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Evil Places
...Eine rabenschwarze Nacht war das heute mal wieder.
Der alte Joseph schüttelte den Kopf und schaute in den hinteren Teil seines kleinen Ruderbootes. Dort standen drei große Eimer, die mit ein wenig Eis aufgefüllt waren. Ein kurzer Seufzer von ihm, dann ruhte sein Blick wieder auf dem tiefschwarzen Wasser, das überall um ihn herum leise plätscherte. Der von dicken Kumuluswolken bedeckte Horizont glühte im starken Licht des Vollmondes in einem mysteriösen violetten Schimmer. Auf der Wasseroberfläche tanzte eine matte, silbrige Silhouette auf und ab.
Joseph zerrte leicht an seiner Angelrute, aber er spürte keinen Widerstand.
Er schien heute einfach kein Glück mit den Fischen zu haben. Aber das brauchte er auch nicht unbedingt. Die Fische waren nebensächlich. Joseph genoss die Ruhe, die bei Nacht hier auf See unvergleichlich war. Einmal hatte er seinen Sohn hierher mitgenommen. Als dieser noch jünger war, hatten Vater und Sohn viele dieser schönen Momente gehabt.
Nun führte er sein eigenes Leben, weit weg von Antonios Bay. Und Joseph war so einsam wie nie zuvor gewesen. Jeden Tag besuchte er seine Frau auf den Klippen um ihr frische Blumen ans Grab zu bringen. Seine geliebte Rosemary...nun schon seit 10 langen Jahren tot. Der Schmerz allerdings saß immer noch tief und die Fesseln der Einsamkeit drückten schwer auf Josephs Gesundheit. Zum Glück fand er noch etwas Halt in der Gemeinde. Oft saß er noch bis spät in die Nacht in der Bar und teilte alte Geschichten mit ebenso alten Seeleuten.
In seinem tiefsten Inneren sehnte er sich bereits den Tod herbei. Er hatte genug vom Leben gesehen und selbst miterlebt. Mit mittlerweile 80 Jahren hatte er sämtliche Höhen und Tiefen des Lebens am eigenen Leib zu spüren bekommen.
Und er war es leid geworden an einem Punkt weiterzuexistieren, an dem er keine Entwicklung mehr durchmachen konnte.
Plötzlich wurde Joseph aus seinen Gedanken gerissen.
Das Geräusch, von dem er erst dachte das es nur in seinem Kopf zu existieren schien, wurde immer aufdringlicher.
Kirchenglocken...
Irgendwo weit in der Ferne hörte er das dumpfe Geräusch einer Glocke.
Neugierig aber auch ein wenig irritiert schaute er zu der Insel, die etwa zweihundert Meter von ihm entfernt lag. War er wirklich schon soweit raus getragen worden?
Er blickte sich um. Noch weiter entfernt als die Insel lag der Hafen von Antonios Bay mit seinen blassen Laternen.
Er horchte wieder.
Das starke tosen der sich an den steilen Klippen brechenden Wellen, übertönte so gut wie jedes andere Geräusch.
Hatte er sich die Glocken etwa nur eingebildet?
Ein merkwürdiger Zufall, immerhin war diese Insel schon lange Standpunkt eines uralten Klosters, das allerdings schon Ewigkeiten unbewohnt war.
Joseph sah hoch zum alten Leuchtturm, der ebenfalls schon geraume Zeit ausser Betrieb stand.
Das Licht des Mondes zauberte einen unheimlichen Schleier über dieses Bauwerk, dass nun in einem gleißend weißen Licht erstrahlte.
Es war fast so, als hätte man den Turm seit grade eben wieder in Betrieb genommen.
Diese Insel war seit jeher ein idealer Erzählstoff für Seeleute, die ihre Kinder mit gruseligen Geschichten erschrecken wollten.
Auch Joseph erinnerte sich an die Geschichten, die ihm als Kind gerne über das alte Kloster erzählt wurden. Über den alten Schwesternorden, der in den Gemäuern einst lebte...und der wohl auch heute noch dort vertreten sein soll...natürlich in Form von Geistern.
Joseph musste selber grinsen als er noch einmal über diesen Seemannsgarn nachdachte. Er selber hatte es seinem eigenen Sohn auch oft erzählt und war immer zufrieden gewesen, wenn dieser ihm glaubte und Nachts verängstigt in das Bett seines Vaters gekrochen kam.
Allerdings hatte dieser Ort wirklich etwas unheimliches an sich. Joseph konnte sich nicht an den Tag erinnern, als das letzte Mal ein Dorfbewohner einen Fuß auf diese Insel gesetzt hatte.
Langsam tasteten sich seine Blicke an den steilen Klippen entlang. Seine Wahrnehmung wurde von wild umherwehenden Sträuchern und Gräsern gestört, die sich in seinem Kopf zu Irrealen Bildern verformten. Ein seltsames Gefühl machte sich in ihm breit...er versuchte verzweifelt nach etwas zu suchen das es dort auf der Insel wohl nie gegeben hat und auch nie geben wird.
Seine Innere Stimme schimpfte ihn schon einen abergläubischen alten Narren, als sein Blick plötzlich auf einen Schatten stieß, der unglaublich Menschliche Formen angenommen hatte.
Joseph schauderte und er richtete seinen Blick kurz von dem Objekt ab, nur um beim zweiten hinsehen feststellen zu müssen, dass da wirklich eine Gestalt nahe den Klippen stand.
Der Schatten bewegte sich nicht, allerdings schien die Gestalt eine Art Kutte oder einen Mantel zu tragen, der sich gespenstisch im Wind auf und ab bewegte.
Vielleicht nur ein kleiner Strauch oder ein altes Holzstück?
Joseph war neugierig geworden und kramte eifrig in seiner alten Brusttasche herum, bis er eine kleine Tasche aus Leder in der Hand hielt.
Hastig öffnete er deren Verschluss und entnahm ihr ein kleines schwarzes Fernglas.
Ein Geschenk des Sohnes bei seinem letzen Besuch vor einem Monat. Joseph hielt es in Ehren und war dankbar es heute Nacht bei sich zu tragen.
Jetzt vergewisserte er sich noch mal, ob das Objekt immer noch an seinem alten Platz stand. Es hatte sich nicht weiter bewegt und stand da wie angewurzelt.
Joseph grinste noch einmal über seine närrische Neugierde. Es war zu fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit nur ein Strauch oder was vergleichbares.
Der alte Mann visierte die Richtung an und setzte das Fernglas an die Augen.
Er war fasziniert von der unglaublichen schärfe und Weitsicht die er nun hatte.
Sein Blick ruhte auf dem Klippenvorsprung, wo er allerdings nur lange Gräser und Sträucher sehen konnte. Er schwenkte weiter nach rechts...und nun viel im fast das Fernglas aus der Hand.
Vor seiner Linse stand ein Mensch. Eine dunkle Gestalt, eingehüllt in eine schwarze Kutte. Das leichenblasse Gesicht war halb verdeckt durch eine tiefe Kapuze. Der Blick (auch wenn die Augen der Gestalt gar nicht sichtbar waren) schien genau auf Joseph zu ruhen. Aus der rechten Hand ragte ein langer hölzerner Stock hervor, an dessen Ende eine sichelförmige Klinge ruhte...eine Sense.
Der alte Mann traute seinen Augen kaum. Seine Hände wurden schwer und er spürte einen eiskalten Druck auf seinem Herzen. Der Schock saß tief und alle Gliedmaßen waren für kurze Zeit völlig gelähmt.
Dann löste sich Joseph aus seiner Starre und ergriff hastig eins der Ruder...dann das zweite.
Von unglaublicher Angst getrieben begann er zu rudern.
Das kleine Boot schaukelte wild hin und her und drohte zu kippen.
Joseph plapperte wirres Zeug während er sich gleichzeitig darüber zu freuen begann, das sein Boot ziemlich schnell in fahrt kam.
Als er sich knapp fünfzig Meter von der Insel entfernt hatte schaute er sich noch einmal hastig um und verweilte kurze Zeit in dieser Haltung.
Er konnte wieder ganz deutlich die Glocken schlagen hören und im gleichen Moment umwehte ihn ein eiskalter Windzug.
Mit dem Wind vernahm der verwirrte Mann einen wohltuenden Gesang, der aus weiter Ferne in sein Ohr schwebte.
Erneut presste er das Fernglas an die Augen, um die Küste zu erkunden.
Sofort viel ihm die leuchtende Gestalt auf, die an der gleichen Stelle platziert war, an der eben noch dieser dunkle Sensenmann gestanden hatte.
Das Gesicht der alten Frau war ebenfalls leichenblass. Ihr ergrautes Haar wehte sanft mit dem Wind und ihr üppiger Körper war in weisse Leinen gehüllt.
Joseph war wie hypnotisiert vom Anblick seiner geliebten Rosemary, die nun beide Arme nach dem weinenden alten Mann ausstreckte.
Joseph wusste nicht was hier vor sich ging, aber obwohl sein Unbehagen auch existent war...begann er damit wieder Kurs auf die Insel zu nehmen.
Er ruderte wie ein Wahnsinniger. In seinen Oberarmen verspürte er schon die schmerzenden Anzeichen eines Krampfes.
Die Insel näherte sich ihm rasch. Er war mittlerweile den Klippen und sich brechenden Wellen wieder gefährlich nahe gekommen.
Verzweifelt versuchte Joseph der Naturgewalt zu strotzen, aber eine immense Strömung lenkte sein kleines Holzboot wie auf Schienen zu den Felsen.
Der alte Mann stöhnte vor Angst auf und war sich seiner Machtlosigkeit bewusst.
Reflexartig presste er sich sein Fernglas vor die Augen und suchte nach seiner Frau.
Er tastete mit seinen Blicken die gesamten Klippen ab, aber nirgendwo war etwas zu sehen.
Im nächsten Moment wurde sein Boot von einer großen Welle erfasst und mit rasender Geschwindigkeit gegen die Felsen geworfen.
Zeit um zu reagieren hatte der alte Mann nicht mehr. Er hörte einen dumpfen Schlag und im nächsten Moment wurde sein ganzer Körper von einem überwältigenden Schmerz durchflutet.
Wassermassen brachen über seinen geschwächten Körper herein und zogen ihn in die Tiefe.
Joseph war nicht mehr in der Lage klar zu registrieren, was mit ihm geschehen war. Sein Blick und seine Gedanken konzentrierten sich auf das grelle Leuchten, welches aus den tiefen des Meeres zu ihm emporstieg.
Als sich seine Sinne vernebelten, war es das Bild seiner Frau das er als letztes vor Augen hatte. Rosemary streckte ihre Arme aus und lächelte zufrieden.
Langsam beruhigten sich die tobenden Wassermassen wieder und die See lag sanft plätschernd und mit glänzenden Silhouetten verziert da...so als ob nie etwas gewesen wäre.
Das permanente Geräusch der Glocken erstarb und auch der schwarze, seelenlose Kuttenträger machte sich auf den Rückweg.
Er hatte seine Aufgabe erfüllt und den Platz für neues...frisches Leben geebnet...
[ 26.07.2002, 16:28: Beitrag editiert von: ANiMA ]