Es muss so um Mitternacht gewesen sein...
„Du erzählst ja nicht gerade viel, was?“ Ich schau zu ihm auf. Eine Schweißperle läuft über seine kahlrasierte Glatze, bahnt sich ungestört einen Weg über das kantige Gesicht und verschwindet irgendwo im Ausschnitt seines Unterhemds. Ich kann ihn nicht ausstehen. Ich weiß das und er weiß das auch. Trotzdem findet er meine Gegenwart irgendwie unterhaltsam glaube ich.
Er grinst. Ich versuche zurückzulächeln. Scheint nicht zu gelingen, denn er bricht in schallendes Gelächter aus. „O Mann. Du brauchst echt einen Drink!“
Er greift hinter sich, zieht aus der Menschenmenge einen kleinen, dreckigen Kellner, hebt ihn halb auf den Tisch und flüstert ihm etwas ins Ohr, bevor er ihn zurückstößt.
Er schaut mich an und rotzt quer über den Tisch in die Menge.
Empörte Schreie. Er winkt und lacht.
Seine Hände sind voller Schwielen und flink wie ein Wiesel. Er schüttet sich ein paar Krümel Tabak aus einer Dose auf ein Papier und dreht sich mit einer Hand eine wunderbare Zigarette. Rauchend starrt er in den Raum und summt vor sich hin.
„Nett haben die es hier, oder?“ sagt er plötzlich und schaut mich amüsiert an.
Ich hasse den Typ. Ich hasse das Drecksloch in dem wir sitzen und er weiß das natürlich, sonst hätte er diese versüffte Absteige hier nie ausgesucht. Ich hätte nie herkommen sollen. Na wenigstens hat er versprochen für die Getränke aufzukommen.
Ich beobachte ihn wie er seine Kippe achtlos hinter sich schnippt. Sie landet auf der Schulter eines jüngeren Kerls, wo sie sofort ein beachtliches Loch in sein T-Shirt brennt, bevor dieser sie fluchend ausschlägt und wild um sich schaut.
Ich hasse den Typ. Er denkt er kann sich alles erlauben. Irgendwie scheint das Glück solchen Leuten immer hold. Noch
nie hab ich ihn den kürzeren ziehen sehen. noch nie, noch...
„Na! Hat es dir die Sprache verschlagen, oder was?“
Ich setze zu einer zynischen Antwort an und verschlucke mich königlich an meiner eigenen Spucke. Ich muss so stark Husten, dass ich die Augen zukneife. Sein brüllendes Gelächter verfolgt mich in die Schwärze.
Als ich die Augen wieder öffne erkenne ich die Umrisse einiger Gegenstände auf dam Tisch. Ich blinzele ein paar mal. Eine Flasche, zwei Gläser, ein Salzstreuer und einige Zitronenscheiben.
Er ist, mit einer neuen Zigarette im Mundwinkel, schon am einschenken und freut sich wie ein kleines Kind.
Wir trinken und ich verzieh das Gesicht als ich in die Zitrone beiße.
Er johlt und schenkt sofort nach.
Wir trinken noch mal und noch einmal.
Er gibt einen Trommelwirbel mit den Fingern zum besten, an dessen Höhepunkt er unglaublich laut rülpst.
Wir trinken wieder
und wieder.
Wir trinken und er lacht Tränen, als ich nach meinem Glas greife und zuerst den Salzstreuer und danach die Tequilaflasche umschmeiße.
Wir trinken und trinken, bis die Flasche leer ist.
Ich muss mich kurz am Tisch festhalten und dazu zwingen nicht die Augen zu schließen, weil ich sonst sofort kotzen müsste. Er steht auf und geht pissen.
Erstaunlich für was man in so einem Zustand Aufmerksamkeit aufbringen kann. Eine Kakerlake krabbelt über den Tisch und läuft klappernd durch das Labyrinth der Zitronenschalen. Ich finde das beeindruckend wie sie da rumläuft. Toll. Ich folge ihr mit dem Kopf über den Tisch. Sie findet ein Stück Fruchtfleisch und macht sich darüber her. Ich schaue ihr mit großen Augen zu. Meine Nasenspitze ist ca. zehn Zentimeter von diesem unglaublichen Geschöpf Gottes entfernt. Sehr schön. Sie frisst die Zitrone. Noch nie hatte ich die Ästhetik einer fressenden Kakerlake...
Mit einem lautem Knall wird das Objekt meiner Interesse aus diesem Leben befördert. Ich bilde mir noch ein einen kleinen Todesschrei zu hören, als das arme Wesen einer gewaltigen Faust und wieherndem Gelächter weicht. Ich schiele nach oben, die Nasenspitze fast auf der Tischplatte. Mein Blick klettert von der Faust über einen Unterarm bis zur Schulter und erreicht sein Gesicht. Er erkennt mein Entsetzen. Das Gelächter bricht abrupt ab.
„Ich hasse die Viecher.“
Er wischt sich ein paar Beine, Flügel und Fühler an seiner Hose ab.
Ich werde fast ohnmächtig. Meine Fassungslosigkeit wird immer größer. Ich bin echt sauer. Vergeltung! Das herzlose Aas.
Der Mörder sitzt mir pfeifend gegenüber und sucht nach Tabak. Seine Dose ist leer, er flucht. Er tastet alle Taschen ab. Nichts. Das find ich witzig und nur allzu gerecht.
Ich fange an zu kichern, Gerechtigkeit! So kommt auch er mal nicht ungestraft davon! Ich lach mir ins Fäustchen. Er hat nichts mehr zu rauchen. Ich bin total sturzbetrunken und mir geht’s prima. Ich halte die Hand vor den Mund und gluckse vor mich hin.
Er schaut mich, seine Taschen erneut absuchend entnervt an.
Sieg! Rache! Hurra!
Ich fühl mich großartig, grinse so breit ich kann und schaue ihn herausfordernd an.
Er blickt nachdenklich zurück und zieht die Augenbrauen hoch. Ich verharre die nächsten fünf Minuten in meiner grinsenden Triumphshaltung und genieße es, als mir jemand auf die Schulter klopft.
Ich drehe langsam den grinsenden Kopf.
Es ist ein kleiner Zigeunerjunge, rotzfrech mit zerzaustem Haar, einer Bierflasche in der Hand und einer Kippe im Mundwinkel. Ich find ihn sofort sympathisch und schenke ihm ein herrliches Grinsen. „Hey Mister haben sie ein bisschen Kleingeld?“ Ich drehe den Kopf ganz und beobachte bewundernd die Schlieren, die die Lampen ziehen. „N Dollar oder so.“ Ich grinse ihn verständnislos an. Er verdreht die Augen und will gerade gehen, als sich plötzlich der riesige Fleischkoloss mir gegenüber aus seiner lauernden Haltung in Bewegung setzt. „Hah!“ brüllte er, springt auf und schlägt dem kleinen Kerl auf den Hinterkopf, dass diesem die Zigarette aus dem Mund fällt. Er fängt sie geschickt und fängt zufrieden an zu paffen. Der Zigeunerjunge schaut ungläubig zu ihm hoch und fängt an lautstark zu heulen, während der Sieger nun wieder pfeifend an die Bar verschwindet.
Mein Grinsen ist wie weggefegt. Meine Augen fallen fast aus ihren Höhlen. Schachmatt! Verloren! Nun ist alles aus.
Mein Kopf schlägt hart auf die Tischplatte und ich fange an zu schluchzen. Neben mir auf dem Boden sitzt heulend der kleine Zigeuner.
Während mein Gesicht in einem See aus Salz, Tequila und Zitronensaft gebettet ist, ich mich leise in den Schlaf weinend begreife, dass Gerechtigkeit einfach nicht existiert, fangen die Kellner an die Stühle hochzustellen und die Scherben zusammenzukehren.
[Beitrag editiert von: flohmarkt am 23.01.2002 um 15:53]