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Fünfmal

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16.05.2012
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Fünfmal

Tick-Tack. Tick-Tack. Tick-Tack. Tick-Tack. Tick-Tack. Fünfmal. Die Tür fällt ins Schloss. Routine. Fünfmal. Zittern am ganzen Körper. Tränen, die sich einen Weg nach unten bahnen um schließlich auf der nackten Haut zur Ruhe zu kommen. Dieser nicht auszuhaltende Schmerz – und immer wieder dieses grauenvolle Ticken. Tick-Tack. Tick-Tack.

Wind, der um ihre Ohren streift. Sie zieht sich ihren Schal bis unter die Nase und haucht hinein. Der Pfefferminzatem lässt ihre Augen tränen. Scheiß Kaugummis. Schon zum vierten Mal heute wird sie angerempelt. Eine Eigenschaft, die Bahnhöfe nun mal so an sich haben. Ein Blick auf die Uhr verrät ihr, dass ihr Zug eigentlich bereits da sein müsste. Sie lässt ihre Augen umherschweifen. Herzstillstand. Soeben hat sie einen ziemlich gut aussehenden Typen erblickt, der einige Meter vor ihr steht und mit seinem Handy beschäftigt ist. Als würde er ihren Bick spüren, sieht er zu ihr auf und lächelt sie an. Verlegen wendet sie sich ab. Hin- und hergerissen. Ihr Verstand fängt an, mit ihrem Herzen zu diskutieren.
Verstand: „Er ist mindestens zehn Jahre älter!“
Herz: „Aber er sieht so gut aus. Viel reifer, als die Jungs aus der Schule.“

Total durcheinander steigt sie in den Zug ein, der mittlerweile vorgefahren ist. Sie geht schnurstracks auf einen freien Sitzplatz zu und lässt sich in das weiche Polster sinken. Sie ertappt sich dabei, wie sie nach ihm Ausschau hält. Am Ende des Ganges, an den Stufen zum oberen Abteil, sieht sie ihn, wie er in ihren Waggonteil starrt, als suche er jemanden. Dann, auf einmal, ist er verschwunden. Einige Zeit vergeht, bis er wieder in ihrem Blickfeld auftaucht, die Stufen hinunterkommt und auf sie zusteuert. Enttäuschung, als er an ihr vorbei geht und erneut verschwindet. Die restliche Zugfahrt zieht sich wie Kaugummi. Als der Zug dann endlich am gewünschten Ziel ankommt, ist sie froh, die kühle Abendluft einatmen zu können. Um spätestens 21 Uhr ist sie wieder zuhause, hatte sie ihren Eltern gesagt. Es ist erst 20 Uhr.
Urplötzlich steht der Mann, der sie angelächelt hatte vor ihr und sieht auf ihre zierliche Gestalt hinab.

„Hey.“ Ihr Puls beschleunigt sich und sie ist verblüfft, dass sie überhaupt etwas herausbekommt.
„Du beobachtest mich schon eine ganze Weile, hab ich Recht?“ Seine weiche und zugleich tiefe Stimme verursacht ein Kribbeln in ihrem Bauch.
„Ist das so offensichtlich?“
„Und ob.“ Er fängt an bis über beide Ohren zu grinsen.
„Entschuldige.“
„Ich heiße Nick, und du?“
„Franzi.“
„Freut mich. Darf ich dich ein Stück begleiten?“
„Gerne.“
„Du siehst noch jung aus. Wie alt bist du?“

In ihrem Kopf rattert es. Wenn sie ihm jetzt die Wahrheit sagt, ist wer weg. Dann schummelt sie sich eben zwei Jahre dazu. Äußerlich wird es ihm nicht auffallen, da ist sie sich sicher.

„Sechszehn.“
„Wie?“ Ihr kurzes Zögern hat ihn irritiert.
„Ich bin sechszehn.“
„Ich bin fünfundzwanzig.“ Da hatte sie eben mit den zehn Jahren also gar nicht so schlecht geschätzt.

Es kommt, wie es in schlechten Filmen häufig passiert. Sie geht mit zu ihm, freiwillig, schläft in seinem Bett. Nun ist sie eine Gefangene ihrer eigenen Dummheit.

Du hast es selbst zu verantworten. Du bist nichts, als ein kleines, naives Kind, das vergebens nach Abenteuern sucht. Du musst aufhören, in jedem das Gute zu sehen, Franzi. Nun ist es deine Schuld. Deine. Deine. Deine. Das Echo hallt in ihren Ohren wider. Was wäre, wenn…? Die Frage haftet an ihr wie eine Zecke. Was wäre, wenn sie nicht mit ihm gegangen wäre, sondern auf ihren Verstand gehört hätte? Dann würde sie sich jetzt in Sicherheit wissen. Sie gäbe alles, nur um ihre Mutter für einen kurzen Augenblick in ihren Armen halten zu können und von ihr zu hören, dass alles wieder gut werde. Doch sie ließ sich täuschen.

Sie hat aufgehört, die Tage zu zählen, die sie schon in seiner Gewalt verbracht hat. Jegliches Zeitgefühl ist verloren. Sind es Wochen, oder gar Monate? Gerade ist es wieder passiert. Ihr Körper fühlt sich an, als würde er vor Schmerz zerspringen. Er lässt von ihr ab. Tick-Tack. Tick-Tack. Tick-Tack. Tick-Tack. Tick-Tack. Fünfmal. Die Tür fällt ins Schloss. Routine. Fünfmal. Und immer wieder dieses grauenvolle Ticken. Tick-Tack. Tick-Tack.

 

Hallo KGAusMeinerFeder,

An sich gefällt mir dein Text sehr. Die schlimmsten Ängste jeder Mutter, aus der rückblickenden Sicht eines naiven Mädchens dargestellt, das jetzt ihre Gutgläubigkeit bereut.

Ich bin über ein paar Sachen gestolpert beim lesen:

1. Die Form: Es störte mich sehr, dass der größte Teil deines Textes kursiv geschrieben ist. Es hebt zwar gut den Situationswechsel heraus, aber ich musste mich etwas antreiben, weiter zu lesen.

2. Der Aufbau: Dein Text fängt an mit der kurzen Beschreibung einer Gefangenschaft, geht dann über in die Gedankenwelt eines Mädchens, und endet mit der "Auflösung", also wie Einleitung und Hauptteil zusammenpassen. Ich fand du hast den Sprung von der Gegenwart in die Vergangenheit nicht gut gezeigt, dieser hat mir ein wenig gefehlt. Es kam mir vor als wolltest du eine Kurzgeschichte innerhalb der Geschichte anfangen, nach ein paar Sätzten merkte ich erst dass es überhaupt die Gedanken der Gefangenen sind, die du Aufzeigst. Ich habe auch nicht ganz verstanden, was du mir mit dem Ticken sagen wolltest, es passte nicht ganz zu deiner Gesamterzählung. Ich hatte auf eine Erklärung gehofft, da die Einleitung auf das, als grauenvoll geschilderte, "Tick-Tack" aufbaut. Wenn du die Angst und die Auswegslosigkeit des Mädchen darstellen willst, könntest du ja die Situation bildnerischer darstellen, das war mir zu wenig.

3. Der Wendepunkt

Es kommt, wie es kommen musste. Sie geht mit zu ihm, freiwillig, schläft in seinem Bett. Nun ist sie eine Gefangene ihrer eigenen Dummheit.

Dieser Satz war ein wenig enttäuschend, ich hatte auf Spannung gehofft. Außerdem, warum kam es wie es kommen musste? Eine vierzehnjährige springt mit einem völlig fremden fünfundzwanzigjärigen ins Bett, das ist nicht besonders warscheinlich. Wenn dein saddistischer junger Mann ein Überredungskünstler ist und vielleicht das kleine Mädchen ein völliges Flittchen ist, kannst du das ja genauer darstellen, vielleicht sogar die Gutgläubigkeit des Mädchens zeigen durch einen Dialog. Haben die zwei überhaupt Sex zusammen? War dieser Mann gut im austricksen von kleinen Mädchen, bzw. war er ein Serientäter? man kann ihm ja Attribute hinzusetzen, die einem Pädophilen gleichen, oder dem typischen Pädophile völlig entgegenstehen. Es klafft eine riesige Schlucht zwischen den zwei Textabchnitten. mich persönlich würde es interessieren, wann deine Protagonistin von der andere Seite des Mannes erfährt. Food for thought!

Ein großes Kompliment an deinem Schreibstil, es lässt sich alles gut lesen, bis auf das kursive, wie gesagt. Dass den Kaugummi als realen Gegenstand und metaphorischen in derselben Situation aufzeigst, fand ich super! Das ganze habe ich interpretiert als Kritik an die verträumte, perfekte Liebessituation, die sehr oft mit übertriebener Idylle In Jugenderzählungen vorkommt, ist da was dran?

Gruß, TomSlein

 

Hallo KGAusMeinerFeder,

Ich finde, dass dir die Geschichte über das naive Mädchen, das durch seine Faszination für den jungen Mann in dessen Fänge gerät, sehr gut gelungen ist.
Nur der kursiv geschriebene Teil hat mich ein bisschen gestört, denn eine kursive Schrift benutzt man normalerweise, um eine kurze, wichtige Textstelle oder nur einzelne Worte hervorzuheben, deine Gschichte ist aber zum größten Teil kursiv geschrieben.
Inhaltlich fand ich die Gschichte aber sehr schön. Die Protagonistin wünscht sich einen Freund, der stark ist und auf sie aufpasst. Sie hat eine Traumvorsellung vom perfekten Freund und in dieses Bild passen die Jungen in ihrem Alter nicht. Als Nick auf sie zukommt und ein Gespräch mit ihr anfängt, scheinen all ihre Träume in Erfüllung zu gehen. Er ist genau wie sie es sich gewünscht hat. Franzi klammert sich schon fast verzweifelt an ihren Traum vom perfekten Freund. Sie hat Hoffnung, ihn in Nick gefunden zu haben und geht ohne nachzudenken mit ihm mit, was sich als Fehler herausstellt.
Der Wendepunkt kommt sehr unerwartet und plötzlich, du beschreibst das Geschehen nicht näher aber gerade das gefällt mir sehr gut. So kann sich jeder selbst vorstellen, wie es im Inneren von Nick aussieht und der plötzliche Wendepunkt durchbricht die vorher so schöne, harmonische Atmosphäre zwischen Franzi und Nick. Das verdeutlicht Franzis Gefühle, denn plötzlich wird aus dem netten, hübschen Nick ein Verbrecher, der sie bei sich gefangen hält.
Deine Geschichte regt zum Nachdenken an. Sie zeigt, dass in Jedem eine gute und eine böse Seite steckt und das Mädchenträume durch Naivität und falsche Hoffnungen schnell in einer Katastrophe enden können.

Viele Grüße von Windrose

 

Danke TomSlein und Windrose für die Kommentare.
Tom: Das mit dem kursiven habe ich behoben, deine Nummer 3 (Der Wendepunkt) werde ich noch ändern.
Nun zum Ticken. Ich finde, es geht eigentlich klar aus der Geschichte heraus, was das Tick-Tack bedeutet. Jeden Tag um die selbe Uhrzeit kommt er zu ihr & verschwindet wieder. Nach dem fünften Tick-Tack schlägt er die Haustür zu.
Windrose: Vielen Dank für die durchaus positive Bewertung. Das Kursive habe ich geändert, hoffe es lässt sich jetzt besser Lesen.
Gruß Jana

 

Die Geschichte an sich gefällt mir gut. Doch es gibt ein paar haken auf die mich stören.
Einmal das du Typ verwendet hast. Das wirkt sehr kommt und passt irgend wie nicht ganz in den Text. Du solltest da lieber Mann schrieben.
Dann noch bei der Unterhaltung man weiß nicht genau wer jetzt was sagt. Z.B steht da, dass er sie begleiten will. Doch dann würden die beiden ja nicht bei ihm zu hause ankommen. Daher würde ich das anders machen.
Als letztes und unwichtigsten kommt, dass es bei der Stelle, als Franzi sich in das Polster von dem Sitz gleiten lässt, einen Fehler gibt. Da steht „ins das weiche Polster....“
Gruß lexuna

 

So :) Ich hoffe es lässt sich jetzt besser lesen: Aus dem 'Typ' wurde 'Mann' und aus dem 'ins das weiche Polster' wurde 'in das Polster'

Liebe Grüße

 

Zittern am ganzen Körper. Tränen, die sich einen Weg nach unten bahnen um schließlich auf der nackten Haut zur Ruhe zu kommen.
Meiner Meinung nach sehr schön ausgedrückt!
Die Kurzgeschichte hat mir insgesamt sehr gut gefallen, allerdings hat es mich irgendwie gestört, dass du "schnurstracks" verwendet hast... Es passt einfach nicht zum Schreibstil :)
Ich persönlich fand den Sprung von Gegenwart zu Vergangenheit gelungen, gerade da man ein wenig verwirrt war!
Gruß Noah

 

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