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Es ist nie zu spät, etwas dazuzulernen
Er wusste nicht, wie lange die Schlange so schon vor ihm lag und ihn betrachtete, ob seit einer Ewigkeit oder erst jetzt gerade. Vielleicht hatte er währendessen fest geschlafen und ein letztes lautes Knistern des Lagerfeuers hatte ihn geweckt. Vielleicht hatte sie aber auch einen kleinen Ast zerdrückt, während sie sich anschlich - nein, während sie sich ihm näherte, denn sich anzuschleichen war ihr Naturell, nicht jedoch ihre Absicht. Müßig weiter zu fragen warum.
Sie befand sich dicht vor ihm, ihren schuppigen Kopf auf ihn gerichtet, der Blick ruhig, interessiert fast neugierig. Sein erste Reaktion: Panik, Starre. Dann: Begreifen, Sich Beruhigen, Nachdenken. Nachdenken war SEIN Naturell, mit nachdenken würde er auch dieses Problem lösen, nachdenken und kämpfen, nicht aufgeben, so wie er es immer getan hatte bis jetzt, auch wenn es ihn entsetzlich müde gemacht hatte, so müde, dass er ausgerechnet hier sein Lager aufgeschlagen hatte.
Was für eine Art Schlange war sie denn eigentlich? War sie giftig? So groß, dass sie ihn hätte erwürgen können, war sie nicht. Was sollte er tun?
Er könnte versuchen, sich mit einer schnellen Bewegung wegzudrehen und hoffen dass sie nicht doch viel schneller war als er mit seinen alten, von der Kälte steifen Gliedern. Doch hatte er die Kraft dazu? War er nicht zu müde, zu erschöpft? Zu ausgezehrt vom immerwährenden Kämpfen und sich auflehnen gegen den Lauf der Dinge? Oder er könnte einfach so liegen bleiben und warten - warten bis sie von selbst wieder davon zog.
Nein! Nur jetzt nicht einschlafen! Bloß die Augen offen halten und wach bleiben!
Sie jedoch schaute ihn weiter mit ruhigem Blick an.
"Wovor hast du Angst?" schien ihr Blick zu fragen.
"Vor Dir natürlich, vor was denn sonst?"
"Und warum?"
"Seltsame Frage - Weil Du eine Schlange bist!"
"Du hast also Angst davor, dass ich eine Schlange bin. Ist es die Angst vor meinem Biss oder die Angst, davor was der Biss bedeuten könnte?"
Hatte sie das jetzt wirklich gesagt, oder spielte ihm sein übermüdeter Verstand einen Streich?
"Ich glaube, es ist von beidem etwas."
"Mit Verlaub, mein Lieber - Ich glaube eher, es ist die Angst vor dem Zweiten, denn das Erste, der Biss tut so gut wie gar nicht weh, Du würdest ihn kaum spüren und Schmerz auszuhalten bist Du ja ohnehin gewohnt."
"Ja - jetzt, wo du es sagst, sehe ich es auch so. Es eröffnet eine Perspektive, doch ich weiß nicht, ob ich bereit bin, mich darauf einzulassen."
"Bist Du denn überhaupt bereit, Dich auf irgendetwas einzulassen?"
"Warum sollte ich das? Ich bin meinen Weg immer so gegangenen, wie ich wollte."
"Ich glaube es ist an der Zeit für Dich, eine Entscheidung zu treffen."
"Was wirst Du tun?"
"Dir das zu sagen wäre falsch. Es würde Dir nur scheinbar weiterhelfen."
Lange, sehr lange schauten sich der Mann und die Schlange danach in die Augen, Sein Blick war nachdenklich, angestrengt. Sie weiterhin ruhig und abwartend. Schließlich ging ein kleiner Ruck durch ihn, er richtete sich etwas auf, vorsichtig, um sie nicht zu verschrecken.
"Ich bin froh, dass du gekommen bist."
"Es ist nie zu spät, etwas dazuzulernen." erwiderte stumm die Schlange.
Der Mann lehnte sich zurück und senkte langsam, fast bedächtig seine Augenlider.
Um sie einen kurzen Moment später wieder zu öffnen. Er streckte der Schlange seine Hand entgegen und schaute sie dabei so ruhig und abwartend an, wie Sie dies zuvor getan hatte.
„Warum tust Du das?“
„Es ist nie zu spät eine Alternative zu finden.“ sagte der Mann lächelnd.
Die Schlange streckte ihren Kopf ein wenig vor bis sie die Hand fast berührte. Sie war in der Tat eine Giftschlange, doch ihr Gift tötete nicht unmittelbar, ihrem Gegenüber bliebe genug Zeit, für ihren eigenen Tod zu sorgen. Einige Sekunden verharrte sie in dieser Haltung, dann wandte sie sich ab und verschwand im Gebüsch.
Der Mann aber schlief in dieser Nacht tief und fest, so wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Die Schlangen ließen ihn dabei in Frieden, denn sie spürten er war in gewisser Weise einer von ihnen.