Was ist neu

Eugenetik

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31.10.2003
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Eugenetik

Der leichte Wind war kaum spürbar, als Paul Wambach über die Holzbrücke ging, die über den Bach im Park führte. Zweiunddreißig Grad hatten sie für heute angekündigt. Extrem hohe Ozonwerte wie seit Jahren nicht mehr.
Paul nahm die faltigen Hände aus seinen Hosentaschen und legte sie auf das heiße Holz des Brückengeländers. Jetzt, zur Mittagszeit, war der Park von einer friedvollen Stille geprägt, und nur hin und wieder zwitscherte ein Vogel oder es raschelten die Blätter, wenn sich einer von ihnen im schützenden Schatten der Äste niederließ. Paul liebte diese Ruhe; die meiste Zeit seines Lebens hatte er zurückgezogen verbracht. Bürojob. Gute Arbeit. Einzimmerwohnung. Allein.
Er hatte die Abgeschiedenheit förmlich gesucht, sie genossen. Irgendwann hatte er diesen Park entdeckt, und seit jenem Tag war dieser sein zweites Zuhause geworden. Hier gab es keine Hektik, keine hupenden Autos, wenn ihn seine alten Beine nicht schnell genug über die Straße trugen. Keine Mütter, die sich leise aufregten, wenn er als Rentner die Unverschämtheit besaß, sich noch kurz vor Feierabend in einem Einkaufsladen aufzuhalten. Dieser Park hier war eine andere Welt, eine ruhige, eine friedliche Welt. Es war seine Welt.

In einiger Entfernung machte er mehrere spielende Kinder auf einer Wiese aus. Mütter hockten im Schatten und plauderten miteinander. Manchmal lachten einige von ihnen so laut, dass es bis zu ihm herüber drang. Paul würde hingehen und sich ebenfalls dort niederlassen. Ein wenig abseits vielleicht.
Manchmal ließ dieses Gefühl des Alleinseinwollens nach. Er konnte sich nicht erklären, woran es lag, aber manchmal war es einfach so. Tatsächlich war es schon einmal vorgekommen, dass er einfach einen wildfremden Menschen angesprochen hatte; lediglich ein kurzes „Hallo“, und Paul hatte das Gefühl, dazu zu gehören. So etwas tat gut; ganz tief in ihm drin tat so etwas sehr gut und er fragte sich dann jedesmal, warum ihm das nicht schon früher aufgefallen war.
Er ließ seine Hände wieder in den ausgebeulten Hosentaschen verschwinden und humpelte in Richtung Wiese. Sein steifes Bein schmerzte heute besonders, aber das war er gewohnt. Er musste nur darauf achten, wie er auftrat, sonst konnte es passieren, dass er das Gefühl hatte, als würde jemand einen Dolch unter seine künstliche Kniescheibe bohren. Extreme Hitze oder Kälte verstärkten diese Unannehmlichkeit.

*

„Wir können nicht jeden verurteilen, der ein wenig aus der Reihe tanzt, Herr Gefreiter.“
„Seine Experimente überschreiten die Grenzen um ein Vielfaches, Obersturmbannführer.“
Der Offizier sitzt hinter einem Schreibtisch, der fast den gesamten Raum füllt. Er blickt von einem Buch auf, in das er während des Gespräches geschrieben hat. „Es sind unumgängliche Forschungen im Sinne der Wissenschaft, Soldat. Das sollte Ihnen bewusst sein.“
Der Gefreite will noch etwas sagen, doch sein Vorgesetzter macht eine schnelle Handbewegung. „Wenn das alles war ...“
Der junge Mann salutiert und dreht sich zur Tür. Dann hält er inne.
„Es sind Kinder“, sagt er leise an die Tür gewandt. Seine Lider zucken.
„Es sind keine arischen Kinder, Soldat.“
Der Gefreite verlässt den Raum.

*

Paul hatte die große Wiese erreicht und lehnte sich gegen einen dünnen Baum. Die warme Rinde drückte in seinen Rücken, und seine Hände in den Taschen zitterten. Die Hitze war doch bei Weitem nicht so harmlos, wie er zunächst angenommen hatte. Ihm war, als würde es mit jedem Jahr schlimmer.
Der Zahn der Zeit nagt deine Knochen blank, alter Mann.
Paul ließ sich vorsichtig auf seinen Allerwertesten gleiten, während er das steife Bein langsam nach vorn schob. Er hoffte, dass der Schmerz in Kürze nachlassen würde, ansonsten hätte er arge Probleme mit dem Wiederaufstehen. Kinderlachen drang zu ihm herüber und verband sich mit dem dolchartigen Gefühl unter der Kniescheibe. Paul verzerrte seine Mundwinkel zu einer hölzernen Maske. Er stieß die Luft aus, schloss die Augen und beobachtete die zuckenden Figuren, die vor seinen geschlossenen Lidern tanzten. Wie winzige Elfen sahen sie aus. Tanzten einen lieblichen Reigen und brachten ihn zum Lächeln.
Er genoss die warme Luft, die über seine Haut streichelte. Die Stimmen um ihn herum verschmolzen zu einem Säuseln und wurden leiser. Der Dolch unter seiner Kniescheibe wurde sanft herausgezogen, bis der Schmerz gänzlich verschwunden war.
Etwas stieß gegen sein Bein. Paul blickte auf. Ein kleiner Junge eilte heran, rief ein „T’schuldigung“ und blieb stehen. Paul nahm den Ball, der neben seinem Bein lag. Über den Rand hinweg blickte er auf den Knaben in seinen bunten Shorts, dessen Knie, ebenso wie seine Ellenbogen, vom Rasen dunkelgrün gefärbt waren.
„Darf ich ihn wiederhaben?“ Unsicher blickte der Junge herüber.
„Aber natürlich."
„Danke!“
Sekunden später war er wieder in dem Pulk der anderen verschwunden. Paul lächelte. Wie gern hatte er früher Fußball gespielt; und, verdammt, er war richtig gut gewesen. Bis der Krieg kam.

*

„Doktor Schneider, darf ich Sie einen Moment sprechen?“
Der Gefreite steht im Türrahmen und blickt auf den gebeugten Rücken des Mannes, der dort vor dem Tisch mit unendlich vielen, losen Papieren steht. Dieser blickt nicht auf.
„Doktor?“
Der akkurat gekleidete Mann schiebt ein paar Schriftstücke zusammen, dann unterbricht er seine Arbeit, macht allerdings keinerlei Anstalten, sich seinem Gesprächspartner zuzuwenden. Der Gefreite wird nervös. Jetzt dreht sich der Doktor um, lächelt. Der Gefreite steht stramm, sein Gruß ist zackig.
„Rührn“, sagt Schneider gelangweilt, nimmt ein Blatt Papier und legt es, scheinbar wahllos, auf ein anderes.
Der Gefreite weiß nicht, wohin mit seinen Händen. Er spürt, wie Schweiß auf seiner Stirn entsteht, und ärgert sich insgeheim über diese dumme Reaktion seines Körpers. „Ich hätte Sie gern einen Moment gesprochen, Doktor.“
„Tun Sie das nicht bereits?“
„Ja … ja, Sie haben recht. Ich meine nur, ich hätte gern mit Ihnen über Ihren neuen Mitarbeiter gesprochen.“
Der Doktor hebt die Brauen.

*

Irgendwie war heute ein seltsamer Tag. Noch immer spielten die Kinder auf der großen Wiese. In Gedanken nahm Paul einen Pass entgegen und verwandelte ihn im Alleingang zum alles entscheidenden Tor. Seine Mannschaftskameraden umjubelten ihn, die Zuschauer stürmten das Feld, hunderte Arme warfen ihn in die Höhe. Doch diesmal spürte Paul, dass er nicht dabei war. Eine unsichtbare Mauer befand sich zwischen ihm und den Kindern. Es war diese unsichtbare Mauer der Zeit.
Er war alt. Uralt. Die neue Zeit, das Jetzt, war dort drüben. Unerreichbar. Wie noch nie zuvor wurde ihm in diesem Augenblick bewusst, dass er nicht mehr dazugehörte. Schon lange nicht mehr dazugehörte. Er hatte einfach noch nie dazugehört.
Vielleicht hättest du damals mehr tun können, alter Mann.
Paul senkte den Blick. „Habe ich denn nicht alles versucht?“
Die Schwermut bohrte seine spitzen Finger in Pauls Schädel. Alles?
Paul keuchte. „Ohne mich gäbe es diese Kinder dort drüben doch gar nicht.“
Oh Paul … armer Paul. Was hast du denn schon Großes getan?
Paul begann zu weinen. Leise nur. Unmerkbar. Würde es irgendwann einmal vorüber sein? Diese Vorwürfe? Diese Vorwürfe gepaart mit dem inneren Zerwürfnis, nicht genug getan zu haben? Würde es irgendwann vorbei sein?
Wenn du stirbst, alter Mann. Dann ist es vorbei.
„Also bald“, flüsterte Paul nach einer Weile an die Wiese zwischen seinen Beinen gewandt. „Hoffentlich bald …“

*

„Ich höre.“ Schneiders Stimme klingt ungeduldig. Er richtet seine Krawatte, streicht über das Revers seines Jacketts wie zuvor über das Papier auf seinem Schreibtisch.
Der Gefreite zögert. Für einen Moment weiß er nicht, ob es richtig gewesen ist, den Doktor aufzusuchen. Wenn er nun Meldung an den Obersturmbannführer macht? Zweifler des Systems werden hingerichtet.
Zu Recht, denkt der Gefreite. Aber ist es denn bereits ein Zweifeln, was er tut? Begeht er allein durch seine Äußerungen bereits Verrat am deutschen Volke?
„Was wollen Sie mir über meinen Mitarbeiter sagen, Soldat?“ Die Stimme des Doktors klingt ungeduldig.
Die Lider des Gefreiten zucken, seine Hände ebenfalls. Er verschränkt sie hinter dem Rücken. Seine Gedanken wirbeln umher, lassen sich nicht fassen. Er hat den Doktor bisher noch nicht näher kennengelernt, weiß lediglich, dass er ein ausgezeichneter Anthropologe und Genetiker sein soll. Ein hochgradiger Wissenschaftler, tätig zum Wohle des Vaterlandes.
Schneider sieht ihn an. Ohne Regung in seinem Gesicht.
Der Gefreite denkt an das Gespräch, das er vor ein paar Stunden zwischen dem neuen Mitarbeiter des Doktors und einem anderen Zivilisten mit angehört hat.
Er hatte im Aufenthaltsraum hinter einer dicht gewachsenen Pflanze gestanden, die Zigarette zwischen seinen Fingern fast aufgeraucht. Die beiden Personen hatte er gut sehen können. Und ihr Gespräch hatte ihn zutiefst interessiert.
„Was geschieht eigentlich mit den ganzen Kindern, wenn die Erzeuger eliminiert sind?“, hatte der Zivilist gefragt. Er hielt einen winzigen Notizblock in der Hand. Ein Reporter? Der Gefreite hatte den Mann zumindest vorher noch nie gesehen. Schneiders Mitarbeiter hatte nur dagestanden und an seiner Zigarette mit der langen Spitze gesogen.
„Was geschieht mit der Brut?“, hatte der Reporter noch einmal gefragt.
„Der Doktor hat mir freie Hand gegeben.“ Die Stimme des neuen Assistenzarztes war leise, und der Gefreite hatte unwillkürlich für einen Moment die Luft angehalten.
„Sollte das meine Frage beantworten?“ Jetzt wurde auch der Reporter leiser und blickte von seinen Notizen auf. Seine Mundwinkel waren zu einem Grinsen erhoben.
“Ja“, lachte der Neue und schlug seinem Gegenüber auf die Schulter. „Wir werden die Zwillingsforschung revolutionieren.“ Dann lachten beide. „Was sagst du zu meiner Zigarettenspitze?“, hatte Schneiders Mitarbeiter kurz darauf gefragt. „Sie schmecken hierdurch besonders gut.“
„Sie ist sehr schön“, sagte der Reporter.
Der Neue lächelte, drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher zu seiner Rechten aus. „Sie ist mein Werk. Selbst geschnitzt.“ Er hielt sie hoch, betrachtete sie fachmännisch. "Vielleicht werde ich dafür sorgen, dass sie in Serie geht.“ Dann blickte er wieder zu dem Reporter. „Du siehst, ihre Brut ist durchaus nützlich. Einfach alles von ihnen.“

Der Gefreite tänzelt unsicher von einem Bein auf das andere, während der Doktor ihn mit bewegungsloser Miene ansieht. Lange wird er nicht mehr warten, das erkennt der Gefreite. Sollte er einfach wieder gehen?
Schneider blickt auf seine Taschenuhr. „Vielleicht sollten wir den jungen Kollegen, über den Sie mir berichten wollen, einfach einmal herbeordern?“
„Ich habe gehört, was er mit den Kindern macht“, sagt der Gefreite hastig.
Sein Gegenüber blickt zu Boden. Der Gefreite wird unruhiger.
„Das ist alles, Soldat?“

Keine Hilfe! Nach dem Gespräch mit dem Doktor ist ihm das klar geworden. Genauso klar wie die Tatsache, dass er mit seinen Zweifeln keinen Verrat am Vaterland verübt. Es geht hier nicht um irgendwelche Juden, die die genetische Reinheit des deutschen Volkes verseuchen wollen. Hier geht es um Kinder. Versuche an Kindern!
Der Gefreite steht neben dem hohen Sicherheitszaun und blickt auf die abgemagerten Körper, die von mehreren seiner Kollegen an ihm vorbeigeführt werden. Männer und Frauen. Die Kinder sind bei Schneiders Neuem. Warum schicken sie sie nicht zusammen mit den Erwachsenen in die Waschräume? Das geht wenigstens schnell.
Der Gefreite versucht, sich eine Zigarette anzustecken, doch seine Finger zittern so stark, dass das Holz erlischt, bevor es den Tabak berührt.
Seine Zweifel sind kein Verrat. Irgendjemand muss etwas tun.
Es sind Judenkinder, hört er die Stimme des Obersturmbannführers.
Forschungen im Sinne des deutschen Volkes, brüllt ihn Schneider in Gedanken an. Und jetzt wegtreten, Soldat!
Irgendjemand muss diesen Irrsinn unterbinden. Ein gewaltiger Kloß beginnt in seinem Magen zu wuchern, wächst sekundenschnell auf die Größe eines Fußballs heran. Er will ihn hinauswürgen, doch er schluckt lediglich. Noch einmal versucht er, die Zigarette anzuzünden. Diesmal gelingt es. Irgendjemand schreit. Ein Schuss platzt durch die Luft. Der Gefreite nimmt noch einen Zug von seiner Zigarette. Er sieht Kinder, die miteinander raufen. Damals, als noch kein Krieg herrscht.
„Schafft sie weg!“, brüllt eine Stimme hinter seinem Rücken. „Sie hat mir die ganze Hose besudelt.“
Er wird den Neuen aufsuchen. Heute Abend. Und er wird handeln.

*

Das Lachen der spielenden Kinder hallte über die Wiese, drang in jeden Winkel des Parks und entlockte Paul ein Seufzen. Was würde einmal aus den Kindern werden? Kämpfer oder Verlierer?
Egal, sie würden leben. Die meisten von ihnen. Sie würden aufwachsen und Familien gründen und wieder neue Kinder zeugen. Genau das war der Sinn und Zweck des Lebens.
Und Paul hatte einen Teil dazu beigetragen. Vielleicht nur einen winzigen Teil, aber eben einen Teil. Mühsam stand er auf, ignorierte den Schmerz in dem steifen Bein und wankte kurz, als sein Kreislauf nicht ganz mitspielte. Dann ging er auf die Frauen im Schatten zu.

*

Die spärliche Beleuchtung verwandelt den ohnehin schon dunklen Flur in ein gespenstisches Meer aus schwarzen Schatten. Der Gefreite hat Schneiders Forschungszimmer erreicht und blickt auf den Lichtschein, der unter der Tür hindurch seine trügerische Klarheit auf den Linoleumboden wirft. Der Neue arbeitet also noch.
Der Gefreite umklammert den Griff seiner Waffe etwas fester und wischt den Schweiß von seiner Stirn. Nach seiner Tat werden sie ihn hinrichten, doch das ist ihm egal. Vielleicht gelingt es ihm ja auch, zu fliehen. Doch auch das ist ihm zu diesem Zeitpunkt egal. Was zählt, ist einzig und allein die Mission. Auch wenn er dadurch nur ein einziges Leben retten wird. Ein einziges Leben. Ein einziges Kind.
Er legt das Ohr an die Tür, vernimmt leise Geräusche, die er nicht genau zuordnen kann. Soll er anklopfen? Was, wenn der Doktor auch da ist? Immerhin ist Schneider ein Fürsprecher der Taten seines neuen Mitarbeiters. Vielleicht hat er ihn auch dazu animiert. Im Namen der Forschung. Für das Vaterland. Wenn schon; dann sind sie halt zu zweit und er wird sich um beide kümmern.
Der Gefreite atmet einmal kräftig aus, lässt die Waffe unter seiner Jacke verschwinden und klopft.
Ein lautes Scheppern antwortet. Der Gefreite drückt die Klinke herunter. Langsam und ohne Zögern.
Das grelle Licht brennt in seinen Augen und nimmt ihm kurz die Sicht. Er hört das Zuziehen eines Vorhangs.

*

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie so einfach anspreche, meine Damen.“ Paul setzte ein einnehmendes Lächeln auf, während der Schmerz in seinem Bein auf seine Blase drückte. Er blickte in die Gesichter der Mütter, die ihn erwartungsvoll mit einem Anflug von Mitleid anblickten. „Sehr schöne Kinderchen haben Sie.“ Die Mienen der Frauen veränderte sich nicht.
„Nun“, stotterte Paul, „ich möchte mich nur bei Ihnen bedanken." Er wartete. "Ich möchte mich bedanken für den Reichtum, den sie der Welt beschert haben.“
Jetzt lächelten auch ihre Gesichter. Mitleidig zwar, aber sie lächelten.
„Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?“, fragte eine der Frauen.
„Danke, gern“, sagte Paul.

*

„Wer sind Sie?“
Die Pupillen des Gefreiten haben sich an das grelle Licht gewöhnt. Er sieht den jungen Mann, den er schon von dem Gespräch mit dem Reporter her kennt. Er steht vor einem schweren Vorhang, sein weißer Kittel ist zum größten Teil mit unterschiedlich intensiven Rottönen geziert. Die Spritzer auf seinen Wangen sehen aus wie zerlaufende Sommersprossen. Kleine Seen.
Der Gefreite lässt seinen Blick durch den Raum gleiten. Zwei Tische stehen zu seiner Linken, auf einem befinden sich niedrige Gefäße mit blutigem Inhalt. Zangen, Sägen und ein Handbohrer liegen daneben. An der Wand hängt eine riesige Zeichnung der menschlichen Anatomie. Der schwere Vorhang hinter dem Rücken von Schneiders Mitarbeiter wirkt gespenstisch. Der Gefreite zieht seine Waffe und richtet sie auf den Mann.
„Was soll das?“ Der Arzt weicht zurück, berührt das gewellte Tuch.
Hinter dem Vorhang ist ein wimmerndes Geräusch zu hören. Der Gefreite schließt die Tür hinter sich ohne dabei die Waffe von dem anderen zu lassen.
„Können Sie mir erklären, was Sie wollen?“
„Die Hände nach oben!“, brüllt der Gefreite.
Der Arzt gehorcht.
„Und jetzt gehen Sie zur Seite!“
Das Wimmern hinter dem Vorhang wird lauter. „Von dem Vorhang weg!“
Sein Gegenüber grinst und tritt einen Schritt zur Seite.
„Ganz weg da!“, schreit der Gefreite. Sein Herz rast, als er versucht, das Zittern seiner Hände zu verbergen.
„Es ist alles abgesegnet“, sagt der Mitarbeiter gelassen. „Alles erfolgt mit Zustimmung Doktor Schneiders. Ich hoffe, Sie sind sich darüber im Klaren, Soldat.“
Der Gefreite spürt seinen Herzschlag. Überall. „Den Vorhang zur Seite!“, keucht er.
Der junge Arzt bewegt sich wieder auf den Vorhang zu, zwinkert zu dem Gefreiten hinüber. Er lächelt doch tatsächlich! Dann schiebt er ihn beiseite.
Der Gefreite schluckt.
Der nackte Junge auf dem silbern glänzenden Tisch sieht ihn mit großen Augen an. Dicke Lederriemen fixieren seine Arme und Beine. Die Haut an seinem linken Bein ist entfernt worden und der darunter liegende Knochen wirkt matt. Elektroden sind an seinem Penis und den Schläfen befestigt und enden in einem Holzkasten. Seine Lippen bewegen sich, zitternd, - der Gefreite erkennt, dass der Junge etwas sagen will -, doch kein Laut dringt aus seinem Mund hervor.
„Ich habe seine Stimmbänder seziert.“
Die weit aufgerissenen Augen des Jungen sehen und klagen den Gefreiten an. In diesem Moment weiß er, dass es richtig ist, was er tut.
„Es sind Forschungsobjekte“, sagt Schneiders Mitarbeiter. Einige seiner Sommersprossen sind wie winzige Tränen die Wange hinab gelaufen. Er sieht aus wie ein trauriger Clown mit grinsenden Augen.
Der Gefreite schließt die Augen, spürt noch, wie sich sein Finger krümmt. Der dumpfe Knall seiner Waffe. Ein spitzer Schrei.
Als er die Augen wieder öffnet, sieht er den Mann auf dem Boden liegen. Seine Hände sind um sein blutendes Knie gepresst. „Du hast mir ins Knie geschossen, du Sau!“ Schneiders Mitarbeiter kreischt. „Oh Gott, er hat mir ins Knie geschossen.“
Der Gefreite blickt auf den wimmernden Wurm zu seinen Füßen, dann auf den gefesselten Jungen. Erneut hebt er die Waffe. Diesmal zielt er auf den Kopf des Assistenzarztes. Er hört nicht, wie die Tür hinter seinem Rücken geöffnet und sieht nicht die Waffe, die auf seinen Hinterkopf gerichtet wird. Er sieht nicht das steinerne Gesicht von Doktor Schneider, bevor dieser ihm eine Kugel durchs Hirn jagt.

*

Paul Wambach stand auf. „Vielen Dank noch einmal für Ihre Freundlichkeit“, sagte er an die Mütter gewandt.
„Es war uns eine Ehre, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben“, sagte eine von ihnen.
„Nette Kinderchen“, sagte Paul.
Der seichte Wind war kaum spürbar, als er über die kleine Holzbrücke zurückhumpelte, die über den Bach im Park führte. Er lächelte und war stolz. Stolz darauf, dass er das Fortbestehen der deutschen Rasse so gut es ging unterstützt hatte.

 

Um nicht ganz einzurosten, habe ich mich nochmal an ein etwas älteres Werk gemacht und dran rumgebastelt. Vielleicht weiß es ja zu unterhalten.
Durchaus ist mir bewusst, dass es nicht einfach ist, dem Dritten Reich schriftstellerisch noch etwas abzugewinnen. Habe es trotzdem einmal versucht.

 
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Hallo Salem,

kommen wir gleich zum Textlichen (keine Sorge, ist viel Subjektives und nicht nur Negatives dabei):

Jetzt, zur Mittagszeit war der Park von einer friedvollen Stille geprägt,
Mittagszeit, war

und nur hin und wieder zwitscherte ein Vogel oder es raschelten die Blätter, wenn
Ich würde das 'es' wegnehmen, liest sich in meinen Augen flüssiger.

Bürojob. Gute Arbeit. Einzimmerwohnung. Allein.
Nach meinem Geschmack ein Punkt zuviel. Wie wär's mit 'Bürojob, gute Arbeit. Einzimmerwohnung. Allein.'?

Manchmal lachten einige von ihnen so laut, dass es bis zu ihm herüber drang.
Würde 'herüberdrang' schreiben.

Er musste nur darauf achten, wie er auftrat, sonst konnte es passieren, dass er das Gefühl hatte, als würde jemand einen Dolch unter seine künstliche Kniescheibe bohren. Extreme Hitze oder Kälte bewirkten diese Unannehmlichkeit.
Ich denke, das Auftreten ruft dies hervor? Fehlt ein 'auch' oder so im zweiten Satz.

Obersturmbannführer
Offizier
Ist das dasselbe?

Paul ließ sich vorsichtig auf seinen Allerwertesten gleiten, während er das steife Bein langsam nach vorn schob. Er hoffte, dass der Schmerz in Kürze nachlassen würde, ansonsten hätte er arge Probleme mit dem Wiederaufstehen. Kinderlachen drang zu ihm herüber und verband sich mit dem dolchartigen Gefühl unter der Kniescheibe. Paul verzerrte seine Mundwinkel zu einer hölzernen Maske. Kurz darauf berührte sein Hintern das weiche Gras.
Für mich saß er schon nach dem ersten halben Satz.

Er genoss die warme Luft, die seine alte Haut streichelte.
Das war jetzt, glaub ich, der vierte Hinweis auf sein fortgeschrittenes Alter. Die zweite Hälfte des Satzes würde ich streichen.

Eine unsichtbare Mauer befand sich zwischen ihm und den Kindern. Es war diese unsichtbare Mauer der Zeit.
Schönes Bild.

Die neue Zeit, das Jetzt war dort drüben.
Jetzt, war

Der Schwermut bohrte seine spitzen Finger in Pauls Schädel.
Die Schwermut (feminin)

Er hat den Doktor bisher noch nicht näher kennen gelernt, weiß lediglich, dass
Würde 'kennengelernt' schreiben.

Schneider sieht ihn an. Das Gesicht seines Gegenübers zeigt keinerlei Regung.
Nicht eindeutig. Wenn Schneiders Gesicht gemeint ist (was ich denke, denn der Gefreite ist ja sehr nervös), wäre es doch z.B. so einfacher: 'Schneider sieht ihn mit regungslosem Gesicht an.'

während der Doktor ihn mit bewegungsloser Mine ansieht.
Miene

Sein Gegenüber blickt zu Boden. Der Gefreite wird nervös.
Nervös ist er doch offensichtlich die ganze Zeit. Hier würde ich was Stärkeres nehmen.

„Das ist alles, Soldat?“

*

Keine Hilfe!

An allen Stellen bedeutet der Stern den Wechsel zur jeweils anderen Ebene. Außer hier. Vielleicht stattdessen einfach eine Leerzeile?

Nach seiner Tat werden sie ihn hinrichten, doch das ist ihm egal. Vielleicht gelingt es ihm ja auch, zu fliehen. Doch das ist ihm zu diesem Zeitpunkt egal.
Ich würd's mit einem 'ebenfalls' oder so vor dem zweiten 'egal' eleganter finden.

„Mach den Vorhang zur Seite!“, keucht er.
Klingt plump. Das 'Mach' würde ich streichen.

Der nackte Junge auf dem silbern glänzenden Tisch sieht ihn mit großen Augen an. Seine Lippen bewegen sich, doch kein Laut dringt daraus hervor. Dicke Lederriemen fixieren seine Arme und Beine. Die Haut an seinem linken Bein ist entfernt worden und der darunter liegende Knochen wirkt matt. Elektroden sind an seinem Penis und den Schläfen befestigt und enden in einem Holzkasten.
„Ich habe seine Stimmbänder seziert.“
Hä? Der Fokus der Beschreibung liegt hauptsächlich auf dem offenen Bein, der des Gesagten auf dem Hals, der nicht beschrieben wird.

So. Insgesamt eine ziemlich ordentliche Sache, die mir gut gefallen hat. Wie du schon angemerkt hast, ist das Thema schon ausführlich verwurstet worden, aber es ist eben auch eine Quelle beinahe unendlichen Horrors.
Mir hat deine Beschäftigung mit dem Thema gefallen, und den Twist am Ende hab ich natürlich auch nicht erwartet. ;)
Runde Sache, gern gelesen.

Viele Grüße,
Maeuser

Ach ja:

Der Neue lächelte, drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher zu seiner Rechten aus. „Sie ist mein Werk. Selbst geschnitzt.“ Er hielt sie hoch, betrachtete sie fachmännisch. "Vielleicht werde ich dafür sorgen, dass sie in Serie geht.“ Dann blickte er wieder zu dem Reporter. „Du siehst, ihre Brut ist durchaus nützlich. Einfach alles von ihnen. Selbst ihre schäbigen Knochen.“
:eek:
(Glaub, 'Selbstgeschnitzt' ginge auch.)

 
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Moi lieber Salem,

finde es gut, die zwei verschiedenen Arten von "Horror" zu mischen.

Hat mir gut gefallen, einer Deiner leiseren Texte. Es fällt leicht, Personen und setting vor einem zu sehen, und mir gefallen auch die kleinen Spruenge.

Ein paar Anmerkungen:

Wasser ist seicht, Wind ist leicht. Falsche Kollokation - mein Lieblingsbsp: Dieses heisse Eisen hängt mir auch schon lange zum Hals raus. :lol: Manche Begriffe kann man nicht beliebig mischen.

Die Miene der Frauen veränderte sich nicht.
Plural oder singular, aber konsequent: Die Mienen der Frauen / Die Miene der (einen) Frau.

Zu Bäumen sagt man nicht schmal, sondern schlank.

Der Zahn der Zeit nagt deine Knochen blank, alter Mann. Blöder Spruch, aber er stimmte.
Wuerd ich nicht dem Leser in den Kopf legen - kickt einen raus.
Der seichte Wind war kaum spürbar(redundant, das hat leichter Wind so an sich ;)), als Paul Wambach über die kleine Holzbrücke ging, die über den Bach im Park führte. Zweiunddreißig Grad hatten sie für heute angekündigt. Extrem hohe Ozonwerte wie seit Jahren nicht mehr.
Paul nahm die faltigen Hände aus seinen Hosentaschen und legte sie auf das heiße Holz des Brückengeländers.
Heisses Holz (soll keine Korrektur sein, hab hier kein SZ auf der Tastatur) fand ich sehr schön, sonst ein paar Adjektive zu viel (fett). Was mir so durch den Kopf ging: Seit wann werden Ozonwerte gemessen?
„Wir können nicht jeden verurteilen, der ein wenig aus der Reihe tanzt, Herr Gefreiter.“
Zu viel, ohne wär härter.
zutiefst interessiert
s.o. falsche Kollokation - zutiefst entsetzt, sehr/ausserordentlich interessiert.
und stößt gegen das gewellte Tuch.
Klingt komisch, sowohl an ein Tuch stossen, wie auch das gewellte Tuch.
Unmerkbar.
Unmerklich heisst das Wort - -bar und -lich sind selten austauschlich! :)
Etwas stieß gegen sein Bein. Paul blickte auf. Ein kleiner Junge eilte heran, rief ein „T’schuldigung“ und blieb stehen. Paul nahm den Ball, der neben seinem Bein lag. Über den Rand hinweg blickte er auf den Knaben in seinen bunten Shorts, dessen Knie, ebenso wie seine Ellenbogen, vom Rasen dunkelgrün gefärbt waren.
„Darf ich ihn wiederhaben?“ Unsicher blickte der Junge herüber.
„Aber natürlich."
„Danke!“
Sekunden später war er wieder in dem Pulk der anderen verschwunden. Paul lächelte. Wie gern hatte er früher Fußball gespielt; und, verdammt, er war richtig gut gewesen. Bis der Krieg kam.
Sowas mag ich bei Deinen Texten (auch bei dem Die Gedanken sind frei): winzige Nebensächlichkeiten auf eine Art geschildert, dass daraus ein halbes Leben einer Figur zu lesen ist - nicht nur zu lesen, sondern man hat es als Bilder vor Augen, den Bolzplatz, die Geräusche, die anderen Kinder, Begeisterung, Sonne, Bewegung. Klasse.

„Seine Experimente werden immer schlimmer, Obersturmbannführer.“
Hier könnte ich mir ein heftigeres Wort als schlimmer vorstellen. Grausamer, abartiger ... irgendwie so.

Liebe Gruesse, trotz stellenweisem Nöl sehr sehr gern gelesen.
Katla

 

Hallo Salem,

eine gute, solide Geschichte. Meiner Meinung nach wunderbar geschrieben. Allerdings habe ich als Genre-Fan schon Recht schnell gewittert, dass der junge Soldat nicht der alte Mann ist. Einfach weil es zu einfach gewesen wäre, dass der Junge Soldat Experimente verhindert haben könnte. (Vor allem nach dem Satz: "Ohne mich gäbe es diese Kinder dort drüben doch gar nicht")

Ab da habe ich eigentlich nur darauf gewartet, dass aufgeklärt wird, wie dem Arzt das Knie verletzt wird. Ich dachte mir schon, dass das die Erklärung ist.

Aber wie gesagt: Sehr gut.

 

Hi Salem!

Ja, ich hatte die Story schon mal, kann aber nicht sagen, dass ich mich gelangweilt hätte.
Kann aber auch sein, dass ich schon wieder so viel vergessen habe.:lol:

Nach wie vor habe ich meine Bauchschmerzen mit dem Thema; es ist ja doch eine Unterhaltungsgeschichte, eine Story, die man zum Spaß liest. Das Thema, hmm.

Andererseits, was darf Horror, was soll Horror?

Gleich der erste Satz ist unterstrichen bei mir:

Der leichte Wind war kaum spürbar, als Paul Wambach über die Holzbrücke ging, die über den Bach im Park führte.

Der leichte Wind war kaum spürbar, als Paul Wambach über die Holzbrücke über den Bach im Park ging.

Alleinseinwollens

Was ist das für ein Wort?!:D

...während der Doktor ihn mit bewegungsloser Mine ansieht.

Nur noch die Frage: Bleistift- oder Goldmine? :D


Aber trotzdem eine schöne Geschichte, mit einer sehr schönen Idee, die nichts mit Faschismus, dafür aber umso mehr mit Lesegewohnheiten und Vorurteilen zu tun hat.

Hat mich gefreut, mehr davon!

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

So, ihr Lieben.
Habe die Verbesserungsvorschläge von Maeuser und Katla größenteils schon vor einigen Tagen übernommen, hatte nur noch keine Zeit auf eure Koms einzugehen. Legen wir also los:

Hi Maeuser.

Zitat:
Bürojob. Gute Arbeit. Einzimmerwohnung. Allein.
Nach meinem Geschmack ein Punkt zuviel. Wie wär's mit 'Bürojob, gute Arbeit. Einzimmerwohnung. Allein.'?
Ne, des war beabsichtigt. Es soll hier durchaus abgehackt klingen.
Zitat:
Obersturmbannführer
Zitat:
Offizier
Ist das dasselbe?
Meines Wissens nach waren das Offiziere :)
Runde Sache, gern gelesen.
Na, das freut doch ungemein. Vielen Dank.
Den Rest hab ich übernommen.

Moin (so sagt man bei uns ;)) liebe Katla.

trotz stellenweisem Nöl sehr sehr gern gelesen
Um Gottes Willen, du sollst doch nölen (was immer das auch für ein Wort ist; aber über die Verwendung diverser Worte mit dir zu diskutieren ... hihi, ich schreib mal jetzt nicht weiter :D)
Also, habe auch deine Verbesserungen gern übernommen.
Sowas mag ich bei Deinen Texten (auch bei dem Die Gedanken sind frei): winzige Nebensächlichkeiten auf eine Art geschildert, dass daraus ein halbes Leben einer Figur zu lesen ist - nicht nur zu lesen, sondern man hat es als Bilder vor Augen
Vielen vielen Dank. Bin ganz sprachlos ;)

Hi Thomas G.

eine gute, solide Geschichte. Meiner Meinung nach wunderbar geschrieben
Das freut mich :)
Dank dir fürs Lesen und Kommentieren!

Hi Hanniball.

Nach wie vor habe ich meine Bauchschmerzen mit dem Thema; es ist ja doch eine Unterhaltungsgeschichte, eine Story, die man zum Spaß liest. Das Thema, hmm.
Hatte schon damals arg überlegt, ob ich überhaupt in diese Thematik einsteigen soll. Aber es war eine Herausforderung.
Gleich der erste Satz ist unterstrichen bei mir
Das ist jetzt so eine Sache. Ich wollte mit meiner Version das doppelte "über" nacheinander vermeiden, weil ich finde, dass deine Version zwar einfacher ist, aber durch diese Doppelung arg den Lesefluss stört. Aber schon interessant, wie unterschiedlich man beim Lesen eines Satzes empfindet.
Zitat:
Alleinseinwollens
Was ist das für ein Wort?!
:D Eins vom ollen Salem erschaffene ;)
Nur noch die Frage: Bleistift- oder Goldmine?
So so, da hat wohl jemand die noch nicht korrigierte Fassung gelesen ...
Aber trotzdem eine schöne Geschichte, mit einer sehr schönen Idee, die nichts mit Faschismus, dafür aber umso mehr mit Lesegewohnheiten und Vorurteilen zu tun hat.
Na da kann ich mich ja nur ehrfurchtsvoll verbeugen. Vielen Dank.

Gruß! Salem

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Salem,

spannend und überraschend am Ende, hat mir gut gefallen. Was mir nicht so zusagt, oder zumindest zu denken gibt, hat eigentlich nichts mit deiner (eingängigen) Erzählweise zu tun. Ich hatte selbst mal die fixe Idee, eine Horrorstory in einem KZ spielen zu lassen. Habe ich dann aber ganz schnell wieder verworfen, weil ich es einfach lächerlich, grotesk, unverschämt fand, vor dieser Dimension realer Schrecken irgendwelche Hui-Buh-Monster herumsabbern zu lassen.

Übernatürliches hast du dir hier ja verkniffen, wahrscheinlich zum Glück. Kunst imitiert Leben, Leben Kunst, wie herum denn nun ... Schon krank, dass ich im Finale, bei der Beschreibung der Folterinstrumente, an den Vorspann von "Hostel" denken musste. Schließlich gab es diese Experimente an Menschen wirklich. Da bleibt bei mir kein angenehmer Nachgeschmack, das literarisch zu verarbeiten und es als Genregeschichte zu verkaufen. Das für einen Schockeffekt zu ge-/missbrauchen. Weiß nicht. Auch wenn ich da jetzt wie 'n Pastor klinge.

Er ließ seine Hände wieder in die ausgebeulten Hosentaschen verschwinden

in den ... ?

Die Metapher mit dem Dolch benutzt du recht oft. Mit Absicht, klar, das Bild mit dem "Dolch rausziehen" würde sonst nicht mehr funktionieren. Wenigstens ein Mal würde ich aber ein Synonym nehmen, ich jedenfalls bin drüber gestolpert.

Seine Mundwinkel werden zur hölzernen Maske ... hä? Ich würde versuchen, das irgendwie mit "starr" auszudrücken, was du meinst. "Hölzern" kenne ich als Umschreibung eher im Zusammenhang mit Emotionslosigkeit.

Wie gern hatte er früher Fußball gespielt; und, verdammt, er war richtig gut gewesen. Bis der Krieg kam.

Mit dem Wort wäre ich verdammt vorsichtig, das ist auch so ein Film-und-Fernsehen-Ding. Er war ein verdammt guter Soldat. Lässig dahingesagt, aber wer redet denn wirklich so, verdammt?

Unerreichbar und mit jedem Tag weiter entschwindend. Immer weiter.

Die neue Zeit ist unerreichbar. Okay. Aber: Die neue Zeit ist weiter entschwindend? Murks. Das muss doch einfacher gehen. Entfernt sich mit jedem Wimpernschlag ein bisschen mehr, irgendwie sowas. Oder: Unerreichbar, jeden Tag ein bisschen mehr. Wobei es eigentlich paradox ist, "unerreichbar" zu steigern.

erhobene Mundwinkel => hochgezogene Mundwinkel

"Vielleicht werde ich dafür sorgen, dass sie in Serie geht.“ Dann blickte er wieder zu dem Reporter. „Du siehst, ihre Brut ist durchaus nützlich. Einfach alles von ihnen. Selbst ihre schäbigen Knochen.“

Ich würde da gar nicht mehr explizit auf die Knochen verweisen. Für mich knallt das mehr, wenn nach "Einfach alles von ihnen" Schluss ist.

"riesig" ist so ein Kinder-Adjektiv, lass doch die Zeichnung der menschlichen Anatomie lebensgroß oder überlebensgroß sein.

Der Gefreite meint, ein wimmerndes Geräusch hinter dem Vorhang zu vernehmen.

Klingt steif, wie vor Gericht. "glaubte zu hören" fände ich besser.

Der Gefreite spürt seinen Herzschlag. Überall. Er scheint beinahe seinen Körper von innen sprengen zu wollen.

Nicht so schön ist, dass erst drei Sätze vorher auf sein rasendes Herz hingewiesen wird. Auch das mit dem "sprengen" ist nicht das Optimum, aber das Fettgedruckte finde ich schon klasse. Schneller Herzschlag gehört schließlich zu diesen Dingen, bei denen man auf der Suche nach wenigstens halbwegs unverbrauchten Metaphern bekloppt wird, da ist das schon ganz gut gelöst.


Grüße
JC

 

Hi Proof.

Bitte entschuldige die späte Antwort; deine Verbesserungsvorschläge habe ich, soweit es für mich passte, umgesetzt.
Als Autor den Grat zwischen Unterhaltung und Geschmacklosigkeit zu finden, ist wahrlich nicht immer einfach, da hast du Recht. Vor allem, wenn die Storie an realen Schauplätzen spielt. Aber wo will man da die Grenze setzten?
Habe auch überlegt, die gegen Ende dargestellte Gewalt zu entschärfen, aber dann wäre es nicht mehr ich gewesen. Ich stelle in meinen Geschichten Gewalt dar (dürfte bekannt sein ;)), also auch hier. Und wenn ein Monster (also ein fiktives) angebracht gewesen wäre, warum nicht?
Ein Kollege sagte einmal: Hey, Salem, du kannst doch nicht Kinder in deinen Geschichten sterben lassen. Es sei ein ungeschriebenes Gesetzt. Natürlich ist die Gewalt an Kindern für mich als Vater immer eine heikle Sache, die ich meist zu vermeiden versuche. Aber wenn es zur Geschichte gehört, dann schreibe ich es.
Gerade in diesem Genre ist es doch das schöne, mit realem Horror zu spielen; dem Leser einen Kloß zu verpassen, der ihm im Halse stecken bleibt. Ich denke, so lange das Ganze nicht in Verherrlichung der Gewalt ausartet, ist beinahe alles erlaubt. Und das ist auch gut so. Aber, ich will hier keine endlose Diskussion vom Zaum brechen, ich verstehe und akzeptiere deinen Standpunkt völlig. Und wenn du keine Geschichte in einem KZ schreiben möchtest, dann lass sie einfach woanders spielen. Aber wenn du es tätest, wäre es auch okay. Wie gesagt meine bescheidene Meinung ;)

Ich dank dir aber ganz herzlich für deine Mühe und deinen Komentar.

Gruß! Salem

 

Hallo Salem

In lieblichen und anmutigen Bildern eröffnet sich dem Leser der Blick in den Park. Ein Einstieg, der mich als wenig erfahrenen Horror-Leser überraschte, aber auch einstimmte auf kommende Kontraste. Es war mir dann ein allmählich sanftes Vortasten beim Lesen, die Innenwelt eines KZ in einem kleinen Teil erschliessend.

Die Gewalt weder verherrlicht, noch überzeichnet, nahm ich ohne Erschauern eher sittsam wahr, reflektiert sie doch einen kleinen Aspekt von wirklich Geschehenem. Es am Beispiel von Kindern als Opfer der KZ-Ärzte darzustellen, finde ich legitim wenn auch gewagt, da sie an der Moral des Lesers kratzt. Die Legitimation leite ich daraus ab, dass solche Gewalt in andern Qualitäten auch in der Gegenwart vorkommt, ohne die gleiche Entrüstung wie in der Retrospektive zu erhalten.

Das Wechselspiel zwischen dem Prot. im Park und dem Gefreiten, wie zur Lockerung eingefügt, ist dann auch erst durch den überraschenden Schluss in seiner vollen Intention erkennbar.

So schrecklich der Wahrheitsgehalt des Themas auch ist, es regt zum Nachdenken an, als Geschichte originell verpackt und angenehm lesbar geschrieben.

Gern gelesen.

Gruss

Anakreon

 

Hallo Anakreon.

Ganz lieben Dank für deinen einfühlsamen Kommentar.

Es war mir dann ein allmählich sanftes Vortasten beim Lesen
Genauso war es beabsichtig. Toll, dass es bei dir so wirkte.

Es am Beispiel von Kindern als Opfer der KZ-Ärzte darzustellen, finde ich legitim wenn auch gewagt, da sie an der Moral des Lesers kratzt.
Da hast du Recht, sowas ist immer gewagt. Bin da persönlich auch kein Fan von, aber ab und an muss man Tabus brechen.
So schrecklich der Wahrheitsgehalt des Themas auch ist, es regt zum Nachdenken an,
Das freut mich ungemein.

Also, dein Kom hat mich sehr gefreut, da ich diese Wirkung beabsichtig habe.

Gruß! Salem

 

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