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Fünf Personen
Fünf Personen – fünf Geschichten - Ein primitives Ziel.
Dass endlich jemand vorbeikommen und diese hässliche Tür öffnen würde, deren Prunkstück wegen der abgeplatzten weißen Farbe, die Milchglasscheibe war. Eine Milchglasscheibe, die durch die Guls Hiebe mit der flachen Hand auf eine echte Bewährungsprobe gestellt wurde. Das durch das Treppenhaus schallende Echo der strapazierten Tür mischte sich mit einem Wortbreit aus italienischen Versatzstücken, der einen Hälfte aus einem persischen Telefongespräch und den Versuchen in rudimentären Deutsch die Frage zu klären, wer denn nun einen Schlüssel hätte.
Fünf Personen – Ein Saudi, der aber lediglich italienisch zu sprechen schien, ein Kurde, der mit 65 Jahren in einer Sammelunterkunft für „Asylbewerber“ im Norden Deutschlands gestrandet war, ein afghanischer Paschtun, der verzweifelt versuchte sich mit Gul, dem afghanischen Hazara zu verständigen und ein misanthropischer geneigter Junge aus Klansberg, der diese unwirkliche Situation mit Bier und Zigarette auf den Treppenstufen sitzend, verfolgte.
Der etwas unbeholfene, aber unglaublich warme Ausruf „Allemand, Allemand!“ riss Chris aus seiner Beobachterposition heraus. Guiseppe, bei dem sich Chris die ganze Zeit fragte, wo er nun eigentlich herkäme, hielt ihm ein geschundenes Handy zusammen mit einem scheinbar gebügelten und wohlbehüteten Kassenbon entgegen. Nach kurzer Zeit verstand Chris, was von ihm gewollt wurde und begann mit der Aufladung des Handykontos eines Anbieters, von dem er, obwohl in vollem Umfang in der Werbe- und Hightechgesellschaft sozialisiert, nie gehört hatte.
Die Computerstimme, die ohne jede normale Betonung von Wörtern und Silben auskam, erweiterte den Gesprächskreis durch ihre pure Lautstärke um eine weitere Sprache, die ihren eigenen Gesetzen folgte. Nachdem Chris den 16-stelligen Cash-Auflade-Code in die lädierten Handytasten gehämmert hatte, beglückwünschte die Stimme ihn zu seiner glorreichen Entscheidung sich für die Aufladung entschieden zu haben und beglückte ihn des Weiteren mit unglaublich günstigen Flatrate-Angeboten und der Möglichkeit diese mit dem neusten Iphone kombinieren zu können. Obwohl in ihm zu diesem Moment eher Wut aufstieg, musste er aufgrund des Zynismus, die diese Werbung in der jetzigen Situation hatte, zwangsläufig lachen.
Dies wurde von den Umstehenden nicht ganz verstanden und zu einer Klärung kam es auch nicht, da Gul ihm das nächste Pet-Bier hinüberwarf und mit seiner unglaublichen Lebensfreude dazu aufrief, anzustoßen und den jeweils geläufigen Trinkspruch dazu verlauten zu lassen. Doch durch den Misch aus „Salute!“ und „Sal salomati!“ brach ein lautes Lachen. Marwa kam vergnügt die Treppenstufen herauf und feixte sich einen, als er diese so unterschiedliche Gruppe wie kleine Kinder, die auf ihre Mutter warten, vor der Tür sitzen sah.
Die Zwischentür vom Treppenhaus in den kargen Flur flog auf und die Gruppe zerstreute sich in unterschiedliche Zimmer. Chris blieb noch sitzen und rauchte seine Zigarette auf. Dabei kamen ihm unweigerlich die Szenenbeschreibungen in den etlichen Emigrantenromanen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Kopf. Dies hier war nicht die Pariser Cafélandschaft, die von Intellektuellen bevölkert wurde und deren Schilderung romantisch klang. Dies hier war kein Refugee-Hotel in dessen Keller Schach gespielt wurde. Dies hier war ein alter, heruntergekommener Bundeswehrbau an einem verschissen kalten Novembertag. Dies hier waren verschiedenste Lebensläufe in einem Land des verschissenen Nobelpreisträgers Europäische Union!