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Fünf Euro Fünfzig

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28.05.2015
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Fünf Euro Fünfzig

Aufstehen. Anziehen. Kaffee. Wozu schminken? Interessiert keinen wie ich ausseh, mich am wenigsten.

Draußen nass. Scheiß Regen. Kein Bock auf Fahrrad. Straßenbahnticket 2,40 €.

Fünfzehn Minuten vor sechs. Müde. Liste abholen. Ins Lager gehen. Umziehen. Lebensmittel einsammeln und auf den Wagen packen.

Zehn Minuten nach Sechs. Zurück im Laden. Schichtleiter hat eine Scheißlaune. Schnauzt mich an: „Guck nicht so scheiße, musst die Leute anlächeln, und mach deine Uhr ab, Uhren sind hier nicht erlaubt.“

Ich sage: „Im Handbuch steht Uhren sind erlaubt.“

Schichtleiter sagt: „Mir egal was im Handbuch steht, ich hab hier das sagen.“

Zieh mir diese ekligen Plastikhandschuhe auf meine schwitzigen Hände, geht nicht gut, dauert lange. Kunde nervös, weil in Eile. Er sagt: „Ich möchte bitte ein halbes Sandwich, mit Käse-Oregano Brot mit Salami, kein Salatkram, aber bitte schnell, ich muss meinen Zug gleich erwischen.“

Ich denke: „Dann fick dich doch du Penner und komm halt früher.“

Ich sage: „Dankeschön.“ und versuche zu lächeln. Hier muss man sich nämlich für die Scheißarbeit noch bedanken.

Schichtleiter kommt und fragt warum das so lange dauert. Ich verbrenne mich am Ofen, weil wir die Brote mit den Händen und nicht mit dem dafür vorgesehenen Schieber aus dem Ofen holen sollen. Zeitersparnisgründe.

Vier Stunden vergehen. Ich bedauer mein Leben. Schichtleiter bedauert, dass er seit vier Jahren keine Frau mehr gevögelt hat. Nur eine Vermutung natürlich.

Habe bis jetzt 37 Sandwiches belegt, zwei mal alle Tische gewischt und gefegt. Zwölf mal meine Plastikhandschuhe gewechselt. Drei Mal alle Mülltonnen ausgelehrt und fünf Kilo Gemüse geschnitten. Mein Rücken tut weh meine Füße tun weh. Habe Durst. Trinke einen Becher Cola Light, denn: halber Liter ist für Mitarbeiter umsonst.

Dann geht es weiter. Zwiebeln schneiden. Drei ein halb Kilo. Meine Augen wollen sterben. Schichtleiter guckt mir erstes Mal über die Schulter: „Schneller arbeiten.“ Ich kneife meine Augen zu und versuche seinen Wunsch zu erfüllen.

Fünf Minuten später. Schichtleiter kommt zweites Mal: „Schneller arbeiten.“ Ich gebe mein bestes.

Schichtleiter kommt drittes Mal: „Schneller arbeiten.“ Ich schneide mich in den Finger. Schichtleiter: „Pech gehabt, musst dich konzentrieren.“

Sechs Stunden vergangen. Jetzt die Qualitätskontrolle der Mitarbeiter = „Wiegetest“. Muss Gemüse, Fleisch, Käse in ein Schälchen tun. So viel wie ich eine Portion schätze. Dann besagte Portion wiegen und Zahl in Tabelle eintragen. Somit kann überprüft werden ob ich Kunden zu viel oder zu wenig vom gewünschtem Lebensmittel auf Sandwich tue.

Wiegetest kotzt mich an. Scheiß Überwachung. Keiner guckt, also schreibe ich irgendwelche Zahlen in die Tabelle. Dann darf ich mir mein eigenes Sandwich machen. Ein ganzes, weil ich sechs oder mehr Stunden gearbeitet habe.

Ich gehe mich umziehen. Schmerzgel auf Rücken geklatscht überdeckt Symptome.

Komme zurück um Schlüssel abzugeben. Schichtleiter sauer: „Du hast beim Wiegetest betrogen.“ Ich denke nur: „Woher weiß der Mistkerl das?“, gucke ihn mit unterwürfigen Rehaugen an. Sein Kopf knallrot. Erinnert mich an die Tomaten die ich heute geschnitten habe, nur, dass er mehr stinkt. „Die Wage zeigt nur gerade Zahlen an. In deiner Tabelle stehen drei ungerade Zahlen. Wie kann das sein?“ Ich frage mich, warum er sich nicht Gedanken um seine eigenen Probleme macht, z.B. sein Sexleben. Sage: „Kein Plan, vielleicht hab ich mich verschrieben oder verguckt oder so.“ Er labert irgendwas aber ich habe schon längst abgeschaltet. Gehe raus in den Regen und zahle 2,40 für ein Bahnticket.

Heute sechs Stunden Arbeit = 33 Euro. Minus 4,80 Euro für Bahnticket. Gehe nach Hause lege mich aus Sofa und gucke Fernsehen, trinke einen Kaffee. Noch einen. Denke über meinen Stundenlohn nach. Fünf Euro Fünfzig.

 

Hallo,

ich finde das Thema sehr wichtig, und ich finde es gut, dass du dich diesem Thema überhaupt annimmst. Das ist realistisch, das finde ich persönlich wichtig. Mir geht es ähnlich wie bei deinem ersten Text, den du hier eingestellt hast. Das Grundgerüst stimmt, aber da fehlt es noch an Feinheiten und Detail. Du rast durch den Text, da kann man sich eigentlich gar nicht auf den Protagonisten einlassen. Mich würde interessieren, warum muss sie für 5.50 arbeiten? Was ist das für eine Person? Warum erträgt sie das alles? Das sind so Fragestellungen, die der Text impliziert, und auf die du nie zu sprechen kommst. Du fasst das alles extrem zusammen, und so kann ich gar keine Empathie empfinden. Dabei ist das sehr wichtig, wie ich finde, das Allerwichtigste. Du malst dann auch sehr schwarz-weiß. Der böse, ungefickte Schichtleiter. Das ist mir zu wenig. Auch er ist nur ein Rädchen im Triebwerk. Das Drama ist ja an sich nicht dieser Konflikt zwischen Schichtleiter und Arbeiter, sondern es sind die 5.50. Wo kommen die her? Wer ist dafür verantwortlich und was macht das mit den Menschen überhaupt, was ändert das an der Situation der Arbeiter? Bezüglich Würde, Stolz, Arbeitsleistung? Das würde ich gerne lesen, dass die Geschichte über sich selbst hinauszeigt, nicht nur kurz anreißt. 5.50, is scheiße. Mehr bleibt am Ende nicht. Da würde ich mir persönlich eine differenzierte Sichtweise wünschen, wo beide die Gefangenen eines ungerechten Systems sind, dem sie aber machtlos ausgeliefert sind.

Konstruktiv: Dialoge hast du drin, aber die sind hier seltsam blutleer. Die offenbaren keine Information und kein Charakter, sie treiben die Handlung nicht voran. Grade hier könntest du damit viel machen, ein Dialog zwischen Schichtleiter und Arbeiter. Da kannst du die Figuren in deiner Handlung, im Text verorten. Das wird sträflich unterschätzt.

Zeit nehmen. Du rast hier in einem Affentempo durch. Das liest sich stellenweise wie eine Skizze. Nimm dir doch die Zeit, überlege dir einen guten Szeneeinstieg, etwas, was den Leser direkt mit reinzieht. "Aufstehen, anziehen, Kaffee", das hat man schon eintausendmal gelesen.

Prämisse. Wofür stehen die 5.50? Das wird nicht klar. Die sind ein Symbol ohne Inhalt, das wabert so durch den Text. Du stellst da harte Arbeitsbedingungen entgegen, aber was ist mit Bergleuten oder Straßenbauer? Harte Arbeit, wenig Lohn. Du willst mit diesen 5.50 auf etwas anderes hinaus, nehme ich an, aber das wird nicht deutlich. Das musst du zeigen.

Gruss Jimmy

 

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