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Etwas gelernt
Jetzt sitze ich hier und schreibe diesen Brief an dich. Ich kann nicht anders. Ich weiß, es ist vorbei, aber ich will es nicht wahrhaben.
Es hat doch noch gar nicht richtig angefangen. Grade zwei Monate ist es her, dass ich dich das erste Mal sah. Die Zeit danach erscheint mir wie ein Traum.
Ich war sofort in dich verliebt. Ich weiß nicht, ging es dir genauso? Hast du mich überhaupt jemals geliebt?
Ich weiß noch genau, wie du aussahst, als du damals zum ersten Mal in meiner Klasse standest. Du hast mich angeschaut, mit deinen leuchtend blauen Augen, und gelächelt. Von da an habe ich nur noch für den Unterricht mit dir gelebt.
Ich habe mich so danach gesehnt, dich berühren zu können, von dir berührt zu werden.
Jedesmal, wenn du mich ansahst, kribbelte es in meinem Bauch und ich dachte, ich würde gleich zerspringen vor Glück. Ich wusste natürlich, dass nichts zwischen uns sein konnte, nichts sein durfte!
Und doch...
Weißt du noch, der Tag, an dem wir uns zum ersten Mal geküsst haben? Es muss etwa vor drei Wochen gewesen sein, denke ich.
Damals blieb ich nach dem Unterricht noch in der Klasse, weil ich auf meine Mom warten musste. Ich packte meine Schulsachen zusammen und als ich aufblickte, sah ich, dass du noch da warst, dass du noch da vorne standest und mich anblicktest, mit deinen wunderschönen Augen, die aussehen, wie zwei klare Bergseen, anders kann ich es nicht beschreiben.
Du hast mich angeblickt und gelächelt und als ich zurück lächelte, kamst du auf einmal auf mich zu.
Ich wollte mich bewegen, wollte etwas sagen, doch ich konnte nicht, es kam mir vor, als wäre ich hypnotisiert, gefangen von deinem magischen Blick.
Und plötzlich standest du direkt vor mir, ich machte die Augen zu, weil ich sicher war, es wäre alles nur ein Traum, nur ein Gespinst meines überhitzten Gehirns, und wenn ich die Augen wiederaufmachen würde, wärst du verschwunden und alles wäre wieder normal.
Aber dann spürte ich deine Lippen auf meinen und ein Schaudern durchlief meinen Körper, während die Schmetterlinge in meinem Bauch in einem fröhlichen Glückstaumel aufflogen und wild durcheinander schwirrten.
Es kam mir vor, als während Stunden vergangen, als der Kuss endete und ich meine Augen wieder öffnete.
Du beugtest dich vor und flüstertest mir ins Ohr: " Morgen um vier vorm Bahnhof". Du hast mir zugezwinkert und bist gegangen, hast mich in meiner ganzen Verwirrung, meinem trügerischen Glück allein gelassen.
Natürlich war ich um vier am Bahnhof, am nächsten Tag. Du hattest das gewusst. Diese Selbstsicherheit habe ich immer an dir bewundert und ich tue es auch jetzt noch. Das und alles, alles andere an dir.
Drei Wochen hat es nur gedauert. Drei Wochen lang haben wir uns fast täglich gesehen, hast du mich nachmittags mit zu dir nach Hause genommen, hast mir Kosenamen ins Ohr geflüstert und mich in der Schule heimlich geküsst. Drei Wochen lang war ich glücklich.
Bis vor zwei Stunden war meine Welt noch in Ordnung. Dann hast du mir gesagt, dass es aus ist. Du hast gesagt, es werde zu gefährlich für dich, du könntest für mich nicht dein Leben riskieren. Ob ich dich verstände, hast du gefragt.
Natürlich verstehe ich dich.
Doch ich kann ohne dich nicht leben, und wenn es mit dir nicht geht, dann möchte ich gar nicht mehr leben.
Sobald ich diesen Brief abgeschickt habe, werde ich mich umbringen.
Ich habe niemandem von uns erzählt, ich liebe dich viel zu sehr, um dir zu schaden.
Doch ich hoffe, du hast etwas gelernt aus unserer Geschichte.
Ich jedenfalls habe etwas gelernt:
Fange nie etwas mit deinem Lehrer an.