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Fänger des Lächelns

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01.02.2004
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Fänger des Lächelns

Fänger des Lächelns

Samuel sass am Küchentisch und schaute leicht indigniert auf das kleine, weisse Netzchen, das er gestern in der Zoohandlung zum Einfangen von Aquariumfischen gekauft hatte. Wird es funktionieren?

Samuel stand mit seinen 22 Jahren das erste Mal vor einer echten Lebenskrise. Genau vor einem Jahr verschwand es für immer; dieses einmalige, Wärme und Geborgenheit ausstrahlende Lächeln - dieses Elixier. Vor einem Jahr starb Samuels Mutter. So lange er sich erinnern konnte, hatte ihn das Lächeln seiner Mutter wie eine wundersame Barke durch das Leben getragen. Er war für sie jeden Tag ein Geschenk, das sie aus ihrem Innersten heraus auf eine eigentümlich sanfte Art stets anlächeln musste.

Der Vater starb sehr früh. Samuel kannte ihn nur von Fotos. Darauf war ein kahlköpfiger Mann mit schmalem, geradem Mund und einem dünnen Oberlippenbart abgebildet. Ein Beamter, ein Polizist eben. Samuel wuchs als Einzelkind auf, behütet und geschaukelt vom ewigen Lächeln seiner Mutter. Jetzt, wo sie tot ist, fehlt ihm der Boden unter den Füssen. Er fühlt sich ohne dieses Lächeln ausgestossen.

Samuel arbeitet in einem Bestattungsinstitut, wahrlich nicht der Platz des Lächelns. Er macht die Buchhaltung und hat keinen Publikumskontakt. Aus seinem Bürofenster im ersten Stock sieht er die Klientel ein und aus gehen. Im Erdgeschoss ist der Empfang und der Schauraum mit den Särgen und dem Grabzubehör. Er hört die gedämpfte Stimme seines Chefs, wenn dieser mit den Hinterbliebenen eines Verstorbenen die Bestattungsangelegenheiten bespricht. Manchmal hört er die Klientel leise weinen, etwas übertrieben schluchzen und eher selten - wenn sein Chef auf die Preise der Särge zu sprechen kommt - auch hysterisch lachen.

Auf ein Lächeln, das in der Regel geräuschlos ist, stiess er an seinem Arbeitsplatz noch nie. Sein Chef und dessen Frau, die gelegentlich in dem Institut aushilft, tragen stets säuerliche Mienen zur Schau. Eine Berufskrankheit.

Was soll er jetzt mit dem kleinen, weissen Netzchen anfangen? Ein Aquarium hat er keines, und eines kaufen will er auch nicht.

Das Netzchen war eine spontane Idee. Wieder einmal tauchte aus der Erinnerung das Lächeln seiner Mutter auf. In diesem Moment sah er die Aquariumsausrüstung im Schaufenster der Zoohandlung. Sein Blick fiel auf das Netzchen. „Klar“, sagte er zu sich, „wenn ich eine Frau lächeln sehe wie meine Mutter, fange ich dieses Lächeln einfach ein.“ Dafür wollte er das Netzchen stets bei sich tragen, wie ein Taschentuch.

Jetzt, wo aber das Netzchen auf dem Küchentisch liegt, ein bisschen Nylon, ein bisschen Draht, erscheint ihm das alles sehr kindisch. Und überhaupt: Wie kann er eine Frau dazu bringen, ihn so anzulächeln, wie dies seine Mutter immer tat. Ihr Lächeln war doch einmalig, nicht kopierbar,

Samuel beginnt darüber nachzudenken, wie das Lächeln sein müsste, um ihm eine Barke zu sein, die ihn wie das Lächeln seiner Mutter durchs Leben tragen würde. Er nimmt einen Schreibblock und einen Bleistift und notiert die ihm bekannten Arten von Lächeln. Mokant und hämisch streicht er gleich raus. Ein Lächeln wie es die Playmobil-Männchen in ihren Gesichtern tragen? - Nein! Das ist plastifiziertes Feixen. Bitte freundlich Lächeln, fürs Familienalbum? - Kitsch! Un sourire, wie es die Franzosen sagen? - Reine Touristenwerbung! Gewinnendes, strahlendes, betörendes, grenzenüberwindendes Lächeln? – Ist nicht echt, ist Lächeln mit Hintergedanken, mit undurchschaubaren Absichten! Das Lächeln der Mona Lisa, das berühmteste Lächeln der Welt, mit doch schon 500jährigem Bestand? – „Die zufällige Anordnung von Farbklecksen kann doch das Lächeln meiner Mutter nicht ersetzen“, sagt Samuel abschätzig und reibt sich das Kinn mit dem Fischnetzchen.

Samuel wacht aus seinen Tagträumen auf. Es ist höchste Zeit. Er muss zur Arbeit. In der Eile steckt er gedankenlos das nutzlose Fischnetzchen in die Manteltasche. Er hetzt zum Bahnhof und springt auf den bereits ausfahrenden Zug auf. Er setzt sich auf einen freien Platz. Da sticht ihn etwas in die Hüfte. Er greift in die Manteltasche, zieht es heraus; das kleine, weisse Fischnetzchen mit dem Drahtbügel. Ein Lächeln tritt in sein Gesicht. Er schaut auf. Eine Frau sitzt ihm gegenüber, vielleicht vierzig oder fünfundvierzig. Er lächelt sie an, sie lächelt zurück. Tränen schiessen ihm in die Augen. Es ist das Lächeln seiner Mutter...

 

Hallo, zuerst ein paar Verbesserungsvorschläge:

Samuel sass am Küchentisch
auch nach der neuen Rechtschreibung "saß"
das kleine, weisse Netzchen
kleine weiße Netzchen
Wird es funktionieren?
Würde es funktionieren?
Er war für sie jeden Tag ein Geschenk, das
, dass
Jetzt, wo sie tot ist, fehlt ihm der Boden unter den Füssen. Er fühlt sich ohne dieses Lächeln ausgestossen.
Deine Geschichte beginnt in der Vergangenheit ("Samuel saß") und springt plötzlich zum Präsens. Ist das Absicht?
Ein Aquarium hat er keines
unüblich, lieber "nicht" als "keines"
wo aber das Netzchen auf dem Küchentisch liegt
lieber "da" statt "wo aber", vielleicht auch "als"
nicht kopierbar,
kopierbar.
ein Bleistift
einen

Nun zur Geschichte, ich finde nicht, dass sie besonders philosophisch ist, die Kategorie Alltag würde wohl eher passen. Die Geschichte ist nicht schlecht, nur das Ende kommt etwas abrupt, vielleicht kannst du da noch etwas machen? Die Idee des Protagonisten, das Lächeln seiner Mutter mit einem Netz einzufangen um so über seine Trauer hinwegzukommen finde ich gut. Jedoch hättest du, um es noch weiter zu schreiben, zeigen können, dass tote Menschen nicht so einfach ersetzt werden können, dann bekäme die Geschichte noch etwas kritisches.

Fazit: nicht schlecht, du kannst es aber noch verbessern

Gruß
Arthuriel

 

Hallo ArthurielRubinstein

Danke für deine Kritik. Zum ersten Punkt muss ich vorausschicken, ich lebe in der deutschsprachigen Schweiz. Das "ß" existiert in unserer geschriebenen Sprache nicht, ausser in antiquarischen Büchern. Nun zu deinen Zweifeln, ob die Geschichte in der Sparte "Philosophisches" richtig ist, ich glaube ja. In der Geschichte geht es um Trauerarbeit, und die hat in jedem Fall etwas Philosophisches an sich. Der Protagonist fokussiert das Lächeln seiner Mutter; es wird für ihn zur Allegorie, gewissermassen zur künstlichen Mutter-Beziehung. Sie verstärkt sich durch die Illusion, das personenunabhängig gewordene Lächeln mit dem Fischnetzchen einfangen zu können. Am Schluss der Geschichte taucht diese "allegorische Mutter" wieder im Lächeln der fremden Frau auf. Es braucht also dieses "abrupte" Ende, sonst funktioniert die Geschichte nicht.

 

Mit dem abruptem Ende meine ich auch nicht das Treffen mit der Frau. Mir geht es vielmehr über die Kürze des letzten Absatzes. Vorher sind alle Gedanken lang ausformuliert und dann sind sie wie weg geblasen.

Das, was du als philosophisch beschreibst, würde ich eher als psychologisch charakterisieren. Und ich finde, dass es in dieser Geschichte mehr um die Trauer-"arbeit" dieser einen Person geht und nicht um ein allgemeines Problem, und es gibt schon gar keine Lösung. Aber das ist halt nur meine Meinung.

Zur deutschsprachigen Schweitz kann ich wenig sagen, die dortige Rechtschreibung kenne ich nicht. Ich kann nur die Sachen sagen, die für die deutsche Rechtschreibung gelten.

Arthuriel

 

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