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Es gibt doch WhatsApp
Tochter Greta, 18 Jahre jung, unser viel gereister Schmetterling, ist auch in diesem Sommer nicht zu halten. Rucksack schnell gepackt, geht es nach Thailand und Bali mit Mutters guten Ratschlägen im Gepäck.
"Pass auf dich auf, Greta. Du solltest nicht allem und jedem blind vertrauen. Lass dein Gepäck nicht aus den Augen und bitte, nicht wieder wild campen wie in Australien. Bei dem Gedanken bekomme ich jetzt noch Bluthochdruck !"
Mit einem Lächeln voll ironischer Ignoranz schenkt sie mir aus aquamarinblauen Augen diesen Rede-du-mal-Blick. "Ja, alles klar. Melde mich, bleib mal locker, gibt ja WhatsApp."
WahtsApp, die Beruhigung aller Eltern. Was wären wir nur ohne Handy und dieser genialen App?
Ja, es ist ein wahrer Segen, wenn die junge Brut über Handy die Eltern an jedem Ungemach teilhaben lässt und so nervenschonend, dies fast live, aber ohne wirklichen Zugriff, mitzuerleben, wenn der Nachwuchs ohne Geld hungrig in der Fremde weilt, weil die Scheckkarte eingezogen wurde, der Schlüssel vom Hostel unauffindbar ist oder mit tellergroßen Spinnen gekämpft werden muss.
So vergehen Stunden bangen Wartens auf die erlösende WhatsApp Nachricht, dass Greta gut gelandet ist.
Endlich erklingt dann das heiß ersehnte "Pling" und in der Familiengruppe erscheint die Nachricht:"Gelandet und keine Unterkunft gefunden"
Wie, keine Unterkunft? Ist es dort nicht schon Nacht? Überflüssig zu erwähnen, dass keine Antwort zu erspähen ist. Greta ist wieder offline.
Sie selbst nimmt ihre Botschaft nicht so genau unter die Lupe und dann erscheint da gerne schon mal "keine" statt "meine", was zur Folge hat, dass ich hier sitze und mit Herzstolpern meine Blutdrucktabletten suche.
Nach Tagen der Angst, man wähnte Tochter nachts in Reisfeldern schlafend, kommen dann endlich erlösende Fotos von einem wunderschönen Hostel mit herrlichem Innenhof voll blühender Bromelien.
Dem Handy, nein, WhatsApp sei dank. Was beschert es doch dem Nutzer herzergreifende Glücksmomente, die man direkt mit der gesamten Verwandtschaft, den Nachbarn, Freunden, dem Briefträger, dem man schon unter Tränen vom verlorenen Kind berichtet hatte, teilen muss.
So trägt man jetzt das Handy in freudiger Erwartung weiterer Endorphin steigernder Botschaften immer am Mann bzw. an der Frau.
Dann ertönt wieder dieses wunderbare "Pling".
Greta: "Die Herbergsmutter hat Bekannten, jungen Mann. Zeigt mir seine Würdigkeiten."
Ich: "Wie Würdigkeiten??"
Greta: "Sehenswürdigkeiten."
Ich: "Ist er Reiseführer?"
Greta: "Ne, weiß nicht, kostet nix."
Für Tochter Sparfuchs ist dies immer ein schlagendes Argument, für mich aber kein wirklich beruhigendes.
Ich: "Aber du kennst ihn doch nicht."
Greta: "Aber Herbergsmutter."
Ich: "Ich kenne diese Frau aber nicht."
Greta: "Die ist in Ordnung, bleib mal locker!"
Ich : "Aber du kennst den Mann doch nicht!"
Greta: "Ne, aber morgen. Nimmt mich auf Roller mit."
Ich: "Auf einem Roller??"
Greta: "Tschüss, Akku leer."
Beim Töchterchen ist grundsätzlich der Akku leer, wenn sie die Diskussion für beendet erachtet.
Da bietet WhatsApp auch wieder ganz klare Pluspunkte, zumindest für meine Tochter.
Ich falle dann dank der außerordentlich beruhigenden Wirkung von WhatsApp in aufreibende Träume von wollüstigen Balinesen, die wie Springteufel aus Reisfeldern hüpfen.
Es ist um die Mittagszeit und langsam fragt man sich, wie es Greta auf Bali wohl ergeht. "Pling" macht es, als könne WahtsApp sogar Gedanken lesen. Freudig erregt starre ich auf das Display.
Greta: "Haben uns gemault, bin auf Anschluss gefallen."
Ich: "Gemault? Hast du Streit? Ich habe dich gewarnt vor diesem Lüstling."
Greta: "Nein, gemault, Mutter. Haben uns mit Roller aufs "Maul" gelegt."
Ich: "Und auf einen Stromanschluss gefallen? Mein Gott, hast du jetzt Verbrennungen? Ach, da ist ja auch nichts TÜV geprüft, fürchterliches Land. Bist du im Krankenhaus?"
Greta: "??? Verbrennungen? Krankenhaus? Strom?"
Ich : "Hast du geschrieben!!! Auf Anschluss gefallen!"
Greta: "Nein,auf den Arsch, mein Handy schreibt stattdessen immer Anschluss, Dirty Words Sperre"
Ich: "Ach, aufs Steißbein gefallen."
Greta: "Oder so…"
Ich: "Du bist doch wohl nicht schwerer verletzt? Habe doch gesagt, sollst auf dich aufpassen! Was war mit diesem fremden Typen?"
Greta: "Alles easy, chill mal, Akku leer"
Das Handy, die einzige, tröstliche Verbindung zu Greta, klebt wie ein zusätzliches Körperteil an meinen, schweißnassen Händen. Es wird mein ständiger Begleiter auf dem WC, nachts im Ehebett unter genervtem Stöhnen des Göttergatten, beim Zahnarzt im Behandlungsstuhl , in einem Zipperbeutel geschützt unter der Dusche oder während meines Referates über Achilles an der Uni.
Ich darf einfach keines der wunderbaren Bilder versäumen:
Greta mit dick verbundenen Knien auf einem rostigem Roller,
Greta mit dunkelrotem Sonnenbrand und Brandblasen im sommersprossigen Gesicht,
Greta mit drei, frech grinsenden Balinesen, Eis leckend,
Greta in dunklem Gewässer im Urwaldgestrüpp und merkwürdig roten Pusteln am Rücken,
und Greta am Straßenrand vor einer gammeligen Garküche hockend.
Diese zutiefst beruhigenden Bilder verfehlen ihre Wirkung nicht, ich muss sie immer wieder betrachten und lasse mich mit Schnappatmung auf die heimische Couch sinken.
Mittlerweile reichen meine Tabletten gegen Bluthochdruck alleine nicht mehr aus. Ich nehme jetzt noch diverse, weitere Mittelchen ohne wirklichen Erfolg. Ein erholsamer Schlaf will sich mit Handy auf meinem Kopfkissen einfach nicht einstellen. Mit dunklen Augenringen, einem Nervenzucken an der linken Braue und drei Liter Kaffee am Morgen schleppe ich mich mühsam durch den Tag.
Endlich…, endlich wieder ein befreiendes "Pling" und dann erscheint dieses einmalig schöne Foto von Greta am Düsseldorfer Flughafen, in Good Old Germany gelandet, ein wirklicher Glücksmoment.
Meine WhatsApp Nachrichten kommen zur Zeit aus einem sehr netten Sanatorium. Ich trage ein weißes Bindejäckchen, irgendwie unpraktisch auf dem Rücken gebunden und bediene mein Handy mit den Zehen.
"Pst, verratet mich nicht. Darf kein Handy. Kann aber nicht mehr ohne WhatsApp, werde sonst wahnsinnig."
Matahari