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Für Wuschel
Endlich ist es soweit.
Es ist Freitag, der 30. September. Pünktlich um 11:30 Uhr schellt die Schulglocke. Ich warte seit einer gefühlten Ewigkeit auf diesen Moment. Eine der beiden großen Flügeltüren am General-von-Wittmann-Gymnasium fliegt auf und eine geballte Ladung an Schülerinnen und Schülern trottet aus dem riesigen blau-gelben Gebäude. Ich stelle mir eine amerikanische Zeichentrickserie vor, die ich früher so geliebt habe. Die Schüler sind pünktlich zum Läuten aus allen Ausgängen der Schule gerannt, haben geschrien und sich gefreut, dass sie den Schultag endlich hinter sich gebracht haben. Rennen sollten die Kinder und Jugendlichen hier in Deutschland auch mal. Dann würde ich sie schneller sehen. Meine Traumfrau. Ich sehe ein schlankes Mädchen mit schönen dunkelbraunen Locken auf mich und meinen hellgrünen VW-Bus zugelaufen. Ich will losrennen. Ihr in die Arme fallen. Mich selbst bestätigen, dass mir meine Überraschung gelungen ist. Doch noch bevor ich losrennen kann, erkenne ich, dass es gar nicht meine Traumfrau ist, was da auf mich zuläuft, sondern nur ein recht hübsches Mädchen, das ihr von Weitem ähnlich gesehen hat und kurz vor mir abbiegt, nachdem sie mich mit einem kleinen Lächeln wahrgenommen hat. Ich weiß nicht, ob es an meinen langen (natur-)roten Haaren liegt und sie mich ausgelacht hat oder ob es wirklich meine „tolle Ausstrahlung“, wie Bisi einmal sagte, war, was dieses Mädchen dazu brachte, mich anzulächeln. Eigentlich ist es mir auch egal, denn ich habe seit anderthalb Jahren kein weibliches Wesen mehr angeschaut wie meine Traumfrau. Seit anderthalb Jahren sah ich eine Frau „nur“ noch als normale Person an und nicht mehr als Frau, mit der ich Sex haben oder mir gar eine Zukunft aufbauen könnte. Diese Frau habe ich nämlich bereits gefunden und wegen dieser stehe gerade hier an diesem Gymnasium. Ich habe mir lange Gedanken gemacht. Ich wollte sie wieder überraschen. Vielleicht auch etwas wie „neuen Wind“ in unsere Beziehung pusten, damit ich nicht zu langweilig für sie werde. Ich habe mir viele Gedanken gemacht und ich war stolz darauf, dass sie nicht wusste, was ich mit ihr vorhabe, obwohl ich mit vielen Menschen darüber geredet habe.
Die Schule ist jetzt schon aus, weil heute der letzte Schultag vor den Herbstferien ist. Die gesamte Schülerschaft beendet den Unterricht für komplette zwei Wochen mit dem Ertönen der Schulglocke. „Die Lehrer haben’s gut!“, denke ich mir. „Die haben so viel Urlaub wie es sich ein normaler Arbeitnehmer oder gar ein Selbständiger nicht einmal zu erträumen wagt.“ Da! Ist sie das? Sie hat dunkelbraune Locken, eine perfekte Figur, einen wundervollen Gang und neigt ihren Kopf zu einer neben ihr laufenden Freundin. Sie läuft auf mich zu, aber nimmt mich nicht wahr. Als sie wieder geradeaus schaut, sieht sie mich direkt an. Ihr zuerst noch-interessierter, dann schon-überraschter Gesichtsausdruck wandelt sich innerhalb von Sekundenbruchteilen in genau das Grinsen, das ich an ihr am meisten liebe. Sie ist es. Sie bleibt einen kleinen Augenblick stehen. In ihren leuchtenden Augen erkenne ich, dass sie weiß, dass ich sie nicht einfach so abhole, sondern dass ich was vorhabe. Sie wirft ihre Schultasche, die sie zuvor in der rechten Hand hielt, zu Boden und rennt auf mich zu als wäre ich Jared Leto himself, der nur hier ist, um sie abzuholen. Sie wirft sich mir an den Hals und gibt mir einen langen, starken, aber gefühlvollen Kuss. Sie verharkt ihre beiden Hände mir den Fingern hinter meinem Hals, bleibt auf den Zehenspitzen stehen und grinst mich so breit sie nur kann an. Ich nehme ihre Hände mit meinen und lasse sie abrupt los, um mich herumzudrehen. Währenddessen sage ich zu ihr: „Ich hab dir was mitgebracht, Herzchen“. Ich krame im Auto und hole ihre Tasche heraus. „Los, guck rein!“ Im Hintergrund sehe ich ihre Freundin mit der Schultasche, die sie auf dem Schulhof fallen ließ, in der Hand. Ich lächle sie an, um ihr damit zu signalisieren, dass sie gerne herkommen kann. Sie öffnet langsam und unsicher ihre Tasche, während ihre Freundin mit der Schultasche schräg hinter ihr stehen bleibt, um sie nicht zu stören. Als erstes erkennt sie den Strauß aus Mini-Rosen, den ich mit sehr viel Mühe und Geduld heute Morgen mit Sekundenkleber zusammenklebt habe. Sie holt ihn vorsichtlich raus. Ich erwarte einen Blick von ihr, doch ihr Blick bleibt in ihrer Tasche. Danach findet sie Sonnencreme, einen Hut und eine ihrer Sonnenbrillen. Jetzt schaut sie mich fragend an. Ich nicke nur. Nachdem sie die kleinsten Öffnungen an ihrer Tasche nach noch nicht gefundenen Gegenständen überprüft hat, nehme ich sie an der Hand und führe sie Hintertür meines Busses und öffne die Tür. Das erste, was sie sieht ist ein großes Plakat, das die volle Breite meines Busses einnimmt. Sie liest laut vor, damit ihre Freundin auch weiß, was ich vorbereitet habe: „Zwei Wochen Spanien gefällig?“ YES! Mission erfüllt. Überraschung geglückt. Sie steht vor mir und hat Tränen in den Augen. Ihre Freundin kämpft auch damit. „Wann geht’s los?“ „Jetzt.“, antworte ich ruhig. Ihre Freude wirkt grenzenlos. Nicht mehr steigerbar. „Jetzt muss ich nur noch schnell nach Hause, Klamotten holen!“, stellt sie fest. Ich verneine ihre Feststellung, indem ich sie auffordere, das Plakat aus dem Bus zu holen. Sie holt es heraus und entdeckt dahinter 2 große offen stehende Koffer, die komplett voll mit Klamotten sind. „Deine Eltern wissen bescheid. Hier ist der Schlüssel zum Ferienhaus. Du hast bis zur Grenze Zeit, deine Freunde anzurufen und ihnen schöne Ferien zu wünschen.“
Sie küsst mich erneut und umarmt ihre Freundin und wünscht ihr schöne Ferien. Ich lasse sie einen Moment stehen, um ihre Tasche wieder einzuräumen und diese dann mitsamt der Schultasche in den VW zu werfen. Danach öffne ich ihr die Beifahrertür.