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Für Lisa
Für Lisa
Wenn man Menschen beobachtet, schreiben sich in den Köpfen die schönsten Geschichten. Bewegungen kann man deuten, beeinflusst vom eigenen Tagesgefühl.
Das langsame Gehen einer Schülerin, die ein Problem mit sich herumträgt, das niemand kennt. Die lachenden Augen einer schwangeren Frau, für die es nur noch sich und ihr <a href="http://www.ntsearch.com/search.php?q=Baby&v=52&src=zon">Baby</a> gibt. Die Stimme, mal laut, mal leise flüsternd.
Lachen. Weinen.
Ich beobachte viele Menschen jeden Tag.
Lisa sehe ich immer im Bus. Nicht jeden Tag, aber regelmäßig und sie sieht mich auch.
Ich kenne ihren richtigen Namen nicht, ich weiß gar nichts über sie und doch erzählt sie mir jedes Mal mehr von ihrer Geschichte.
Das erste Mal begegneten sich unsere Blicke vor zwei Jahren. Sie hat grüne Augen. Sie lächelte mich an, mit ihrer Brötchentüte unter dem Arm, so dass man ihren schlichten Ehering sah.
"Gerade frisch verheiratet," dachte ich mir und begann mir ihre Geschichte zu erzählen. Ich nannte sie Lisa. Sofort sah ich ihren Ehemann vor mir. Etwas älter als sie, aber nicht wesentlich. Dunkle Haare hat er und einen Blick, mit dem er sie zum schmelzen bringen kann. Er trägt sie auf Händen durch ihre kleine Welt. Manchmal ist er vor ihr zu Hause und überrascht sie mit seinen Kochkünsten. Nicht selten verführt er sie damit.
"Lisa lacht nicht mehr ganz so oft", stelle ich nach einigen Monaten fest. Ihre Augen, die mich immer faszinierten, sehe ich kaum noch, seit sie beim Einsteigen in den Bus den Blick nach unten richtet. "Der Alltag", denke ich mir und sehe aus dem Busfenster. Die Überraschungen haben sich in tödliche
Gewohnheit verwandelt.
Das Lächeln trägt Lisa jetzt gar nicht mehr, wenn sie den Bus betritt, dafür aber einen blauen Fleck auf der Wange, der am Vortag noch grün gewesen war.
"Wie konnte er das nur tun?", ich bin fassungslos. Er hat Lisa geschlagen. Der liebenswerte Mann ist zu einem Monster geworden. Fort sind die dunklen Haare und der Zauberblick in meiner Vorstellung. Zurück bleiben kalte Augen und ein ausdrucksloses Gesicht.
Einige Zeit später sah ich Lisa mit einer Sonnenbrille. Ihre Haare, die einmal blond glänzten, hingen stumpf an ihr herab und die Brötchentüte, die so charakteristisch für sie war, fehlte. Statt dessen sah ich nur ihren Ehering, der sie so belastete.
Vielleicht hätte ich in dem naiven Glauben bleiben können, es sei nichts passiert, wenn nicht gerade Winter gewesen wäre. So wusste ich es natürlich besser.
Heute habe ich Lisa wieder gesehen. Sie lächelte mich an, wie bei unserer ersten Begegnung. Ihre Haare waren immer noch stumpf, aber ihre Augen glänzten.
Sie trägt ihre Brötchentüte wieder unter dem Arm und als ich auf ihre Hand sehe, bemerke ich, dass der Ehering fehlt.
Lisa fährt drei Stationen mit dem Bus und als sie aussteigt verspreche ich ihr stumm, ihre Geschichte aufzuschreiben.