Was ist neu

Ewigkeit

Mitglied
Beitritt
24.02.2002
Beiträge
1

Ewigkeit

Ewigkeit

Mit spitzen Schreien tanzten die verkleideten Jünglinge in ihren Gedanken und ließen die Welt verschwimmen.
Dunkelheit und Stille.
Die singende Menschenmenge holte sie aus ihrer kurzen Fantasieflucht.
Verheiratet … das Wort bohrte sich in ihren Verstand. Jemand drückte beherzt ihre Hand, sie sollte die bindenden Wörter sprechen. Einen Satz, der ihr gesamtes Leben verändern würde. All die schönen Kinderjahre, alles.
»Ja, ich will«, hörte sie eine sichere Stimme sagen. Stille. Es dauerte eine Weile bevor sie erschreckt bemerkte, dass es sie gewesen war, die gesprochen hatte. Nun war ihr Schicksal besiegelt. Weitere Schreie, Gesang und Tanz. Die Welt verschwand.

Vorsichtig bewegte sich das Mädchen. Ihr Kopf lastete schwer auf den Schultern. Sie sah sich um. Eine gemütlich eingerichtete Stube mit Möbeln und Gardinen. Langsam reiste sie sich auf und berührte das Seidentischtuch. Ein solch schönen Stoff hatte sie nie zuvor berührt.
Leise schlich sie zum Fenster und starrte hinaus. Ein Gruppe Männer stand inmitten des Dorfmarktplatzes, die Zügel einiger Kamele lagen in ihren Händen. Mit zitternden Händen schob das Mädchen die Gardine zur Seite; dort stand er: Ihr Vater. Also war es doch kein Traum gewesen. Etwas schweres legte sich in ihren Magen und ihr Kopf wurde durch einen lähmenden Schmerz gepackt.
Der Schmerz der Erinnerung.
Voller Panik wandte sie sich um, riss die dumme Decke vom Tisch, griff sich einen Kamlenmlichsack von einer alten Kiste, sah sich gehetzt um. Ihr fiel wieder ein, wo die Tür war und lief taumelnd hinaus. Gesichter, kleine, ärmliche Häuser und der alte Brunnen sausten an ihr vorbei.

Die Sonne schien sanft auf ihre Haut. Ein Sandläufer grub ein Loch in den heißen Sand, wo er sich ruhig zum schlafen legte. Ein Lächeln huschte über die Lippen des Mädchens. Sie riss einen Ast von dem nahestehenden Baum ab und malte einen kleinen Strich zwischen dem Sandläufer und einem Stein daneben. Dann ein Halbkreis, ein Gesicht!
Mit genauen Bewegungen skizzierte sie ein schmalen Körper hinzu. Mit langen Beinen und großen Händen. Sie lächelte, riss ein Grasbüschel aus der Erde und nahm es als Haare. Es glich ihr wirklich, ein fröhliches, stolzes Mädchen. Ewig lächelnd. »Aldumakuri Mokada« schrieb sie über die Zeichnung. 160 schrieb sie in den Kopf. Sie war bereits 160 Monde alt. Seufzend legte sie sich zurück in das herrlich kalte Sandloch.

Ein Hund bellte in der Ferne.
Sie schoss nach oben, die Männer! Sie würden längst nach ihr suchen. Mit einer schnellen Bewegung verwischte sie den Mund des kleinen Mädchens. Eine wütende Mokada starrte sie an. Mit ihrem Fuß zertrampelte sie das Bild und ging los. Hinter der nächsten Klippe reisten sich die ewigen Sandmengen. Nur Sand und Sonne.
Sie lief.
Es war nicht die Schuld ihrer Mutter, denn die hatte ihr Bestes getan. Mokadas Vater hatte nur das getan, was für die Familie am besten war. Alle Mädchen wurden verheiratet, wenn sie mindestens 150 Monde alt waren. Und drei große Kamele konnten auch nicht von jedem bekommen werden.
Ihre Füße trommelten über den Boden. Sie merkte nicht, dass sie auf dem Weg in die nicht enden wollende Wüste war, nur dass sie lief. Weg von dem Schicksal eines jeden Mädchens. Die Zeit verging und die Wüste wurde leerer und leerer. Sie konnte sich an die herrlichen Kinderjahre erinnern. Sie war mir ihren Freunden tagelang in der hügeligen Landschaft herumgestreift, auf Bäume geklettert und hatten die langsamen Tiere beobachtet, die in den Dünen liefen, in ihren gesetzten Fallen zappelten. Aber diese Zeit war vergangen. Eine neue Zeit war gekommen und hatte mit einem Mal ihr Leben verändert. Die Zeit der Erwachsenen. Das erste Mal als sie diesen Unterschied bemerkt hatte war, als Fafne mit dem Bart um den lächelnden Mund gefragt hatte, ob ihre Eltern erlauben würden, sie mit auf ein Fest zu nehmen. Die Tage danach war die sogenannte Zeit langsam in ihr Haus gekrochen und hatte sich um sie gelegt wie eine isolierende Masse. Die Zeit verging schnell, obwohl sie mit all ihrer Kraft versuchte sie festzuhalten. Doch es war unmöglich. Die Zeit der Erwachsenen hatte übernommen.
Zeit zu heiraten.
Nur noch unregelmäßig holt sie Luft und Müdigkeit legte sich um ihre Beine, wie Schlangen, die an ihren warmen Muskeln bissen. Sie sah sich um, nichts als Sand und ihre Spuren, die langsam vom Wind verweht wurden. Sie warf sich auf den Boden und hielt krampfhaft ihre Füße. Nicht ein Meter würde sie noch laufen können. Vorsichtig drehte sie sich auf den Rücken. Aber was war das, was um ihren kleinen Zeh hing? Mokada zog den Ring ab. Der Zeh schmerzte. Ein weiteres Mal kamen die Erinnerungen.

Sie hatte ein prachtvolles Leben geführt. Ihre grosse Familie war Arm, aber sie hatten genug um sich zu ernähren. Das war das Wichtigste. Dann, als sie den letzten Mond gefeiert hatten, hatte ein großer Mann mit schwarzen Haaren, Locken und Bart oft nach ihr gesehen. Sie war unruhig geworden. Es war Fafne, der Reiche aus der Nachbarschaft, der noch nicht verheiratet war. Ohne es zu wissen, hatte sie schon zu diesem Zeitpunkt versucht die alte Zeit festzuhalten. Sie hatte sich zurückgezogen und den Blicken des Mannes entzogen. Am nächsten Tag war dieser so unvermutet in ihr kleines Haus gekommen, dass weder Fenster noch Tischdecken besaß. Er hatte mit ihren Eltern sprechen wollen. Drei große Kamele hatte er für das Mädchen geboten. Ihre Eltern konnten dem nicht widersprechen. Mokada war einmal mit Pepino auf einem Fest und oft bei ihm zu besuch gewesen. Dort hatte er ihr seine Familie und Freunde vorgeführt. Es war die Zeit, wo sie wusste, was geschehen würde. Was ihr entrissen würde. Es war die Zeit, die am schnellsten verging, obwohl sie versuchte sie zu fangen, festzuhalten, wenn möglich zu stoppen.

Mokadas Mund war trocken, ihr Körper schrie nach Flüssigkeit. Hastig griff sie nach dem Milchsag, lief de bittere Milch ihrem Hals hinunterlaufen. Panisch riss sie die Flasche vom Mund, doch es war zu spät, sie hatte alles getrunken. Schimpfend begann sie ein Loch zu graben und über dies legte sie ein Tuch. Über den glatten Wüstensand gebeugt ging sie suchend los. Nach einiger Zeit fiel sie auf die Knie und krabbelte weiter. Ihr Rücken schmerzte und ihr Kopf fühlte sich schwer an. Eine Hyäne kam zwischen ein Sandbank hervor und wunderte sich darüber, dass das Mädchen wie wild zu graben begann.
Mokada starrte in das Loch. Dort lag sie: Die Sukandafrucht. Sie nahm die Frucht auf und trug sie zu der Höhle, die sie sich gebaut hatte. Mit ungeduldigen Fingern begann sie an der Frucht zu schaben, wie es die Männer getan hatten, wenn die Sonne am höchsten stand. Die feinen Spänen zerdrückte sie in der Hand und ließ den Saft in die wertvolle Flasche laufen. Nachdem sie dies einige Male wiederholt hatte, vergrub sie die Flasche und legte sich in die kühle Höhle.
Die Hyäne trottete in den seltsamen, weichen Berg und sah das Mädchen schlafen. Einige Schritte zuvor hatte diese doch wie wild gearbeitet! Leise trottete sie weg.
Die Wüste erstreckte sich vor Mokada wie ein unendliches Meer des Nichts. Die Luft flimmerte über dem Boden. Sie nahm ein Schluck des sauren Saftes. Sie musste wieder los, die Männer würden sicher nach ihr suchen. Mit einem Sack auf dem Rücken und eine Hyänenmutter auf den Fersen begann sie in die Unendlichkeit zu wandern.

In der Ferne kam ein Greif schwebend heran. Stets auf der Suche nach Beute, der verzweiflung. Ohne mit den scharfen Augen zu zwinkern, sah er den kleinen Mensch mit unsicheren Schritten wandern und ein träumenden Ausdruck in den Augen. Der Mensch war am Ende seiner Kräfte, das bedeutete Essen! Es war lange Zeit her, wo der Greif zuletzt etwas gegessen hatte. Langsam schwebte er hinab.

Wird ein Mensch total isoliert, hält er auf zu existieren. Also kann man nicht alleine sein. Der Mensch muss mit anderen Menschen zusammen sein. Wird ein Mensch ganz alleine gelassen, verschwindet er.

Mokada ging ohne Gefühle, ohne Zeit. Sie war eins mit der Wüste, mit der Welt, mit der Zeit. Hätte sie jemand beobachtet, hätte er sich gewundert, denn als das Mädchen in Ohnmacht fiel, hatte es ein glückliches Lächeln auf den Lippen. Sie hatte etwas entdeckt, etwas fantastisches.

Wenn die Probleme so groß werden, dass sie sich türmen und man zum Schluss nur sich selbst sehen kann oder nicht einmal das, dann läuft das Leben davon, durch die Finger wie Sand.
Aber kommt man über sich selbst, dann sieht man die Wiederholung: Dann beginnt man zu sehen, dass man nur ein schwinden kleines Glied in der Reihe des allmächtigen Kreislaufes ist. Dass man trotzdem nicht wichtig ist, nicht weil man Wertlos ist, denn das ist man nicht, sondern weil die großen Wiederholungen so viel wichtiger und größer sind.
Wenn der Verstand nur sich selbst wahrnimmt, dann sieht man nur seine nicht wiederholbare Zeit. Aber sieht er die Familie, das Geschlecht und das Zusammensein mit anderen Menschen, dann sieht er Wiederholungen. Dann ist die Zeit mehr als ein Feld, eine Klippe, ein Kontinent, in dem man reisen könnte, als ein Zeitglas, das ausläuft.

Mokada schlug die Augen auf. Sie konnte sich nicht bewegen. Ihre Beine waren wie gefroren. Sie starrte in den wolkenfreien Himmel und sah einen undeutlichen schwarzen Fleck über sie schwebend. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Ein Greif! Sie würde sterben. Sterben ohne Hoffnung oder Erinnerung an ein herrliche Leben. Sie reiste sich auf und ignorierte den stechenden Schmerz in ihrem Körper. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einem Schrei. Der Vogel zog ab, als der Schrei sich aus ihrem Mund schwang. Sie biss sich auf die Lippe und stand auf. Ihr wurde schwarz vor Augen, sie fiel.
Nein, sie wollte leben. Krampfhaft versuchte sie sich in einer sitzenden Stellung zu halten. Was war das, was sie weit weg erblickte? Eine Karawane, sie war gerettet. Erleichtert ließ sie sich fallen. Das Gebell eines Hundes drang in ihre Ohren. Die Männer kamen.

Sie war gerettet, aber sie konnte es selbst nicht sehen. Es waren zu große Gedanken in ihrem Kopf um sie zu hantieren. Die Zeit, Zukunft, Vergangenheit und das Jetzt nahm Position in ihrem Verstand. Es war eine ganz neue Zeit. Die Zeit, die sie vielleicht mit der Karawane in eine Stadt führen würde. Sie würde vielleicht Arbeit finden und ein Ort zum wohnen. Sie konnte auch zurückgehen. Zurück zu der alten Zeit. Ein glückliches Erwachsenleben führen mit Fafne und es gut haben. Sie konnte sich auch eine ganz neue Zeit bilden in der Ewigkeit, im Jetzt, aber dann wäre sie verloren.

Aldumakuri Mokada richtete sich auf. Ohne Schmerzen, betäubt von der Stärke des Willens.
Sie ging. War klar für den Start einer neuen Welt. Sie war von den Erinnerungen und Gedanken gereinigt, sah die Zukunft vor sich, Sicher das richtige gewählt zu haben.

[Beitrag editiert von: Miks am 01.03.2002 um 21:20]

 

Werd mal schauen, wann ich mir den Text genauer anschauen kann. Wollte nur kurz sagen, dass der Titel falsch geschrieben ist. Ändern kannst du das mit dem Editieren Button, in der Zeile rechts unter dem Titel.

Bis später

Frederik

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom