Für meinen großen Bruder
In den 60er Jahren konnten mein Bruder Wolfgang und ich uns nicht besonders leiden und wir waren selten einer Meinung.
Uns trennte halt der Altersunterschied von 4 Jahren.
Während ich zum Beispiel aus unserem Neckermann-Musikschrank noch die altmodischen Schlager von
Mama und Papa dudeln ließ, liebte er schon Rock und Popp.
Unsere Eltern schimpften ihn: "Dieses laute Geschrei von den Langhaarigen, das ist doch furchtbar. Nimm Dir ein Beispiel
an der Kleinen. Die wirft auch ihre 2 DM Taschengeld nicht raus für Kaugummis und MickyMaushefte, sondern sie steckt
alles brav in die Sparbüchse.
Ich hab mich oft gezankt mit meinem Bruder, aber daß ich ihm so als Vorbild vor die Nase gesetzt wurde,
gefiel mir garnicht und das wollt ich ihm auch zeigen.
Eines Tages als er wiedermal die Bravo las, ging ich rüber zu ihm, linste über seine Schulter und
betrachtete die bunten Fotos der Stars. Er blätterte langsam und blätterte -
Da schnellte meine Hand nach vorn und ich deutete auf einen blonden Langhaarigen.
"Den find ich klasse!", polterte ich heraus, "Und zu Weihnachten wünsch ich mir die Schallplatte "Dear Mrs. Applebee".
Wolfgang hob kaum merklich den Kopf, sagte kein Wort, schnalzte nur leis mit seinem Kaugummi.
Am nächsten Morgen erwachte ich mit Uhu-Geruch in meiner Nase. An meiner Nachttischlampe lehnte ein Pappdeckel.
Darauf hatte er fein säuberlich das Poster von David Garrick geklebt. Noch nie zuvor hatte mein Bruder sich für mich
so angestrengt. Ich war mächtig beeindruckt und mehr noch -
Zu Weihnachten bekam ich von ihm meine Schallplatte und er von mir zwei Fix und Foxi-Hefte.
Denn ich, seine kleine Schwester hatte bemerkt, daß er diese Comics viel lustiger fand, als die doofe MickyMaus.
Und darüber waren wir Zwei endlich mal 100% einer Meinung.