn mir zwischen die Lippen.
Als der Funken das Gas entzündet schaue ich mir die Flamme noch einen kurzen Moment an.
Knistern beim Abbrennen. Stille.