Öhm ... Jo. Es gibt mitunter Geschichten, zu denen mir so was von nix einfällt, dass es zum Umfallen ist.
In diesem Fall dünkt mir, die Geschichte ist genial und alle nötigen Informationen stehen eigentlich zwischen den Zeilen.
Ich versuche mal, alles rauszuholen was sich meines Erachtens nach herauslesen ließ:
Eva war ein hübsches Mädchen, ca 24 Jahre alt, besuchte ein Gymnasium mit Schwerpunkt „Volksgeometrie“.
"Ca. 24 Jahre" führt den Leser natürlich in die Irre, denn: Mit 24 ist man kein Mädchen mehr (abgesehen von Rainer, der noch mit 32 ein Mädchen war) und geht auch nicht mehr aufs Gmynasium, es sei denn, man bleibt mindestens 6-mal sitzen oder spielt bei GZSZ mit, wo 16jährige von 30jährigen Flachwuchsschauspielern inkarnisiert werden.
Vermutlich hat sich hier ein Fehlerteufelchen eingeschlichen und Eva ist zwei hoch vier Jahre alt, also ca. 17 (Rechnen war noch nie meine Stärke).
"Volksgeometrie": Ein Blick in ein Lexikon verrät, was darunter zu verstehen ist.
Volksgeometrie, die
Wissenschaft von der Kausalität zwischen menschlichen Fortbewegungsmöglichkeiten und der empirologisch verfizierbaren Ökonomiekrudität.
So gilt für Deutschland, dass ständiges im Kreise Laufen die Schuhindustrie sowie die Psychologie zu Rekordumsätzen führt, während etwa in Frankreich die Quadratur des Kreises auf der Champs-Elysees zu depressiven Aktienkursen führt.
Als ökonomisch potentestes Geometrievolk gelten die USA, wo das im Quadrat springen volkswirtschaftlich gesehen höchste Umsätze garantiert.
Im Gegensatz hierzu steht das alpine Volk der Österreicher und Schweizer per defintionem im Eck (zumeist im rechten Winkel, der durch 90-Grad-Halswendigkeit gekennzeichnet ist), weshalb es keine bedeutende öst. und schw. Automobilindustrie gibt.
Des Nächtens horchte sie oft ein bisschen Death Metal auf ihrem Handy, aber ansonsten hatte sie rote Haare.
Hier möge der geneigte Leser betroffen inne halten: Wann wurde jemals zuvor auf die Diskrepanz von roten Haaren (Symbol der Verführung!) und Death Metal (medizynischer Fachausdruck bei Hörsturz infolge zu lauten Metal-Hörens: "Def Metal") in derart schockierender Weise hingedeutet?
Verführen die satanischen Klänge des Death Metal unsere Jugend nicht? Macht sie unseren Nachwuchs nicht taub gegenüber germanischem Liedgut, zu dem sich fröhlich marschieren lässt?
Und ist das Handy nicht ein Ersatz für die fehlende starke Hand und daraus resultierendem geschwollenem Mund der Mutter?
Man beachte, dass die Eltern mit keinem Wort erwähnt werden!!!
Es schimmerte in purpurnen blau, wenn sich die Sonnenstrahlen in ihrem durchnässtem Haar verfingen.
Welch herrliches Sinnbild: "Purpurnes blau". Es darf nicht Spott nehmen wenn ich spontan an Wagnerianischen Pomp erinnert wurde, als ich dies las.
Irgendwas mit durchnässten Wallküren, die sich in Siegfrieds blondgeflockten, drei Meter langen, walllhallenden Haaren verfingen fiel mir dazu ein.
Einziger Kritikpunkt: Irgendwie wurde ich auch an Karel Gotts Lied "Fang das Licht" erinnert.
Es sei denn, das Lied stammt von Wagner - dann will ich nix gesagt haben...
Ihre Lieblingsfilme waren Massaker und sie durchbohrte ihren Körper gerne mit metallischen Stiften und Ringe.
Sensibilisiert von all den schrecklichen Bluttaten der jüngsten Vergangenheit, zeugt mir dies vom Verständnis der Autorin in Bezug auf Gewaltvideos wie "Mambo", "Lärminator", "Flohzilla", "Pornocchio" oder "Die Rückkehr der Gummibärchenbande".
Wann, außer die letzten zehn Jahre fünfzig mal täglich, hätte man ein so kritisches Plädoyer gegen Gewalt in den Medien vernommen?
Noch dazu wenn die Autorin sich in lichte Höhen der Erzählkunst schwingt und davon erzählt, wie die Protagonistin sich metallische Stifte und Ringe durch den Körper bohrt; ein unzweifelhafter Seitenhieb auf die "Hellraiser"-Filme, übelster Splatter-Abschaum, den man verbrennen sollte, auch wenn einige Menschen an den giftigen Dämpfen des Plastiks ersticken würden. Ein geringer Preis im Vergleich zur Gefahr, dass alle Jugendlichen plötzlich anfingen, sich mit Stiften und Ringen zu durchbohren.
Ein Schicksal, das dereinst auch den Jüngling Michael Jackson widerfuhr - ein falscher Griff an die Nase könnte sein Gesicht auseinanderfallen lassen.
Lieber Erziehungsberechtigte! Wollen Sie, dass Ihr Kind auseinanderfällt, weil es nur noch von metallischen Stiften und Ringen zusammengehalten wird??? Ich bitte Sie, TUN SIE DOCH WAS!!!
Eines Tages stand Eva vor einer Bank.
Wieder eine unglaublich ausdrucksstarke Metapher: Eva STEHT vor einer Bank, anstatt sich zu SETZEN.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen (das Wortspiel, nicht die Bank): Virtuoser ist die Absurdität des Suchens nach dem Lebenssinn meines Erachtens nach nie dargelegt worden.
Ist es denn nicht wahrlich dergestalt, dass wir stehen, obgleich wir sitzen wollen? Dass wir sterben wollen, wenn wir leben, und leben, wenn wir sterben?
Sie blickte ruhelos nach links und nach rechts.
Ein klareres politisches Statement kann man sich kaum wünschen! Wohin drängt Europa? Nach rechts oder nach links? Backbord oder Steuerbord? Sozialismus oder Tod?
Sie schien auf etwas zu warten.
Oh ja, immer warten wir auf irgend etwas, anstatt selber zu agieren!
... nämlich den großen Verführer, den Rattenfänger der vorgibt er wüsste die Lösungen auf all unsere Fragen!
Rattenfänger in Gestalt eines Death Metal-Stars mit roten Haaren (etwa Schlemminem oder Milva), eines Politikers à la Haider, der Beziehungen zu Schurkenstaaten aufbaut, während sein eigenes Land, seine eigene Heimat von Ausländern überrannt wird.
Oder sie verfällt einem fiesen Clochard (französisch für LePenner), der ihre Naivität ausnutzt und ihr Bonbons schenkt, die mit Anthrax verseucht sind).
Dabei zündete sie sich nervös eine Zigarette an.
Sie rauchte.
Aaah, diese fulminante Doppeldeutigkeit: Rauch die Zigarette oder raucht Eva die Zigarette? Viel zu einfach würde man es sich machen zu behaupten: "Na, wenn sie die Zigarette anzündet raucht sie logischerweise.".
Könnte sie die Zigarette nich auch wutentbrannt wegschmeißen? Sie einem kleinen Kind schenken um es an den Teergeschmack zu gewöhnen? Und könnte diese Zigarette nicht symbolisch stehen für unsere Welt, die in Flammen steht, weil wir sie an allen Ecken und Enden anzünden?
Bitte denken Sie darüber nach und versuchen Sie, die Lösung nicht rauszuschreien - andere möchten auch noch mitraten!
Plötzlich rannte ein Mann sie um .
Er kam von der Bank.
Nun wurde man eine Entschuldigung erwarten, zB ein "Verzeihen Sie, Mademoiselle, ich heiße Ray Feissen und bin Bankbeamter. In Eile ward ich und so sah ich euer lieblich Gestalt nicht, verzeiht, oh verzeiht!"
Doch:
Sie rappelte sich wieder hoch.
Wohlgemerkt: Keine Entschuldigung, keine Hand, die sich ihr entgegenstreckt, kein tröstendes Petting durch den Bankbeamten!
Und nun explodiert die Gewalt förmlich:
Sie schrie dem Mann ins Gesicht.
Der Mann schrie zurück.
Wieder bin ich zutiest betroffen von der vielbeschworenen Gewaltspirale, die sich hier unverhohlen zeigt.
Es ist wie bei einem Fußballspiel, wenn ein Spieler einem anderen die Kniescheibe zertrümmert und die Rote Karte erhält, für die er nicht mal ein Butterkipferl beim Aldi sich kaufen kann.
Er wird unter die Dusche geschickt, auf dem Weg dahin vom Publikum ausgebuht und vom Trainer liebevoll in den Anus getreten, und beim Duschen gehen ihm allerlei Gedanken über Liebe, Tod und Teufel durch den Kopf.
Aber natürlich erzeugt diese Gewalt neue Gewalt und beim nächsten Fußballspiel ist der Spieler dermaßen verbittert, dass er einem Gegner das Ohrläppchen abbeißt.
Der Mann trug eine Sporttasche und war groß und kräftig gebaut.
Er hielt etwas in seiner Hand.
Für mich der Höhepunkt der genialen Wortakrobatikübungen: Man erwartet natürlich, dass der Mann die Tasche in der Hand hält, aber NEIN, er hält ETWAS in seiner Hand! Nur der denkende, in zweitausend Jahre alte östlicher Philoosophie bewanderte Leser wird von der Erleuchtung beseelt, dass der Mann DIE SPORTTASCHE BUCHSTÄBLICH TRÄGT!!!
Hartgesottene Gemüter mögen darüber schmunzeln, wie ein Mann in einer Sporttasche gewandet sein kann, doch so absurd ist das nicht: Wozu haben Sporttaschen zwei Griffe, die sich um die Schultern legen lassen?
Die Autorin zeigt auch hier wieder, dass sie den Text unzählige Male redigiert hat, um alle logischen Mängel zu beseitigen.
Ich finde so etwas bewundernswert!
Passanten blieben stehen.
Sie sahen den beiden aufgeregt zu.
Aufgeregt sahen die Passanten zu ... Aber
keiner befand es der Mühe wert einzugreifen!
Ein dramatischer Appell für mehr Menschenwärme in dieser kalten, eiskalten Welt, an der man sich früher mittels Bücher- oder Hexenverbrennungen noch wohlich wärmen konnte.
Der Mann schrie.
Eva schrie.
Wieder und wieder las ich diese einfühlsame Passage: Ein Mann schreit und eine Frau schreit gleichsam.
Treffender kann man die Gegensätzlichkeit der beiden Geschlechter kaum schildern, die plötzlich in dieser einen Emotionsäußerung zueinander finden! Ironischerweise ist es Geschrei, das Mann und Frau übereinstimmen lässt.
Auch hierbei demonstriert die Autorin ihr unnachahmliches Gespür für das Schildern aggressiver Untertöne in dieser grausamen Welt.
Der Mann schupste Eva.
Eva schupste zurück.
Der Mann schlug Eva.
An dieser Stelle musste ich den Bildschirm kurz weglegen, so unvorbereitet traf mich diese entsetzliche Gewalt-Klimax!
Nicht ein Wort wird zwischen den beiden gewechselt - und dann schlägt der Mann die Frau. Er schlägt sie ohne ersichtlichen Grund - wieder ein Plädoyer für mehr Humanität unter Paarhufern.
Der Mann hielt noch immer etwas in der Hand.
Immer noch hält er etwas in der Hand! Nie zuvor habe ich einen derart raffinierten Spannungsbogen sich über mehrere Wörter aufrecht erhalten sehen! Und ich weiß wovon ich spreche, habe ich doch unzählige Bücher von Stephen King, Dean Koontz, Thomas Harris und Verona Feldbusch gelesen.
Ich wünschte man könnte sehen, wie hochgepusht ich bin, nachdem ich diese spannungszerfetzende Passage erneut las!
Aus meinen Ohren fließt Adrenalin, Blut wallt in mir wie ein verrückter Vulkan.
Und als würde das nicht genügen, als wäre nicht bereits alles gesagt, was es überhaupt zu sagen gibt, setzt die Autorin noch das Sahnehäubchen auf die Geschichte:
Da erschoss Eva den Mann mit der Pistole.
Ich hatte es nicht für möglich gehalten, aber dieser Schlusssatz wirft ein völlig neues, noch schillernderes Licht auf die bereits restlos gelungene Geschichten:
Sie erschießt den Mann. Mit der Pistole.
Oder den Mann mit der Pistole?!?
Das Spiel mit den Worten und möglichen Bedeutungen treibt mich in höchstes Entzücken!
Völlig rätselhaft bleibt, was dieses Etwas war, was der Mann in der Hand hielt: Einen Spazierstock? Den neuesten "Wachturm"? Ein Schild mit der Aufschrift "Bitte erschießen Sie mich"?
Seit Stunden jagt in meinen Gedanken eine Möglichkeit die nächste, und mehr kann man von einer Geschichte doch wohl kaum erwarten!
Ich weiß jetzt, dass ich die Sonne unter den Kurzgeschichten gefunden habe, deren Licht alle anderen Texte überblendet, ja, ins Lächerliche rückt und mit ihren sengenden Wortstrahlen versengt!
So bleibt mir nicht viel mehr als mich bei der Autorin zu bedanken und mich dafür zu entschuldigen, nicht augenblicklich erkannt zu haben, wie genital der Text ist!
ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Sie dürfen nun wieder nach Hause gehen und Ihre Kinder schlagen.