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Es gibt Sie nicht!
Samuel lief die Strasse entlang und war verwirrt. Er wusste nicht wo er sich befand und woher er kam. Es schien als wäre sein Kopf leer. Als sei er mit einem mal auf der Straße gelandet. Ganz ohne Gedächtnis und ohne Erinnerungen. Er kannte lediglich seinen Vornamen. Samuel fühlte sich unsicher und ängstlich. Irgendetwas geschah mit ihm und bereitete ihm Kopf zerbrechen.
Es regnete. Menschen liefen an ihm vorbei, nahmen jedoch keine Notiz von ihm. Niemand beachtete ihn. Als wäre er nicht da. Als gäbe es ihn nicht. Völlig isoliert und auf sich gestellt. Er beschloß irgendwie Aufmerksamkeit zu erlangen und stellte sich mitten auf den Gehweg. Langsam breitete er seine Arme aus und wartete auf irgendwelche Reaktionen. Diese blieben jedoch aus. Kein Mensch sprach ihn an.
So entschied er, sich Gehör zu verschaffen.
„Kann mich jemand hören?“ rief er in den Regen. Niemand reagierte.
„Hallo?“ Schrie Samuel. Kein Mensch schaute sich um.
Er konnte es nicht fassen und verzweifelte zunehmend.
"Verdammt, was ist hier los?" Brüllte er mit aller Kraft. "Warum beachtet ihr mich nicht?"
Dem Wahnsinn nahe und mit Tränen in den Augen stand er im Regen und rief noch ein letztes Mal.
„Hallo? Hört mich niemand?“
Kraftlos sackte er zusammen und fiel auf den nassen Boden. Die Augen geöffnet, sah er wie die Menschen an ihm vorbei liefen. Samuel schaute in den dunklen und bedrohlich wirkenden Himmel.
Er schloss die Augen und öffnete sie nach einem kurzen Moment wieder. In der Hoffnung er wache in seinem Bett auf und der Albtraum wäre vorbei.
Er schloss die Augen wiederum und ließ sie geschlossen. Er realisierte dass dieser Albtraum kein Ende haben würde. War es denn überhaupt ein Traum?
Ein grelles Licht stach ihm in die Augen. Er lag auf einem weichen Untergrund und es war trocken. Kein Regen, keine Nässe und keine Menschen die an ihm vorbei liefen. Samuel machte sich keine Gedanken über seinen momentanen Aufenthaltsort und war einfach nur glücklich über die Tatsache, an einem trockenen Ort zu sein. Er fühlte sich etwas benommen und ausgelaugt. Samuel schaute um sich und sah nichts weiter als Wände. Weiße Wände. Er war verwundert über die Schlichheit des Raumes. Nicht einmal ein Operationsraum würde jemals so trostlos aussehen, dachte er. Glücklicherweise auch kein Gefängnis und keine Psychiatrie.
Er spürte die Nähe einer Person. Jemand musste ebenfalls im Raum sein. Er fühlte sich beobachtet und tatsächlich, jemand sprach ihn an. Eine weibliche Stimme fragte: „Guten Tag Mr. Anderson. Wie fühlen sie sich?“
Samuel brauchte quälend lange um zu realisieren, das ihn wirklich jemand ansprach.
„Wer ist da?“ Fragte er und merkte sofort, das ihm das Sprechen schwer fiel.
„Dazu kommen wir gleich. Geht es Ihnen gut?“
„Nein. Eigentlich nicht. Ich fühl mich total ausgelaugt und fertig.“
"Das ist kein Wunder. Nach allem was Sie erlebt haben."
"Was habe ich denn erlebt?"
"Einiges, aber dazu später mehr."
"Wieso nicht gleich?"
"Später! Haben Sie Schmerzen?"
"Ich weiß es nicht. Keine Ahnung."
"Spielt ja eh keine Rolle, da sich diese Frage sowieso relativiert."
„Wieso? Was meinen Sie?“
„Sie sind im Grunde genommen gar nicht in der Lage zu fühlen.“
Samuel richtete sich langsam auf und setzte sich auf das Bett. Diese Antwort verwunderte ihn zunehmend und er wurde neugierig.
Er drehte sich, um der Frau in die Augen schauen zu können. Samuel war sofort von der Schönheit der Frau überwältigt. Für einen kurzen Moment verlor er die Fassung und konnte erst nach kurzem zögern die Konversation fort führen.
„Wie meinen Sie das?“
„Sie existieren nicht.“
Samuels Blick ließ einen Mix aus Verwunderung und Ungläubigkeit erkennen. Ohne weiter auf die Antwort einzugehen fragte Samuel.
„Wo bin ich eigentlich?“
„Hm! Wie soll ich ihnen das erklären? Es ist nicht ganz einfach.“
Langsam wurde Samuel ungeduldig.
"Hören Sie, ich möchte mir das alles nicht anhören. Ich
habe keine Nerven für sowas.“
„Tun Sie mir einen Gefallen und ziehen Sie sich an. Sie können dann in den benachbarten Raum kommen und dort können wir in Ruhe reden.
Übrigens, ihre Ungeduldigkeit ist ebenfalls nicht existent. Sie besitzen kein Zeitgefühl!“
„Langsam übertreiben Sie aber. Sie sind so hübsch, aber dieses komische Zeug von dem Sie reden, passt überhaupt nicht zu Ihnen?“
„Nein? Ich werde Sie noch überzeugen.“ Sagte die Frau und ging.
Samuel benötigte noch eine Weile bis er wirklich zu sich kam und zog seine Sachen, die sauber und frisch gebügelt waren an.
Langsam und widerwillig ging er durch die weiße Tür, die umgeben von weißen Wänden war. Die Türklinke war der einzige Farbtupfer in diesem Raum. Chrom.
Um in den benachbarten Raum zu gelangen, mußte er zunächst über den Flur gehen. Weiße Wände umgaben ihn.
Im Raum angekommen, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der Raum und seine Ausstattung brachten ihn zum Schmunzeln. Ein weißer Tisch, umgeben von vier weißen Stühlen, inmitten eines weißen Raumes. Sehr Innovativ. Die hübsche Frau saß in einem weißen Kleid auf einem der Stühle und bot Samuel einen Platz an. Er setzte sich ihr gegenüber und schaute der Frau in den Ausschnitt.
„Sind die auch unecht?“ Fragte er.
„Natürlich. Mich gibt es ebenfalls nicht.“
Samuel wurde etwas grantiger und sprach in einem lauteren Ton zu der Frau.
„OK. Jetzt hören Sie mir mal zu. Ich habe keine Lust auf diese Matrix – alles ist unecht und nicht wirklich Scheiße. Ich danke Ihnen für die Hilfe und bin zutiefst gerührt. Sie haben meine Sachen gewaschen und gebügelt, dies war auch sehr nett von Ihnen. Ich hoffe, Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereitet zu haben und würde mich freuen, wenn Sie mir dennoch sofort den Ausgang zeigen würden. Ich möchte jetzt gehen.“
Die Frau blieb äusserst ruhig und gelassen und antwortete.
„Sie verstehen überhaupt nichts, Mr. Anderson.“
„Richtig.Dann klären Sie mich schnell auf und lassen mich gehen. Bitte!“
Trotz des Wunsches zu gehen, dachte Samuel:
Diese Frau sieht verdammt gut aus. Schöne, lange Blonde Haare, ein zartes und hübsches Gesicht, eine Traumfigur und erst diese Brüste. Wahnsinn.
Schade nur, dass sie etwas gestört zu sein schien.
Sie begann zu erzählen und ignorierte den gelangweilten Samuel.
„Sie, ich und Millionen anderer unserer Art leben in einer Art Parallelwelt. Wir sind Gedanken und Wunschpersonen der Menschen. Imaginäre Freunde, Helfer und Begleiter. Sie sind nichts weiter als ein Gedanke.“
„Ach ja, natürlich. Kann ich jetzt gehen?“ Sagt er ironisch. Immer noch ruhig und gelassen antwortete sie.
„Sie können nicht gehen. Lassen Sie mich erklären.“
„OK. Aber bitte die Kurzversion.“
„Einsame Menschen bauen sich eine eigene Welt auf und erfinden in ihrer Gedankenwelt eine oder mehrere Personen mit denen sie ihr Leben teilen. Ihre größten Geheimnisse und Wünsche werden an diese imaginären Freunde weiter gegeben und es entsteht eine Traumwelt, deren Regierung und Religion einzig der Mensch selbst bestimmt. Er ist Herrscher und Gott zugleich. Meist haben imaginäre Freunde Eigenschaften, die der Mensch selbst nicht besitzt. Fast alle sehen extrem gut aus und haben einen einwandfreien Charakter. Meist ist es das Gegenbild des Menschen selbst.“
„Das hört sich alles sehr interessant an. Sie möchten mir jetzt wahrscheinlich weismachen, dass ich der imaginäre Freund irgendeines Durchgeknallten Typen bin? Das ich nicht wirklich lebe und nur gedacht habe, zu leben. Ist das Ihr ernst?“
„Ja. Sie sind das Bild eines Menschen. Ein Wunsch. Ein Gedanke. Nicht real und existent.“
„Und wir treffen uns alle in dieser Traumwelt und quatschen uns zu. So wie wir beide.“
„Nein. Hier treffen sich nur die, deren Erfinder verstorben sind.“
„Aha. Und dann?“
„Nichts. Sie bleiben hier, bis ein Mensch ihren Typen brauch. Bis die Vorstellung eines Menschen auf ihre Eigenschaften zutrifft.“
„Also ganz ehrlich, soll ich Ihnen jetzt wirklich das alles abnehmen? Glauben Sie wirklich, dass ich auch nur ein Wort von dem glaube, was Sie mir erzählen?“
„Beantworten Sie mir eine Frage. Erinnern Sie sich an ihre Kindheit?“
„An meine Kindheit?“
„Ja. Was haben Sie in ihrer Kindheit erlebt?“
„Na was so Kinder erleben.“
„Etwas genauer?“
Das erste Mal, seit Beginn des Gespräches wirkte Samuel unsicher und musste lange überlegen. Er versuchte an seine Kindheit zu denken, ihm fiel jedoch nichts ein.
„...Ich weiß es nicht…..ich kann mich nicht erinnern…was ist hier los verdammt?“
„Sie waren niemals ein Kind. Sie wurden so geschaffen, wie Sie jetzt vor mir stehen. Glauben Sie mir jetzt?“
Samuel fühlte sich plötzlich wieder so hilflos und verstört, wie auf dem regennassen Boden. Er stammelte vor sich hin.
„...aber das hört sich alles so unglaublich an...das kann doch nicht sein....“
„Glauben Sie mir, es ist so. Selbst Gott ist ein Gedanke.“
„Gott?"
Fragte Samuel, obwohl es ihn eigentlich weniger interessierte, da er mit sich selbst beschäftigt war.
Dennoch antwortet sie.
"Ja. Gott, der Teufel. Alles Erfindungen des Menschen. Es gibt sie nicht, sie waren niemals da. Nicht Gott erschuf den Menschen, die Wahrheit ist eher umgekehrt.
Ich weiß wie Sie sich fühlen. Es ist nicht einfach aus einer vertrauten Situation heraus gerissen zu werden.
Mir ging es ähnlich."
"Werde ich erfahren wessen Erfindung ich war?“
„Nein. Wenn der Mensch stirbt, sterben alle Erinnerungen.Seine und Ihre. Sie existieren von nun an nur hier. Hier ist Ihr zuhause. Hier gehören Sie hin Mr. Anderson.“
„Wo sind die anderen?“
„Die sind nicht hier.“
„Wo sind die?“
Die Frau zeigte mit ihrem Zeigefinger auf ihre Schläfe.
"Hier."