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Es ist alles gut.
"Möchtest du mir nicht sagen was los ist?", fragt er sanft. Sie wendet den Blick ab. "Ich weiß nicht ob ich das kann.", entgegnet sie ihm leise. Er nimmt ihre Hand und hält sie an seine Lippen. "Du kannst es. Ich bin bei dir. Bitte sag mir was damals passiert ist." Sie schweigt kurz, doch dann holt sie tief Luft und flüstert: "Versprich mir dass du bei mir bleibst." Er nickte. "Für jetzt und für immer."
Zögerlich beginnt sie zu erzählen...
"... Es war an einem Samstag Abend, wenige Tage nach meinem 14ten Geburtstag im Sommer. Ich war mit Freunden in einer Landdisco. Als wir hineingingen hängten wir unsere Jacken an der Garderobe auf einen Haken, mit dem Glauben ohnehin gemeinsam wieder zu gehen. Wir standen an der Bar und hatten schon eine Runden getrunken, ich war wirklich gut drauf und wir fingen langsam an zu tanzen, als plötzlich neben uns eine Schlägerei losging. Es hat nicht lang gedauert bis mehrere Securities die Männer trennten und nach draussen begleiteten. Ich hab das Geschehen nicht näher verfolgt. Irgendwann torkelte ich in Richtung WC und am Rückweg traf ich ein paar Bekannte, die mich auf 2 oder 3 Tequilas eingeladen haben. Als ich wieder zu meiner Gruppe stoßen wollte, konnte ich sie nicht mehr finden. Ich vermutete, dass sie zu der Wohnung von einer von ihnen gegangen sind, die nur 500 stadteinwärts wohnte. Und wenn nicht... soweit dachte ich glaub ich nicht. Ich verließ die Disco, ohne Jacke und allein. Es war ungefähr gegen 2 Uhr morgens als ich den Gehsteig entlang ging. Die klare Luft machte mich wieder etwas frischer. Dann hörte ich einige Stimmen reden und lachen und sah eine Gruppe von 3 Männern in der Distanz. Sie standen am Gehsteig und schienen auf etwas zu warten. Ich bekam ein seltsames Gefühl, als ich näher kam konnte ich einen von ihnen als den Schläger an der Bar ausmachen, aber ich wollte mir nichts anmerken lassen und versuchte so nüchtern wie möglich zu scheinen. Ich überlegte noch, die Straßenseite zu wechseln, aber dann riss ich mich zusammen und zwang mich weiterzugehen. Das seltsame Gefühl wurde immer beklemmender, so als könnte jeden Augenblick etwas Schlimmes passieren. Die Stimmen wurden deutlicher, doch ich konnte kein Wort verstehen. Es war nicht deutsch und ich versuchte, mich nicht darauf zu konzentrieren sondern einfach vorbeizugehen. Auf ihrer Höhe wollte ich mich am liebsten unsichtbar machen, wollte nur so schnell wie möglich vorbeigehen, als mich plötzlich einer von ihnen am Oberarm packte und zur Seite riss. Von da an ging alles so schnell, dass ich keinen einzigen Gedanken mehr fassen konnte. Ich konnte nicht glauben was da grad passiert war. Er stand schräg hinter mir, und er hielt mich so fest dass ich aufheulte. In dem Moment hörte ich ein metallisches Klicken neben meinem Ohr und spürte einen scharfen Druck am Hals. Da überkam mich Panik, ich wollte schreien und neigte reflexartig meinen Kopf zurück, als er mir ins Ohr flüsterte: "Ein Mucks und du bist tot."
Ich war wie gelähmt vor Angst. Angst weil ich wusste dass gleich etwas ganz Furchtbares passieren würde und mir niemand helfen kann. Nie wieder in meinem Leben habe ich mich so wehrlos gefühlt. Er schob mich grob vor sich entlang der Hecken hinter eine kleine Hütte. Er stieß mich mehr als dass ich ging. Dabei sprachen sie miteinander, und obwohl ich kein Wort verstand, erkannte ich am Klang ihrer Stimmen dass sie es ernst meinten. Sie klangen so gefährlich dass mir die Tränen kamen und ich kaum sehen konnte wohin ich trat. Dann stieß er mich von hinten auf den Boden. Ich bin vermutlich auf den Kopf gefallen, ich weiß es nicht. Aber das nächste woran ich mich erinner ist dass ich am Rücken liege und mich nicht bewegen kann. Jemand hielt meine Hände über den Kopf oder kniete darauf, ich weiß es nicht. Ich spürte nur den schweren Druck und wie sich die Schottersteine in meine Haut bohrten. Ich wollte mich aufsetzen, mit aller Kraft, doch ich hatte gar keine Chance. Ich fing an zu schluchzen. Einer von ihnen kniete sich über mich. Ich versuchte panisch, mich rauszuwinden, doch er packte mich an den Hüften und zog mich zu sich. Er schob meinen Rock nach oben und öffnete den Knopf und den Reißverschluss seiner Hose. Dann stützte er sich auf meine Oberarme und beugte sich über mich. Ich roch seinen Schweiß, es war der hässlichste Geruch den ich jemals gerochen hatte. Er stieß seinen Unterkörper zwischen meine Beine. Ich versuchte mit aller Kraft meine Beine zusammenzupressen um ihn irgendwie abzuwehren. Doch er drang einfach in mich ein und ich spürte einen unsagbar schlimmen, reißenden Schmerz. Mein Bauch verkrampfte sich so sehr, dass sich jeder Stoß wie ein Messerstich anfühlte. Ich drehte den Kopf zur Seite, versuchte es auszublenden, doch es war unmöglich. Es war rohe Gewalt wie ich sie noch nie erlebt habe. Und nie wieder erleben möchte."
Sie senkt den Kopf und Tränen rollen über ihre Wange. Liebevoll streicht er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sein Herz schmerzt bei ihrem Anblick. Sein Mädchen, weinend, zitternd und untröstbar. Ihre sonst so funkelnden Augen wirken erfüllt von Traurigkeit.
Dabei würde er sein Leben für ihres geben, so wichtig ist sie ihm. Und so weh tut es ihm ihr zuzuhören. Er fühlt ihre Hilflosigkeit und das unsagbare Bedürfnis ihre Schmerzen zu rächen. Doch jetzt muss er für sie da sein. Er legt seinen Arm um sie. "Du bist bei mir, Nora. Niemand wird dir jemals wieder Gewalt an tun. Du musst dich nicht mehr fürchten. Es ist vorbei. Erzähl mir was dann passiert ist."
"Ich weiß nicht wie lang es gedauert hat. Irgendwann ließ er von mir ab und stand auf. Dann setzte sich der zweite auf mich und ich dachte das würde ich nicht überleben. Ich hatte Todesangst. Der dritte holte sich währenddessen auf meinen Händen kniend einen runter und spritzte es mir auf die Haare und ins Gesicht. Ich hatte den Geschmack im Mund, und spuckte zur Seite, bekam einen Brechreiz, doch das beirrte sie nicht. Ich wollte mich aufrichten, doch sie drückten mich zu dritt nieder. Ich sah wie einer eine Flasche nahm und sie unter meinen Rock schob. Und ab da... Ab da konzentrierte ich mich nur noch darauf, das kleine Ding im Inneren, das man "Seele" nennt, festzuhalten. Den Rest nahmen sie mir sowieso."
Sie dreht ihren Kopf an seine Brust und schluchzt. Er streicht ihr sanft über die Haare, versucht sie zu halten, Trost zu spenden. "Es tut mir so leid, Nora. Ich finde keine Worte die meine Wut ausdrücken könnten. Ich kann nicht fassen was sie dir angetan haben. Danke dass du mir das anvertraut hast." "Denkst du es wird jemals aufhören?", fragt sie ihn leise. "Ich glaube es braucht Zeit. Du bist der wundervollste Mensch in meinem Leben, und egal wieviel Zeit du brauchst, ich werde für dich da sein. Wenn du weinst, werde ich deine Tränen wegwischen, wenn du Angst hast werde ich dich beschützen und wenn du dich allein fühlst werde ich dich einfach umarmen, damit du weißt dass ich bei dir bin." Sie hebt langsam ihren Kopf und blickt ihn an. "Es wird alles wieder gut, mein Engel", versichert er ihr.
Nora legt ihren Stift zur Seite. Ihre Augen sind voller Tränen. Jahrelang hatte sie sich dieses Gespräch gewünscht. Dass er ihr zuhören würde. Dann wäre alles gut. Sie nimmt das Blatt mit dem tränenverschmierten Text, legt es in die Spüle und zündet es an. Die Geschichte verbrennt langsam, doch die Erinnerungen bleiben. Und nichts ist gut.