Försterfund
Er steht auf. Er muss aufstehen. Er sagt sich das er muss. Er könnte liegenbleiben. Er könnte das Leben genießen, in vollen Zügen. Er denkt daran. Er könnte es tun. Er könnte es aber nicht lange tun. Er braucht Geld. Er muss arbeiten.
Es ist früh, die Straße gleitet dahin, die Augenlieder sind schwer. Plötzlich springt ein Schatten von links auf die Straße. Eine schemenhafte Gestalt. Das Steuerrad des Pickups wird herumgerissen …
Dunkelheit umhüllt ihn, selbst seine Seele wird von ihr verschluckt. Ist es nun vorbei? Das Ende der Reise? Er denkt es. Seine Geschichte ist geschrieben und das letzte Kapitel beendet.
Licht.
Wie eine blasse Erinnerung aus alter Zeit leuchtet es am Horizont. Verschwommen und blass, als würde eine Nebelwand oder milchiges Glas die Sicht verzerren. Doch selbst dieser kleine Hauch, diese Fata Morgana, reicht aus um ihm neue Kraft zu geben.
Hoffnung flackert in ihm auf, wie ein Feuer das aus der Asche geschlagen wird. Die Luft bringt den Sauerstoff, sein Körper das Material und die Hoffnung ist der Funke, der alles entfacht.
Er bäumt sich auf, die Krallen die ihn nach unten ziehen geben nicht auf und reißen ihm das Fleisch von den Knochen.
Der rote Lebenssaft verfärbt die allumfassende Schwärze. Die Stimmbänder werden überstrapaziert, wenn das so weiter geht, wird er am Ende noch heiser sein. Die Umgebung verwandelt sich in ein geschmackloses Kunstwerk, gemalt mit Teilen seiner slebst. Seine Haut fällt ab und gibt das darunter frei. Er ist nackt doch der Lichtfleck am fernen Horizont vergrößert sich und wird schärfer, fast so als ob er sich ihm nähern würde.
Er wendet seine letzten Kraftreserven auf und durchstößt die Dunkelheit.
Er ist wieder da! Er hat es geschafft! Das Leben ist in ihn zurückgekehrt. Sein Körper scheint unversehrt, nur ein leichtes, ständig stärker werdendes Pochen an seiner rechten Schläfe. Sein Gehirn gibt ihm die Anweisung mit der linken Hand die betroffene Schläfe zu berühren. Der Körper gehorcht. Es ist Blut auf der Hand. Vermutlich eine Platzwunde. Es wird schon nicht so schlimm sein. Er ist am Leben, mehr interessiert ihn nicht. Hoffnung und Glückseligkeit durchströmen seinen Körper. Er ist dem Tode entkommen!
Er will aufstehen, um den Schaden, welchen der Pickup erlitten hat zu überschauen. Eine Kiefer ragt aus seiner Motorhaube, so selbstverständlich wie das Ei zum Frühstück. Er öffnet die Tür. Bemerkenswert leicht geht dies vonstatten. Euphorie, von seinem Haaransatz, bis in die Fingerspitzen.
Nun möchte er sein linkes Bein aus dem Wagen schwingen.
Aber …
Es geht nicht! Keine Reaktion in seinem Bein, in beiden Beinen! Nicht einmal der kleine Zeh zuckt. Panik … Sie steigt in ihm auf. Langsam schleicht sie sich aus dem Dunkeln heran und schlägt dann unvermittelt mit all ihrer Macht zu. Er ist kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Sein Schrei um Hilfe ist lang und laut. Vielleicht ist die schattenhafte Gestalt ein Mensch und kann ihn retten, wenn nicht ist er schon so gut wie tot. Er ist allein. Auf einer abgeschiedenen Landstraße. Gerstern ist der Förster durchgefahren. Er wird erst in einer Woche wiederkommen. Nun, nach diesem harten Kampf gegen die Dunkelheit, wird er doch sterben? Welche Ironie das Leben doch bereithält.
Doch ist ihm das Glück holt.
Der Förster, er kommt bereits zwei Tage nach dem Unfall.
Er ist gerettet. Die Familie war schon in Sorge. Nun ist das Warten vorbei.
Der Bestatter hat viel zu tun. Die Wölfe, weshalb auch der Förster früher kam, hatten nicht viel übriggelassen.