Mitglied
- Beitritt
- 08.07.2002
- Beiträge
- 322
Ewiges Dunkel
An der Zimmerdecke tanzten violette Facetten auf und ab. Patrick lag in seinem Bett und beobachtet das bewegungsreiche Mobile, das vor seinen Augen auf und ab tänzelte. Danach rieb er sich die Augen und versuchte diese bedrückende Müdigkeit abzustreifen. Irgendwas war anders an diesem Morgen.
Er versuchte sich an den gestrigen Tag zu erinnern, aber da kam nichts. Keine Erinnerung. Was war denn nur los mit ihm? Hatte er vielleicht mit Freunden ein paar Bier zuviel getrunken? Patrick fragte sich, wie er überhaupt hier ins Bett gekommen war. Vielleicht....
Er drehte sich hektisch zur Seite, aber die Betthälfte neben ihm war leer. Seine Frau musste wohl schon wach sein.
Er tastete auf dem kleinen Nachtschränkchen herum und griff sich den kleinen schwarzen Funkwecker.
Das Display war schwarz...da konnte doch etwas nicht stimmen. Patrick warf noch einmal einen hastigen Blick in den Raum. Durch das große Schlafzimmerfenster sickerte nur dieses violette Leuchten, das er sich nicht erklären konnte. Genau neben dem Haus befand sich ein kleiner See, dessen Wasser während der Abenddämmerung immer so stark erstrahlte. Vielleicht hatte er sich getäuscht und es war Abend. Anders konnte er sich auch nicht die Lichter an der Zimmerdecke erklären. Dieses beruhigende Farbenspiel und das leise dahin plätschernde Wasser des Sees.
Wie oft schon hatten Christina und er hier stundenlang zusammen im Bett gelegen und diese unglaubliche Ruhe genossen.
Bei dem Gedanken an seine Frau keimte tief in seinem Inneren eine merkwürdige Sorge auf. Er konnte sich das selber nicht erklären. Was war nur los?
Patrick beschloss aufzustehen und zum Fenster zu gehen.
Draussen begann es wirklich schon zu dämmern. Der See glänzte in einem unnatürlichen, aber faszinierenden Violett. Das Wetter war schwül und unangenehm, da überhaupt kein Lüftchen da war um es abkühlen zu lassen. Allerdings vermisste Patrick etwas.
Es war keine Sonne da...
Der Horizont glühte rot wie ein Rubin. Die dicken Kumuluswolken waren von Lila Schemen umgeben und gaben dem ganzen einen sehr ausdrucksstarken Hintergrund. Nur wo war der große Feuerball, der normalerweise dieses Schauspiel beenden sollte? Patrick kratze sich verwirrt am Kopf.
Er sollte lieber mal nach seiner Frau und den Kindern sehen.
Möglicherweise hatte die kleine Sarah wieder einen unruhigen Schlaf. Der kleine Sonnenschein, wie sie von Patrick liebevoll genannt wurde, war erst 20 Monate alt. Nachts wechselten sich Christina und Patrick meistens damit ab für die kleine da zu sein. Auch ihr älteres Schwesterchen Kathryn war glücklich über die kleine Sarah. Keine Spur von Neid unter Geschwistern.
Patrick wurde auf einmal wieder ganz anders zumute. Wie sehr liebte er seine kleine Familie...aber warum erweckten die Erinnerungen in dem jungen Mann solch traurige Gefühle?
In Patricks Kopf herrschte nur ein wildes Durcheinander.
Kurz vor der Zimmertüre hielt er einen Moment lang inne. Sein Blick ruhte auf einer Soldatenuniform, die akkurat an der Wand aufgehängt wurde. Er trat etwas näher heran und ließ seine Hand sanft über den Stoff der Brusttasche streifen. In seinem Inneren Auge spielten sich nun ein paar Erinnerungen ab. Erinnerungen an einen der härtesten und unnötigsten Kriege aller Zeiten.
Patrick wühlte sich durch sein kurzes, braunes Haar.
Nein...die Bilder aus Vietnam verfolgten ihn. Bilder von verstümmelten, blutenden Freunden.
Ihre Schreie und ihr flehen im Angesicht des Todes.
Wie oft hatte er ihre Hände gehalten, um ihnen kurz vor ihrer letzten Reise noch etwas Trost zu spenden.
Wie oft war er in kalten Schützengräben gelegen...um in den Momenten der stillen Zeit zu beten. Beten dafür, seine Familie wiederzusehen. Seine Frau wieder in die Arme schließen zu dürfen...ihren wohlriechenden Körper zu spüren.
Dazu seine Erinnerungen an die Nacht, in der er von zuhause wegging...
Wo er seine beiden Töchter noch einmal zudecken durfte...und ihnen eine Geschichte vorlas....bevor beide dann friedlich einschliefen.
Es war eine schwere Zeit gewesen, sicherlich nicht nur für ihn. Umso glücklicher war er, jetzt wieder bei ihnen sein zu können.
Der Flur war kalt und dunkel. Patrick fröstelte, als er sein Schlafzimmer verlies. Der Versuch das Licht einzuschalten scheiterte. Möglicherweise eine kaputte Glühbirne.
Patrick lief den langen Korridor entlang...ein permanenter Windzug streichelte dabei seinen nackten Oberkörper und bescherte ihm eine Gänsehaut. Was war los in seinem Haus? Warum dieser düstere und kalte Kontrast zum schwülen Wetter das draussen herrschte?
An der Tür zum Kinderzimmer seiner Töchter blieb er stehen.
Patrick legte eine Hand auf den Türknauf, traute sich aber nicht sie zu öffnen.
Wieder dieses seltsame Gefühl. Da war etwas in ihm, das ausgesprochen werden wollte. Er selber ließ es nicht zu und blockierte seine Gedanken.
Irgendwie war das wohl nicht sein Tag heute...oder war es mehr als das?
Die Tür quietschte laut auf, als Patrick ins Zimmer trat. Der junge Mann ärgerte sich immer wieder über dieses Geräusch, das die kleine Sarah schon mehr als einmal aus dem Schlaf gerissen hatte.
Das Bettchen von Kathryn stand leer....ebenso die Kinderwiege von Sarah.
Ein permanentes Geräusch aus der hinteren Zimmerecke erregte Patricks Aufmerksamkeit.
Das kleine Fenster war leicht geöffnet und wurde vom Windzug sanft gegen die Scharniere geworfen.
Ansonsten herrschte bedrückende Stille. Das Bett war frisch gemacht und wies keine Spuren früherer Benutzung auf.
Aber wo waren die Kinder denn noch um diese Zeit?
Plötzlich hallte ein schwermütiger Seufzer über den Flur. Patrick fuhr herum und schaute wie hypnotisiert durch den Türspalt nach draussen.
Zur gleichen Zeit heulte ein starker Windstoß durch den Raum und die Zimmertüre wurde sanft aufgestoßen. Dazu wieder dieses knarrende Geräusch....wie aus einem Gruselfilm.
Patrick schauderte es ein wenig. Es war ein seltsames Gefühl das er verspürte.
War seine Familie etwa um diese Zeit noch unten im Wohnzimmer?
Ohne lange nachzudenken stieg er die vielen Stufen hinunter.
Auf halber Höhe blieb er stehen und schaute über das Geländer hinunter aufs Wohnzimmer.
Das erste was ihm auffiel: Der kleine Kamin hatte noch etwas Holz zu fressen und ein kleines Feuer brannte in ihm. Also mussten die anderen hier sein, auch wenn die beiden großen Sessel leer im Zimmer standen. Auch der Platz vor dem Kamin war unbewohnt. Nur eine breite Decke war auf dem Boden ausgelegt. Normalerweise der Stammplatz von Schäferhund „Rocky“.
Patrick holte etwas Luft um den Namen seiner Frau zu rufen.
Die einzige Antwort die zurückkam, war das unnatürlich laute Echo seiner eigenen Stimme.
Selber ein wenig irritiert durch das hölzerne Klangbild, versuchte er es noch mal.
Diesmal etwas kräftiger.
Alles blieb gleich. Keiner antwortete ihm.
Patrick wurde zunehmend unruhiger. Sein Gefühl...das vor ein paar Minuten noch so schwer zu definieren war immer stärker.
Es war das Gefühl....ganz alleine zu sein.
Ein leichter Schauer von Panik übermannte seinen Körper.
Er rannte die letzten Stufen hinunter und machte vor der Haustüre eine Pause. Angstschweiss sammelte sich auf seiner Stirn und seine Hände begannen unkontrolliert zu zucken.
Warum war er nur so panisch....was war los mit ihm? Ohne lange darüber nachzudenken öffnete er die Haustüre.
Eine tosende Windböe stieß ihm entgegen und wirbelte vertrocknete Blätter ins Zimmer.
Patrick ging raus auf die Veranda. Die Tür ließ er offen. Aus irgendeinem Grund hatte er die Befürchtung später nicht mehr rein zu kommen.
Vor ihm tänzelten unzählige Blätter verspielt mit dem Wind. Eigentlich ein schöner Anblick...aber diese bedrückende...ja in seinen Augen bedrohliche Atmosphäre war kein bisschen abgeschwächt. Ganz im Gegenteil. Der Himmel war blutrot und reflektierte seinen bedrohlichen Glanz über die weiten Felder. Die verdorrten Gräser schienen jeden Moment flammen zu werfen.
Dazu noch diese unerklärliche Stille. Kein Grillenzirpen...kein Vogelzwitschern....ja noch nicht einmal die Blätter der großen Baumkronen erzeugten Geräusche.
Patrick entdeckte weiter entfernt am Wegesrand ein weisses Tuch.
Noch einmal ein Ruf von ihm. Wieder ertönte dieses übertriebene Echo.
Er beschloss nachzuschauen...
Sein Blick schweifte von einer Seiten zur anderen. Das hallende, knirschende Geräusch das seine Füße auf dem breiten Kiesweg hinterließen, schien ein Loch in das stille Panorama zu fressen.
Etwa zehn Meter vor dem Tuch blieb Patrick stehen.
Irgendetwas war dort drunter...
Der junge Mann versuchte seinen Blick zu schärfen, ohne näher an das Objekt herantreten zu müssen.
Ein kalter Schauder lief ihm den Rücken herunter....als er die unzähligen roten Flecke bemerkte....die sich plötzlich anfingen in dem weissen Stoff zu verdichten.
Er presste sich seine rechte Hand vor den Mund während ihm unbemerkt eine Träne die Wange hinunterkullerte.
Unter dem inzwischen blutdurchtränkten Leichentuch begann sich etwas zu bewegen.
Erst unbeholfene Zuckungen....dann peitschende, krampfende Bewegungen.
Patrick hatte Mühe seinen Mageninhalt bei sich zu behalten und seine Beine wurden zunehmend schwerer.
Ein widerlich scheuerndes Geräusch wurde erzeugt, als der Stoff begann sich an seinem Inhalt zu reiben.
Nach ein paar versuchen sich auf die Beine zu winden....erstarb das ganze Schauspiel wieder vor den entsetzen Augen des jungen Soldaten.
Patrick versuchte seinen Blick abzuwenden, aber die abscheuliche Neugierde war einfach zu groß.
Sein Blick ruhte auf dem verschachtelten Körper vor ihm...der wohl mit seinem eigenen Leichentuch verwachsen schien.
Zeit um klare Gedanken zu fassen blieb Patrick nicht...denn im nächsten Augeblick ertönte aus der Ferne das schrille und permanente Signal einer Sirene.
Der junge Mann kniete sich reflexartig auf den Boden. Er kannte dieses Signal und seine Bedeutung nur zu gut. Es deutete auf Gefahr durch Kampfflieger hin, die mit ihren Napalmbomben flächendeckenden Schaden anrichteten. Es waren seine Gefolgsleute...die Amerikaner, die diese grausamen Waffen einsetzten.
Im Krieg konnte man nur in seinen Schützengräben liegen bleiben und hoffen, dass im Eifer des Gefechtes nicht eine Bombe auf die eigenen Kameraden hinunterging.
Aber wieso hier?
Der Krieg tobte woanders...er konnte doch nicht schon bis zu seiner Heimat vorgedrungen sein?!
Patrick war verwirrt und panisch. Die Luft über ihm schien schon förmlich zu brennen.
Vielleicht war es nicht die Sonne, die ihren roten Schleier über das Land legte. Vielleicht tobte nicht unweit entfernt ein heftiger Krieg....dessen Explosionen den Himmel zum brennen brachten.
Und nun waren auch er und seine Familie bedroht...deren Anwesen ja weit abseits der Städte lag.
In Patricks Innerem stieg neben seiner Angst zusätzlich eine große Sorge auf.
Wo waren Christina und seine beiden Töchter?
Waren sie vielleicht wirklich raus in die Stadt gefahren? War dem so, konnte er jetzt nichts für sie tun.
Er drehte sich hastig zu seinem Haus um.
Irgendwie hatte er das überwältigende Bedürfnis dort noch einmal nach ihnen zu schauen.
Kaum war er aufgestanden vibrierte ein kaum hörbarer Ton in seinem Ohr. Irgendwoher kannte er dieses immer lauter werdende Pfeifen.
Er schaute hinauf zum Horizont und in diesem Augenblick kehrte seine Erinnerung an die Ursache für dieses Phänomen zurück.
Es war eine der besagten Napalmbomben...die nicht unweit von seinem Standpunkt explodieren sollte.
Adrenalin durchflutete automatisch seinen ganzen Körper und er begann zu rennen.
Seine Beine waren immer noch überanstrengt und sie hatten Probleme die schnelle Geschwindigkeit überhaupt mitzumachen.
Das kurze Stückchen von hier bis zum Haus schien sich für ihn ewig weit in die Länge zu ziehen.
Er war auf der ersten Stufe zur Veranda angekommen, als hinter ihm ein lautes Grollen die Stille zerfetzte.
Er merkte, wie sein ganzer Körper urplötzlich von heissen Flammentüchern umwickelt wurde.
Wie seine Hautschichten eine nach der anderen zusammengeschmolzen wurden und sich in einen brennenden Klumpen Fleisch verwandelten. Dieser überwältigende Schmerz der sein Leben langsam verbrannte und ihm diese entsetzlichen Qualen bereitete...er kannte ihn irgendwoher....
In einem wilden Todeskampf versunken schmetterte sein geschundener Körper gegen einen Gegenstand.
Im nächsten Moment lag Patrick auf dem eiskalten Fliesenboden seines Wohnzimmers.
Die Flammen waren verschwunden.
Die Schmerzen auch....
Immer noch wild kreischend und zappelnd lag der Mann auf dem harten Fußboden.
Es dauerte eine Weile um zu registrieren, dass der Schmerz schon lange vorbei war.
Patrick weinte bitterlich. Noch immer versuchte er sein Gesicht vor den Flammen zu schützen.
Er schlängelte sich wild umher, um die wohltuenden Fliesen zu spüren die seinen Körper abkühlten.
Erst nach einer kleinen Ewigkeit konnte er nachvollziehen, dass seine Hände und Arme völlig in Ordnung waren. Kein verbranntes Fleisch und keine Schmerzen. Alles war normal.
Was in Gottes Namen ging hier vor sich? In dem Kopf des jungen Mannes herrschte jetzt ebenfalls ein Krieg. Erinnerungen und Erfahrungen verdichtete sich vor seinem geistigen Auge....aber ganz bis zur Oberfläche schafften sie es nicht.
Patrick war am ganzen Leib am zittern als er sich versuchte aufzurichten.
Solch ein Gefühl hatte er bisher noch nie gespürt. Sein Körper war kaum mehr unter Kontrolle zu bringen. Muskeln und Gliedmaßen zuckten unkontrolliert herum und machten dem jungen Mann noch mehr Angst.
Erst jetzt konnte sich Patrick auf die völlige Finsternis konzentrieren....die das ganze Wohnzimmer ausnahmslos einhüllte.
Was war in den paar Minuten hier drin geschehen?
Von oben her erhellten gelegentliche Lichtblitze einen Teil der großen Treppe.
War jemand dort?
Patrick versuchte sich zu beruhigen. Er versuchte sein schnelles, keuchendes Atmen zu mäßigen um besser lauschen zu können.
Mit der Zeit erlangte er auch die Kontrolle über seine Gliedmaßen zurück. Verdammt noch mal er war Berufssoldat und musste mit solchen Extremsituationen umgehen können.
Von dunklen Fassaden umbaut beschloss er sich der Treppe zu nähern.
Hier fühlte er sich unwohl.
Er hatte immer noch die Bilder der verkrümmten Leiche vor Augen.
Eben dieser Leichnam, der sich direkt vor seinen Augen bewegt hatte.
Patrick schauderte bei dem Gedanken was wohl unter dem Tuch verdeckt lag....
Aus der Nähe des Kamins ertönte plötzlich ein schrilles Geräusch.
Das kleine Feuer war mittlerweile erloschen...lediglich etwas Glut in Form von feinen Rubinen zeichnete sich vom ansonsten Pechschwarzen Hintergrund ab.
Aus einer anderen Ecke hörte Patrick plötzlich ein leises wimmern...gefolgt von einem tapsenden Geräusch.
Der junge Mann drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und vergaß für ein paar Sekunden das Atmen.
Zu den beiden Geräuschen gesellte sich nun ein drittes. Ein Schlurfen...als ob da jemand einen Gegenstand hinter sich herschleifen würde.
Plötzlich legte sich ein Schatten vor die Glut des Kamins.
Der letzte Farbschemen in diesem Raum war damit gestorben.
Irgendetwas hatte sich davor geschoben...
Wieder ertönte das Wimmern...diesmal wesentlich lauter als vorher.
Patrick erschrak und versuchte die Geräusche in seinem Kopf zu ordnen. Versuchte, diese surreal wirkenden Klänge etwas nachvollziehbarer zu machen.
Von einem Menschen kamen diese Geräusche nicht. Das leise Scharren bei Bodenkontakt machte ihm nun ein ganz anderes Wesen präsent.
Einen Hund...
Aber das konnte nicht sein „Rocky“ sein. Irgendetwas lief hier gegen ihn. War das alles nur ein Alptraum? So wünschte sich Patrick in diesem Moment nichts sehnlicher als endlich aufzuwachen. Er wollte zu seiner Frau...wollte seine kleinen Töchter in die Arme nehmen.
Der näherkommende Schatten befreite ihn von diesen Gedanken.
Dieses gespenstische Scharren auf den Fliesen.
In Patrick keimte erneut Panik auf und so stürmte er zügig die Treppen nach oben.
Im Flur angekommen bemerkte Patrick sofort die defekte Glühbirne an der Wand, die durch regelmäßige Lichtblitze und knisternde Geräusche auf sich aufmerksam machte.
Ein paar Motten hatten sich um diese einzige Lichtquelle versammelt und flogen unruhig und verwirrt gegen das Glas.
Patrick war dennoch froh wenigstens gelegentlich etwas sehen zu können.
Auch wenn ihm das Szenario vor ihm sehr viel Unruhe bereitete.
Diese völlige Finsternis wirkte zusammen mit dem Blitzlicht sehr unheimlich.
Die Schemen und Schatten, die man erst bei Licht wahrnehmen konnte ließen Patrick frösteln.
Den langen Weg über den Korridor musste er dennoch wagen...
Als er fast am Ende angekommen war vernahm er hinter sich ein lautes, schlurfendes Geräusch.
Irgendetwas war da...
Da bewegte sich etwas mit der Finsternis, durch die er grade eben noch gekommen war.
Seine Beine fingen wieder an zu zittern.
Er versuchte seinen Körper zu kontrollieren aber es war ihm nicht möglich.
Konzentriert versuchte er eine Bewegung auszumachen....aber sein Blick wurde von pechschwarzen Fassaden blockiert.
Dann plötzlich erhellte ein Lichtblitz den Korridor und zerfetze die Schatten.
Die Sicht wurde wenige Sekunden ermöglicht....und die reichten völlig aus, um die skurrile Gestalt zu erkennen, die knapp drei Meter von Patrick entfernt an der Wand lehnte.
Auf zwei Beinen stehend, aber humpelnd und gekrümmt schlurfte der Körper weiter über den Flur.
Das Licht war längst wieder erloschen, aber vor den Augen des jungen Mannes war dieses Bild des Grauens immer noch zu sehen.
Patrick war für einen Sekundenbruchteil unfähig zu handeln.
Eine kalte Hand quetschte sein Herz und ergriff die Gewalt über seine Beine.
Die Paralyse war alsbald wie sie gekommen war auch wieder verschwunden und nun drehte er sich um und hechtete zur Schlafzimmertüre.
Mit einem lauten Knall brachte er eine wohltuende Distanz zwischen sich und den Flur.
Reflexartig zog er den großen Kleiderschrank, der links neben ihm stand vor die Tür.
Dieses Gewicht musste ausreichen um diese abscheuliche Kreatur auszuschließen.
Patrick setzte sich auf die Bettkante. Seine Hand hatte er wieder auf den Mund gepresst. Die andere ruhte auf feuchtem Untergrund.
Als er sie ruckartig hochschnellen ließ um nachzusehen in was er da gegriffen hatte...wurde ihm mit einem mal Speiübel. Er ließ sich auf die Knie sinken und erbrach auf den Holzfußboden.
Ein intensiver Geruch von verbranntem Fleisch stieg ihm zusätzlich in die Nase.
Das warme Blut auf seiner Handfläche versuchte er am Boden abzureiben.
Danach krabbelte er hektisch vom Bett weg.
Er wollte nicht nachschauen, aber die Neugierde war einfach zu groß...also begann er damit sich am Schrank hochzustemmen.
Von draussen strahlte nach wie vor ein blutroter Glanz ins Zimmer.
Nun entrang sich Patricks Kehle ein schluchzender Laut....denn vor ihm stand ein Bett, dessen weißer Bezug mit Blut und Eiter getränkt war.
Was zum Teufel ging hier bloß vor sich?
Patricks Beine gaben nach und der junge Mann rutschte zu Boden.
Über seine Wangen kullerten Tränenflüsse....
Jetzt schweifte sein Blick weiter rüber zum großen Spiegel, vor dem sich Christina damals stundenlang schön gemacht hatte.
Im Spiegelglas sah der junge Mann eine Gestalt in Uniform. Sie hockte in der gleichen Position wie Patrick auf dem Boden. Das Gesicht war vollkommen verunstaltet. Der verkokelte Fleischklumpen trug keine Menschlichen Züge mehr.
Ein weisser Fleck mit einer erweiterten Pupille gaffte Patrick ausdruckslos an.
Dann hörte er plötzlich eine Stimme von draussen.
Sie schien weit entfernt zu sein, aber das machte Patrick grade gar nichts aus. Der junge Mann war blitzschnell auf den Beinen und hechtete zum Fenster.
Er streckte seinen Kopf weit hinaus und horchte.
Dann plötzlich wieder. Undefinierbar weit entfernt hallte eine Stimme in sein Ohr.
Es war die liebliche Stimme Christinas....allerdings vibrierte in ihr eine wohl merkliche Trauer.
Patrick versuchte ihr zu antworten....aber seine Stimme ertönte gar nicht.
Was zum Teufel...?
Urplötzlich wurde er in weisses Licht gehüllt und seine Sinne vernebelten sich.
Seine Gliedmaßen wurden betäubt und er fühlte eine wohltuende Wärme am ganzen Körper.
Vor seinen Augen erschien Christina.....die ihre Arme nach ihm ausstreckte.
Auf Patricks Gesicht zeichnete sich ein liebevolles, glückliches Lächeln ab....
______________________________________________________
...Die linke Hand der jungen Frau ruhte auf einer durchsichtigen Scheibe...während die andere sanft auf den Haaren eines kleinen Mädchens lag.
Ihr Blick galt den vielen Ärzten, die sich alle um ein kleines Bett versammelt hatten.
Auf diesem Bett lag eine große Gestalt die von Kopf bis Fuß mit weissen Bandagen eingehüllt war.
Blut und Eiter waren immer wieder durchgesickert...egal wie oft die Verbände auch gewechselt wurden.
Die junge Mutter fing an zu weinen und wendete ihren Blick ab, als die Ärzte damit begannen ihre Schocktherapie vorzubereiten.
Das kleine Mädchen schaute verunsichert zu ihr herauf..
„Du Mammi....es kommt doch alles wieder in Ordnung mit Daddy oder?“
Christina drückte die kleine Kathryn fest an sich.
Diese verlor nun auch ein paar Tränen.
„Warum muss Daddy diese ganzen Verbände tragen?“
Das kleine Mädchen schaute erwartungsvoll in die Augen ihrer Mutter.
„Weißt du Kathy...Daddy wurde in seinem Krieg wie viele andere Menschen Opfer einer Bombenexplosion...“
Christinas Stimme war mitten im Satz zusammengebrochen....trotzdem versuchte sie sich wieder zu fassen.
„Er muss jetzt diese ganzen Verbände tragen, damit seine Brandwunden auch schnell wieder verheilen weißt du....“
Christina versuchte sich mit der Überzeugungskraft ihrer eigenen Stimme selber etwas vorzumachen.
Sie wusste wie es um ihren geliebten Patrick stand. Würde er das alles hier überleben....und dessen waren sich auch die Ärzte nicht sicher....würde er ein Leben lang entstellt bleiben.
Seine Haut war zu Achtzigprozent verbrannt worden. Es gab keine Hoffnung auf Heilung....
Plötzlich wurde die Tür zum OP Saal geöffnet und ein älterer Mann mit grünem Kittel und Atemschutz trat vor Christina und ihre Tochter.
Der Blick des Doktors war ernst.
„Sagen sie schon....wird mein Mann durchkommen?“
Christina zitterte und ihre Stimme wurde von Weinkrämpfen undeutlich gemacht.
Der Arzt nahm sich den Atemschutz aus dem Gesicht und forderte Kathryn auf, mal kurz nach ihrem kleinen Schwesterchen zu sehen...das von einer der Krankenschwestern in Obhut genommen wurde.
Nun konnten sich Christina und er ungestört unterhalten.
„Ich will ihnen keine falschen Hoffnungen machen Frau Gainsborough....es steht sehr schlecht um ihren Mann.
Wir haben sein Herz zwar wieder in Gang bekommen, jedoch weiss keiner ob sein Körper es schafft, derart starke Verbrennungen zu verkraften.“
Christina blickte geistesabwesend auf den Boden. Ihre Stimme zitterte.
„Was werden sie jetzt mit ihm machen?“
Der Arzt zupfte sich unruhig am Bart.
„Nun ihr Mann wird erst einmal in ein künstliches Koma versetzt. Es wird sich zeigen, ob sein Wille zu leben immer noch groß genug ist um zu uns zurückzukehren.“
Plötzlich hallte eine freundliche Stimme aus den Lautsprechern, die einen Doktor Redfield ausrufen ließ.
Der ältere Mann horchte und setzte sich in Bewegung.
„Es tut mir leid aber die Arbeit ruft. Gehen sie erst mal mit ihren Töchtern nach Hause und ruhen sie sich aus....das war ein harter Tag für uns alle.“
Ein letztes Schulterklopfen...dann war der Arzt auch schon auf dem Weg um neue Kriegsopfer zu behandeln.
Christina rief ihm noch eine letzte Frage hinterher.
„Wie lange kann sein Zustand noch andauern?“
Dr. Redfield drehte sich noch einmal zu der jungen Frau um und schüttelte den Kopf.
„Das kann leider keiner von uns bestimmen....“
Nach diesen Worten war er auch schon hinter einer Ecke verschwunden.
Christina stapfte kraftlos zu der großen Scheibe und blickte zu ihrem Mann, der regungslos auf seinem Bett lag und von Maschinen versorgt wurde.
Ihre Hände presste sie gegen das Glas und ließ sich dann langsam zu Boden rutschen.
Ihr Körper bebte und aus ihrem Mund drang ein tiefes Schluchzen....
______________________________________________________
...Patrick saß auf seinem Bett und hielt einen viereckigen Gegenstand in der Hand. Seine Gedanken waren bei Christina und den Kindern. Wo waren sie nur? Was zum Teufel war mit ihnen Geschehen? Eine Träne tropfte auf den Bilderrahmen des Familienfotos, das Patrick krampfhaft in den Händen hielt.
Draussen verabschiedeten sich die letzten Sonnenstrahlen...und kurze Zeit später saß der junge Mann ganz im dunkeln auf seinem Bett. Das einzige Geräusch was er hörte, war das seiner eigenen Trauer.
Sie mussten irgendwo da draussen sein. Wenn die Sonne wiederkommen würde....so hatte er nun einen festen Entschluss gefasst....würde er sie suchen gehen. Er würde nicht aufgeben bis er wieder mit ihnen vereint sein konnte.
Es gab nur eine Wahrheit, die tief in seinem Inneren verborgen war....von der er aber noch nichts wissen wollte.
Es war die Gewissheit darüber....das die Sonne für ihn vielleicht nie wieder aufgehen würde....
Ende
[ 26.07.2002, 16:25: Beitrag editiert von: ANiMA ]