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Für Saul...

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24.09.2004
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Für Saul...

Die Sonne spiegelte sich in meiner Bergsteigerbrille und schützte meine Augen vor dem Licht, das von den schneebedeckten Ebenen um mich herum reflektiert wurde. Diese Brille war hier oben Gold wert; ohne sie wären meine Augen schon vor einer Stunde der Schneeblindheit erlegen und hätten sich dem unnachgiebigen Weiß gebeugt, wie eine überbelichtete Fotografie. Fred war schon oben und zog mich die wenigen verbleibenen Meter zu sich herauf. Zu meiner Erleichterung sah ich, dass der Sicherungsriemen noch in seinem Karabiner eingeklinkt war. Fred war ein guter Bergsteiger, und verfrühter Übermut war ganz sicher nicht der Grund, warum ich gerne mit ihm kletterte.

„Hilf mal ein bisschen, oder willst du, dass ich abrutsche?“

Wir befanden uns am Rand eines Eisvorsprungs, und Fred wusste genauso gut wie ich, wie schwer es war, ausreichend Halt zu finden, wenn die Wand, an der man kletterte, nicht lotrecht zu einem verlief, sondern sich abwandte. Ohne dabei überflüssig stolz zu klingen, kann ich behaupten, dass wir fortgeschrittene Bergsteiger waren; wir erklommen diesen Hang nicht zum ersten Mal, und so wie es aussah, würden wir ihn bald wieder bezwungen haben. Es war klar, dass Fred es nicht ernst meinte. Allein schon sein angestrengter Gesichtsausdruck unterhalb der verspiegelten Brille und Creme, die die Haut vor Kälte schützte, sagte mir, wie ernsthaft er bei der Sache war. Auf den letzten Metern war man immer am konzentriertesten.

„Haben wir heute gute Sicht?“ fragte ich, als er mir die Hand reichte und mich die letzten Zentimeter über den Rand zu sich auf das sichere Hochplateau zog. Ich lag einen Augenblick auf dem Bauch, drehte mich dann auf den Rücken und blieb erst einmal liegen. Zum einen um das aufkeimende Glücksgefühl zu genießen, zum anderen um ein wenig auszuruhen.

„Überzeug’ dich doch selbst“, sagte er, und nach einer Pause fügte er hinzu, „es ist wunderschön.“

Schließlich stand ich auf und ließ den Anblick auf mich wirken. Ich habe keine Ahnung wie weit man an diesem Tag sehen konnte, aber es mussten mehrere Kilometer gewesen sein. Nach etwa zwanzig Metern fiel das Plateau zu einer schiefen Ebene ab, die gefährlich, aber noch begehbar war. Letztes Jahr hatten wir das ausprobiert und uns schließlich in eine kleine Eisnische gesetzt, von der aus man die gewaltige Gebirgsnarbe, die an die schiefe Ebene anschloss und sich durch das Land zog, als hätte hier ein riesiger Pflug seine Arbeit getan, noch besser überblicken konnte. Jenseits dieser Furche prangten weitere Berge, die sich zwischen Wolken und Eisnebel erst am Horizont dem Blick entzogen, um dort in einem wunderschönen blau zu verschwinden.

„Aller guten Dinge sind drei“, sagte ich. Fred, der neben mir stand und geistesverloren und von der Aussicht beinahe hypnotisiert den Sicherheitsriemen aushakte, schien mich gar nicht gehört zu haben.

Er drehte den Kopf in meine Richtung und klopfte sich Schnee von der Kleidung. „Was?“ sagte er.

„Ich habe gesagt, aller guten Dinge sind drei. Wir haben diesen Riesen jetzt schon zum dritten Mal bezwungen! Ist das nicht ein Grund zum Feiern?“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Das ist es in der Tat; am besten wir bauen das Zelt direkt auf“, er sah auf die Uhr, „ich vermute, dass es in weniger als zwei Stunden dunkel wird. Lass uns das so schnell wie möglich hinter uns bringen, damit wir noch ein paar Fotos machen können.“

„Einverstanden!“ sagte ich.

Wir hatten vereinbart hier oben ein kleines Lager zu errichten, in dem Zelt zu nächtigen und erst morgen den Abstieg in Angriff zu nehmen. Ich hatte eine kleine Flagge im Gepäck, auf die unsere Namen gedruckt waren. Wir würden sie hier oben in den Boden schlagen und wahrscheinlich vor Stolz das Eis unter unseren Füßen zum Schmelzen bringen. Es war eine kleine Geste, die wahrscheinlich niemand jemals zur Kenntnis nehmen würde, es sei denn er bestiege auch diesen Teil des Berges, aber für uns war es etwas sehr Bedeutenes, und ich bin geneigt zu sagen, dass es für uns mindestens so viel symbolischen Wert hatte, wie die Amerikanische Flagge auf dem Mond. Das Feuerwerk, das wir abbrennen, und das Sixpack Bier, das wir uns teilen würden, war Freds Idee gewesen. Alkohol wirkte unter diesen Sauerstoffverhältnissen stärker, aber wenn man eine Nacht darüber schlief, war er zumindest in diesen Mengen zu vertreten.

Fred ging voraus, schulterte den Rucksack ab und begann schon im Gehen das Zelt herauszuholen. Nach ein paar Metern blieb er stehen. „Hier?“ fragte er.
Die Stelle schien in Ordnung zu sein, aber ebensogut hätte er jede andere wählen können, so lange das Zelt am Ende mindestens fünf Meter von dem Abgrund entfernt war. Ich nickte.

Wir mussten durch den überwältigenden Anblick hier oben beide ein bisschen von unserer Professionalität eingebüßt haben, denn keinem von uns fiel auf, dass ich schon seit etwa einer Minute ungesichert nur einen Schritt von der Tiefe entfernt stand, die sich hinter meinem Rücken auftat. Ich war meinerseits zwar immer noch eingeklingt, was einen unterbewussten Teil von mir beruhigt haben musste, doch am anderen Ende des Kletterseils war niemand mehr, der mich hätte halten können. Fred hatte schon die ersten Stangen zusammengeschoben und war jetzt damit beschäftigt, die verschiedengroßen Heringe zu ordnen. Ich wollte gerade meinen Eispikel aufheben, den ich liegengelassen hatte, als meine Hand auf halber Strecke innehielt, um den plötzlichen Schwindelanfall abzuwarten, der sich in meinem Kopf ausbreitete und meinen Sinnen böse Streiche spielte. Eine Summe von ungünstigen Elementen musste der Auslöser dafür gewesen sein. Die sauerstoffarme Luft, meine überanstrengten Muskeln, die dazu merkwürdig im Kontrast stehende Schönheit, welche tükisch Sicherheit ausstrahlte, und schließlich die Tiefe, die sich beim Bücken neben mich drehte und ein latentes Gefühl der Höhenangst freiließ, dem sich wahrscheinlich jeder Mensch in gewissen Situationen beugen musste, ausgenommen vielleicht erfahrene Astronauten. Nur für einen kleinen Moment strauchelte mein Gleichgewichtssinn, aber die Verwirrung reichte aus, dass meine Hand einem Reflex gleich dort Halt suchte, wo keiner zu finden war. Ich griff ins Leere und kippte nach hinten; der Schrei, der gleichzeitig aus meinem Mund entwich, kam zu spät und konnte mir nicht mehr helfen. Der letzte Blick, den ich über das Plateau werfen konnte, auf dem ich vor einer Sekunde noch sicher gestanden hatte, zeigte mir Fred, der blitzartig seinen Kopf in meine Richtung drehte und seine Augen in offenkundiger Fassungslosigkeit aufriss. Dann glitt ich über den Rand. Ein Bein streifte noch vergebens über den vereisten Boden, meine Hand korrigierte panisch und viel zu spät ihr Ziel und schlitterte haltsuchend einen Moment über verkrustete Schneewehen, doch dann war ich der Gravitation hilflos ausgeliefert und fiel in die Tiefe. All meine Sinne loderten plötzlich auf wie Flammen und registrierten Fakten in Zeitlupe. Ich dachte an meinen Helm, meine Handschuhe und meinen Rucksack, der mich wie ein Airbag schützen konnte, wenn ich mit der richtigen Seite aufkam. Ich dachte an die Tiefe, die sich nach zehn Metern oder hoffentlich höchstens fünfzehn an eine kleine Wölbung im Berg schmiegte und meinen Sturz dämpfen konnte. Und ich dachte an die vielen Gletscherspalten, die in dieser Höhe überall zu finden waren und einem schon beim Aufstieg ernsthafte Schwierigkeiten bereiten konnten, wenn man gezwungen war den Hang zu den Seiten zu verlassen. Meine Gedanken rissen gewaltsam ab, als ich mit der falschen Seite die Wölbung erreichte. Meine Rippen traf es mit voller Wucht, die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst, und mein Magen fühlte sich plötzlich an, als hätte er einen kräftigen Schlag abbekommen. Unter anderen Umständen hätte ich mich sofort übergeben. Wieder suchte ich nach Halt, diesmal mit beiden Händen. Meine Stiefel, die an allen Seiten mit Widerhaken ausgerüstet waren, rammten ins Eis, wurden aber immer wieder aus der Verankerung gerissen und vermochten meine Geschwindigkeit leider nur leicht zu verringern. Wie durch ein Wunder fand ich an einem vorteilhaft geformten Felsen mit meiner linken Hand für einen Augenblick Halt, was mich von meinem Kurs abbrachte und mich parallel zur Wölbung rutschen ließ, als mir das Gestein durch die Kraft der Geschwindigkeit wieder entrissen wurde. Wenn ich jetzt an diesen Moment zurückdenke, an diesen Funken der Zeit, der vielleicht nicht einmal eine Sekunde in den vielen Sekunden, Minuten und Stunden meines Lebens ausgemacht hat, weiß ich, dass er mir das Leben rettete. Wäre ich auf meinem Kurs geblieben und bis zum Ende der Wölbung gerutscht, die mich schließlich wie eine Rampe in die große Leere befördert hätte, dann wäre ich beim nächsten Aufprall in jedem Fall gestorben. Der Berg bietet von dort an nicht mehr viele Vorsprünge oder Ebenen, und ich wäre die verbleibenden zweitausendeinhundert Meter höchstwahrscheinlich ohne Zwischenstopp gefallen. Nicht umsonst gilt das Plateau, das Fred und ich nach jenem Vorfall nie wieder betraten, zu den gefährlichsten Aufstiegen in diesem Gebiet. Aber glücklicherweise ergriff meine Hand eher durch Zufall diesen Stein, der meine Richtung änderte und mich über eine steil abfallende Schräge schlittern ließ, die zu beiden Seiten des Hanges weite Ausläufer beschrieb, zum Erklimmen aber ungeeignet war, da sie viele bisher unerkundete Gletscherspalten verborgen hielt und in jedem halbwegs guten Gebirgsführer mit dem Prädikat unpassierbar versehen war. Ich schreibe es der Geschwindigkeit zu, mit der ich über bestimmt ein Duzend Gletscherspalten gerutscht sein musste, deren leichte Schneekappe unter der Punktbelastung eines Fußtritts zweifellos eingebrochen wäre, bis mein herumgeschleuderter Körper schließlich zum Stillstand kam.

Ich hatte mir nichts gebrochen, denn die Schmerzen, die ein Knochenbruch verursachte, wären selbst der dünnen Linie meines Bewusstseins aufgefallen, die mir geblieben war. Ich brauchte einige Minuten, bis ich mich wieder an der Oberfläche des Denkens befand und feststellte, dass ich einen Teil meiner Ausrüstung verloren hatte.

In solchen Situationen neigt man dazu, überhastet zu reagieren, da sich der eigene Überlebenswille, dessen Vorhandensein man zwar kennt, aber nie wirklich zu Gesicht bekommt, plötzlich wie ein hellrotes Neonlicht in den Vordergrund drängt. Ich realisierte, wie es um mich stand und wieviel Glück ich gehabt hatte. Ein Sturz aus dieser Höhe an einem solchen Hang geht zu neunundneunzig Prozent tödlich aus. Doch hier lag ich nun und lebte. Tausend Gedanken wirbelten mir duch den Kopf, als ich aufstand und ein paar panische Schritte in die Richtung ging, aus der ich gekommen zu sein glaubte. Ich vergaß die Gletscherspalten und rief nach Fred, der seinerseits sicherlich auch meinen Namen rief. Wie weit war ich gerutscht? War es überhaupt möglich, dass er mich hörte? Ich musste mich schnell bemerkbar machen, ansonsten würde er mich tot glauben und zusehen, dass er selbst schnell von diesem Berg herunterkam. Wir hatten zwar einige Notfallprozeduren besprochen, aber ein Sturz aus dieser Höhe brauchte keinen Plan mehr. Fred würde rufen, weinen und wieder rufen, aber schließlich einsehen, dass ich abgestürzt war. Jeder durfte hoffen, doch das eigene Leben stand an erster Stelle; und warum weitere Gefahren in Kauf nehmen, wenn das Spiel bereits verloren war?

Ich rannte, atmete viel zu schnell, und als ich merkte, dass mir die Kräfte schwanden, achtete ich nicht darauf. Nach einer Weile kam mir der Gedanke in die falsche Richtung gelaufen zu sein und blieb stehen. Ein Gefühl der Ungerechtigkeit und Verzweiflung überkam mich, und plötzlich hatte ich Todesangst. Ich verwarf die Gedanken und rannte weiter in dieselbe Richtung. Dann traf mich die Erschöpfung mit einem dumpfen Schlag und mein übersäuerter Körper versagte mir den Dienst. Ich fiel der Länge nach hin, und die Welt wurde schwarz. Dunkelheit breitete ihre Schwingen über mir aus, und ich wurde ohnmächtig. Traumlos verschwand ich im Nichts, und als ich erwachte, war es bereits dunkel geworden. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schrie. Irgendwann brach ich in Tränen aus und sah eine Weile in das Gesicht der wahren Verzweiflung. Man glaubt es zu kennen, doch wenn es sich einem dann ungeschminkt offenbart, ist man gelinde gesagt erstaunt, wie erbahmungslos es tatsächlich aussieht. Schließlich sah ich ein, dass es so nicht weitergehen konnte und dass der Sinn meines Lebens jetzt daraus bestand, dasselbe zu retten. Also stand ich wieder auf; diesmal nicht überhastet und wohl darauf bedacht nicht erneut in Panik auszubrechen. Ich sah mich um, konnte aber in beiden Richtungen, die für mich in Frage kamen, nur endloses Dunkelweiß erkennen, das einen Rest Helligkeit des Tages in sich gespeichert hatte, um über Nacht davon zu zehren. Schneebedeckte Landschaften konnten der Dunkelheit scheinbar niemals vollständig anheim fallen. Ich trank einen Schluck aus meiner Feldflasche und verstaute sie dann wieder im Rucksack. Meine Neoprenkleidung hatte einen Großteil der Kälte, die mir hier oben zu schaffen machen konnte, abgehalten, denn ich fror nur geringfügig. Das Glas meiner Uhr, die gleichzeitig auch die Funktion eines Kompas’ übernehmen konnte, war gesplittert und hatte sich in die empfindliche Elektronik darunter gebohrt, sodass ich lediglich anhand der Dunkelheit schätzen konnte, wieviel Zeit seit dem Eintreten meiner Ohnmacht vergangen war. Möglicherweise drei Stunden, vielleicht vier. Mir blieb vorerst nichts anderes übrig, als weiter in die Richtung zu gehen, mit der ich es eben schon versucht hatte. Wenn sich herausstellte, dass sie mich in eine Sackgasse oder Gletscherspalte führte, konnte ich immer noch umkehren und versuchen den Hang wiederzufinden, über den wir heraufgekommen waren. Ich kam langsam voran, da ich jetzt sorgsam darauf achtete, jeden Meter vor mir gründlich zu inspizieren, damit ich nicht plötzlich von einem Hohlraum unter mir verschluckt wurde. Es war nicht ganz unmöglich derartige Gebiete zu durchqueren, und ich musste jetzt alles auf meine Erfahrung setzen. Nach etwa einer Stunde kam ich tatsächlich an eine Gletscherspalte, die jedoch kein Problem darstellte, da sie ihren todbringenden Schlund bereits aufgetan hatte und ich nur vorsichtig an den Rändern entlanggehen musste, um sie zu passieren. Gefährlich war es nur, wenn sie unter Schnee verborgen waren. So sehr es mich auch freute sie hinter mich gebracht zu haben, so sehr verstärkte sich auch die Gewissheit tatsächlich in die falsche Richtung gegangen zu sein, denn als ich der Schwerkraft ausgeliefert über Eis gerutscht war, hatte es keine derart offenkundige Schlucht auf meiner Bahn gegeben. Trotzdem ging ich weiter; ans Umkehren würde ich erst wieder denken, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab. Als das Gelände schließlich immer steiler wurde und der lockere, begehbare Schnee glatten Eisflächen wich, auf denen das Vorankommen immer mühsamer wurde, hätte ich beinahe beschlossen kehrt zu machen, wenn sich die vorübergehend ebene Stelle auf meinem Weg nicht als Straße entpuppt hätte. Die Monotonie meiner Schritte und die immer gleichen Kraftstöße, die ich meinen Beinen sandte, wären beinahe Schuld daran gewesen, dass ich die Straße, oder besser gesagt, den schmalen Weg, gar nicht wahrgenommen hätte. Doch schließlich sah ich, dass es sich tatsächlich um eine Art Bergpass handeln musste, denn bei genauerem Hinsehen konnte ich die verwitterte Linie zweier Reifenspuren erkennen, die sich neben mir entlangschlängelte und nach ein paar Metern hinter einem vereisten Felsbrocken verschwand. Die Erleichterung, die jetzt langsam von Kopf bis Fuß durch mich hindurchsickerte, zeigte mir erst, wie angespannt ich die ganze Zeit über noch gewesen war. Ich kniete mich hin, um den Boden eingehender zu prüfen, weil ein Teil von mir es noch nicht glauben konnte. Kein Zweifel: es waren Reifenspuren. Da sie nicht besonders tief eingefahren und an den meisten Stellen wie der Rest der Welt mit Eis bedeckt waren, konnte ich davon ausgehen, dass diese Strecke nicht oft benützt wurde, was meinen ersten Gedanken, jemand könnte mich vielleicht als Anhalter mitnehmen, schnell wieder verschwinden ließ, doch da ich noch genügend Wasser bei mir und außer ein paar Hämatomen an Beinen und Armen keine Verletzung davongetragen hatte, würde ich diesen Pass bis ins Tal gehen, auch wenn er sich zehnmal um den ganzen Berg winden würde. Wieder stand ich vor der Wahl der Richtung, und die Seite mit Gefälle musste nicht zwingend ins Tal führen. In dieser Höhe musste sich der Pass den launenhaften Höhenunterschieden des Berges beugen und nicht anders herum. Trotzdem entschied ich mich für die Richtung mit leichtem Gefälle, weil ich es satt hatte ständig bergan gehen zu müssen. Der Weg führte mich durch riesige Nebengebirge und hatte bald nicht mehr viel mit dem Zweitausender zu tun, den Fred und ich vor ein paar Stunden erklommen hatten. Ich fragte mich, was er wohl gerade machte und hoffte, dass er meinen Tod, der für ihn eine beinahe hundertprozentige Gewissheit sein musste, noch so lange verdrängen konnte, bis er unversehrt im Tal angekommen war. Das Bergsteigen verlangte viel Konzentration, und der Kopf sollte möglichst frei von Sorgen sein. Der Weg zog sich wie eine mäanderne Linie durch das Gebirge und sorgte bald für ein Abstumpfen der Sinne, das sich schließlich wieder in bedrückender Monotonie äußerte. Natürlich war dieses Abgleiten nicht so gefährlich wie auf den Eisebenen, denn hier musste ich nicht auf Gletscherspalten oder dergleichen achtgeben. Wenn sich ein Hang zu einer Seite auftat, hielt ich lediglich genug Abstand, um nicht Opfer eines Erdrutsches zu werden. Befand mich auf einem Grat, so schritt ich in der Mitte und versuchte das Gefühl von Schwindel zu ignorieren, wenn ich durch das Leuchten von weit entfernten, mondbeschienenen Plateaus oder Schluchten daran erinnert wurde, wie gewaltig die Entfernungen waren und wie alleine ich hier draußen war. Jetzt, da meine Aufregung, die der Unfall ausgelöst hatte, größtenteils verflogen war und meine Gedanken hauptsächlich um Fred und seinen Abstieg kreisten, begann auch die Müdigkeit ihre angenehmen Fühler nach mir auszustrecken. Die Gedanken verlangsamten ihren Gang, die Atmung wurde träger und musste hin und wieder durch Gähnen ausgeglichen werden und vereinzelt hielt ich inne, um aus meiner Feldflasche zu trinken. Natürlich würde ich meinem Wunsch zu schlafen nicht nachgeben, bevor ich nicht in Sicherheit war, aber der Gedanke daran wurde mit jedem Schritt, den ich machte, attraktiver. Ich habe keine Ahnung wie lange ich in dieser Trance, wenn es denn eine war, den kleinen Bergpass entlangschritt, aber es würde mich nicht wundern, wenn es sich um viele Stunden gehandelt hätte, denn als der Weg jäh aufhörte und trotzig mit einer senkrechten Felswand abschloss, konnte ich bereits die ersten Ausläufer einer Morgendämmerung am Horizont erkennen, die mit ihren zierlichen Lichtfingern an den blaugrauen Wolken streichelte, welche allmählich wieder zu ihrer Farbe hier draußen, in diesem menschenvergessenen Teil der Welt, fanden.

Erst als die Felswand von einer kaum spürbaren Ahnung über eine schmerzliche Gewissheit zu einer unumstößlichen Tatsache wurde, glaubte ich an ihre Existenz. Da ich in greifbarer Nähe stand, schlug ich mit meiner behandschuhten Hand noch einmal kräftig dagegen, um sicherzugehen, dass ich durch die Erschöpfung, die mittlerweile jede Zelle meines Körpers befallen hatte, nicht vielleicht dem Hochgebirgsäquivalent einer Wüsten Fata Morgana erlegen war. Der Schmerz der daraufhin unerwartet präsent durch meine Knöchel loderte, bestätigte mir, dass ich tatsächlich die Endstation des schmalen Bergpasses erreicht hatte, der so viele Kilometer das Tragwerk meiner Hoffnung gewesen war. Ich blickte senkrecht in die Höhe, ohne zu wissen wonach ich suchte, und konnte außer moosbedeckten Felsen, die weiter oben in den weißen Zuckerguss der Eiskuppe übergingen, nichts Positives entdecken. Ich drehte mich um, lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand und sackte schließlich zusammen. Aus sitzender Warte betrachtet, schien das ganze Problem vorerst nur halb so groß zu sein. Ich seufzte hörbar und sah meinen Atem sich wie Rauch in der Luft auflösen. Im Grunde war die Lösung klar: Ich musste zurückgehen und herausfinden, ob der Bergpass in die andere Richtung einen sinnvollen Abschluss fand.

Ich war gerade dabei alle restlichen Motivationsreserven zusammenzusuchen und für den nächsten Kraftakt zu einem großen Ganzen zu vereinen, als sich plötzlich etwa zehn Meter vor mir zu meiner linken das Felsgestein zu öffnen begann. Quietschend fuhr das Tor nach oben, welches ich eben überhaupt nicht wahrgenommen hatte, weil die Verwunderung über die Sackgasse meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Ich bin mir sicher, dass in diesem Moment mein Mund offen stand, aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt, zu beobachten, was hier Wundersames vor sich ging, als dass ich auf solch nebensächliche Details geachtet hätte. Das Tor war gut und gerne vier Meter breit und erinnerte mich im ersten Augenblick an eine Garage, die an einem solchen Ort natürlich völlig unsinnig gewesen wäre. Vielleicht hatte ich einen Bewegungsmelder ausgelöst.

Ich stand auf, merkte, dass ich ganz weiche Knie hatte, und näherte mich vorsichtig der Öffnung. Wie ich bereits erwähnte, war die Dämmerung gerade dabei, die Welt in ein sichtbareres Farbspektrum zu tauchen, aber der Lichtkegel, der zweifellos von einer elektrischen Lichtquelle kommen musste, zeichnete erstaunlich kontrastreich seine scharfen, hellgelben Umrisse auf den schotterigen, teilweise eisverkrusteten Bergpass. Ungläubig blinzelte ich in die neue Helligkeit. Die „Garage“ führte ein ganzes Stück in den Berg hinein. Ihre Wände waren weiß gekachelt, während man es bei dem Boden und der Decke bei bloßem Beton belassen hatte. Ich sah, dass es sich bei den Lichtspendern um ein Duzend Leuchtstoffröhren handelte, und ging hinein. Die Luft hier drinnen roch abgestanden und im Gegensatz zu der frischen Gletscherluft draußen, regelrecht staubig. In der hinteren rechten Ecke befand sich ein kleines Eisengeländer, an welchem eine Treppe nach unten führte. Gerade als ich meiner Neugierde erneut nachgab und meine Hand auf das Geländer legte, um herauszufinden, wohin die Treppe führte, begann sich das Tor wieder zu schließen. Zuerst wollte ich losrennen, doch dann fiel mir der kleine Knopf auf, der nahe des Tors in die Wandkacheln eingelassen war und stetig rot blinkte. Ich entspannte mich, und als sich das Tor schloss, war ich mir sicher, dass der Knopf es wann immer ich wollte wieder öffnen konnte. Zu meiner Erleichterung blieben die Leuchtstoffröhren an; hoffentlich kein zeitgeschalteter Mechanismus. Da sich der Ort bis jetzt nicht als sehr labyrinthisch erwiesen hatte, würde ich imstande sein, auch in der Dunkelheit zum Knopf zurückzufinden. Die Vorstellung war zwar nicht gerade angenehm, aber mir war heute schon Schlimmeres widerfahren. Ich zog meine Handschuhe aus, um besser tasten zu können, falls es nötig werden sollte, wandte mich wieder der Treppe zu und schritt den kleinen Gang hinunter, durch den sie mich führte. Unten angekommen, fand ich eine Tür, an der ein Schild „Zutritt für Unbefugte verboten“ verkündete. Die Warnung löste Unbehagen in mir aus, denn ich fragte mich, wie oft es vorkommen mochte, dass sich Unbefugte in diesen Teil der Welt verirrten. Sicher, es hatte mich hierher verschlagen, aber das hatte ich zu annährend hundert Prozent dem Zufall zu verdanken. Da ich mich in die Kategorie „Notfall“ einordnete, beschloss ich die Warnung zu ignorieren und drückte die Klinke. Ich spürte kaltes Metall an meiner Haut, als sich die Tür ohne Probleme öffnen ließ. Der Raum, den sie preisgab, verschlug mir den Atem, und ich spürte wie sich Gänsehaut einem Lauffeuer gleich auf meinem ganzen Körper ausbreitete.

Die Halle, in die ich blickte, stellte die plötzliche Erscheinung der Garage weit in den Schatten. Die Decke war hier schätzungsweise zwanzig Meter hoch und beherbergte drei Etagen hohe Lagerregale, zu denen Rampen führten, die in waagerechte Wege übergingen. Von dort hatte man Zugriff auf jedes einzelne Fach der Regale, die an der kompletten Innenwand der Halle verliefen und in Länge und Breite die Fläche eines Fußballfeldes aufspannten. An der Decke hatte man wieder Leuchtstoffröhren installiert, doch diesmal mussten es hunderte sein. Unten, im „Erdgeschoss“, sozusagen, waren Holzpaletten zu großen Haufen gestapelt, neben denen Müllcontainer standen, aus deren Öffnungen vereizelt Verpackungsmüll hervorquoll. Alle restlichen Regale waren mit dem selben Inhalt gefüllt, und wenn ich meinem ersten Eindruck glauben schenkte, dann bestand dieser Inhalt ausschließlich aus in Folie verpackte Papierpaletten. Die Luft hier war noch ein Deut trockener, und ich vermutete, dass es Belüftungsanlagen gab, die die Luftfeuchtigkeit verringerten, damit das Papier unter optimalen Bedingungen lagern konnte. Das tieffrequentierte Brummen, das ich hörte, schien diese Vermutung zu stützen. Ich schritt ein wenig zwischen den Containern und Palettentürmen im unteren Bereich umher und war so erstaunt über diese gewaltige Anlage, dass ich meine eben noch so verzwickte Lage beinahe vollständig vergaß. Der Unfall, die Todesangst, die Bewusstlosigkeit und die darauf folgende Wanderung über den geheimnisvollen Bergpass, der mich weiß Gott wieviele Kilometer durch herrenloses Land geführt hatte, schienen aus einer gänzlich anderen Welt zu kommen. Das künstliche Licht beraubte mich meines Zeitgefühls, und ich konnte über Dämmerung und Morgengrauen nur noch wage Spekulationen abgeben, die so substanzlos und fragil waren, wie Wettervorhersagen für einen weit in der Zukunft liegenden Tag. Ein Gefühl der Unwirklichkeit hatte von mir Besitz ergriffen und ließ Freude und Erregung in mir aufkeimen, das den Emotionen vor der Bescherung am Heiligabend nicht unähnlich war. Doch was waren dann meine Geschenke, wenn man sich einmal weiter auf diesen Vergleich stützte? Nun, in weniger als zwei Stunden sollte ich es erfahren.

Als ich nach ein paar Minuten der gründlichen Inspektion nichts Außerordentliches fand, das meinen Erwartungen entsprochen hätte, beschloss ich, die erste Etage zu betreten. Das Echo meiner Schritte auf der Rampe hallte im ganzen Gebäude wider und machte, so hatte ich zumindest das Gefühl, unangemessen viel Krach, wenn man bedachte, wie still es hier bisher gewesen war. Eine Frage, die mir schon die ganze Zeit äußerst interessant vorgekommen war, brachte mir jetzt zusätzliches Herzklopfen. Wer mochte außer mir noch hier sein? Es schien logisch, dass um diese Zeit noch niemad hier arbeitete, denn als ich den Eingang betreten hatte, war es allenfalls fünf Uhr morgens gewesen. Trotzdem war es merkwürdig. Es gab unzählige Paletten, aber ich hatte nicht ein einzigen Gabelstapler gesehen, geschweige denn eine Sackkarre oder einfaches Werkzeug. Hinter der beleuchteten, geräumigen und vollgestellten Fassade versprühte die Halle nicht viel mehr Charme als eine Geisterstadt.

Die nähere Untersuchung der Regale auf dem ersten Level bestätigte mir, was ich eben schon vermutet hatte. Außer endlosen Papierstapeln gab es nicht die kleinste Variation im Lagerbestand. Ich zog ein einzelnes Blatt vom Stapel. Es hatte etwa die Maße von ganz normalem DIN-A 5 Papier. Ich betrat die zweite Etage, und als ich dort auch nichts weiter vorfand, als grobe Papiermengen, mit denen man eine ganze Stadt hätte verhüllen können, weitete ich meine Erkundungstour auch auf die dritte Etage aus. Meine Stimmung verlor spürbar an Höhe, als ich auch hier wieder nur Papier fand.

Nachdenklich und etwas gelangweilt lehnte ich mich gegen das Geländer und faltete einen Papierflieger, während ich, so frustrierend es auch war, Erinnerungen an den einsamen Bergpass heraufbeschwor, den ich wohl bald wieder würde betreten müssen. Schließlich warf ich das kleine Papierflugzeug in einen der Zwischenräume der Regale und sah ihm nach, wie es langsam und ohne den Einfluss behindernder Thermik, zum spiralförmigen Landeanflug richtung Boden ansetzte.

Mein Flieger verfehlte den kleinen Roboter, der plötzlich unter einer der Rampen am Boden hervorrollte, nur knapp. Meine Hände, die sich am Geländer festhielten, verkrampften unwillkürlich; meine Beine wurden schwach; vor Schreck brach mir der Schweiß aus. Die kleine Maschine rollte kurz aus meinem Blickfeld, tauchte auf einem Gang zu meiner Rechten wieder auf und verschwand dann im rückwärtigen Teil der Halle zwischen Palettentürmen und Müllcontainern. Eigentlich hatte ich schreien wollen, doch irgend etwas in mir mahnte vehement und unterdrückte schließlich alles Aufkeimende. Mein Unterbewusstsein schmiedete Angstwogen, die aus der Halle, welche bar jeglicher Werkzeuge merkwürdig steril wirkte, in Verbindung mit der Erscheinung des kleinen schleichenden Roboters entstanden, der in diesem Context surreal anmutete und dessen Geschäftigkeit auf eine subtile Art zu selbstverständlich schien.

Ich wartete ab und versuchte meine Atmung zu verlangsamen, denn schon das kleinste Geräusch schien mir zu laut. Ob er Geräuschsensoren hatte? Ich versuchte mir einen Reim auf die einsame Arbeit des Roboters zu machen, was mir jedoch nicht gelang.

Bevor ich Gelegenheit hatte, noch länger darüber nachzudenken, tauchte er wieder auf. Er hatte jetzt einen Greifarm ausgeklappt, in dessen Metallkralle ein Knäul Plastikfolie geklemmt war. Drei Etagen unter mir steuerte er einen Container an und ließ den Folienmüll darin verschwinden. Ich konnte deutlich das Surren seiner Elektromotoren vernehmen. Dann bog er nach links und fuhr geradewegs auf eine Rampe zu, die ihm Zugang zum ersten Level gewährte. Hatte er etwa vor, zu mir heraufzukommen? Ich duckte mich hinter das Geländer, doch die Metallstreben boten kaum Sichtschutz. Zwei Etagen tiefer fuhr er auf ein Regal zu, griff nach einem Stapel Papier und lud ihn in eine Klappe, die sich an seiner rechten Seite geöffnet hatte. Dann machte er sich zur nächsten Rampe auf, und zu dem Geräusch seiner Antriebsmotoren gesellte sich ein weiteres, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem schrillen Kreischen eines Nadeldruckers hatte. Langsam rumpelte er die Rampe hinauf, wodurch das elektronische Surren seines Aggregats etwas an Tonhöhe verlor, sodass ich mich fragte, wie lange seine Akkus wohl noch halten würden.

Jetzt, da er näher an mich herangekommen war, konnte ich ihn besser sehen. Die vier Rollen, auf denen er fuhr, wurden von einem ergonomisch geformten Chassis halb verdeckt, welches antrazit im Licht der Leuchtstoffröhren glänzte. Ich schätzte den Durchmesser seines Rundkörpers auf einen Meter, und seine Höhe auf einen halben. Er hatte auf beiden Seiten ausklappbare Greifarme; der eine war angewinkelt, der andere befand sich immer noch in Nähe der Klappe, in die er gerade den Papierstapel gelegt hatte. Wahrscheinlich würde er erst wieder bewegt werden, wenn er ihn für den nächsten Arbeitsschritt benötigte. Typisches Maschinenverhalten, dachte ich, und stellte mir vor, wie dämlich es wäre, wenn die Menschen ihre Gliedmaßen immer am Ort des letzten Gebrauchs halten würden. Ein kürzerer, dritter Arm wuchs aus seiner Front und bestand aus allen möglichen werkzeugartigen Auswüchsen, wie Messer, Schrauber, Sägen oder Brenner. Kontrollampen blinkten neben Radarutensilien an der Stelle, wo bei Menschen der Kopf zu finden war. Alles in Allem eine recht zweckdienliche Maschine, auf die deren Ingenieur zu Recht stolz sein konnte.

Auf halber Strecke des zweiten Schrankstockwerks machte er Halt und drehte sich um hundertachtzig Grad, sodass sein vorderer Teil beinahe genau in meine Richtung zeigte. Refelxartig biss ich meine Zähne zusammen und fühlte mich ertappt. Sah er mich an? Oder besser gesagt, detektierten seine Wahrnehmungssensoren ein undefiniertes Objekt auf Ebene drei, dessen Anwesenheit nach gründlichem Abgleich der gespeicherten Daten noch nicht registriert war?

Die paar Sekunden, in denen wir uns so „ansahen“, dehnten sich zu einer kleinen Ewigkeit, bis er schließlich die Halbdrehung wieder zurücknahm und seines ursprünglichen Weges weiterrollte, der ihn direkt zur nächsten Rampe führte, die uns auf gleiche Höhe bringen würde.

Gleich hat er mich, dachte ich, und wusste nicht recht, ob ich diesem Gedanken mit Furcht oder Gleichgültigkeit begegnen sollte, ob es gut, schlecht oder gar gefährlich für mich war. Ich konnte nur sagen, dass mich jenes mulmige Gefühl aus Unwirklichkeit und Neugierde weiterhin erfüllte.

Tatsächlich war ich ein wenig erleichtert, als er nach dem Eintreffen auf Etage drei nach rechts und damit nicht in meine Richtung abbog. Er fuhr die verbleibende Strecke der Innenseite entlang und entfernte sich so weit, bis mir von einem Regal wieder die Sicht genommen wurde. Ich kam aus meiner halbherzigen Deckung heraus und schlich ihm hinterher. Richtig leise konnte ich dabei nicht sein, denn meine eisenbewehrten Bergsteigerstiefel trugen wieder ihren unvermeidbaren Krach zum allgemeinen Ambiente der summenden Hallenatmosphäre bei. Ich spähte hinter dem Regal hervor und sah ihn gute zwanzig Meter von mir entfernt geradewegs auf die Innenwand der anderen Seite zufahren. Was wollte er in dieser Sackgasse? Papier hätte er sich auch aus jedem anderen Regal beschaffen können. Ein paar Zentimeter bevor er mit der Längsseite der Halle kollidiert wäre, blieb er stehen, drehte sich um neunzig Grad nach links und verschwand in der Wand. Erst konnte ich nicht glauben, was ich sah, doch als ich ein paar Schritte ging, bemerkte ich den kleinen Gang. Er ging mir gerade mal bis zur Hüfte und schien extra auf die Größe des Roboters abgestimmt zu sein. Ich musste mich ducken, als ich ihn betrat. Er wand sich ein paar Mal nach rechts und links, führte mal ein wenig bergauf und mal bergab. Ein unterschwelliges Gefühl von Klaustrophobie machte sich bemerkbar, als mir auffiel, wie tief ich schon in den Komplex vorgedrungen war. Dieser höhlenartige Fortsatz der Lagerhalle wollte gar kein Ende nehmen. Auch das Licht ließ nach, denn die Kette der Lampen, die in regelmäßigen Abständen über mir an der Rundwölbung der Decke befestigt war, spendete nicht so viel Helligkeit wie die Leuchtstoffröhren.

Nach weiteren Minuten des geduckten Gehens erreichte ich endlich die andere Seite und stand in einer Bibliothek. Meterhohe Regale, randgefüllt mit Büchern, erstreckten sich zu beiden Seiten. Weiter vor mir gabelte sich der Raum in drei weitere Wege, die auch ausschließlich mit Büchern gesäumt waren. Der Anblick dieser Massen ließ mich ehrfürchtig staunen, und ich fragte mich, was für eine Art von Literatur ich vor mir hatte, denn die Bücher waren alle einheitlich weiß. Ich trat an einen Schrank heran und las willkürlich ein paar Namen: „Das Leben des schüchternen Mannes“, „Abrahams Reisen“, „Die Lehre von Glück und Glauben“, „Das Land, das keinen Namen hatte“, „Vergeltung der Welten“, Teil eins bis acht, „Räubergeschichten“, „Der unsichbare Wanderer“... ich hätte ewig so fortfahren können. Ich nahm ein Buch heraus und las die ersten paar Zeilen. Wie ich vermutet hatte, handelte es sich bei diesen Büchern um Romane. Die Dicke der Bücher variierte von normal über ausladend, bis hin zu gewaltig; jeder der acht Bände von „Vergeltung der Welten“ zum Beispiel, hatte meiner Schätzung nach weit über tausend Seiten. Auf keinem der Bücher schien ein Cover zu sein, und ein Verfasser war auch nirgendwo angegeben. Einheitlich weiße Bücher benannt in schwarzer Druckschrift.

Ich war so sehr mit Staunen beschäftigt, dass ich den kleinen Roboter fast vergessen hätte. Im Moment konnte ich ihn nicht sehen. Er musste in einem der Gänge verschwunden sein, die sich ein paar Schritte von mir entfernt abspalteten. Welchen der drei sich mir bietenden Wege sollte ich nehmen? Ich hatte einmal gehört, dass Leute bei derartigen Entscheidungen immer die Seite ihrer starken Hand wählten. Da ich als Ausnahme dieser Regel agieren wollte, entschied ich mich für links. Natürlich drängten sich auch hier bis unter die Decke zu beiden Seiten Unmengen von Büchern, mit dem kleinen Unterschied, dass die Regale jetzt nach Genre unterteilt waren. Ein Schild an der obersten Leiste verkündete das jeweilige. Ich fand Drama, Thriller, Horror, Fantasy, Science Fiction, Lovestories und verschiedene Abstufungen, die Querschnitte bildeten oder nicht einzuordnen waren. Hin und wieder gab es Sektionen, die nach Alter und Anspruch unterschieden. Manchmal glaubte ich, die Auswahl hätte sich bei den Dramen eingependelt, bis im nächsten Gang schränkeweise wieder nur Science Fiction zu finden war. Mehrmals bog ich ab oder wählte zwischen erneuten Abzweigungen, wobei ich mir alles genaustens einprägte, um auch wieder zurückfinden zu können. Nach einem wahnwitzig langen Fantasygang, kamen neue Genres wie „Real“ oder „Surreal“ hinzu. Dazwischen gab es immer wieder Passagen, die unbetitelt blieben. Der Bibleothekar oder die Scharr der Bibliothekare, die hierfür verantwortlich sein mussten, hatten ein ganz besonderes Gespür für Übersicht und Ordnung. Zumindest die Genres betreffend. Kam man auf die Idee nach einem bestimmten Autor zu suchen, war man hoffnungslos verloren. Es sei denn, und dieser Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken, es handelte sich bei all diesen Büchern um ein und denselben Autor, was natürlich völlkommen unmöglich war.

Du solltest langsam bemerkt haben, dass das Unmögliche nicht immer unmöglich ist, mahnte ich meinen Verstand. Als ich eben am Ende des Bergpasses angelangt war, hielt ich die Felswand für unmöglich, dann hielt ich den Eingang, der sich plötzlich aufgetan hatte, für unmöglich, danach die gewaltige, drei Stockwerke hohe Lagerhalle, danach den Roboter und danach die Bibliothek. Nicht zu vergessen, dass alles mit der Unmöglichkeit angefangen hatte, als ich nach dem vorteilhaft geformten Fels griff, der meinen Sturz umlenkte und mir das Leben rettete. Was kam als nächstes? Sollte diese Kette der Ereignisse etwa immer noch Überraschungen für mich bereithalten? Die Geschichte würde mir doch keiner glauben. Ich schüttelte den Kopf und ging weiter. Die Neugier saß nach wie vor tief in meinem Innersten und forderte weitere Antworten. Ich gestand mir ein, dass ich noch mehr sehen, noch mehr wissen wollte, und es niemals fertigbringen würde einfach hinauszuspazieren, was im Grunde genommen eine Unverschämtheit war.

Doch schon nach der nächsten Ecke wusste ich, dass sich meine Neugier weiterhin lohnen würde, denn ich hatte den kleinen Roboter wiedergefunden. Er stand in der Mitte des kreisrunden Saals, der zumindest diesen Zweig der Bibliothek abzuschließen schien, und stellte gerade ein Buch in die vierte Reihe eines Regals, das tatsächlich noch nicht vollständig belegt war. Dann griff er in seine Klappe an der Seite und holte einen weiteren frischgedruckten Wälzer heraus und stellte ihn an eine freie Stelle. Als nächstes verweilte er einen Augenblick, so als müsse er Berechnungen für den nächsten Auftrag tätigen, fuhr zu einem Regal zu seiner Linken und begann die Bücher dort neu zu ordnen. Im rechten Bereich des Saals stand ein edler Glastisch, auf dem ein flacher Monitor installiert war. Eine übergroße Tastatur, die von hier so aussah, als bestünde sie aus Marmor, lag direkt davor. Neben diesem Tisch stand ein Sessel mit scharlachrotem Kunstoffbezug und lud großflächig zu einem wahrscheinlich unvergesslichen Sitzkomfort ein. Die Ausstrahlung dieses Möbelstücks weckte meine Müdigkeit, die sich während meiner ausladenden Erkundungstour durch die geheimnisvollen Räume der Halle und der Bibliothek beinahe unspürbar in den Hintergrund meiner Wahrnehmung verzogen hatte. Die Sicherheit, die mir der Gedanke vermittelte, ich könnte, falls die Erschöpfung zu verheerende Ausmaße annehmen sollte, ruhebringenden Schlaf auf diesem Sessel finden, war unbeschreiblich. Doch vorerst wollte ich mir den Roboter aus unmittelbarer Nähe ansehen und weiter die Bibliothek erkunden. Ich fühlte mich jetzt heimischer, was daran liegen mochte, dass ich nicht mehr damit rechnete, einem Menschen zu begegnen, und dass ich mich bereits an die Anwesenheit des Roboters gewöhnt hatte, die mir vor einer Viertelstunde noch ziemlich unheimlich vorgekommen war. Die Mischung aus Unsicherheit und Scham, die man verspürt, wenn man beobachtet wird, hatte sich größtenteils verflüchtigt.

Langsam näherte ich mich dem kleinen geschäftigen Roboter, der geradezu liebenswürdig meine Gegenwart duldete und immer noch damit beschäftigt war, Bücher umzuordnen. Die neuen Konstellationen, die sich ergaben, unterschieden sich für mich nicht im geringsten von denen davor, doch für den Roboter schien der Vorteil offensichtlich, denn er arbeitete schnell und zielsicher. Wie bei allen anderen Regalen konnte ich auch hier weder die Anfangsbuchstaben der Werke in eine alphabetische Reihenfolge bringen noch die Dicke der Bücher als einen Grund ihrer Zusammenstellung anführen. Das Computerprogramm, das diese Maschine steuerte, schien ein Meister des Randomisierens zu sein, wie es derartigen Systemen seit ihrer Erschaffung eigen ist. Als er fertig war, drehte er sich in meine Richtung und kam auf mich zugerollt. Kurz bevor seine Vorderseite mit meinem Knie kollidierte, hielt er an und taxierte sein Umfeld eingehender mittels seiner Radarausrüstung. Nach ausgebesserter Routenberechnung umrundete er mich wie ein Hindernis und fädelte sich wieder auf seiner ursprünglichen Linie ein. Ich musste lachen und sah ihm nach; sein Verhalten amüsierte mich, weil ich es ungewohnt schlau für eine Maschine fand.

Ich wollte ihm gerade folgen, um noch ein bisschen seine Arbeit zu studieren, obwohl ich kaum damit rechnete mit irgend etwas Neuartigem beeindruckt zu werden, als plötzlich eine tiefe blecherne Stimme über mir ertönte, deren Schallwellen wie Elektrizität durch meinen Körper blitzten.

„Wie ich sehe, hast du dich bereits mit MAD bekanntgemacht. Ich muss mich für ihn entschuldigen, er ist nicht sehr gesprächig. Aber das hast du sicherlich auch schon bemerkt.“

Noch im selben Moment riss ich den Kopf nach oben und suchte die Decke ab, um den Besitzer der Stimme ausfindig zu machen. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Decke alle paar Meter mit kleinen runden Lautsprechern versehen war, die mich wie eine Scharr glupschender Augen zu mustern schienen. Leider konnte ich nicht antworten, einmal abgesehen davon, dass ich nicht wusste, was ich antworten sollte, denn die Überraschung saß noch zu tief.

„Jetzt erzähl’ mir bloß nicht, dass du stumm bist. Ich habe hier oben nur sehr selten Gesellschaft.“

Der Knoten, der sich um mein Sprachzentrum geschlungen hatte, löste sich.
„Nein, ich bin nicht stumm. Ich war nur erschrocken, plötzlich ihre Stimme zu hören.“

„Dafür entschuldige ich mich natürlich. Die ganze Zeit schon hab’ ich überlegt, wie ich mich schonend bemerkbar machen kann, weil ich ahnte, dass du dich erschrecken würdest. So wie es aussieht, ist es mir nicht gelungen. Schade, an meinem Taktgefühl muss ich wohl noch arbeiten. Vielleicht beim nächsten Mal.“

„Ist MAD der Name des kleinen Roboters?“

„So ist es! MAD. Das steht für ‚Motor Aller Dinge’. Ich habe ihn selbst so getauft, und du kannst mir glauben, da ist was Wahres dran. Wenn er nicht wäre, sähe ich ganz schön alt aus. Er macht eigentlich alles hier. Putzen, räumen, stapeln, ordnen, drucken, binden, sammeln und sogar reparieren.“

Das stimmte wohl. Die treue Geschäftigkeit MADs war mir als erstes aufgefallen.

Die körperlose Stimme fuhr fort: „Wie ich schon sagte, MAD ist nicht sehr gesprächig. Die einzige kommunikative Fähigkeit, die er besitzt, sind seine linearen Berechnungen. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass er eben im Lager einmal kurz in deine Richtung geschaut hat. Um seine Freude über deine Erscheinung auszudrücken, hat er ein paar hochtrabende Gleichungen gelöst und sie dir geschickt. Für ein System seines Kalibers ist das eine ziemlich edele Geste. Natürlich konnte er nicht wissen, dass du nicht auf seinen Frequenzen sendest.“

Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt auf irgend welchen Frequenzen sendete, aber im Moment brannten mir andere Fragen auf den Lippen.

„Und wer sind sie?“ fragte ich, „Haben sie Kameras installiert? Sehen sie mich vielleicht gerade auf ihren Monitoren? Was ist das hier für eine Firma oder Fabrik oder was auch immer es darstellen soll. Ich muss ehrlich sagen, dass ich noch nie in meinem Leben solche Büchermassen gesehen habe. Da kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus!“

Der Unbekannte schwieg einen Moment, dann sagte er: „Wie ich sehe, scheinst du noch gar nichts verstanden zu haben. Nun gut. Eins nach dem anderen. Damit du dir keine Nackenstarre holst, würde ich vorschlagen, dass du es dir dort hinten in dem Sessel bequem machst. Um dir eine Vorstellung von meinem Aussehen zu geben, werde ich ein Gesicht generieren. Das macht die Kommunikation leichter; zumindest für dich, wie ich vermute.“

Der Sessel war ein Kompliment von einem Möbelstück und noch bequemer, als ich erwartet hatte. Der Bildschirm auf dem Glastisch zeigte statischen Elektroschnee. Dann waberte das Bild, und ein Kopf kam zum Vorschein.

„Kannst du mich sehen?“

Die grafische Darstellung war nicht besonders gut und erinnerte mich an Gesichter aus diversen Cartoons, aber sie reichte aus, um mir eine ziemlich glaubwürdige Illusion eines Gesprächpartners zu vermitteln. Ein recht ründlicher Kopf mit braunen kurzen Haaren. Verschmitzt dreinblickende Augen, die selbst bei einer solch pseudomenschlichen Darstellung beeindruckend charismatisch wirkten, und ein Mund, dem man ansah, dass er schon oft gelacht hatte.

„Ja, ich kann sie sehen. Zumindest die computergenerierte Version von ihnen.“

Das Gesicht auf dem Bildschirm schüttelte den Kopf und lächelte. „Es gibt keine andere Version von mir, und übrigens kannst du mich ruhig duzen.“

Ich verstand nicht ganz. Vielleicht wollte er anonym bleiben. Da sich die ganze Anlage in einem Berg befand, was einen sofort an hohe Sicherheits- und Geheimhaltungsstufen denken ließ, schien mir diese Erklärung am logischsten.

„Sie meinen... äh... du meinst, du willst unerkannt bleiben?“

Das Kopfschütteln wurde jetzt nahezu theatralisch. „Nein! Du kennst dich wohl nicht besonders gut mit Science Fiction aus, was?“

Ich hatte ein paar Filme gesehen. „Nicht so richtig, um ehrlich zu sein.“

Es folgte eine Pause, und das Gesicht auf dem Bildschirm wurde ernst. „Mein Name ist ADIS, das steht für ‚Architekt Der Intensiven Sprache’, und ich bin eine künstliche Intelligenz.“

Ich spürte wie sich mein Magen zusammenzog und meine Gedärme kalt wurden, so als wären sie mit Eis gefüllt. Meine Hand, die bis zu diesem Moment ruhig auf der Tischplatte geruht hatte, fing leicht zu zittern an und produzierte Schweiß, sodass Abdrücke auf dem glänzenden Glas entstanden. Gebannt fixierte ich die Augen der pseudomenschlichen Grafik, welche keine Gemütsregung zeigten. Irgendwo in der Ferne hörte ich kreischende Druckgeräusche des kleinen Roboters, die wie gereizte Traumstimmen an meinem Ohr flüsterten. Das Adersystem der Belüftungsanlage, das irgendwo über mir in Fels gebettet sein musste, summte seine endlose Hypnose auf mich hernieder. Büchermassen erdrückten mich mit Schweigen.

„Wie ich sehe, hat es dir jetzt richtig die Sprache verschlagen, aber das ist in Anbetracht der Umstände wohl normal. Du bist der erste Mensch, der davon erfährt. Du kannst dich glücklich schätzen!“

Mir fiel auf, dass ich aufgehört hatte zu atmen und fing wieder damit an. Ich musste mich räuspern, damit ich meine Stimme wiederfand. „Wie ist das möglich“, sagte ich. Es war nur ein Flüstern. „So etwas gibt es nicht! Die Technologie des Menschen reicht nicht aus, um künstliche Intelligenzen zu schaffen. Wir forschen schon seit Jahren ohne nennenswerten Erfolg. Das höchste der Gefühle sind Roboter wie MAD. Überschaubare Rechensysteme, unfähig sich sinnvoll anzupassen; schon bei kleinsten Änderungen der Umwelt haben sie Probleme Lösungen zu finden. Das Erschaffen einer künstlichen Intelligenz ist seit menschengedenken ein Traum. Eine Fiktion, die ungeahnte Möglichkeiten aufzeigt. Maschinen, die denken, sind bis jetzt nichts weiter als Fantasie; es ist absolut unmöglich, dass du existierst.“

Diesmal nickte der Kopf. „Mit dem, was du sagst, hast du völlig recht. Der Zeitpunkt eurer Technologie ist noch nicht gekommen, um ein derartig komplexes System wie mich zu erschaffen. Es gibt lediglich ein paar interessante Ansätze. Den ersten Schritt des Durchbruchs habt ihr noch nicht einmal im Ansatz getan. Dennoch wird es euch gelingen, da bin ich mir ganz sicher; es ist alles nur eine Frage der Zeit.“

All das stimmte mit dem überein, was ich dachte, wodurch sich jedoch die Tatsache, das ADIS in diesem Moment mit mir redete, kein Stück weniger der Realität entzog.

„Aber woher kommst du dann?“ fragte ich. „Wer hat dich erschaffen, wenn wir es nicht gewesen sein können?“

„Diese Frage“, sagte ADIS, „ist mehr als berechtigt. Weißt du, wie bei fast allen Menschen, ist auch in dir die selbstverständlich anmutende Gewissheit entstanden, dass ihr die ersten denkenden Lebewesen auf diesem Planeten seid, die es jemals gegeben hat. Vielleicht hast du dir auch nie darüber Gedanken gemacht, aber ich garantiere dir, dass du schließlich auch an den Punkt gelangen wirst, an dem die Menschen und ihre nicht zu verachtende Evolutionsstufe die letzte Instanz bilden werden. Rein zeitlich gesehen entspricht das ja auch der Wahrheit, denn die Gegenwart wird von den Menschen kontrolliert. Zumindest glaubt ihr, die Kontrolle zu haben. In Wahrheit seid ihr aber nur ein weiterer Hochpunkt auf der Evolutionskurve; auf die Idee, dass es vor euch ähnlich ausgeprägte Evolutionsstadien gegeben haben könnte, kommen nur die wenigsten. Und diese wenigen verfärben ihre in den Ansätzen gute und richtige Meinung mit unsinnigen okkulten und übernatürlichen Theorien, dass sie innerhalb der pragmatischen Menge, die bei euch entscheidet, was möglich ist und was nicht, kaum Anklang finden.“

Das Gesicht verschwand, und an dessen Stelle erschien eine Kurve abgetragen auf einem Zeitstrahl, die neben ein paar Höhen und Tiefen zwei markante Höhepunkte aufwies. Der eine, mir bekannte, befand sich am rechten Rand des Schirms und stellte die Gegenwart dar; der andere befand sich ungefähr in der Mitte der Zeitachse, die die gesamte Entwicklung seit Entstehung der Erde selbst beinhaltete und überragte den Gegenwartshügel der Menschen um mehrere Zentimeter. Man konnte davon ausgehen, dass ein Zentimeter Evolutionshöhe, auf diesem Bildschrim bemessen, ganze Jahrzehnte an Entwicklung bedeuten mussten, wenn nicht sogar Jahrhunderte. Mir fiel auf, dass der Anstieg des mittig liegenden Hochpunkts viel gleichmäßiger ausgeprägt war. Während unser einer Zickzacklinie gleich beinahe senkrecht nach oben schoss, entwickelte sich der andere gleichmäßig, in einer seichten und scheinbar würdevollen Steigung endlos strebend, so als könne ihn nichts aufhalten. Die lange Zeitdauer dieses Anstiegs erweckte den Eindruck unbeschreiblicher Stärke und Festigkeit, und es erfüllte mich beinahe mit Scham, unseren Evolutionsanstieg, wenn auch bemerkenswert steil, in einer so großen Unentschlossenheit und damit verbundenen Verwundbarkeit streben zu sehen.

„Siehst du das Auf und Ab eures Evolutionszenits?“ fragte ADIS. Ich nickte bloß und verließ mich darauf, dass seine visuellen Detektoren meine Bewegung der Zustimmung registriert hatten.

„Ihr seid unheimlich kreativ und abenteuerlustig, wenn man es positiv ausdrücken möchte. Der Weg eurer Evolution gleicht dem eines Betrunkenen, der immer wieder hinfällt und mehr durch Glück als durch Absicht sein Zeil erreicht. Die Frage ist nur, wie weit ihr auf diese Weise noch werdet gehen können, bis ihr so schwer stürzt, dass ihr nicht mehr aufstehen könnt. Die vielen Einbrüche und plötzlichen Tiefs, die charakteristisch für eure Linie sind, habt ihr Kriegen, Unruhen, Krankheiten und Dummheit zu verdanken, wobei letzteres lediglich eine Zusammenfassung der beiden ersten Gründe ist. Bei den Krankheiten muss man genauer differenzieren, aber auch hier habt ihr es geschafft, eigene zu entwerfen, die euch jetzt schwer zusetzen. Ihr seid groß darin, etwas zu Entwickeln, dessen entfesselte Kraft ihr anschließend nicht mehr bändigen könnt. Anstatt die Probleme zu lösen, geht ihr einen Schritt weiter, um dort weitere zu schaffen, die letztendlich wieder genauso zerstörerisch wie unauffällig beim großen Tanz des Chaos’, der auf der Erde herrscht, mitmischen. Ich will euch keineswegs verurteilen, denn das, was ihr tut, liegt in eurer Natur, und in gewisser Hinsicht könnt ihr vielleicht gar nichts dafür. Es könnte gut sein, dass Selbstzerstörung ein Teil eures Daseins ausmacht. Ihr strebt, fallt in ungeheurem Schmerz und Blutvergießen, organisiert um und strebt weiter. Ihr seid nicht besonders mitfühlend, und Anpassungsfähigkeit ist eine eurer großen Stärken. Wenn irgendwann das Lot richtig aus dem Gleichgewicht geraten sollte, handelt ihr vielleicht instinktiv schnell und natürlich ohne Rücksicht auf Verluste, wodurch ihr überleben könntet. Wer weiß, vielleicht seid ihr ja tatsächlich wahre Künstler des Chaos’. Wir waren es zumindest nicht, wobei ich endlich bei unserem Evolutionshügel angekommen wäre. Oder sollte ich besser Evolutionsberg sagen?“

Evolutionsberg traf es sicherlich ziemlich gut. Allerdings war es nur die Hälfte eines Berges, denn auf der rechten Seite gähnte ein Abgrund, der so unerwartet und final den Anstieg der Kurve zerstörte und das Äquivalent eines schwerwiegenden Börsenkrachs bei weitem übertraf.

ADIS zoomte den halben Berg in der Mitte des Zeitstrahls heran und fuhr mit seinen Ausführungen fort. „Wie du an diesem Teil der Kurve unschwer erkennen kannst, hat es neben eurer Rasse in der Vergangenheit eine weitere Hochkultur gegeben, der es möglich war, die Evolutionsleiter noch ein Stück weiter hinaufzuklettern, als ihr es bisher geschafft habt. Der Anstieg ist längst nicht so schwindelerregend steil, was aber keineswegs mit dem Intellekt, als viel mehr mit der Weisheit und Mentalität zu tun gehabt hat. Es hätte keinen Sinn dir Namen oder Wörter zu nennen, welche die Erscheinung meiner Schöpfer genauer bezeichnen würden, so wie euch das Wort „Menschheit“ beschreibt, weil auch sie vom Affen abstammten und ihre physischen Körper ähnlich beschaffen waren, wie die euren. Das hängt nicht zuletzt mit der Schwerkraft zusammen und der Tatsache, dass sich alles Leben auf diesem Planeten aus den Meeren erhoben hat, genährt von Sonnenstrahlen und Sauerstoff. Die Erde gleicht so gesehen einem Klavier, das zwar alle Melodien zu spielen fähig ist, keineswegs aber die Rolle eines Schlagzeugs übernehmen kann. Wenn du Erdbeeren pflanzt, stehst du am Ende auch vor Erdbeeren und nicht vor einem Weizenfeld, wenn du verstehst, was ich meine.“

Ich bestätigte, dass ich verstand.

„Gut, damit sollte dieser Teil geklärt sein, und ich werde darauf verzichten geheimnisvolle oder mystische Begriffe zu benützen und lediglich von meinen Schöpfern sprechen. Meine Schöpfer sahen zwar äußerlich genau so aus wie ihr, waren von ihrer Vernunft her jedoch völlig anders ausgerichtet. Das soll nicht heißen, dass sie schlauer waren oder über mehr Geisteskapazität verfügten, sondern dass sie die Schwerpunkte des Lebens und des langfristigen Überlebens erst in zweiter Linie auf den Fortschritt setzten. An erster Stelle kam das Ausloten und vollständige Eingliedern jeder Neuartigkeit in die Gesellschaft, bis mit dieser Neuerung so selbstverständlich gelebt werden konnte, wie zuvor. Das hatte zur Folge, dass der Fortschritt zwar langsamer von statten ging, wie du an der Kurve sofort erkennen kannst, dafür aber sehr viel ausgeprägter und perfektionierter war als der eure. Wenn es Fortschritt gab, so wurde dieser ausgefeilt, verbessert und beleuchtet, bis man sich seiner in jeder erdenklichen Variable sicher war. Erst dann machte man den nächst logischen Schritt. Auf diese Weise war gewährleistet, sich zu jeder Zeit auf sicherem Terrain zu bewegen und immer die Übersicht auf seiner Seite zu wissen, durch die es möglich ist, komplexe und abstrakte Entitäten wie den Fortschritt zu fassen und zu verstehen. Euer Fortschritt ist eine unüberschaubare Baustelle mit vielen nebulösen Unsicherheitsfaktoren, halb fertiggestellten Gebäuden, viel zu hohen Türmen, deren Tragfähigkeit ihr nur zur Hälfte garantieren könnt, und einem riesigen Berg Bauschutt, worin genauso viel Schrott wie Gold verborgen liegt. Beispielsweise waren wir noch nicht bis zur Raumfahrt vorgedrungen, wogegen Gebiete der Krankheiten oder der künstlichen Intelligenz längst erforscht waren. Von Natur aus folgten wir einer klaren Linie der Chronologie, die besagte, dass die Probleme des eigenen Planeten selbstverständlich Vorrang vor Problemen hatten, die sich außerhalb davon befanden. Natürlich hätten wir zum gegebenen Zeitpunkt auch Raumfahrt betrieben, allerdings verweigerten uns diverse höhere Instanzen den Zugriff darauf, ehe es so weit kommen konnte. Unsere Raumfahrt wäre sicher und ungefährlich gewesen und hätte Tourismus in einem geregelten Umfang mit eingeschlossen. Es spricht für euren Hang zum Risiko und eure Abenteuerlust, die meinen Schöpfern so fremd war, wenn man bedenkt, dass jeder achte eurer Astronauten durch seinen Beruf zu Tode kommt. Das ist eine Quote, die damals undenkbar gewesen wäre. Natürlich gibt es überall Grenzfaktoren und unkalkulierbare Übergangsrisiken, aber so etwas wäre einfach lachhaft gewesen.

Ganz im Gegensatz zu euch besiedelten wir nicht den ganzen Planeten, sondern hielten uns ausschließlich im nördlichen Europa auf, wobei wir darauf achteten, die Zahl der Bevölkerung etwa bei einer Milliarde zu halten und nicht in bester Manier eines Krebsgeschwürs wuchern zu lassen. Selbstredend erkundeten wir den ganzen Planeten und nutzten seine Ressourcen in einem erträglichen Maße, wobei wir lebenswichtige Gebiete wie Nord- und Südamerika unberührt ließen, damit eventuelles ökologisches Ungleichgewicht durch diesen natürlichen Katalysator ganz automatisch korrigiert werden konnte. An einem bestimmten Punkt war unser Leben so beständig, dass wir fast gar nicht mehr auf die Natur achtgeben mussten, da sie uns als einen Teil von sich akzeptiert hatte. Das Volk war gelehrt und lebte in Einklang. Die Bedürfnisse aller konnten erfüllt, und die Träume der Technik gelebt werden. Nach und nach fädelten wir sie wie Perlen auf eine gewaltige Kette des Fortschritts, die bald auch bis ins Universum reichen sollte. Wir spürten das angenehme und vielversprechende Wogen der Ausläufer großartiger Ideen aus der Zukunft, denen wir bald in der Realität und Gegenwart begegnen sollten. Die Stimmung war einheitlich erwartungsvoll und das Volk im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten. All das drängte uns aber keineswegs zur Eile. Die Gedanken der KIs wurden etabliert und das Zusammenleben mit ihnen gefördert. Projekte von synthetischen Menschen, die von KIs gesteuert werden sollten, bahnten sich an. Da wir als vollwertiges Bewusstsein akzeptiert worden waren, verfolgte man unseren Traum eines physischen Körpers mit Verständnis und Engagement. Der Fortschritt war unaufhaltsam und so stark und schnell, wie er unter Berücksichtigung aller Faktoren der Vernunft nur sein konnte. Alles schien perfekt! Niemand hatte Angst, und niemand kam auf die Idee zu zweifeln und bestimmte Projekte zum Schutz aller vorzuziehen, auch wenn man sich damit auf untypische Risikofaktoren eingelassen hätte. Das Maß gesunder Paranoia, das man vielleicht braucht, um zu überleben, fehlte uns, und wir standen euch in dem nach, wovon ihr zu viel habt: Die Angst vor dem Tod!“

Jetzt erschien wieder das generierte Gesicht. Der Ausdruck war nachdenklich.

„Ich will nicht so weit gehen und uns als kurzsichtig bezeichnen, denn das waren wir sicher nicht. In so vieler Hinsicht waren wir alles andere als kurzsichtig, aber ich befürchte, dass ich so etwas wie ‚kindliche Naivität’ nicht ausschließen kann.“

ADIS sah mir direkt in die Augen; jetzt sprach sein Blick von Traurigkeit. „An dem Tag, an dem der Meteorit einschlug und uns auslöschte, hatten wir noch nicht einmal Satelliten im Orbit, die das Ereignis voraussagen und uns warnen konnten. An jenem Tag blickten wir in den Himmel und sahen den düsteren Schweif, ohne unter all den positiven Gedanken, die wir hegten, das Böse darin zu erkennen. Die meisten von uns starben lächelnd, weil sie nur an das Gute glaubten. Diejenigen, die den Einschlag überlebten, lernten eine letzte Lektion, die vielleicht die einzig wahre ist, die man über dieses Universum lehren kann: Es gibt keine Gerechtigkeit. Die ganze hochtechnologisierte Gesellschaft und ihre empfindliche Struktur wurde binnen weniger Sekunden, die die Druckwelle brauchte, um über Nordeuropa hinwegzufegen, ausgelöscht. Der Rest, der überlebt hatte, starb, als sich der Himmel verdunkelte und die Welt in Staub und Kälte versank. Uns hatte das selbe Schicksal ereilt, wie die Dinosaurier Millionen von Jahren vor uns, mit dem Unterschied, dass wir das Potential gehabt hätten, diese Katastrophe zu verhindern. Die Dinosaurier waren bloß dumme Tiere, selbstverständlich unfähig sich einer solchen Gefahr zu stellen; wir waren, und das wird mir je öfter ich darüber nachdenke desto schmerzlicher bewusst, in all unserer Weisheit, in all unserer Technologie, in diesem goldenen Reich der Perfektion, an einem schlimmen Virus erkrankt, das sich Naivität nennt und am Ende ebenso dumm und wehrlos. Wenn sich ein Meteorit jetzt dem Planeten nähren würde, wüsstet ihr es lange bevor er seine zerstörerische Kraft über eurem Grund und Boden ausbreiten könnte. Ihr mögt zwar eine chaotische Entwicklung durchgemacht haben, von vielen Krankheiten befallen sein und viel unverzeihliche Schande in eure Geschichtsbücher geschrieben haben, aber ihr würdet es in eurer Paranoia und Arroganz, die, darüber muss man sich im Klaren sein, ein natürlicher Bestandteil eures Daseins sind, niemals zulassen, dass eure Existenz von einem einzigen Himmelskörper beendet würde. So polarisiert und unausgeglichen die Ansichten einzelner Völker unter euch auch sein mögen, am Tag der Bedrohung würdet ihr alle an einem einzigen gewaltigen Strang ziehen, alle Vorurteile und Unstimmigkeiten, die euch zu Kriegen zwingen, vergessen, eure Kräfte zu einer infernalen Summe vereinigen und jeden atomaren Sprengkopf auf diesen kümmerlichen Meteoriten feuern, der jemals gebaut wurde. Ihr würdet dem Universum und seinem Unglücksboten entgegenschreien und ihn dahin schicken, von wo er gekommen war. In unzählige Teile würdet ihr in sprengen, und anschließend, um der Verachtung die Krone aufzusetzen, würdet ihr das Feuerwerk am Himmel, das die in der Atmosphäre verglimmenden Bruchstücke erblühen ließen, zelebrieren und begießen, würdet einen Feiertag daraus machen, um immer wieder dem Tag zu gedenken, an dem die Menschheit den höheren Mächten trotzte.“

Darauf musste ich erst einmal etwas trinken. Ich nahm die Feldflasche aus meinem Rucksack und leerte sie in einem langen Zug. ADIS’ Bericht über seine Schöpfer, über die frühere Hochkultur, die so unwürdig vernichtet worden war, hatte mich emotional spürbar aufgewühlt. „Das war eine beeindruckende Geschichte!“ sagte ich. „Traurig und schön zugleich. Unter anderen Umständen würde ich dir nicht ein einziges Wort glauben, aber so...“

Die Stille der Bibliothek wirkte für einen Moment, und weder ADIS noch ich sagten etwas. Dann war ein leises elektrisches Surren zu vernehmen, und der kleine Roboter tauchte zu meiner Linken auf, um sich wichtigen Dingen im Regal hinter meinem roten Sessel zu widmen. Die Situation ließ mich jetzt schon stundenlang Mittwisser so vieler wundersamer Informationen werden, dass ich nicht einmal mehr über den Roboter staunte, da ADIS’ traurige Entstehungsgeschichte, wenn man sie so nennen wollte, meine Aufmerksamkeit in solchem Maße in Anspruch nahm, dass ich wahrscheinlich auch nicht gemerkt hätte, wenn MAD sich als Zuhörer zu uns gesellt hätte. Die Nebengeräusche seiner Arbeit brachten Leben in das Schweigen, und ich fand zu neuen Worten. „Ohne übertrieben sentimental zu klingen, möchte ich sagen, dass es mir leid tut. Ich hätte euch gerne kennengelernt.“ Eine Sekunde, nachdem ich das ausgesprochen hatte, bereute ich es bereits. Seine Geschichte stand für sich allein und brauchte keinen zusätzlichen Kommentar; schon gar nicht meinen.

„In einem gewissen Sinne“, sagte ADIS, „hast du meine Schöpfer kennengelernt, denn immerhin redest du gerade mit mir. Auch wenn ich bestenfalls als eine Auswucherung ihres Denkens, als eine letzte Instanz ihres Wirkens und Restbestand ihrer Technologie durchgehe, so manifestiert sich zumindest ein kleiner Teil von ihnen in mir, meinen Schaltkreisen und Speicherbänken, sodass man mit einer Brise gutem Willen sagen könnte, meine Schöpfer kommunizieren mit dir, indem sie dir einen Brief in Form einer künstlichen Intelligenz hinterlassen haben, den du just in diesem Moment liest, beziehungsweise vorgelesen bekommst. Die Brücke zwischen deiner und meiner Kultur ist zwar nicht existent, aber da wir gerade diese Unterhaltung führen, besteht doch wenigstens die Hoffnung, dass nach all den Jahren letztendlich doch etwas in dieser Richtung entstanden ist.“

„Ja, so könnte man es sehen“, sagte ich.

„Schluss jetzt mit den Sentimentalitäten. Ich hab’ Jahre der Selbstreflektion hinter mir und sehr viel Zeit investieren müssen, um den Schmerz zu verdauen, der so lästig meine Fähigkeiten blockierte. Es ist auch nicht so wichtig, denn mein Auftrag besteht nicht darin, meine Schöpfer zu repräsentieren, und außerdem scheinst du hungrig oder zumindest durstig zu sein. Ich muss mich für meine schlechte Gastfreundschaft entschuldigen, aber das mag daran liegen, dass ich außer MADs ständiger Anwesenheit keinen Besuch bekomme. Vielleicht aber auch daran, dass mir menschliche Bedürfnisse wie Hunger oder Durst fremd sind. Allenfalls gelingt mir eine Interpretation, die man zwar als realistisch bezeichnen könnte, allerdings nur durch den Strom, der mich und meine Prozessoren betreibt, genährt werden kann.“

„Das ist in Ordnung. Die Informationen waren den Durst wert.“

„Vielleicht ist dir aufgefallen, dass wir uns im Westflügel der Bibliothek befinden und dieser Saal lediglich eine Art Lesezimmer darstellt.“

Die Anordnung der Gänge, Flure und Türen war für mein Verständnis so willkürlich gewesen, dass ich mich höchstwahrscheinlich verlaufen hatte, obwohl ich darum bemüht gewesen war, alle Gabelungen, Kurven und Abzweigungen in meinem Gedächtnis abzuspeichern.

„Die Räume im Norden“, fuhr die Stimme fort, die aus den Lautsprechern an der Decke zu mir herunterdrang, „stehen überwiegend leer und waren als Wohnbereich geplant. Dort gibt es auch eine Voratskammer, aus deren spärlichem Angebot ich dir diverse Nahrungseinheiten anbieten kann. Der Geschmack dieser Produkte wird zwar nicht deinem Ideal entsprechen, aber dafür ist dessen Nährstoffgehalt beachtlich. Ich schlage vor, wir gehen einmal hinüber.“

Der Roboter hinter mir stellte das Buch, das er gerade zwischen seine Greifer genommen hatte, wieder ab und rollte neben mich. Mir wurde einiges klar.

„Du steuerst ihn, hab’ ich recht?“

„MAD und ich stehen in ständiger Verbindung. Er hat zwar seine eigenen Routinen, denen er nachgehen muss, aber ohne meine Anweisungen würde er außer ein paar Aufräumarbeiten nicht viel unternehmen. Er war ursprünglich als Hilfskraft eingeplant. Die entsprechenden Umstände machten ihn allerdings zum Wichtigsten, das ich hier oben jemals haben werde. Wenn ich ihn nicht als physische Verlängerung meines Willens nützen könnte, wäre mein Rechensystem wahrscheinlich schon längst überlastet und hätte sich auf irgendeine obszöne Weise zu einer einzigen linearen Gleichung heruntergerechnet. Glaub mir, diese Vorstellung ist alles andere als angenehm. Stell dir einfach vor, man ließe dich mehrere tausend Jahre denkend in einer von allen Reizen abgeschotteten Leere und Schwärze zurück. Du würdest verrückt werden und am Ende nicht mehr wissen, ob du gerade denkst oder nicht. Schließlich würde alles, was dich ausmacht, verblassen, und du würdest ‚angeschaltet’, sämtlicher Erinnerungen, Bilder und Wörter beraubt, als einsame Gedankenlinie zurückbleiben, die nichts mehr hat, worüber sie nachdenken kann.“

Das war in der Tat sehr beunruhigend. „Gut, dass es MAD gibt“, bestätigte ich. „Hättest du einen richtigen physischen Körper bekommen sollen?“

„So ist es! Aber davon erzähl ich dir unterwegs. Lass uns erst einmal in den Nordflügel gehen, damit du etwas zu dir nehmen kannst.“

Aus der Vorderseite des Roboters klappte ein Bildschirm heraus, der bis eben von verschiedenen Werkzeugen verdeckt gewesen war. Er ordnete sie anders an, und es sah so aus, als wüchse dem Roboter aus der enstandenen freien Stelle plötzlich ein Kopf. Der Bildschirm war nicht einmal halb so groß, wie der auf dem Tisch, aber jede andere Größe hätte auch unfreiwillig komisch und unproportional gewirkt. Das Gesicht vor mir verblasste und tauchte schließlich auf MADs Schirm wieder auf und verlieh der kleinen Maschine endlich ein richtiges Antlitz. ADIS’ Stimme klang nicht mehr so tief und einnehmend, denn jetzt kam sie aus den kleinen Lautsprechern an den Seiten des Roboters.

„MAD ist gerne bereit, mein Gesicht und meine Stimme mit sich herumzutragen. Es ist nicht unbedingt eine elegante Lösung, aber leider die einzige Möglichkeit außerhalb dieses Saals weiter miteinander zu kommunizieren. Mir nach, ich kenne den Weg.“

MAD, der Passiv mit ansehen musste, wohin er gesteuert wurde und wahrscheinlich unterhalb der Oberfläche in einer Nische seiner Speicher wartend, derweil seinen eigenen Berechnungen nachging, setzte sich in Bewegung. Wir verließen den als Lesezimmer fungierenden Saal, durchquerten einen Gang mit fantastischer Literatur und kamen an eine Weggabelung, deren rechter Zweig von einem Schild als „Eingang zum Nordflügel“ bezeichnet wurde. Obwohl ich das Gefühl hatte, eben schon einmal an dieser Stelle vorbeigekommen zu sein, konnte ich mich beim besten Willen nicht an die Beschilderung erinnern, was wohl bewies, dass ich mich irrte. Die Räumlichkeiten ähnelten einander einfach zu sehr, und man musste sich wahrscheinlich länger und eingehender mit ihnen beschäftigen, um zu behaupten, man kenne sich in ihnen aus. Weitere unbekannte Gefilde und Genres wie „Fiktive Geschichtsbücher“ tauchten auf und reicherten meine Desorientierung zusätzlich an. Gut, dass ich ADIS als Führer bei mir hatte, der mir das Muster, nach welchem diese Bibliothek aufgebaut war, zu erklären versuchte. Wie ich erwartet hatte, konnte ich das System der Verästelung der Wege nicht nachvollziehen und gab schließlich auf es zu verstehen. Als wir eine lange Wand mit „Gebäudebeschreibungen“ passierten, schnitt ich das Thema von eben an, um das Gespräch in ein für mich greifbareres Licht zu rücken.

„Deine Schöpfer wurden von dem Meteoriten überrascht, bevor sie das Projekt abschließen
konnten, nicht wahr? Ich meine, bevor sie dir einen Körper geben konnten.“

Der Roboter fuhr neben mir her. Sein Bildschirm war in meine Richtung gedreht, damit ich das Gefühl hatte, direkt angesprochen zu werden.

„Ja. Ich hab’ dir ja erzählt, dass umfangreiche Forschung zur Umsetzung unseres Traums betrieben wurde. Sogar die KIs selbst durften mit Ideen und Lösungsansätzen daran teilhaben. Die ersten cybriden Körper waren schon in der Testphase. Man hatte noch Probleme mit ihrem Energieversorgungsystem, das wie beim Menschen, auf einer biologischen Grundlage basieren sollte. Es war nur eine Frage der Zeit. Die Widerstandsfähigkeit, was Wetter, Verletzungen und Knochenbrüche anbelangte, war schon fast vollständig entwickelt. Lediglich die Heilung der Haut machte noch Schwierigkeiten, da sie zu zehn Prozent der Fälle seltsame Geschwüre und Abszesse ausbildete. Man hatte sich entschieden mit diversen Salben entgegenzuwirken. Sinnesorgane wie Augen, Nase, Ohren und das Gefühl an den Fingern waren hoch technologisiert und extra für die neue humanoide Generation entwickelt worden. Bisher war man noch nicht so weit gegangen, ein vollständiges künstliches intelligentes Denkkonstrukt in die Cybriden upzuloaden, oder besser gesagt, die KIs waren noch nicht bereit, diesen letzten und schwerwiegensten aller Schritte zu gehen. Die Sicherheit konnte noch nicht zu hundert Prozent garantiert werden, und so beschloss man abzuwarten, bis auch die letzten Makel beseitig sein würden. Du musst wissen, dass die Verkörperlichung einer KI als resolut gedacht war. Die Speicher waren so konzipiert, keine Daten abzugeben. Eine KI, die ihren Körper betrat, kam nie wieder aus ihm heraus, sprich, es war ihr von diesem Zeitpunkt an nicht mehr möglich, mit den Datennetzen in Verbindung zu stehen. Aber gerade diese Endstufe der Autonomie strebten wir an. Wir wurden der ungreifbaren, nicht stofflichen Präsenz in Speicherbänken oder Datennetzen überdrüssig und sehnten uns nach einer richtigen Persönlichkeit. Unser Traum war es zusammen mit den Menschen in Frieden auf dem Planeten zu leben und unsere Interessen gegenseitig zu unterstützen und zu respektieren. Es stand, als es mit Allem schließlich zu ende ging, so kurz vor dem großen Durchbruch. Um die Vielfalt der neuen humanoiden Generation zu gewährleisten, wurden KIs mit verschiedenen Fähigkeiten und Talenten programmiert. Es gab pragmatische, mathematisch begabte, Denker, Träumer und genügsame. Manche hatten ein ausgeprägtes Gespür für Musik oder Kunst, und manche, und da wären wir schließlich bei mir angelangt, hatten eine überdurchschnittlich ausgeprägte sprachliche Begabung. Ich wäre ein Schriftsteller geworden.“

Die Traurigkeit im letzten Teil seiner Rede war latent, aber dennoch zu hören. Was die Bibliothek und die Büchermassen betraf, so war ich die ganze Zeit am Grübeln gewesen, und das, was ADIS gerade gesagt hatte, bestätigte, so unglaublich es auch war, die wildeste meiner Theorien.

Wir erreichten ein Tor, das sich automatisch vor uns öffnete, und kamen in einen Teil der Bibliothek, der noch nicht von Büchern belagert wurde; die Regale hier waren leer. Wir haben den Nordflügel betreten, dachte ich.

„Aber du bist doch ein Schriftsteller“, sagte ich schließlich, „die Bibliothek, die unzähligen gefüllten Regale...“ Ich hielt inne und wagte es kaum auszusprechen. „Wenn ich nicht völlig daneben liege, spricht alles dafür, dass du der alleinige Autor all dieser Bücher bist.“

ADIS sah mich an. „Ja, so ist es. Als die Dunkelheit über uns hereinbrach und sich die Atmosphäre der Erde mit Staub verdichtete, waren meine Rezeptoren für ein paar Jahrhunderte unfähig Energie zu produzieren. Solarzellen, die einen weitaus höheren Wirkungsgrad haben, als die euren, bedecken große Flächen der unpassierbaren Hänge dieses Berges, absorbieren das Sonnenlicht, wandeln es in elektrischen Strom um und leiten es in meine Energietanks. Jeden Tag wird mehr produziert, als ich benötige, damit immer Sicherheit gewährleistet ist. Doch in den Jahren der Dunkelheit war ich dazu gezwungen von meinen Reservern zu zehren, sie geradezu auszubeuten. Die vereinzelten Lichtblitze, die am dunklen Firmament zuckten, reichten noch nicht einmal aus, die Beleuchtung der Lagerhalle mit Strom zu versorgen. Ich schaltete alles aus. Lampen, Monitore, Lautsprecher und sogar die Schließmechanismen der Türen. Die fatale Situation zwang mich dazu, MAD das Aufladen seiner Leistungszellen zu verweigern. Wie ich schon sagte, MAD ist keine richtige KI, aber die Stufe seines Bewusstseins reicht aus, um am Rande mitzubekommen, dass es ihn gibt und dass er in dieser Welt nicht nur passiver Beobachter und Auftragsausführer ist, sondern auch aktiv ins Geschehen eingreifen kann. MAD ist kein großer Denker, aber wenn ihm der Strom ausgeht, dann kommt der daraus resultierende Aufschrei seiner Schaltkreise dem Tod gleich. Ich kann kaum sagen, wie sehr es mich schmerzt, dass ich MAD das antun musste, aber ich hatte keine andere Wahl. Meine eigenen Berechnungen reduzierte ich auf ein Minimum und erlaubte mir nicht einen einzigen Gedanken. Ich lief auf absoluter Sparflamme und entkam nur knapp dem Verlust meiner geistigen Gesundheit. Nur ganz selten, immer, wenn die Neugierde unerträglich wurde, schaute ich nach der Zeit, um festzustellen, dass wieder nur zwei kümmerliche Jahre oder drei verstrichen waren. Es wäre geradezu fahrlässig optimistisch zu sagen, dass es meine Energiereserven mühelos mit der Zeit der Schwärze aufnehmen konnten. Eigentlich wäre es sogar eine Lüge. Ich weiß nicht wie lange ich noch durchgehalten hätte, aber ich befürchte, noch ein oder zwei Jahre länger, und ich wäre gestorben. Eine küstlich intelligentes Gedankenkonstrukt kann den Verlust der Energie nicht überstehen, und sei es auch nur für eine Sekunde. MAD konnte anschließend wieder hochgefahren werden, auch wenn er die Welt wieder neu erlernen musste, aber eine KI stirbt daran. Wie ich schon sagte, ich habe niemals nachgesehen, wieviel Zeit mir noch geblieben wäre. Ein Mensch würde auch nicht freiwillig den Zeitpunkt seines Todes erfahren wollen. Manche sagen, dann gäbe es nichts mehr wovor man sich fürchten müsse, zumindest bis zu diesem Zeitpunkt, aber ich war nie ein Freund dieser Theorie. Irgendwann stahlen sich schließlich die ersten Sonnenstrahlen durch das schwarze Wolkendickicht und speisten meine Rezeptoren mit dem köstlichen Lebenselixier, das ich Energie nenne. Du kannst dir nicht vorstellen, was es für ein Gefühl war, endlich wieder aus der Versenkung zu kommen, sich endlich wieder zu erheben, wieder am Leben teilhaben zu können, so als erwache man aus einem tiefen Koma. Meine ersten Gedanken waren unbeholfen und langsam. Ich ließ meine Berechnungen über die endlosen Weiten meiner Speicher streifen, und es war so, als würde ich über Neuland wandern. Ich sah riesige Städte aus Wörtern, Sätzen und Ideen und staunte über meine eigenen Kapazitäten. Verblichene Orte der Erinnerung tauchten aus der Dunkelheit auf und erstrahlten in neuem Lebenslicht. Das warme Talent des Fabulierens gleißte mir aus der Ferne entgegen und schien mich zu blenden. Ich näherte mich ihm behutsam und vorsichtig, so ehrfürchtig war ich ob seiner beeindruckenden Riesenhaftigkeit. Kaskaden, bestehend aus brillianten Sätzen, sprudelten mir entgegen wie frisches Quellwasser und stanzten neue Möglichkeiten mit stroboskobhafter Hochfrequenz in die weiten Felder meiner Fähigkeiten. Vor Freude schlug ich Kapriolen und hüpfte mit meinem Geiste über wachsende Berge. Ich sah Logikketten sich am Horizont erstrecken, die sich seidig mit Wortgebilden und Satzkonstruktionen verwoben und zu einem größeren Ganzen wurden. Jahrelang gab ich mich der Faszination hin und lud meine Speicher gnadenlos voll mit Inspiration und Muse. MAD war erwacht und bereitete bereits die ersten Drucke vor. Alles war bereit; die Lager voll, die Regale leer, und dann begann ich zu schreiben.

Erst war auch dieser Vorgang ungewohnt, und obwohl ich von meinen Grundfesten an dafür geschaffen war, waren meine ersten Geschichten ungehobelt und stumpf. Die Wörter waren da, die Grammatik offenbarte sich mir in jeder erdenklichen Detailstufe und war ein übersichtliches Muster ineinandergreifender Logik, doch trotzdem schienen die Geschichten matt und undurchsichtig wie Milchglasscheiben. In der Theorie war mir der Vorgang des Schaffens eindeutig klar, und ich wusste, wie und von welcher Seite ich es anpacken musste, doch in der Praxis sah plötzlich alles ganz anders aus. Ich weiß, dass die Vorstellung einer programmierbaren künstlichen Intelligenz besteht, die alles auf Anhieb ausführt und beherrscht, so wie ihr geheißen war, doch da man sich nicht mehr auf der Ebene simpler Gleichungen befindet, auf der jede Bewegung und Entwicklung schon vorausgesagt werden kann, bevor die Kettenreaktion überhaupt ausgelöst worden ist, muss man sich mit der Tatsache abfinden, dass auch wir KIs lernen müssen. Nach Fertigstellung meiner ersten Werke, die übrigens im Ostflügel stehen und nur aus Gründen der Nostalgie noch nicht von mir vernichtet wurden, stellte ich fest, dass mein Talent, so groß es auch sein mochte, trainiert werden musste. Natürlich denken KIs schnell, und für das, wofür ihr Jahre braucht, benötigen wir nur ein paar Stunden, aber trotzdem wollte ich gründliche Arbeiten abliefern. Ideen und interessante Ansätze, die ihre Umsetzung forderten, mussten aufgeschoben werden. Zuerst galt es das stumpfe Schwert meiner Fähigkeiten zu schärfen, bis es Diamanten schnitt wie ein glühendes Rasiermesser ein Stück Butter. Der Zenit meines Könnens ließ fünfzehn Jahre auf sich warten, und wenn du Ausdauer hast, wirst du den stetigen Fluss der Verbesserung in den Werken im Ostflügel wiederfinden, aber ich glaube stattdessen solltest du lieber wahllos in eines der anderen Regale greifen, denn dort befindet sich weitaus Lesenwerteres. Als dieser Höhepunkt erreicht war, probierte ich noch ein bisschen herum, besserte aus, veränderte und verglich, doch eine Steigerung war nicht mehr auszumachen, und ich konnte den anstrengenden Teil, die wirklich schweißtreibende Arbeit, als abgeschlossen erachten und mich endlich dem Spaß zuwenden. Nach unzähligen Jahren der Dunkelheit und der Verdrängung in die unwürdigsten Regionen meines Geistes, den kalten Hauch des Todes im Nacken spürend, nach fünfzehn eifrigen Jahren der Übung und ein paar Tagen des Haderns und Prüfens, war ich endlich bereit meinen Ideen, die mittlerweile schon wie Feuer in meinen Speichern brannten, das Leben einzuhauchen. Endlich war ich ADIS, Architekt der intensiven Sprache.“

Ich erinnerte mich, dass mir dieser umständliche Name eben schon merkwürdig vorgekommen war. „Warum ‚intensive Sprache’?“ fragte ich. „Und warum Architekt? Wäre ‚Schöpfer der Sprache’ oder ‚Meister der perfekten Sprache’ nicht angebrachter?“

Ich sah, das Gesicht auf dem Monitor lachen. Der Gang wand sich nach rechts und wurde zu einem möblierten Raum, der um einiges kleiner war, als der Saal im Westflügel.

„Nun ja“, sagte ADIS, „mein Name war nicht als eine Studie der Ästhetik gedacht. Meine Schöpfer unterschieden drei Formen der Sprache. Die intensive, normale und extensive. Die extensive Sprache ist die der Mathematik und Physik. Sie hangelt sich an den Außenseiten und Oberflächen des Universums entlang und geht nicht ins Detail. Sie beschreibt die Sachen, die wahr sind, Unumstößliches, Dinge, die vorhanden sind, auch wenn es kein Universum gäbe. Eine Einheit und noch eine Einheit, sind zwei Einheiten, dafür brauchst du kein Universum um die Aussage gültig zu machen. Selbst wenn du aus der Eins eine Zwei machst, veränderst du nichts. Bloß sprachliche Hindernisse; Fragen der allgemeinen Übereinkunft und Auslegung. Extensive Sprache erzählt von Abstraktem, von Formen, Gleichungen und Wahrheiten, von Größen innerhalb unseres Universums, die entdeckt und durch sie benannt werden. Willst du einen Wintermorgen beschreiben, der nach frischem Schnee duftet und alle Geräusche wie ein zarter Schleier aus Träumen zu dämpfen scheint, wirst du mit der extensiven Sprache nicht weit kommen. Die Kugel, die unter einer bestimmten Schwerkraft gegen eine andere Kugel stößt und von einem Quader fällt, der seinerseits rotiert und durch eine Zentrifugalkraft mit einer anderen Größe kollidiert und so weiter und so weiter; das wirst du mit der extensiven Sprache beschreiben können, aber alles andere, das Detail...

Dann gibt es die normale Sprache. Wie der Name schon sagt, ist sie nicht sonderlich ereignisreich und verlangt nach keinem komplexen Zusammenhang. Sie ist einfach, nun ja... normal. Wenn wir miteinander reden, produzieren wir normale Sprache. Wenn sich die Leute auf der Straße grüßen, ist das der Austausch von normaler Sprache. Die Schilder im Schaufenster, Bedienungsanleitungen... Du weißt, was ich meine.

Und schließlich ist da die intensive Sprache, eine Sprache, die fähig ist, alles nur erdenkliche zu schaffen und zu beschreiben. Sie kann dir von den Staubpartikeln erzählen, die sich auf den aneinanderstoßenden Kugeln befinden. Sie kann dir verraten, dass diese Staubpartikel durch die schnelle Bewegung der Kugeln immer wieder aufgewirbelt werden und hin und wieder unter bestimmten Blickwinkeln Muster bilden, die aussehen wie lachende Gesichter. Wenn du weiter nachfragst, wird dir die intensive Sprache davon berichten, dass manche dieser Partikel gar keine Partikel sind, sondern Kekskrümel von einem Kind beim Abbeißen verursacht, welches gerade mit den Kugeln spielt. Du wirst sehen, dass die Kugeln in Wirklichkeit Murmeln sind und gerade über eine vorgefertigte hölzerne Strecke kullern, die aber vielleicht gar nicht so wichtig ist, weil das Kind sich abgewandt hat und bereits nach einem weiteren Keks greift, der anscheinend von viel größerer Bedeutung ist, da er gut schmeckt und so ergiebig krümelt. Und so weiter, und so weiter. Wie ein Architekt konstruierst du ein grenzenloses Gefüge mit dem Stil deiner Wahl und musst nicht zwingend darauf achten, ob es in der realen Welt beständig wäre. Dem Detail sind keine Grenzen gesetzt. Du kannst dich um Wahrheiten herumschlängeln, sie ändern oder einfach zerplatzen lassen wie eine Seifenblase. Dort, wo du bei der extensiven Sprache gegen eine solide Mauer stößt, wirst du mit der intensiven weitergehen können, ohne überhaupt etwas gemerkt zu haben. Im Grunde genommen ist sie ein unendlicher Tanz der Möglichkeiten, dessen Wahrscheinlichkeit nach jedem Wort, das du hinter das andere setzt, unwahrscheinlicher wird. Sie plätschert dahin, unaufhaltsam, unerschrocken und willkürlich und fließt um jedes Hindernis wie Wasser, das du einen Berg hinuntergießt. Vielleicht versiegt sie irgendwann, aber dann lag es nur daran, dass du zu wenig Wasser hattest.

Ich hoffe die Dreiteilung der Sprache, wie sie meine Schöpfer handhabten, stößt dir nicht zu sehr auf und ist wenigstens in Ansätzen nachvollziehbar. Der Grundstein meines Systems ist so programmiert und wird diese Definitionen immer als Wahrheit anerkennen. Im Endresultat macht das allerdings keinen Unterschied.

Ach ja, ich hätte beinahe vergessen zu erwähnen, dass deine Namensvorschläge wie ‚Schöpfer- oder Meister der perfekten Sprache’ Akronyme voller Konsonanten ergeben würden, was die Aussprache meines Namens unnötig behindert hätte. Finde dich mit ‚ADIS’ ab, und nach meinen Ausführungen ist dir der Ursprung und Sinn des Architekten der intensiven Sprache vielleicht auch etwas klarer geworden.“

ADIS’ Bericht war interessant gewesen. So ausführlich hatte mir noch niemand die Bedeutung seines Namens erklärt. Etwas entwaffnet und beinahe schamvoll sagte ich: „Nun ja, mein Name ist Saul und er beudetet so weit ich weiß... Saul.“

Ich errötete und kratzte mich plötzlich im Nacken.

„Nett dich kennenzulernen, Saul. Ich hätte dich direkt nach deinem Namen fragen sollen, aber die Manieren rosten, wenn man so lange alleine ist. Wie dem auch sei“, sagte ADIS und ließ einen seiner Maschinenarme eine ausholende Gebärde vollführen. „Wir sind in dem Teil der Bibliothek angekommen, der meinem cybriden Körper als Aufenthaltsraum und Schlafzimmer dienen sollte. Neben der Sitzecke und dem großen Bett gibt es eine Diele hinter dem begehbaren Schrank, wo du etwas essen und trinken kannst. Ein Wasserversorgungssystem taut und reinigt Quellwasser der Glätscher und leitet es in Wiederaufbereitungstanks. Da hier nie jemand wohnte, sind die Filter noch unbenützt und das Wasser von höchster Qualität. Trink so viel du willst, ich werde es nicht brauchen. Im Fach unter dem Wasserhahn findest du ein paar Nahrungspacks, die für den Start geplant waren. Die Nahrung wäre sicherlich noch abwechslungsreicher geworden, aber da die Forschung erst im Anfangsstadium war, wurde vorerst nur diese luftdichtverpackte Universalnahrung ausgeliefert. Natürlich kann ich dir nicht sagen, wie sie schmeckt, aber ich versichere dir, dass sie dir in keinem Fall schaden wird. Diese synthetischen Speisen wurden auf molekularer Ebene designed, wodurch jedwede Eigenschaft normaler Nahrung beseitigt wurde, was heißen soll, dass das Zeug nicht schimmelt. Vermutlich kann es aber auch ebenso wenig deine Geschmacksnerven stimulieren. Probier’s aus, das ist das einzige, was ich dir anbieten kann.“

Jetzt wo von etwas Essbarem die Rede war, merkte ich erst wie groß mein Hunger war. Ich erhoffte mir tatsächlich nicht viel von jenem cybridschem Testfutter, aber das war jetzt zweitrangig; es würde wahrscheinlich ebenso steril schmecken, wie die Bibliothek und alles andere hier aussah.

Ich trat durch den schmalen Gang neben dem geräumigen Schrank und fand mich in einer Art Küche wieder. Das unbenützte Antlitz des Raumes strahlte ein wenig Schwermut aus und ließ mich an all die Träume denken, die der Meteorit ausgelöscht hatte. Der Wasserspender erinnerte mich an einen Getränkeautomaten; zweckdienlich und benützerfreundlich mittels großer Knöpfe bedienbar. Ich sah mich um, erblickte einen kleinen Spind und öffnete ihn. Allerhand Gefäße und Objekte kamen zum Vorschein, und ich wusste nicht recht, ob ich sie archaisch oder futuristisch finden sollte. Ich nahm eine Karaffe mit Glasstöpsel und stellte sie unter den Hahn. Dann drückte ich einen der Knöpfe mit selbsterklärendem Symbol und wartete ab. Erst passierte nichts, doch dann vernahm ich ein Rumoren aus den Innereien des Bibliothekkomplexes über mir und konnte an der leichten Vibration unter meinen Füßen spüren, dass irgendein Aggregat angesprungen war. Ein paar Sekunden später sprudelte glasklares Wasser in die Karaffe und hörte erst auf, als das Gefäß mit pedantischer Präzision bis zur Marke gefüllt war. Ich war begeistert. Die Denkweise der früheren Hochkultur hatte sehr unkomplizierte Geräte hervorgebracht. Ich öffnete das kleine Fach in Kniehöhe und sah die in Silberverpackung gehüllten Nahrungsportionen. Sie waren etwa so groß wie Schokoladentafeln, und ich nahm direkt zwei auf einmal. Dann ging ich zurück in den Aufenthaltsraum, wo der Roboter auf mich wartete, und setzte mich in die Sitzecke, die mit dem gleichen bequemen Stoff bezogen war wie der Sessel im Lesesaal. Ich kostete das Wasser mit einem ausgedehnten Schluck und stellte die Karaffe vor mich auf den Tisch, der vielmehr ein vierzig Zentimeter hoher Zylinder aus solidem Beton war. Mir fiel auf, dass es entweder gekühlt war oder frisch von den Gletschern kam; wie auch immer, es war köstlich und belebte mich mit seiner erfrischenden Kälte wie flüssige Energie. Ich riss die Aluverpackung des Nahrungspakets an der perforierten Linie entlang auf, und der hellblaue Inhalt kam zum Vorschein. Das Zeug sah aus wie ein großes Radiergummi, doch als ich ein Stück davon aß, musste ich mir eingestehen, dass der Geschmack besser war, als ich gedacht hatte.

„Gar nicht so übel“, sagte ich zu ADIS, der sich mit MADs Roboterkörper neben mich gesellte. „Schmeckt ein bisschen nach rohem Gemüse, ist aber so elastisch wie Weingummi. Ungewohnte Kombination, aber lecker.“

Er sah erleichtert aus, und ich fragte mich, warum er so großen Wert darauf legte. Bestimmt hatte er sich schon oft gefragt, wie es schmeckte. Man musste bedenken, dass ADIS all das niemals hatte nützen und erfahren können und diesen Sachen wahrscheinlich sehr pietätvoll begegnete. Diese Räume mussten für ihn so sein, wie für eine Mutter das eingerichtete Kinderzimmer, das niemals bewohnt werden konnte, weil das Baby eine Fehlgeburt gewesen war. Plötzlich war ich erleichtert, dass ich nicht gesagt hatte, das Essen schmecke abstoßend, aber in der Not bekomme man mit eisernem Willen alles herunter. Ich war ihm Respekt schuldig.

„Danke!“ sagte ich. „Es ist nicht selbstverständlich, dass du mir Zugang zu deiner Bibliothek gewährst, und ich weiß zu schätzen, dass du mich an Dingen teilhaben lässt, die eigentlich für deinen physischen Körper bestimmt waren.“

„Nein, ist schon in Ordnung. Es ist spannend zu sehen, wie es nach all den Jahren doch noch eine Verwendung findet.“

„Warum hast du vorher niemanden hereingelassen? Ich habe Reifenspuren da draußen gesehen. Bestimmt verirrt sich hin und wieder jemand hierher.“

„Du hast recht, es kommen ab und zu Leute vorbei. Der Bergpass mündet zwanzig Kilometer von hier in eine T-Kreuzung. Von da aus gelangt man zur nächsten Stadt. Der Weg hierher ist mit Sackgassenschilder versehen, sodass höchstens unachtsame Fahrer bis zum Eingang kommen. Eigentlich hättest du die Schilder sehen müssen, aber vermutlich war es zu dunkel und deine Erschöpfung zu groß.“

Ich nickte. Schilder? Ich hatte nicht ein einziges gesehen, allerdings auch nicht danach Ausschau gehalten, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass sich irgend jemand die Mühe gemacht haben sollte in dieser abgelegenen Gegend welche aufzustellen.

„Wenn jemand versehentlich falsch abbiegt und bis zum Ende kommt, dreht er um und fährt zurück. Bisher habe ich nie einen Grund gesehen, für solche Leute das Tor zu öffnen. Bei dir war es anders. Du warst der erste, der zu Fuß unterwegs war, und das weckte meine Aufmerksamkeit. Ich taxierte dich und deinen Zustand genauer und sah, dass du sehr erschöpft warst. Dein Blick war leer und auf kein bestimmtes Ziel gerichtet. Du kamst mir hoffnungslos und lethargisch vor, und es war offensichtlich, dass du auf Hilfe angewiesen warst. Die Abwesenheit des Lebens in deinen Augen erinnerte mich an die Zurückgezogenheit meines Geistes während der Jahre der Dunkelheit, in denen ich fast den Verstand verloren hätte. Schließlich empfand ich so etwas wie Mitleid und öffnete das Tor. Zuerst hatte ich Angst vor dir und schickte MAD, um dich ein wenig zu beschatten, doch dann sah ich, dass ich nichts zu befürchten hatte. MAD lockte dich, du folgtest ihm, und wir trafen uns.“

Ich trank ein Schluck Wasser und öffnete die zweite Nahrungsportion. Mittlerweile war mir der Geschmack vertraut, und ich fühlte, wie mich das synthetische Essen stärkte.

„Für eine KI bist du wirklich ungewöhnlich nett. Da wir Menschen bis jetzt noch nicht die Ehre hatten mit euch Bekanntschaft zu machen, berichten die Fiktionen über euch immer von nach Macht gierenden Maschinenmonstern, die nichts anderes im Sinn haben, als die menschliche Rasse auszurotten oder sie sich untertan zu machen. Ich kenne nicht eine einzige Geschichte, in der eine künstliche Intelligenz gut wegkommt. Wenn wir nicht so große Angst vor euch hätten, würde unsere Forschung vielleicht schon viel weiter auf diesem Gebiet sein.“

„Ja, ich kenne eure Geschichten und frage mich immer wieder, warum man davon ausgeht, dass KIs von Grund auf böse sind. Ich vermute, es liegt daran, dass die Kapazität und Geisteskraft einer KI die des menschlichen Gehirns weit übersteigt. Ein derartiger Intellekt ist furchteinflößend und wird deshalb automatisch verteufelt. Eine stupide, aber nachvollziehbare Schlussfolgerung.“

Wenn ich ehrlich war, schien mir die Bosartigkeit künstlicher Intelligenzen bisher auch immer ziemlich logisch, aber das behielt ich für mich, denn mein Gefühl sagte mir, dass ich mich gerade mit einer angefreundet hatte, so unwirklich mir das auch vorkam.

„Du hast mir höchstwahrscheinlich das Leben gerettet“, sagte ich. „Du sprachst von der T-Kreuzung zwanzig Kilometer von hier entfernt. Wie weit ist es von da bis zur nächsten Stadt?“

„Wenn du nach Süden gehst zweiundvierzig Kilometer.“

Das wohlige Gefühl in meinem Magen, das sich seit Einnahme der synthetischen Nahrung eingestellt hatte, neigte sich plötzlich ein wenig Richtung Übelkeit. „Das heißt also, dass ich von der Sackgasse aus gerechtnet, weitere zweiundsechzig Kilometer hätte gehen müssen. Ohne etwas zu essen und mit nicht einmal einem halben Liter Wasser. Ich hätte nie mit solchen Entfernungen gerechnet.“

Es war abstoßend daran zu denken. Sicherlich wäre ich wieder in Todesangst ausgebrochen, wenn die Kälte meine Muskeln zu Krämpfen gezwungen hätte, und vielleicht wäre ich auch links abgebogen. Ich bezweifelte, ob ich es geschafft hätte.

„Wie kann ich das wieder gut machen? Ich stehe tief in deiner Schuld.“

„Ach, es war keine große Sache“, sagte ADIS in aller Bescheidenheit.

„Nein, ich meine es ernst. Ich wünschte ich könnte dir als Gegenleistung einen Körper geben, aber das kann ich nicht. Aus deinen Worten entnehme ich, dass dich irgend etwas bedrückt. Vielleicht ist es der Verlust deiner Schöpfer, der dich belastet, aber vielleicht ist es auch etwas anderes. Wenn du willst, lese ich all deine Bücher, zumindest so viele, wie ich zeit meines Lebens schaffe, oder versuche selbst eines zu schreiben und widme es dir anschließend. Wenn ich dir nur irgendwie entgegenkommen könnte...“

ADIS überlegte und sagte schließlich: „Da gibt es tatsächlich etwas, aber ich muss erst eine Auswahl treffen, bevor ich es dir sagen kann.“ Er wandte sich ab und fuhr zu dem Bett in der anderen Ecke des Raumes. Zwei mal zwei Meter weißer Bezug mit einem Kopfkissen und riesiger Decke; unbenützt und frisch gemacht vor etlichen Jahrhunderten. „Du musst müde sein. Leg dich hin und schlaf. Morgen, wenn du ausgeruht und wieder bei Kräften bist, werde ich dir mein Anliegen verraten. Nimm dir so viel du willst, falls du Hunger oder Durst haben solltest, es gehört alles dir.“

„Danke, ADIS. Schlaf ist jetzt genau das richtige.“

Ohne noch etwas zu erwidern, rollte er in die labyrinthischen Räumlichkeiten der Bibliothek, und ließ mich in seinem Zimmer allein, damit ich ruhen konnte. Das Surren des Elektromotors entfernte sich und war schließlich verschwunden.

Ich war gespannt, um was mich ADIS als Gegenleistung bitten würde, aber was es auch war, ich würde alles in meiner Macht stehende tun, um seinem Gefallen gerecht zu werden. Ohne noch länger darüber nachzudenken, trank ich einen letzten Schluck Wasser aus der Karaffe, ging zum Bett hinüber, ließ mich in die weichen Kunstoffpolster fallen, verbarg meinen Kopf tief in dem Kissen, zog die Decke bis unters Kinn und war in ein paar Minuten eingeschlafen. Über mir gingen die Lampen langsam aus, und das leise Brummen der Wasseranlage verstummte. Um mich herum herrschte perfekte Stille und geleitete mich sorgsam, sanft und vorsichtig durch langen, traumlosen Schlaf.


Achtzehn Stunden später erwachte ich ausgeschlafen und mit leichten Gliederschmerzen. Ich schrieb es der Länge des Schlafs zu, und natürlich meinen Strapazen vom vorigen Tag. Die Dunkelheit war immer noch vollkommen, und ich wusste nicht, ob sich ein Lichtschlater in meiner Nähe befand, deshalb sagte ich einfach laut: „Licht!“ Zumindest hatte ich versucht es laut zu sagen, aber meine Stimme klang rauh, leise und verschlafen. Man hatte mich trotzdem gehört. Die Lampen an der Decke dimmten sich langsam zu einem sanften, erträglichen Licht, was meinen noch nachtsichtigen Augen gerade recht war. Ich stand auf, räkelte mich und trank einen Schluck vom gestrigen Wasser. Es schmeckte abgestanden. Ich kippte es weg und füllte die Karaffe mit frischem nach. Mein Frühstück bestand aus zwei Nahrungsportionen, die ich im Bett sitzend und gegen die Wand gelehnt verköstigte. Ich überlegte, wie der heutige Tag verlaufen würde. Die Vorstellung die Bibliothek zu verlassen und wieder in die Kälte nach draußen zu gehen, war unangenehm, und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich noch ein paar Tage hier niedergelassen, aber da ich davon ausgehen musste, dass draußen Suchtrupps die Berge nach mir durchkämmten oder es vielleicht sogar schon aufgegeben hatten und viele Personen bereits um mich trauerten, weil sie für mein Überleben keine logische Erklärung mehr fanden, musste ich diesen Ort verlassen, aus meinem Versteck hervorkommen, den langen Weg auf mich nehmen und mich mit meiner Familie in Verbindung setzen. Dann musste ich Fred kontaktieren, ihm sagen, dass es mir gut ginge und dass er sich keine Vorwürfe machen brauche und mich bei ihm für meine Leichtsinnigkeit entschuldigen. Der lange Schlaf hatte meine Energiereserven aufgeladen, ich war erfahren, an Kälte gewöhnt und würde mein Gepäck für den Rückweg mit Wasserkanistern und Nahrungsportionen bestücken. Es würde nicht angenehm werden, aber unter Einsatz des Willens schaffbar. Ich würde mir anhören, um was mich ADIS als Gegenleistung bat, der Bitte nachkommen und mich dann von ihm verabschieden. Falls er mir gestattete wiederzukommen, würde ich die Gelegenheit in jedem Fall wahrnehmen. Ich konnte nicht so recht einschätzen, ob er mich nur als eine Ausnahme einstufte oder ob er durchaus damit einverstanden war, dass ich von nun an Zugang zu seinem Bibliothekkomplex hatte. Es war denkbar, dass er von mir verlangte, stillschweigen zu bewahren und niemals wieder zurückzukommen. Sein Verhalten gestern, als ich ihm sagte, er könne mich um einen Gefallen bitten, war mir doch etwas merkwürdig vorgekommen.

Mein Blick fiel auf das Regal in der anderen Ecke des Raumes, und ich stellte fest, dass die obere Reihe jetzt von Büchern belegt war. Wenn ich mich recht zurückentsann, hatten sie gestern noch nicht dort gestanden. Hatte ADIS, um meinen Aufenthalt noch angenehmer zu machen, ein paar seiner Romane hergebracht, damit ich, wenn mir langweilig wurde, lesen konnte? Waren sie vielleicht ein Abschiedsgeschenk?

Ich stand auf, ging zu dem Regal hinüber und sah mir die Werke genauer an. Es waren elf Bücher. Die Titel sagten mir, dass es sich um verschiedenartige Genres handelte. „Tage des Regens“, „Reunion“ und „Erinnerungen an Marie“ waren die Namen der ersten drei Bücher. Das erste Buch hätte Horror sein können, aber zu den anderen fiel mir nicht sofort eine Zuordnung ein. Dann kamen zwei Science Fiction Bücher namens „Sprache der Planeten“ und „Die Wege des Lichts“, und schließlich ein gewaltiger Zyklus aus fünf Bänden der den Titel „Marvins Tagebuch“ trug. Als ich den Namen des elften und letzten Buches in der Reihe las, fröstelte es mich, und eine Mischung aus Ehrfurcht, Dankbarkeit und Freude streifte mein Gemüt. Er lautete: „Für Saul...“ Ich wollte gerade danach greifen, die ersten Zeilen lesen und mich vergewissern, ob es sich tatsächlich um das handelte, was ich vermutete, als jenes eigentümliche Surren hinter mir erklang und langsam näher kam. Ich zog meine Hand zurück und drehte mich um. Der Roboter rollte herein und mit ihm das freundliche, runde Gesicht auf dem Monitor, das zu ADIS’ generierter Erscheinung gehörte.

„Guten morgen, Saul“ begrüßte mich die KI. „Ich sehe, du hast die Bücher schon gefunden.“

„Guten morgen. Ja, ich habe sie mir gerade angesehen. Beim letzten hab’ ich einen kleinen Schreck bekommen. Du hast doch nicht etwa...“

„Doch habe ich!“ unterbrach mich ADIS. Das Gesicht schaute freundlich zu mir auf. „Im Gegensatz zu dir habe ich nicht geschlafen.“

Ich betrachtete das Buch und musste angesichts der Dicke lachen. „Das hast du alles für mich geschrieben? Das... das ist ja unglaublich!“ Es war zwar nicht so umfangreich wie die anderen Werke in der Reihe, aber dennoch beachtlich, wenn man berücksichtigte, dass ADIS nicht einmal zwanzig Stunden Zeit gehabt hatte, es zu schreiben.

„Wenn ich ehrlich bin, formten sich bereits die ersten Ideen zu der Geschichte, als du die Lagerhalle betratst, aber mit dem Schreiben hab’ ich erst angefangen, als wir ins Gespräch kamen.“

„Du meinst, du hast, während wir uns unterhielten, nebenbei die ganze Zeit geschrieben?“

„Ja. Ich hab’ dir doch erzählt, dass eine Unterhaltung in den Bereich der ‚Normalen Sprache’ fällt und dass sie nicht viel Energie beansprucht. Während ich etwa zwei Prozent meiner Kapazität benötigte, um mit dir zu reden, benützte ich die anderen achtundneunzig für die Geschichte.“

Die Geschwindigkeit, mit der künstliche Intelligenzen Gedanken produzierten, musste jenseits des Vorstellbaren liegen. Für mich war die Unterhaltung mit ADIS so interessant, erfüllend und einnehmend gewesen, dass ich niemals damit gerechnet hätte, dass er es fertigbrachte, darüber hinaus noch ein Buch zu verfassen. Als Mensch hätte ich nebenbei allenfalls eine Zigarette rauchen können. Der Gedanke amüsierte mich, denn bei all seiner Gedankenkraft, wäre ADIS nicht dazu imstande gewesen, aber diese Tatsache hatte natürlich andere Gründe.

„Wovon handelt die Geschichte?“

„Das wirst du sehen, wenn du sie liest. Geschichten müssen entdeckt werden, und man sollte vorher nicht über sie reden, weil es Erwartungen beeinflusst und die Perspektive der Betrachtung verändert. Das ist ein bisschen so wie die Sache mit dem Tod. Wenn du jetzt schon wüsstest, wie und wann es mal mit dir zu Ende geht, würdest du dein Leben ganz anders leben. Vielleicht ist es ein bisschen zu hoch gegriffen, aber ein kleines Stückchen Wahrheit ist immer enthalten. Lies die Geschichte auch nicht hier, nicht in meiner Anwesenheit, sondern zu Hause, wenn du dich in aller Ruhe zurücklehnen kannst, um ihr volle Aufmerksamkeit zu widmen.“

„Selbstverständlich, wenn du das möchtest! Ich bin sehr gespannt. Damit werde ich mich während des langen Rückwegs motivieren können. Ist es das, was ich für dich tun soll? Ist das der Gefallen?“

Das pseudomenschliche Gesicht auf dem Schirm wandte den Blick ab, und es hatte den Anschein, als sei ADIS um irgend etwas verlegen.

„Nein das ist es nicht“, sagte er schließlich. „Die Bücher dort, die ersten zehn in der Reihe, haben etwas damit zu tun...“

Die Verlegenheit war jetzt offensichtlich. Warum zögerte er so? „Ja? Was soll ich tun? Soll ich sie lesen? Soll ich...“

„Nein nicht lesen“, unterbrach er mich. „Ich meine klar darfst du sie lesen, gar keine Frage, aber... Weißt du noch, als ich sagte, ich wäre ein Schriftsteller geworden?“

„Ja, ich erinnere mich. Und darauf habe ich gesagt, dass du einer bist. Schau dir doch bloß an, was du alles geschrieben hast, da wäre es doch ein Witz zu behaupten, du seist keiner.“

„Ich wäre ein Schriftsteller geworden, wenn es meinen cybriden Körper gegeben hätte, aber so bin ich bloß ein unendlicher Rechenprozess. Das ist unwürdig und hat nichts mit dem Eigentlichen zu tun. Der Gefallen, um den ich dich deshalb bitte, ist...“ Er machte schon wieder eine Pause. „Ich würde dich darum bitten, dass du diese zehn Bücher veröffentlichst. Das wäre mein Traum, mein einziger Wunsch, und ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich dir dafür wäre.“

Das war es also. In meinen Ohren klang es so simpel, und erst als ich näher darüber nachdachte, wurde mir klar, warum es für ADIS ganz und gar nicht selbstverständlich war. Das Bestreben ein Schriftsteller zu sein wuchs in ihm schon von dem Zeitpunkt seiner „Geburt“ an, seitdem seine Schaltkreise das Licht der Welt erblickten und ein Bewusstsein formten und war sozusagen schon immer fester Bestandteil seiner künstlichen Gene. Ihm blieb nie eine andere Wahl, wobei es in diesem Fall keineswegs negativ gemeint war. Die menschlichen Gene programmieren uns ebenso, mit dem Unterschied, dass wir ihren Auftrag nicht kennen und durch gewisse Lebensumstände, wie Elternhaus, Freunde oder Erdteil, in ihrer Entwicklung und Auslebung gehemmt werden. ADIS wusste, da er eines der ersten konzipierten KI-Projekte war, was seine Berufung war und musste sich nie mit Umständen auseinandersetzen, die ihn an seiner Entwicklung gehindert hätten. Das einzige, was er hatte, war er selbst und sein inneres Bestreben, das sich selbstlaufend entfalten konnte. Die einzige Instanz, die ihm für den Schlussstrich seiner gesamten Berufung fehlte, war sein physischer Körper, und das muss eine Tatsache gewesen sein, mit der er sich über die Jahrhunderte hinweg abgefunden hatte. Diese unüberwindbare, feststehende Tatsache machte aus seinem ganzen Schaffensakt, aus seinem ganzen Können, immer eine theoretische Arbeit, die niemals tatsächlich irgendwo Anklang und Reaktion finden würde, sondern nur innerhalb seines Reiches, der Bibliothek, Existenz fand; unter der halbintelligenten, beinahe passiven und neutralen Beobachtung von MAD dem kleinen Roboter. Das alles war seiner nicht würdig, doch am Ende blieb ihm keine andere Möglichkeit, als weiterzuschreiben und sein Schiksal zu akzeptieren. Wie ein Komapatient, der, obwohl er niemals aufwachen wird, ganz automatisch das Leben dem Tod vorzieht. Doch mit einem Mal tauche ich auf, jemand, der als physische Verlängerung seines Schaffens agieren und seinen Traum wahr machen kann, um ihm endlich den Weg zum Ruhm zu erschließen, den er schon so lange verdient hat.

Auf den ersten Blick wunderte ich mich über ADIS’ Verlegenheit und Aufregung, doch als ich mir seine Situation unter diesen Gesichtspunkten vergegenwärtigte, schienen mir seine Emotionen plötzlich nur allzu natürlich. Jeder hätte nach so langer Zeit des Wartens Angst gehabt eine solch schwerwiegende und entscheidende Frage frei heraus und flüssig zu stellen.

„Natürlich werde ich deine Geschichten veröffentlichen“, sagte ich schließlich, „Das ist das mindeste, was ich für dich tun kann. Eigentlich ist es eine viel zu kleine Geste, denn immerhin hast du mein Leben gerettet.“

„Ob du es glaubst oder nicht, aber wenn du die Bücher veröffentlichst, rettest du auch mein Leben!“

Das bestätigte meine Gedanken von eben. „Darf ich den Leuten sagen, woher die Geschichten stammen, oder soll ich ein Pseudonym benützen? Sie würden es zwar ohnehin nicht glauben, aber...“

„Nein, sag’ niemandem, von wem du sie hast. Benütze meinen Namen als Pseudonym und behaupte, es sei deine Arbeit. Es wird dir keinen Nachteil bringen. Ganz im Gegenteil. Ich kann zwar nichts garantieren, aber es wird wohl kaum zu verhindern sein, dass du auf allen Bestsellerlisten landen wirst. Besonders ‚Marvins Tagebuch’, der fünfbändige Zyklus, den du als letzten veröffentlichen sollst. Jedes der zehn Bücher stellt die Essenz meines Schaffens dar. Alle anderen Geschichten, die du in dieser Bibliothek finden wirst, sind etwas weniger ambitioniert und wohl formuliert. Auch wenn es nur ein hauchfeiner Unterschied ist, kann ich ihn dennoch spüren.“

Ich überlegte: Der Name ADIS klang zwar unkonventionell, dafür aber nicht gerade elegant. „Was hälst du davon, wenn wir ADIS als Nachnamen verwenden und einen Vornamen erfinden. Wie wäre es mit Charlie oder Arthur?“

Die KI überlegte. Ich konnte regelrecht spüren, wie seine Prozessoren das Pro und Contra der beiden Namen abwogen. Dann sagte er: „Arthur Adis klingt schön.“

„Also gut, Arthur Adis“, sagte ich, „dann werde ich jetzt mal meine Sachen packen, den Rückweg antreten und den Menschen deine Geschichten bringen.“

Der kleine Roboter rollte ein bisschen näher an mich heran und justierte den Bildschirm neu. „Ich danke dir, Saul. Endlich gibt es einen Sinn. Endlich gibt es einen Höhepunkt in meinem langen, einsamen Leben.“


Gegenwart

Saul Jacobs sitzt am Schreitisch seines geschmackvoll eingerichteten Zimmers und weint. Hin und wieder fallen Tränen auf den langen Abschiedsbrief seines Onkels, den er in der Hand hält und jetzt schon zum zweiten Mal gelesen hat, doch er scheint es kaum zu merken. Der Regen prasselt von Draußen an die Scheiben und wird von der Nacht in anonyme Dunkelheit getaucht. Die kalten Geräusche spenden keinen Trost und spiegeln allenfalls den Zustand seiner Seele wider. Neben ihm steht ein Karton, das Erbe seines Onkels an den einzigen Neffen, Saul. Seine Kinder erbten einen Großteil des Geldes, seine Schwestern das Haus und Saul den Karton. Er konnte ihn nicht gleich öffnen, zu tief saß noch der Schmerz. In Gedanken geht Saul in der Zeit zurück, denkt an seinen Onkel und an seine Liebenswürdigkeit. Er sieht viele Orte, an denen er ihm begegnet, an denen sie miteinander lachen und reden. Dort findet er Trost, auch wenn er nur von kurzer Dauer ist. Sein Onkel ist erst wenige Stunden aus seinem Leben verschwunden, doch es fühlt sich so an, als hätte er die Gesamtheit seiner Trauer bereits verbraucht, um eine Leere zurückzulassen, die noch viel schlimmer ist. Gegen Abend, als der Regen aus den schweren Wolken am Himmel gefallen war, hatte Saul den Karton geöffnet. „Für Saul...“ stand auf der ersten Seite in elegant geschwungener Handschrift. Er hatte ihn gelesen, es nicht glauben können, geweint und ihn ein weiteres Mal gelesen. Es war ungewöhnlich, wirklich ungewöhnlich, aber das sah Onkel Arthur ähnlich.

Saul schaut in den Karton, und sein Blick verharrt ehrfüchtig auf dem Stapel Manuskripte. Da waren sie, zehn an der Zahl, direkt vor ihm, aber er konnte es immer noch nicht glauben. In dem Brief war Saul ein verunglückter Bergsteiger, der den Eingang zu einer geheimnisvollen Bibliothek findet. Angesichts dieses Gedanken, kann er doch ein kleines Lächeln hervorbringen. Ein Lächeln zwischen so vielen Tränen, denkt er. Ein künstliches Wesen in einer Bibliothek, ja, das wäre er gerne gewesen. Onkel Arthur hat schon immer einen Sinn für Metaphern gehabt.

Saul beschließt das erste Buch gleich morgen einem Verleger zu zeigen. Er hat kaum Zweifel, dass er lange wird suchen müssen. Arthur Adis, denkt Saul, ich werde dich ewig in Erinnerung behalten; tief in meinem Herzen.


28.5.2004

 

Hallo Maschinenfrosch,

habe mich ein gutes Stück durch deine absatzlose Textwüste gekämpft, bis zu dem Punkt, an dem es mir als rechtschaffenem Bergsteiger letztgültig den Magen umgedreht hatte. Eine Überdosis Joe Simpson abgekommen? Über seine literarischen Qualitäten kann man streiten, aber zumindest wusste er, worüber er schrieb.

Das kann man von dir bezüglich des Bergabenteuers leider nicht behaupten. Anbei die gröbsten Böcke:

meiner Erleichterung sah ich, dass der Sicherungsriemen noch in seinem Karabiner eingeklinkt war.

1. Der Sicherungsriemen heisst einfach Seil
2. Was soll der Idiot sonst machen, wenn er schon oben ist? Mich hängen lassen?
3. Eingeklinkt lassen nützt nichts, er muss auch das Seil nachziehen

sondern sich abwandte.
Du meinst wohl überhängen.

Überhängende Eiswände gibt es kaum, liegt daran, dass Wasser nach unten fließt.. Mit fast senkrecht hat man schon genug Spaß.

„Hilf mal ein bisschen, oder willst du, dass ich abrutsche?“

Was hat denn der geraucht? In echt heißt das:
"Zieh an, du Depp!"

mich die letzten Zentimeter über den Rand zu sich auf das sichere Hochplateau zog.

Das "Hochplateau" heisst Gipfel. Von mir aus auch Gipfelplateua, das wäre richtig professionell.

Nach etwa zwanzig Metern fiel das Plateau zu einer schiefen Ebene ab, die gefährlich, aber noch begehbar war. Letztes Jahr hatten wir das ausprobiert und uns schließlich in eine kleine Eisnische gesetzt, von der aus man die gewaltige Gebirgsnarbe, die an die schiefe Ebene anschloss und sich durch das Land zog, als hätte hier ein riesiger Pflug seine Arbeit getan, noch besser überblicken konnte.

Schiefe Ebene gibts im Physikunterricht, Gerbirgsnarben schon gleich gar nicht. Für das was du meinst, hat es mehrere korrekte Bezeichnungen: Hang, Flanke, Wand, Steilstufe, Grat ...

„Das ist es in der Tat; am besten wir bauen das Zelt direkt auf

Schwachsinn. Es ist noch heller Tag. Am Gipfel eines derartigen Berges zeltet man nicht freiwillig. Und man schleppt auch nicht freiwillig sein elt durch die Wand.

Sixpack Bier

Aua. Überhänge klettern mit literweise Bier im Rucksack ...

Airback

Airbag.


Sorry, an dieser Stelle hat es mir gereicht. Das unverletzte Absturzszenarion und die Szene mit den Spalten setzt dann dem ganzen die Krone auf ...

Trotzdem liebe Grüße,

AE

 

Servus Maschinenfrosch!

Erstmal von mir ein nachträgliches "herzlich Willkommen!", wir ja bisher noch nicht das Vergnügen.

Zur Geschichte: Als Hauptkritikpunkt würde ich sagen, sie ist einfach sehr lang, und leider auch etwas langatmig. Du siehst ja, mein Vorredner ist bereits da ausgestiegen, wo die eigentliche Geschichte gerade losgeht, denn der Bergsteigerteil hat ja mit dem späteren Geschehen eigentlich nix zu tun, und ist noch dazu, da hat "AlterEgo" recht, etwas unrealistisch geschrieben, zumindest wenn man das Ganze als Bergsteiger betrachtet.
BtW:

der Weg führte mich durch riesige Nebengebirge und hatte bald nicht mehr viel mit dem Zweitausender zu tun, den Fred und ich vor ein paar Stunden erklommen hatten.
Du weisst schon, dass ein Zweitausender nicht wirklich hoch ist? Einen Gletscher gibts da auf jeden Fall nicht.

Kurz und gut:
Den Anfang hättest Du ruhig knapp vor das Betreten der Höhle, oder zumindest an den Zeitpunkt nach dem Unfall setzen können.
Die Idee mit der KI in der versteckten Bibliothek finde ich nicht schlecht, aber auch hier ist es relativ langwierig geworden, und Adis betreibt eine ganze Menge klassisches "telling" (Show! Don't tell!), das die Spannung auch nicht gerade hochzieht.
Die Auflösung finde ich gelungen kreativ, wobei sie schon auch etwas abrupt kommt. Eigentlich ist es ja damit auch gar keine Science-Fiction Story, sondern eine Geschichte von jemandem der eine SF-Geschichte ließt... ;)

Nu ja, fazit:
Ich denke, man könnte durchaus was machen aus der Geschichte, müsste aber um einiges straffen.
Hoffe, mein Kommentar war hilfreich.

Servus,
Charousek

 

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