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Extra Zucker, bitte
Huch, was macht er denn schon hier. Sonst kommt er doch immer erst um fünf. Ob er es heute besonders eilig hat, vielleicht muss er noch irgendwohin. Ein Termin oder so. Eine Verabredung? Bitte nicht.
Wahrscheinlich ein Termin mit einem Klienten oder ein Geschäftsessen. Aber er trägt keinen Anzug. Erwartet er etwa jemanden, auf wen könnte er denn warten? Und weshalb gerade hier? Es gibt jede Menge bessere Cafes in der Stadt. Gleich vorne an der Ecke zum Beispiel. Hätte ich die Stelle da gekriegt, müsste ich mir jetzt keine Sorgen um die Miete machen. Na ja, dafür hätte ich dort nicht die Gelegenheit, ihn jeden Tag zu sehn.
Er geht wieder zu seinem Stammplatz, dem kleinen Tischchen hinten in der Ecke. Vielleicht will er nicht, dass man ihn hier sieht.
Unsinn. Wieso käme er dann jeden Nachmittag her.
Hat er mich eben angeschaut? Will er schon bestellen? Ich werde so tun, als hätte ich ihn nicht bemerkt. Das macht bestimmt keinen guten Eindruck, wenn ich gleich zu ihm hinrenne. Dann meint er noch, ich hätte die ganze Zeit darauf gewartet. Sicher wäre es ihm unangenehm, auch wenn er nichts sagen würde. Er ist ja sowieso keiner von den Gästen, die gerne mal ein bisschen plaudern. Ich würde so gerne mal ein bisschen mehr von ihm hören. Nicht nur die drei Wörter von: Einen Espresso, bitte.
Ich kenne niemanden, der das so schön sagt.
Dabei ist er immer so unglaublich gelassen, ein echter Businessman. Einer, der sich auskennt. Aber ein bisschen was habe ich auch schon gelernt. Zum Beispiel, dass man als Kellnerin nicht untätig herumstehen und Gäste anstarren sollte.
Aha, er winkt nochmal. Ohne die Miene zu verziehen, nicht einmal ein Hauch von Ungeduld.
So, noch einmal tief Luft holen, ich werde jetzt einfach zu ihm hingehen und seine Bestellung aufnehmen. Beiläufig muss es wirken, als wäre er ein ganz normaler Gast. Dabei das Lächeln nicht vergessen, lächeln ist wichtig, sonst fühlt er sich schlecht behandelt.
„Einen Espresso, bitte.“
Wie er lächelt! Sonst tut er das doch auch nicht. Vielleicht hat er einfach gute Laune, vorhin ein Geschäft abgeschlossen oder so. Oder er freut sich auf nachher, auf die Verabredung, wenn er eine hat. Jetzt ist freundlich Lächeln angesagt. Ich werde so tun, als müsse ich mir seine Bestellung einprägen. Er soll ja nicht auf den Gedanken kommen, ich nähme meinen Job nicht ernst. Wahrscheinlich fragt er sich, wie ich überhaupt zu der Arbeit gekommen bin. Eine, die Gäste anstarrt, eine, die nichtmal richtig lächeln kann.
Jetzt bloß nicht umdrehen, er sieht mich sowieso nicht an. Ich sollte noch warten mit dem Espresso. Am Ende glaubt er noch, ich kümmere mich gar nicht um die andern Gäste, das wäre ihm vielleicht peinlich. Bestimmt wäre ihm das peinlich. Denen da hinten könnte ich die Rechnung bringen, und dann könnte ich noch ein bisschen so tun, als müsse ich Tassen einräumen.
So, fertig. Hoffentlich hab ich ihn nicht zu lange schmoren lassen. Wenn er es nun wirklich eilig hat? Hat er nicht gerade eben auf die Uhr geschaut? Vielleicht kann ich ihn ein wenig milder stimmen, wenn ich mich jetzt etwas spute. Werde ich mich eben sofort zu seinem Tisch aufmachen, hineilen, besser fliegen, dann sieht er, dass ich mir Mühe gebe.
Jetzt aber los.
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Ob sie bemerkt hat, dass ich früher als sonst hier bin? Hoffentlich denkt sie sich nichts dabei. Wenn ich das zu oft mache, hält sie mich womöglich für arbeitslos. Am besten ich schau mich erstmal ein bisschen um, so, als wäre ich zum ersten Mal hier. Ob ihr aufgefallen ist, wie oft ich hierher komme, auf keinen Fall darf sie denken, dass ich zuviel Zeit habe. Dann könnte ich es gleich lassen, so wäre ich bestimmt uninteressant für eine Frau wie sie. Wundert mich ja sowieso, dass sie hier arbeitet, da gibt’s doch sicher bessere Cafes.
Ich hab bereits jetzt das Gefühl, dass sie mich gar nicht richtig wahrnimmt. Wahrscheinlich hält sie mich für einen Loser, die anderen Stammgäste sind ja alle schon in Rente. Dabei geb ich schon mein Bestes. Den Humphrey-Bogart-Blick und das Bestellen hab ich mir vorm Spiegel antrainiert, das Päckchen mit dem Zucker lass ich immer ungeöffnet, und sie mit unnötigem Geplauder nerven tu ich auch nicht.
Hoffentlich sieht sie mich hier hinten. An den Fenstern ist es heller, aber von dort aus könnte ich sie nicht so gut beobachten. Wäre ihr sicher peinlich, vor all den Gästen angestarrt zu werden. Hier fällt es wenigstens keinem auf.
Wieso zögert sie so lange? Hat sie denn nicht gesehen, dass ich bestellen will? Vielleicht sollte ich es noch einmal versuchen, aber erst ein bisschen warten. Sonst hält sie mich für ungeduldig oder gar für irgendeinen Businesstypen, der nie Zeit hat.
Aha, jetzt hat sie mich bemerkt. Wie beiläufig sie herüberschaut! Vermutlich ist das einfach der professionelle Blick. Offenbar nimmt sie ihren Job sehr ernst. Versteh ich gar nicht. Eine wie sie hat das doch gar nicht nötig. Das ist eine, die sich auskennt. Der laufen doch die Männer hinterher, auch die reichen.
Schade, dass sie nicht einfach mal ein bisschen was erzählt. Alles, was ich von ihr höre, sind die zwei Wörter von: „Bitte sehr“, wenn sie mir den Espresso hinstellt.
Ich kenne niemanden, der das so schön sagt.
Gleich ist sie da, nochmal unauffällig einatmen. Bloß nicht rot werden, ich werde sie wie eine ganz normale Kellnerin behandeln. Werde mich als Weltmann geben, ganz beiläufig bestellen, wie aus dem Handgelenk geschüttelt. Ich sollte etwas nachdenklicher dreinblicken, schließlich soll sie nicht meinen, ich hätte mich von vornherein auf den Espresso festgelegt.
Und lächeln. Lächeln ist wichtig. Sonst hält sie mich für gleichgültig, am Ende glaubt sie noch, ich mag sie nicht.
„Einen Espresso, bitte.“
Vielleicht hätte ich doch später kommen sollen, sie scheint ja viel zu tun zu haben. Kaum hat sie die Bestellung aufgenommen, klappert sie die anderen Gäste ab. Eifersüchtig? Nein, das bin ich nicht, auf keinen Fall, zumindest soll sie das nicht denken.
Jetzt muss sie auch noch Tassen in den Schrank räumen. Wahrscheinlich ist sie jetzt sauer, weil ich ihr noch mehr Arbeit mache. Ich sollte mich entschuldigen, natürlich nicht einfach so, das wäre viel zu plump. Das geht viel diskreter.
Ich werde einen deutlichen Blick auf die Uhr werfen und danach so tun, als sei mir die kleine Verzögerung egal. Einfach ein wenig still und zufrieden lächeln. Dann glaubt sie, ich opfere ihr die paar Minuten gerne. Mit etwas Glück wird sie das besänftigen.
Da kommt sie ja schon, warum läuft sie denn so schnell? Sie scheint wirklich im Stress zu sein, vielleicht reicht ein Lächeln doch nicht aus. Meines erst recht nicht.
Das sind wirklich große Schritte, hoffentlich stolpert sie nicht. Sonst hab ich ihr auch noch das Kleid versaut.
Hoffentlich komme ich jetzt nicht ins Stolpern. Sonst ruiniere ich ihm womöglich noch sein Hemd.
Ich würde sie ja gerne bitten, etwas langsamer zu laufen, aber wieso sollte sie nach all dem noch auf mich hören? Ähm...Halt...Nein! Vorsicht!
Na also, jetzt ist es passiert. Das wars dann wohl, da hilft auch kein Lächeln mehr. Jetzt bin ich untendurch bei ihr.
Mist! Das war´s für mich. Wegen mir kann er seinen Termin nicht mehr wahrnehmen. Er wird mich nie wieder sehen wollen und den Job bin ich auch los, wenn er sich beschwert. Sicher beschwert er sich.
Was ist los, warum fängt sie nicht an zu schimpfen?
Warum macht er mich nicht zur Schnecke?
"Danke für den...Espresso."
"Bitte sehr."
"Was gibt es denn zu grinsen?"
"Sie grinsen doch auch."