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Es gibt da gewisse Regeln
Ich heiße Willy. Willy und nichts weiter. Kein Herrchen, kein Nachname. So einfach ist das.
Aber das finde ich gar nicht so traurig, da mir meine Freiheit ohnehin viel lieber ist. Wisst ihr, es gibt zwei Arten von Hunden:
Die Jammerlappen mit Schleifchen im Haar und frisch gefönter Brust; die an der Seite ihrer geschniegelten Frauchen im Stadtwald spazieren gehen, um jede Pfütze einen Riesenbogen machen und ihre Pfoten in die Luft heben, als gelte es, den Modelwettbewerb zu gewinnen.
Ich persönlich genieße es ungemein, eben diesen Wesen zu begegnen. Es ist nämlich ein ausgesprochen großes Vergnügen, den bösen Hund raushängen zu lassen; so zu tun, als würde man eine Rauferei anzetteln, um anschließend mit anzusehen, wie die Jammperlappenbesitzerin hysterisch wird und ihren Liebling auf ihren Arm in Sicherheit bringt.
Ach, ja, dann gibt es noch die gehorsamen Hunde ( meistens Schäferhunde), die es als das größte Glück der Erde ansehen, das zu machen, was Herrchen ihnen aufträgt. Armselig, kann ich euch sagen. Irregeleitetes Denken. Naja,
lassen wir das.
So, und dann gibt es selbstverständlich noch meine Gattung:
Mischling, als Welpe an der Raststätte ausgesetzt und seitdem, das ist jetzt auch schon zwei Jahre her, frei und ungebunden. Jawohl, frei und ungebunden.
Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ich meine, welcher Hund kann das noch von sich behaupten?
Andererseits war das nicht immer so. Präziser formuliert: ich bin erst seit zwei Monaten frei. Davor habe ich mein Leben in einem Tierheim verbracht. Wenn ich so zurückblicke, war die Zeit allerdings gar nicht so schlimm.
Nur ein bisschen schlimm. Aber wo fange ich an zu erzählen? Keine Angst, es dauert nicht lange.
Daran, dass man mich ausgesetzt hat, kann ich mich natürlich nicht erinnern. Ich war ja noch ein Baby; mein Hundeerinnerungsvermögen reicht nicht so weit zurück.
Mein Leben fing in meinen Augen an, als drei Jungen in unser Tierheim kamen und mit mir spazieren gehen wollten...
Es war ein heißer Julitag, die Sonne brannte glühend heiß vom Himmel und ich lag völlig ermattet in meinem Käfig, der Gott sei Dank überdacht war, und schlief.
"So, dann haben wir noch diesen Mischlingsrüden. Er ist ein Jahr alt, lieb und mag Kinder."
Die Stimme meines Wärters Walter drang an mein Ohr. Ich öffnete blinzelnd ein Auge und sah, das Walter mit drei Jungen um die Vierzehn vor meinem Gatter standen. Sie sprachen augenscheinlich über mich.
"Beißt er?", fragte der dickste Junge von den Dreien und blickte mich misstrauisch an. Die Sommersprossen in seinem Gesicht leuchteten.
Walter lachte. Er lachte! "Nein", sagte er, wofür ich ihn noch heute in den Hintern beißen könnte.
Ich meine, ich bin zwar nicht bissig, aber muss er mich so als Weichei darstellen? Das geht doch wirklich nicht. Wir Ihr euch vorstellen könnt, war mein Stolz verständlicherweise verletzt. Ich schloss demonstrativ meine Augen wieder und drehte den Kopf weg. Filmreif. Ehrlich.
"Ganz schön schlapp der Kleine", sagte eine andere Stimme.
"Ja, mit dem ist nicht viel los", erwiderte der Andere.
Ich schluckte.
"Wir nehmen ihn trotzdem. In zwei Stunden bringen wir ihn zurück."
Was soll ich euch sagen? Von da an, begann mein persönlicher Alptraum.
Ich wurde kurz an die Leine genommen und in einen Wald geschleppt, wobei meine Aufpasser heftig an der Leine zerrten. Dabei grölten sie fürchterlich; was sie wohl für besonders cool hielten. Das Unangenehmste allerdings war die Hundepfeife, in die sie ständig hinein pfiffen.
Naja, machen wir es kurz, ich möchte ja nicht melodramatisch werden. Ich wurde in einen See geschubst, um dann an meiner Leine wieder herausgezogen zu werden. Sie machten sich einen Spaß daraus, mich mit kleinen Steinchen zu bewerfen und zu guter Letzt wurde ich in eine Kiste gesetzt und herum geschoben. Natürlich mit geschlossenem Deckel.
Nein, es war nicht schön, nein, es hat keinen Spaß gemacht und ja, es wurde oft wiederholt. Wöchentlich. Ich war eine neue Freizeitbeschäftigung.
Naja, es ist vorbei. Als ich nämlich anfing, mich in Szene zu setzen, und das kann ich echt gut, hat mein Wärter Verdacht geschöpft. Er schlicht sich eines Tages hinter uns her, beobachtete, welchen Unfug man mit mir trieb und nahm ihnen kurzerhand die Leine aus der Hand.Eine saftige Ohrfeige und eine Strafanzeige wegen Tierquälerei folgten.
Kurze Zeit später konnte ich einer alten Dame, die mit mir ihren Sonntagmorgenspaziergang machte, davonlaufen.. Ich denke heute noch oft an sie. Ob sie mich wohl vermisst? Ich konnte jedenfalls keine Rücksicht nehmen, so gern ich sie auch mochte. Aber manchmal muss man im Leben einfach Prioritäten setzen. Und das allerletzte, was ich brauche, ist ein Herrchen, ein Partner.
Ehrlich.
Heute ist übrigens ein angenehm warmer Märztag, der Himmel ist so blau, wie ein Kornblumenfeld und ich trabe gemächlich auf einer Landstraße dahin. Der Asphalt ist glatt und warm und bei jedem Schritt erzeugen meine Pfoten einen gleichmäßigen Patsch. Es ist beruhigend, ich fühle mich wohl.
Dann geschieht es.
Ein kleiner blauer Schmetterling flattert plötzlich vorwitzig vor meiner Nase herum. Immer wieder berührt er meine Nase, die sehr empfindlich ist. Es kitzelt höllisch.
Furchtbar. Nach ein paar Minuten Kitzeln bin ich total genervt.
„Hey, kannst du nicht woanders herumfliegen? Der Himmel ist groß genug“, knurre ich zwischen den Zähnen hervor.
„Hi, hi. Das ist doch lustig, luhustihig“, fiept der kleine Falter. „Wo willst
du denn hihin?“, fragt er oder sie weiter. Bei einem Falter kann man das immer nie so genau sagen.
So langsam reicht es mir. Ich habe gerne meine Ruhe, müsst Ihr wissen.
„Das geht dich gar nichts an.“ Ich versuche es mit meinem besten Hunde-Böse-Blick.
Klappt auch nicht. Der kleine Kerl flattert munter weiter um mich herum und fängt auch noch an zu summen. ZU SUMMEN!
„Wie heißt du dehenn?“, fragt mich der Kleine.
„Willy,“ knurre ich.
„Ich heiße Norbert.“, fiept es zurück. Toll.
Dann fällt mir was ein.
Ach,…“, heuchel ich, „mir fällt gerade ein, dass ich an einem wunderschönen Mohnblumenfeld vorbeigekommen bin. Da musst du unbedingt hinfliegen. Herrliche rote Blumen.“
„Hihi, das glaube ich nicht. Ich kenne mich nämlich hier ahaus und es gibt weit und breit kein Mohnblumenfeld. Außerdem ist es mit dir viehiel lustiger. Hihi.“
Am liebsten würde ich den Fiepfalter in den Himmel pusten, aber der Anstand. Man hat ja Manieren.
Genervt bleibe ich stehen. „Ich würde viel lieber alleine weiterlaufen. Wäre es möglich, dass sich nun unsere Wege trennen?“, frage ich und bemühe mich wirklich um einen gemäßigten Tonfall.
Der Fiepfalter denkt gar nicht dran und lässt sich mit einem eleganten Schwung auf eine Blume sinken.
Während er leicht mit seinen leuchtendblauen, zarten Flügeln schlägt, blickt er mich aus treuen Knopfaugen an.
„Mahagst du mich nihicht?“ Das dünne Stimmchen trieft vor Traurigkeit.
Ich rolle die Augen. Jetzt macht dieses kleine Kerlchen auch noch auf Mitleid. Was für eine billige Masche. Da könnte ja jeder kommen. Jetzt bloß nicht weich werden, Willy. Bleib hart.
„Nein.“ Ehe eine Antwort kommen kann, drehe ich mich auf dem Absatz um und laufe weiter. Nicht umschauen, weiterlaufen. Demonstrative Ablehnung, das ist das Einzige, was in solch einem Fall hilft. Vielleicht habe ich Glück. Vielleicht und hoffentlich habe ich gleich wieder meine Ruhe.
Niemand folgt mir. Nanu? Gibt da jemand so schnell auf? Kein Ehrgeiz, keine Alternativmasche? Ich hatte mich seelisch schon auf eine weitere Diskussion eingestellt und jetzt folgt mir niemand. Ich horche, stelle ein Ohr hoch. Nein, nichts zu hören. Nur das rhythmische Klatschen meiner Pfoten ist zu hören. Seltsam. Erstaunlicherweise gefällt es mir ganz und gar nicht, dass der Schmetterling mir nicht folgt. Aber was will ich eigentlich? Erst versuche ich ihn mit allen Mitteln fortzuscheuchen und auf einmal vermisse ich ihn? Verd…`tschuldigung, also bei allen guten Hunden, ich bin ein Einzelgänger, ein Hund, der seine Unabhängigkeit braucht und liebt. Ich brauche niemanden. Niemanden! Und schon gar keinen fiependen Winzfalter, der mir auf Dauer den letzten Nerv rauben würde. Nein.
Meine Schritte werden langsamer, verstummen schließlich ganz. Ich bleibe stehen und horche. Oh, Mist, ich sehe mich selbst, wie ich den Kopf drehe, zurückblicke und dann, oh nein, Willy, das kannst du doch nicht machen. Du musst Deinen Prinzipien treu bleiben, lauf weiter, vergiss diesen Falter. Du bist ein Einzelkämpfer, ein Elitehund!
Ich seufze einmal tief und laut und laufe zurück. Der Fiepfalter sitzt noch genau dort, wo ich zurückgelassen habe. Sein Kopf hängt runter, seine Flügel schlagen kraftlos auf und ab. Ein erbärmliches Bild. Ja, muss er denn gleich so übertreiben? Ein bisschen weniger Dramatik wäre auch nicht verkehrt gewesen. Aber die Insekten sind wohl so. Machen einen Höllenlärm um nichts, sogar wenn es um ihr Gefühlsleben geht. Dabei sind sie die Kleinsten.
Ich baue mich so bedrohlich wie möglich vor Norbert auf. „Nanu? Ist unserem kleinen Nervtöter die Luft ausgegangen? Warum so still?“
Das Köpfchen hebt sich. „Ich,… ich hähähänge feheeeeest“, schluchzt er auf einmal los. Die Tränen kullern, die Flügelchen beben.
Ich schaue irritiert auf das zitternde Geschöpf. „Bitte?“
Jetzt blicken mich die dunklen Knopfaugen so würdevoll wie möglich an. „ICH HÄNGE FEST.“
Mein Blick muss wohl immer noch fragend aussehen, denn ohne ein weiteres Wort von mir, erklärt mir Norbert: „Dies ist eine der seltenen Blumen, die ein klebriges Sekret abgeben. Aus diesem Grund haben sich meine Füße in diesem ekligen Schleim verhangen.“ Der Falter reckt das Kinn. „Würdest du bitte die Güte haben und mich befreien? Ich verspreche dir, ich werde dich auch ein für allemal in Ruhe lassen.“
Ich grummle ein paar unverständliche Worte und mit einem geschickten, zarten Biss ist die Rettung vollbracht. Na, bitte, Willy, du bist ja doch kein Unmensch. Zehn Punkte für Willy, den Helden.
„Soho, dann werde ich jehetzt wohl mal losfliegen“, kommt es kleinlaut aus Norbert`s Mund.
Ich setze mich auf meinen Hintern und wedle andeutungsweise mit meinem buschigen Schwanz. „Naja, wenn
dDu willst, ich meine, mein Weg ist noch lang….wenn
du keine anderweitigen Verpflichtungen hast…ich meine, ähm…“
„Ich kann mit Dir kohommen?“ Norbert scheint gleich zwei Nummer zu wachsen. Seine Augen funkeln, seine Flügel in größter Erwartung weit ausgebreitet.
„Verstehe mich nicht falsch. Du kannst mitkommen, aber es gibt da gewisse Regeln.“ Wir gehen los. Beziehungsweise, ich laufe und Norbert flattert aufgeregt, aber mit gewissem Abstand neben mir her.
„Also, erstens…“