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Es gibt immer einen Weg raus
Keller der Aula, Flipcharts, Relikte vergangener Zeiten, die Stellwände der Aufführung der 9b letztes Jahr, peinlich war das, Schauer, andere Gedanken.
Wir bahnen uns unseren Weg durch die Gänge, komisch, wo doch die Aula so klein ist, kaum Platz für die Stufenversammlung neulich, hier wär’s gegangen. Ich wische mit dem Finger über einen alten Tisch mit Blechgestell und merke, dass es ein Fehler war, Staub überall und unter dem Nagel. Warum sind wir überhaupt hergekommen, frage ich mich und frage es mich erneut, als ich merke, dass ein dreckiger Finger wohl schon Grund genug ist, das Vorhaben zu hinterfragen. Es ist viel zu warm, bestimmt fünfundzwanzig Grad, draußen ist Februar. Ich trage eine Winterjacke und schwitze, selbst im Gesicht, sodass ich mit der Hand meine Stirn abwische. Der Tisch hinterlässt einen Film über meiner Augenbraue und ich fluche.
„Was ist, dicker?“, fragt Manuel genervt und dreht sich um. Er sieht den Schmutzstreifen in meinem Gesicht und lacht laut auf. „Pack halt nicht wieder alles an, du Opfer.“
Ich verdrehe die Augen. „Junge, alles komplett im Arsch hier unten, was willst du überhaupt mit den scheiß Masken? Und ich schwöre dir, wenn Pascal oben die Wache verkackt und die Tür zufällt, ich hau dir die Fresse ein, ey.“
„Keine Sorge, Mann. Der kriegt das schon hin, und wir holen uns hier die Packen raus und werden reich, so einfach ist das.“
Ich bin wütend. Letzte Woche hatten wir den ersten Corona-Fall an der Schule, irgendein Otto aus der 11, und bald macht der ganze Laden wahrscheinlich dicht. Vor ein paar Tagen kam Manuel dann an und meinte, er hätte gesehen, wo die Masken gelagert werden, die die Schule auf Vorrat bestellt hat, mindestens Zehntausend seien es gewesen, für jeden Schüler fünf Stück. Keine Ahnung, was das gekostet hat. Ich habe gehört, man soll die Dinger nur einen Tag tragen, also wurden Tausende Euros für eine einzige mickrige Woche ausgegeben. Idioten. Und wenn unser Vorhaben gelingt, war sogar alles komplett umsonst.
„Da hinten ist ne Tür, da muss es sein. Sonst haben wir alles durch,“ sagt Manuel und zeigt mit dem Finger in eine dunkle Ecke, in der sich tatsächlich ein Durchgang zu befinden scheint.
„Ja, lass halt hin, die ist eh zu,“ erwidere ich forsch. „Als ob die die Dinger nicht einschließen, wenn die schon so teuer sind.“
„Man weiß nie, dicker, die Leute sind dümmer als man denkt, vor allem Hausmeister. Die denken doch auch, wir könnten nicht an den Ballschrank, nur weil da ein Schloss vorhängt.“ Er holt seinen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und grinst. „Außerdem hab ich ihn hier.“
Ich schüttle den Kopf und blicke erst ein paar Sekunden lang auf den Boden, dann in sein Grinsegesicht. „Manu, alter, ist dir klar, was passiert, wenn das rauskommt? Ein verficktes Jahr zum Abi, wenn wir fliegen, und das werden wir, Film, alter. Übertrieben keinen Bock drauf, scheiß doch auf die Masken. Jetzt kommst du hier mit nem Dietrich an.“
Ich habe Angst. Wenn mein Vater herausfindet, dass ich die Schule bestohlen habe und erwischt wurde – gar nicht auszumalen. Erst letzten Monat habe ich für eine Drei in Mathe drei drübergekriegt. Mit einer Eins ist er einverstanden, bei einer Zwei enttäuscht, mit jeder schlechteren Note bekomme ich Schläge, drei, vier, weiter bin ich noch nicht. „Lass einfach abhauen, Mann.“
„Dicker, spinnst du? Scheiß dich nicht ein, wir machen das jetzt.“ Er springt über ein Bücherregal aus Eisen, das auf dem Boden liegt, erreicht die Tür und drückt auf die Klinke. Abgeschlossen. „So, mal sehen, was der Alte noch kann,“ sagt Manuel fast zufrieden und kramt seinen Schlüsselbund wieder hervor. Er klingt wie ein Schwerverbrecher im Ruhestand. Ich bewege mich auf ihn zu und will gerade etwas sagen, als ich im Regal hängenbleibe, das Gleichgewicht verliere und in eine Staffelei falle. Ein Ausruf, „Fuck,“ Kettenreaktion, mindestens drei weitere setzen sich in Bewegung und fallen auf eine Blechplatte, die den Boden bedeckt. Höllenlärm.
„Junge, reiß dich mal zusammen, verdammte Scheiße. Hätte ich lieber Pascal mitgenommen. Pussy, alter.“ Ich fluche. Irgendwas hat geknackt, ich glaube, es war mein Fuß. Er schmerzt höllisch, ab der ersten Millisekunde. Und der Lärm! Ich stehe auf und halte mich an einem Sportkasten fest, hier steht ja echt jeder Scheiß rum. „Junge, das tat weh, entspann dich mal. Fuck ey.“ Ich versuche aufzutreten, geht kaum.
Er überlegt kurz, wägt ab, entweder um mich kümmern oder einfach weiter, und wendet sich letztlich dem Schloss zu. Schlüssel klimpern, mein Knöchel pocht. Manuel hantiert mehrere Minuten an der Tür und flucht unentwegt, muss man wahrscheinlich. Dann: Klick, es quietscht, das Ding sollte geölt werden, mit Sicherheit liegt hier irgendwo WD-40 rum. Er hat das Schloss geknackt.
„Wer sagt’s denn, dicker, kannst du auftreten? Ich kann die nicht alleine tragen, safe.“ Ich nicke und versuche, mir nichts anmerken zu lassen, während ich über das Regal steige. Scheiße, dieser Schmerz, ich glaube, ich muss ins Krankenhaus. Bin ich versichert? Ist einfach auf dem Hof passiert, geht schon.
Manuel leuchtet mit seinem Handy durch das Zimmer und läuft die Wände ab. Es ist stockduster und verdreckt, als hätte es ungefähr seit Tschernobyl, wovon man hier unten im Übrigen nichts mitbekommen hätte, niemand betreten. Vor allem aber, die Erkenntnis schmerzt fast so sehr wie mein Sprunggelenk, ist es leer.
Manuel tritt mit voller Wucht gegen die Steinwand. „Scheiße! Verfickte Scheiße alter, das kann doch nicht sein, ich könnte schwören…!“ Er guckt mich an, als wollte er sich bei mir für die Unannehmlichkeiten entschuldigen oder mich anschreien, eins von beidem. „Sorry,“ schreit er.
„Dann lass halt abhauen,“ schlage ich vor und bewege mich langsam in die Richtung, aus der wir gekommen sind. „Ja, warte.“
Er wirft ein altes Schulbuch durch den Raum, die vermoderten Seiten segeln unangenehm riechend durch die Luft und auf den Boden. „Ich geh noch eben da rum, guck mal, in der Ecke steht nichts, vielleicht ist da noch ne Tür oder so.“ Er tritt einen Bürostuhl aus dem Weg, räumt merkwürdig behutsam ein weiteres, diesmal stehendes Eisenregal zur Seite und dreht sich aufgeregt zu mir um. „Ey, da geht’s weiter!,“ schreit er.
Ich rolle die Augen, das Pochen ist unerträglich und ich will raus, nach Hause, ein Kühlpack holen, meinetwegen sogar in die Klasse zurück. „Ja, Moment,“ sage ich und humple ihm hinterher.
„Hier ist tatsächlich noch eine,“ höre ich ihn aus ein paar Metern Entfernung rufen. Es klimpert wieder. Ich folge dem digitalblauen Lichtkegel, er dreht sich zu mir um. „Ich hab’s, dicker. Wir werden reich.“
Vorsichtig, fast schon fürsorglich drückt er die Klinke bis zum Anschlag und stemmt langsam sein Körpergewicht gegen das Eisen. Es wird hell, heller, die Tür ist offen.
Wir stehen auf dem Lehrerparkplatz.
„Oh,“ sagt Manuel.
"Na sieh mal einer an," sagt Herr Peikert.
„Hm,“ sage ich.
"Haben Sie ein Kühlpack? Im Keller waren keine."