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Es war einmal ein Mädchen

U-M

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28.01.2008
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Es war einmal ein Mädchen

von Ute-Maria Graupner

Es war einmal ein Mädchen, das machte sich auf den Weg, Körper, Gefühle und Geist zu erforschen.
Es begegnete vielen Menschen, die sie zum Turnen, Klettern, Atmen, Entspannen und wieder zum Turnen, Klettern, Atmen, Entspannen aufriefen. Das Mädchen hatte viel Freude daran. Eines Tages aber merkte es, dass diejenigen, die ihr zuriefen, „höher, weiter, tiefer, mehr, runder, schwerer...“ auch sehr böse sein konnten, wenn es ihren Aufforderungen nicht kam.
Und es machte sich wieder auf seinen Weg. Es begegnete neuen Menschen, die Empfehlungen zu Heilung und Gesundheit aussprachen. Sie rieten dem Mädchen, „nur so, vermeide das, esse davon, schlucke jenes, nimm auf keinen Fall dieses zu dir, engagiere dich dafür, lass das hier bleiben...“ Mit jeder Empfehlung verlor das Mädchen ein wenig die Freude am Forschen. Eines Tages merkte es, dass es gar nicht möglich war, all den Anweisungen zu folgen.
Es machte sich wieder auf seinen Weg. Es begegnete neuen Menschen. Sie forderten es auf, „zeige deine Gefühle, drücke sie aus, verberge deine Empfindungen, halte Kontakt mit anderen, lebe in einer Gruppe, finde dich selbst oder ziehe dich in die Einsamkeit zurück.“ Nachdem das Mädchen bemerkt hatte, dass sich diese Ratschläge gegenseitig ausschlossen, machte es sich wieder auf seinen Weg.
Es begegnete neuen Menschen, die ihm vorschlugen, „lies dieses Buch, bedenke jene Haltung, schule deinen Verstand, glaube an eine höhere Macht, wende dich auf keinem Fall einem Gott zu, fühle dich eingebettet, verlasse dich nur auf dich selbst, löse dich von deinem Geist.“ Das Mädchen bemerkte, dass diese Menschen sich in ihrer Freiheit begrenzten. Und es machte sich wieder auf seinen Weg.
Da kam es an eine Wegkreuzung und wusste nicht, in welche Richtung es weiter gehen soll. Es setzte sich auf einen Meilenstein und dachte an die vielen schönen Ratschläge. Es wurde traurig, weil das Glück ausblieb, das man ihm dafür versprochen hatte.
Das Mädchen schaute auf Bäume, Gräser, Blumen, hörte Vögel, das Rauschen des Windes in den Baumkronen. Es spürte die Sonnenstrahlen auf seiner Haut, nahm den Geruch des Waldbodens in sich auf. Es wurde ruhig in dem Mädchen. So, dass selbst das Zwitschern der Vögel zum Teil dieser Stille wurde. Es lauschte in sich hinein. Dort, wo sonst Betrachtung, Erwägung, Einordnung und Befürchtung wohnten, war nichts zu vernehmen. Es blickte auf die Bäume, doch kein Widerhall eines Gedankens. Was das Mädchen auch betrachtete, die Stille im Inneren blieb...
Alles war ganz nah, als ob das Mädchen sich mit seiner Umgebung verbunden hatte. Es spürte eine Freude, die ihm unbekannt war. Sie war leise und selbstverständlich. Fast nicht wahrnehmbar, das Wohlwollen für die Dinge, die es umgab. Das Mädchen fühlte Dank für sich und das Leben. Es richtete sich auf und ging in irgendeine Richtung weiter. Denn es wusste, dass es egal war, welche es einschlagen würde. Und wenn es nicht gestorben ist, dann lebt dieses Mädchen noch heute in dieser Stille, diesem Wohlwollen und in dieser Nähe zum Sein.

 

Hallo Ute,

auch diese Geschichte ist – wie schon deine "Fröschkönig"-Story hier – zunächst einmal stark wertend. Das soziale Zusammenleben wird gegenüber der Einsamkeit in freier Natur einem Vergleich unterzogen, wobei der letzteren Option aufgrund des, wie es aussieht, Wunsches einer in erster Linie friedvollen Lebensgestaltung eindeutig der Vorzug gegeben wird.

Das sieht nach einem Happy-End aus, in meinen Augen ist dieser vollzogene Rückzug dieses Mädchens jedoch eher als tragisch zu betrachten. Solange sich das Mädchen nicht mit seinen Mitmenschen auseinander setzt und mit ihnen zu leben lernt wird es immer unmündig bleiben. Solange sie die Menschen meidet wird ihr das nicht auffallen. Aber wie sollte das in unserer modernen Welt noch möglich sein? (ich nehme an, die Geschichte spielt sich in der Jetzt-Zeit ab)

Passend dazu gestaltet sich das Auftreten des Mädchens: Sie wirkt völlig passiv den Zuredungen ihrer Mitmenschen ausgesetzt. Sie wirkt nicht kritisch auf diese ein, versucht Ordnung in das Chaos der vielen, sich angeblich widersprechenden Ratschläge anderer zu bringen. Stattdessen scheint sie diese einfach nur zur Kenntnis zu nehmen und artig zu befolgen – und begeht schon bald darauf immer wieder eine erneute Flucht raus aus den verwirrenden sozialen Verhältnissen, rein in die romantische Welt der Natur, wo noch alles in Ordnung zu sein scheint – ein Trugbild, meiner Ansicht nach, in das die Erzählerin schrankenlos einzustimmen vermag.

Das, leider, bedient ein alterhergebrachtes Klischee des Wesens der Weiblichkeit: Das Kämpfen ist ihre Sache nicht. Aufgabe, Flucht, Rückzug hingegen sind Verhaltensweisen, die – vor allem aus der Sicht des Patriarchats – nicht nur toleriert und "verstanden" werden, sondern meist auch mehr oder weniger ausdrücklich erwünscht sind. Schade, wenn dieses Rollenverständnis auch heute noch weiterhin hartknäckig tradiert wird.

 

Man kann deine Geschichte, U-M, auch anders lesen, als Die Philosophische Ratte es tut. Es stimmt schon, das Mädchen ist passiv. Aber daraus einen Vorwurf zu konstruieren, geht zu weit. Wenn jemand passiv ist, dann ist er das deswegen, weil seine Erbanlagen nichts anderes zuließen und/oder seine Erziehung darauf ausgerichtet war.
Niemand kann etwas für seine Eltern und seine Erzieher, als Kind ist man ihnen hilflos ausgeliefert: befolgt das Kind die Befehle/Ratschläge nicht, droht ihm in jedem Fall Strafe, in welcher Form auch immer.
Das wird im jugendlichen Alter nicht besser, ja selbst als Erwachsener wird man für das „falsche“ Verhalten bzw. für Nichtbefolgung von Befehlen/Ratschlägen in irgendeiner Form bestraft. Sicher, man kann diese Strafen in kauf nehmen, doch wenn man das tut, betrifft das meistens nur Nebenaspekte des Lebens. Die meisten Leute sind eben mehr oder weniger angepasste Gesellschaftsmitglieder, nur sehr wenige gehen so sehr eigene Wege, dass sie von den Angepassten als Aussteiger bezeichnet werden können.
In diesem Sinne wurde das Mädchen zuletzt zu einer Aussteigerin, und wie alle, die einen Weg bewusst einschlagen, findet auch sie nur Positives an dieser Entscheidung, schon allein, um vor sich selbst zu bestehen.
Das alles ist menschlich, und wem Menschliches nicht fremd ist, wird in dieser Geschichte vieles wieder erkennen, was um ihn herum passiert. Und wenn man etwas wieder erkennt und weiß, das gibt es massenhaft, dann ist der Klischeevorwurf schnell zur Hand, denn unser Leben selbst ist klischeehaft.
Dies ist ein Literaturforum und als solcher nicht dazu da, Ratschläge zum Leben zu erteilen oder wie ein Prot zu sein hat, damit er als politisch korrekt gelten kann: ein passiver Prot genauso hinzunehmen wie ein aktiver, ein Schwachsinniger ist genauso wie eine Intelligenzbestie.

 

Hoi
Die Geschichte hat mich zuerst ein wenig an "Petit Prince" (der kleine Prinz) erinnert. Beide haben ein ähnliches Grundthema: Ein Kind sucht die Wahrheit, das Glück... Auch sind beide nur oberflächlich betrachtet Kinderbücher/-Geschichten.
Hier einige Stellen, über die ich 'gestolpert' bin:

Es war einmal ein Mädchen
Meiner Meinung nach ist es stilistisch nicht sehr schön, als Titel den ersten Satz zu verwenden. Du hättest hier mehr herausholen können.
Es machte sich wieder auf seinen Weg.
Ich finde, du hättest das jeweils unterschiedlich formulieren können. Oder hast du diese Form gewählt, um auf die ähnliche Stimmung beim Aufbruch hinzuweisen?
Es spürte eine Freude, die ihm unbekannt war. Sie war leise und selbstverständlich.
Diese Formulierung hat mir gefallen und hat mich gerührt.

Weshalb hast du eine Märchen-Form gewählt? Das ganze liest sich leider etwas zu holprig, man kann sich kaum in die Hauptperson hineinversetzen und die Geschichte ist relativ kurz.

Arbeite noch ein wenig daran! Hinter der Geschichte 'lauern' ein Paar schöne Gedanken.

 

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