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Fühler hier, Stachel da

Seniors
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15.04.2002
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Fühler hier, Stachel da

»Ich brauche Abstand«, sagte Wornek und nahm das nächste Raumschiff der intergalaktischen Linie.
Tja, das war das Ende.
Der Anfang? Muss in einer dieser galaktischen Partnerbörsen gewesen sein. Ich die große blaue Elfe mit Telleraugen, er der Pracht-Erdling mit Ganzkörperpanzer, Zweitschwanz und Dreitagebart. Was? Ja, Zweitschwanz. Wenn der eine mal nicht mehr kann, macht man halt mit dem anderen weiter. Redundanz ist nicht nur in der Raumfahrttechnologie ein überaus vernünftiges Konzept.
Nun brauchte er »Abstand«. Und ich... möglichst schnell einen Nachfolger. Also hielt ich meine romantischen, großen Augen weit offen, außer, wenn ich verführerisch mit ihnen blinzelte.


Als ich an der Hochschule der Ganymed Foundation den Förderunterricht für Interstellares Steuerrecht betrat, sah ich Almond zum ersten Mal. Seine schillernden Augen waren pure Magie, und ich konnte den Blick nicht von seinen vier anthrazitfarbenen, schmalen Oberarmen wenden. Vom Vortrag des Lehravatars bekam ich nichts mit, aber das war mir egal – denn mein Herz glühte vor Glück.
Meine Eltern waren weniger begeistert.
»Aber er ist ein Käfer!«, kreischte meine Mutter, als ich ihr ein 3D-Foto von Almond zeigte.
»Er hat wunderschöne Augen«, verteidigte ich ihn und malte mit dem Finger Herzchen in die Projektion, die vor dem Kühlschrank zu schweben schien.
»Ja, Facettenaugen!«, heulte Mutter. »Ich mag gar nicht hinsehen!«
Vater schüttelte nur den Kopf.
»Das Foto ist vielleicht etwas unscharf«, gab ich zu.
Mutter schluchzte. »Und ich hatte mir einen süßen Enkel gewünscht!«
»Kein Problem«, sagte ich. »Wir leben in einer liberalen Gesellschaft. Wir können ein Baby adoptieren.«
Vater unterbrach mich mit einem Grunzen. »Eine süße Made vielleicht?«
»Was dagegen?« Ich schaltete die Projektion aus. »Übrigens schmeckt sein Begattungs-Stempel nach süßen Mandeln.«
Vater nickte überaus freundlich. »Das können in der Tat die wenigsten Humanoiden von sich behaupten.«
»Und er hat ein Diplom in galaktischer Sexualkunde!«
Darauf entgegneten meine Eltern nichts mehr, sie warfen sich nur noch wissende Blicke zu. Ich hatte sie offenbar überzeugt.
Wir trafen uns zuerst bei ihm. Ich hatte keine Zeit, mich in seiner Baumhöhle unwohl zu fühlen, weil wir sofort im Bett landeten. Also, was Riesenkäfer von Kakulus IV so als Bett bezeichnen. Es war eher ein Humus-Haufen, in dem hier und da noch die Überreste der letzten Mahlzeit zappelten. Der Sex entschädigte für das komische Gekrabbel. Ihr wisst schon: Fühler hier, Stachel da... Almond benahm sich so erfrischend unmenschlich und unelfisch. Als ihm warm wurde, knackte sein Chitinpanzer, beim Orgasmus zuckten seine Antennen. Herrlich. Bloß als ich am nächsten Morgen aufwachte, klebte sein muffiger Matratzen-Humus zwischen meinen Zehen, und ich lud ihn lieber zu uns nach Hause ein.
Um meinen Eltern nicht zu begegnen, ließ sich Almond direkt in mein Zimmer beamen. Ich zeigte ihm meine Sammlung seltener Steuerformulare ausgestorbener galaktischer Rassen. Almond erwies sich als echter Experte, erkannte er doch auf Anhieb das wertvollste Stück, einen 6000 Jahre alten Körpersteuer-Bescheid von Gesselar IV, an dem sogar noch ein mumifizierter kleiner Zeh klebte. Danach ging es zur Sache. Fühler hier, Stachel da...
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte der Beamservice Almond schon abgeholt. Ich zog mich an und ging in die Küche, wo meine Mutter gerade ihre Riesenaugen mit einem Riesen-Taschentuch trocken wischte. »Ihr hättet wenigstens etwas leiser sein können«, schluchzte sie.
»Und was war das eigentlich für ein Schaben?«, fragte Vater.
Ich zuckte mit den Schultern. »Das war vermutlich, als er den Seidenkokon aufgeschnitten hat, in den er mich zeitweilig eingesponnen hat. Sehr weich und, äh...«
Mutter heulte auf, als wäre sie aufgeschnitten worden.
»Nun«, sagte Vater und suchte verzweifelt nach Worten, »wie sage ich dir das jetzt am besten...«
Ich befürchtete das Schlimmste, nämlich dass meine Eltern mein Studium nicht weiter finanzieren würden und ich arbeiten gehen musste.
»Ich habe etwas über Almond herausgefunden«, sagte Vater.
»Hast du ihn etwa ausspioniert?«
Vater lächelte wie ein falsch gepolter Elektromolch. »Du musst mir das verzeihen. Eltern wollen ja nur das Beste für ihre Kinder. Dabei tun sie auch gelegentlich moralisch fragwürdige Dinge.«
»Nimm dir ein Stück Schokotorte und lass Vati in Ruhe erzählen«, sagte Mutter.
»Also«, sagte Vater, »ich habe mir Almonds Sexualkunde-Diplomarbeit angeschaut, und festgestellt, dass er große Teile abgeschrieben hat.«
Mir fiel die Schokotorte aus der Hand. »Nein!«
»Doch. Vor allem die Passagen, in denen es um elfenähnliche Humanoide mit Telleraugen und ihre erotischen Vorlieben geht. Du weißt schon, Fühler hier, Stachel da...«
»Aber...« Eine Welt brach für mich zusammen. »Wie hast du das denn herausgefunden?«
»Nun«, sagte Vater mit einem Seitenblick auf Mutter, die jetzt ebenfalls grinste. »Ich habe die Stellen sofort wiedererkannt.«
»Wiedererkannt?«
»Ja. Die Sexualkunde-Diplomarbeit, aus der sie geklaut wurden, ist von... mir
»Aber...«, platzte es aus mir heraus, »dann hat Almond das alles geplant und ... eingefädelt?«
»Vor allem das mit den Fesselspielchen. Er hat sich extra eine Seidendrüse implantieren lassen. Kakulus-Käfer haben nämlich eigentlich gar keine. Steht in der Wikipedia, lies es nach.«
Das war zuviel für mich. Ich schämte mich so sehr darüber, dass ein Käfer mich mit Methoden befriedigt hatte, für deren Beschreibung mein Vater ein Diplom bekommen hat, dass ich meine Sammlung antiker Steuerunterlagen gleich zweimal abstaubte. Den Förderunterricht schwänzte ich, bloß um Almond nicht zu begegnen. Die Mail, in der ich mit ihm Schluss machte, war nur eine Zeile lang, aber jene, in der ich diesen elenden Plagiator beim Dekanat der Ganymed Foundation anschwärzte, drei Seiten. Beides ging natürlich in Kopie an die Online-Studentenzeitschrift.

Am nächsten Morgen war ich wieder online bei der galaktischen Partnerbörse und schaltete als erstes beim Suchfilter die Optionen »Insektoiden« und »Arachnoiden« komplett aus. Meine Eltern waren glücklich, sehr glücklich. Mein Vater gab mir seine Diplomarbeit zum Lesen, und ich muss sagen, ein paar Stellen waren ganz schön, äh, lehrreich. Meine Mutter kochte mir meine Lieblingsspeise: Drachenschinken mit Schoko-Ameisen.
Und ich schwor mir: Mein nächster Lover hat wieder zwei Arme, zwei Beine, und zwei Schwänze.

 

Servus Uwe,

ich fand die Geschichte ausgesprochen drollig, ja, das war der erste Begriff, der mir dazu einfiel.
Erst hatte ich Bedenken, ob ich diesen Begriff in meinem Urteil überhaupt verwenden solle, ich mein, wir sind ja immerhin in der SF-Abteilung, als ich mir dann allerdings den Duden-Eintrag zu drollig ansah
(Zitat Duden: drollig, Adjektiv - a. spaßig, belustigend wirkend; b. niedlich, possierlich; c. komisch, seltsam),
dachte ich mir, ach was, passt eigentlich perfekt.
Ich lese ganz selten SF, schon gar nicht zum Morgenkaffee, aber diese amüsante, sympathische Geschichte hier verschaffte mir heute einen wirklich erfreulichen Start in den Tag.
Dafür vielen Dank, Uwe.

offshore

(Eine einzige, winzige Kritik hab ich: den Namen Kakulus IV für den Heimatplaneten des Käfers fand ich ein bisschen, äh … bemüht? Na ja, schülerzeitungshumormäßig halt, dem Niveau des restlichen Textes nicht gerecht werdend.)

Und noch was:

Das war zuviel für mich.

zu viel

 

Wie wäre es mit: "possierlich" ... :D Zur Story an sich: Ja, also - äh: Uwe halt! ;) *wegrenn*

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja ja, renn du mal weg, und Schwups und ich schmeißen hier den staubbedeckten Laden, wa?

Okay, warum fällt mir kein besserer Name für den bekackten Käfer-Planeten ein? Wie heißt eigentlich der aus Starship Troopers?

 

Hallo Uwe,

du postest ja doch noch was hier. ;)

Ich zeigte ihm meine Sammlung seltener Steuerformulare ausgestorbener galaktischer Rassen.
:lol: Das also ist aus der guten, alten Briefmarkensammlung geworden.

Du weißt schon, Fühler hier, Stachel da...
beim ersten Mal lustig, beim zweiten Mal für meinen Geschmack zu viel

Nette Geschichte!

Gruß, Elisha

 

Hallo Uwe,

ich fand Deine Geschichte recht unterhaltsam und auch handwerklich sauber geschrieben. Das Hauptproblem - Sex mit Käfern dürften dem überwiegendem Teil der Menschheit wenig Vergnügen bereiten - hast Du ganz annehmbar umschifft, indem die Wesen Deiner Zukunft solch alberne Schranken längst in dieselben gewiesen haben.

Ansonsten kommen Deine Figuren recht bildhaft daher, im Verhältnis zwischen Teenagern und Eltern hat sich - gottseidank - auch noch nicht viel geändert.

Danke für ein Mittagspausenlesevergnügen, Ciao, nastro.

 

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