Euer schönstes Ferienerlebnis
„Jonas.“
Er guckt hoch, in das Gesicht seines Lehrers, und versucht daraus abzulesen, was gleich kommen wird. Mustert ihn nachdenklich, legt dazu den Kopf schief. Sein Lehrer zieht die Augenbrauen zusammen, dicke graue Augenbrauenbalken. Falten drüber. Altes Gesicht. Der Lehrer schüttelt den Kopf und seufzt.
„Ich weiß einfach nicht... Hör mal, komm nach der Stunde zu mir, ich würde mich gern darüber mit dir unterhalten.“
Dann legt er das rote Schulheft vor Jonas auf den Tisch. Der Umschlag vollgekritzelt mit Gesichtern. Jonas zeichnet nur Gesichter. Fratzen.
Die Kunstlehrerin erschrickt vor seinen Bildern. Manchmal sollen sie Wasserfarben nehmen und auf ein großes Blatt Papier malen. Jonas malt in schwarz und grau, und er drischt mit seinem Pinsel auf das Papier ein. Am Ende hat er dann fast immer eine hässliche schwarzgraue Fratze aus ihm herausgeprügelt. Nur ein einziges Mal haben sie ein Bild von ihm im Schulflur aufgehängt. Das war, als sie etwas zum Thema Herbst malen sollten und er riesige alte Bäume malte, in grau, und einen mit Blättern übersäten schmalen Weg, der in einen Wald aus noch mehr riesigen grauen Bäumen führte. Ein schönes Bild, hatte die Kunstlehrerin gesagt, aber willst du die Blätter nicht mal rot und gelb malen? Jonas hatte den Kopf geschüttelt.
Nach der Stunde rennen die anderen aus der Klasse, Jonas bleibt sitzen und sieht seinen Lehrer an.
„Warum wolltest du nichts dazu schreiben?“
Jonas zieht die Schultern hoch.
„Ich weiß nicht.“
„Hattest du denn kein schönstes Ferienerlebnis mit deiner Familie?“
Jonas’ Blick fährt über die kleinen Lachfalten um die Augen seines Lehrers. Graue Augen.
„Und Frau Kremp hat mit mir gesprochen, du bist schon seit zwei Wochen wieder nicht mehr im Sportunterricht gewesen.“
Schmaler Mund, weißer Bart drum herum. Jonas fragt sich, warum er einen weißen Bart, aber graue Haare auf dem Kopf hat.
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Jonas steht am Brückengeländer und wirft Steinchen ins Wasser. Wenn er es richtig macht, springen sie ein- oder zweimal über die Wasseroberfläche, bevor sie verschwinden. In einem Kreis aus winzigen Wellen. Und dazu ein leises Platschen.
Wenn er große Brocken findet, wirft er die auch hinein. Die springen nicht, aber das Wasser spritzt dafür manchmal bis zum Geländer hoch.
„Jonas? Gehst du nicht heim?“
Das blonde Mädchen, das seit dieser Woche neben ihm sitzt, kommt auf ihn zu. Sie ist gut im Rechnen und soll ihm ein wenig helfen. Und weil sie ein nettes Mädchen ist mit einer netten Mutter, die ihr Apfelsaft bringt, wenn eine Freundin sie besucht, macht sie das. Und sie will sich auch jetzt ein wenig mit ihm unterhalten. Weil sie so nett ist.
„Nein.“
„Was hast du da an der Hand?“
Sie deutet auf die kleine kreisförmige Brandwunde auf seiner Handfläche.
„Willst du mir einen blasen?“
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„Hör mir zu, wenn ich mit dir rede, Jonas. Wenn das so weitergeht, muss ich deine Eltern anrufen.“