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Es forscht
Anmerkung: Der Text wurde stark verändert, die nachfolgenden Posts beziehen sich teilweise auf Teile die nicht mehr existieren.
Die andere Materie
Eine Wolke im All, Materie, lose verbunden, dennoch strukturiert. Sie war fast seit Anbeginn von Allem dabei gewesen, ein uraltes Wesen. Diese Wolke war ein Forscher, ein Entdecker, ein neugieriger Geist. Und wie jeder Forscher hatte sie ein Spezialgebiet. Ihre Artgenossen gaben nicht viel darauf, die Wolke hatte gelernt damit zu leben. Es gab wenige von Ihnen und man traf sich selten, jeder blieb gerne für sich und die Wolke war ganz zufrieden damit, störten so keine sozialen Befindlichkeiten ihre Arbeit.
Das Forschungsgebiet der Wolke waren unsichtbare Quellen von Gravitation, eine Art von Materie die man die man außer eben ihrer Gravitationswirkung nicht aufspüren konnte. Es gab davon etwa den sechsten Teil der normalen Materie, was nicht eben wenig war. Während man in den meisten Gegenden des Alls nur Spuren von ihr ausmachen konnte gab es Gebiete mit großen Vorkommen. In spiralförmiger Anordnung kreiste diese Materie um eine große zentrale Anhäufung, einen Klumpen unglaublich dichter unsichtbarer Materie mit gewaltiger Gravitation.
Diese Materie beeinflusste normale Materie gravitativ als wäre sie von genau derselben Beschaffenheit, schien sich aber selbst um ein zigfaches stärker anzuziehen. Das erklärte die notorische Klumpenbildung. Unter dieser Prämisse hätte sich aber irgendwann die gesamte unsichtbare Materie an einem Ort versammeln müssen. Das es nicht dazu kam lag daran dass von Zeit zu Zeit eine größere Sammlung dieser Materie einfach zerstob und sich wieder verteilte. All dies hatte die Wolke in seiner langen Forschungszeit oftmals beobachtet, hatte Formeln dazu ausgearbeitet und traf mittlerweile ganz gute Voraussagen wie sich gewisse Anhäufungen in nächster Zeit verhalten würden. Ein Reim darauf konnte sie sich jedoch nicht machen, zu sehr widersprachen diese Abläufe den Gesetzen nach denen Materie agierten sollte.
Im Laufe der Zeit hatte die Wolke zahlreiche Wege gefunden sich selbst zu modifizieren, Erfindungen um etwa der Gravitation der fremden Materie im gewissen Grad zu widerstehen. Damit konnte sie zwar nichts gegen die gewaltige Gravitation im Zentrum einer solchen Spirale ausrichten, den unzähligen Anderen, die spiralförmig um jene kreisten, konnte sich sich damit fast gefahrlos nähern. Auch hatte sie geschafft Teile ihrer Selbst abzutrennen und als Kundschafter auszusenden. Durch gewisse Verschränkungen auf kleinster Materieebene bekam sie von diesen Abtrennungen in Nullzeit Daten geliefert. Als sie die Spirale, in der sie sich nun befand, erreicht hatte, sandte sie viele tausend Abtrennungen von sich aus mit dem Auftrag bemerkenswerte Phänomene zu suchen. Sie selbst studierte inzwischen Gravitationsherde, tätigte Voraussagen über Wachstum und Zerstörung und versuchte im Allgemeinen ihre Kenntnisse über die unsichtbare Materie zu mehren.
Nun hatte die Wolke aber von einer ihrer Abspaltungen Daten erhalten, die sie für interessant hielt und sich aufgemacht diese zu untersuchen. Das Ziel war eine typische Struktur nahe dem Rand der Spirale. Ein mittelgroßer Gravitationsherd umkreist von einigen Kleineren. Und einer dieser Kleineren hatte die Aufmerksamkeit des Kundschafters auf sich gezogen. Etwas ging dort vor sich, die Daten waren verwirrend, ein Bruch der bisher beobachteten Schemata. Allzu intelligent waren die Kundschafter nicht, aber sie waren in der Lage erwartbares von unbekannten Verhalten zu unterscheiden.
Der Weg war glücklicherweise nicht weit, ungefähr ein Achtel der Spirale musste sie durchqueren. Sie konnte sich zwar nicht in Nullzeit bewegen, dies war Informationtransfers durch verschränkter Materie vorbehalten, aber die Wolke war nahe dran. Die Modifikation ihrer selbst, die dies ermöglichte, war keine ihrer eigenen Erfindungen sondern ihr bei einer der wenigen zufälligen Begegnungen mit einem Artgenossen übermittelt worden. Die Wolke bewunderte noch immer die Eleganz, wie hier Naturgesetze bis nahe zum Widerspruch gebogen wurden. Die Erkenntnisse, die sie im Gegenzug übermittelt hatte, waren weit weniger spektakulär, keine andere Wolke interessierte sich ernsthaft für diese unsichtbare Materie. Diese andere Wolke hatte sich auf traditionelle Art in jenem langwierigen Ritus, der mit den Austausch von Informationen einherging, bedankt und war ins All entschwunden ohne sich anmerken zu lassen für wie wertlos sie diese Informationen hielt. Entgangen war es der Wolke dennoch nicht.
Nichtsdestotrotz genoss die Wolke diese Art zu reisen. Sie drang in das besagte Subsystem in diesem Spiralarm ein und verleibte sich den Kundschafter wieder ein. Sie richtete ihre Sinne auf besagte Quelle und was sie wahrnahm war fantastisch und gleichzeitig verwirrend. Sehr kleine Gravitationsunregelmäßigkeiten bewegten auf einer beinahe perfekten Kugelsphäre um den Herd und folgten keinem offensichtlichen Muster. Manche verließen sogar diese Kugelsphäre und folgten seltsamen Bahnen. Das war neu. Diese Quellen, so unglaublich klein sie waren, schienen autonom zu handeln, zumindest auf den ersten Blick. Jeder anderen Wolke wäre wohl dieses Gewimmel entgangen, keine interessierte sich genug dafür und deshalb hatte sich auch keine entsprechend modifiziert um solch kleine Gravitationsquellen auszumachen.
Die Wolke hatte sich schon Gedanken darüber gemacht ob so etwas wie Leben in dieser Art von gravitativer Materie möglich sei, doch bis zu diesem Zeitpunkt war dies reine Spekulation gewesen. Die Wolke war aufgeregt, doch sie wollte auch nichts überstürzen. Sie musste sicher sein, wirklich sicher. Ihre Artgenossen würden ihr für die Entdeckung Respekt zollen. Würden sie wirklich? Die Wolke scholt sich selbst für diese eigensüchtigen Gedanken an schnöden Ruhm und Anerkennung und verbannte sie ins hinterste Eck ihres Bewußtseins. Zu gewaltig war diese Entdeckung, eine einmalige Gelegenheit Wissen zu mehren.
Die Wolke umkreiste die Quelle, jede Bewegung registrierend, beobachtend, staunend. Und fand nun doch Regelmäßigkeiten in den Bewegungen. Die Quelle rotierte und mit ihr die kleinen autonomen Einheiten um sie herum. Waren nun die Einheiten zur größten Quelle des Subsystems hingewandt wurden die Einheiten aktiver. Als würde würde sie etwas anregen. Befanden sie sich jedoch auf der abgewandten Seite hörten viele auf sich zu bewegen und wurden erst wieder aktiver wenn sie sich wieder auf der dem Zentrum zugewandten Seite befanden. Dies galt aber nur für einen Großteil der Einheiten, ein Kleinerer ignorierte diese Regel und schien sich nicht davon leiten zu lassen. Dennoch stellte auch dieser Teil in regelmäßigen Abständen die Bewegung ein, wenn auch scheinbar unabhängig vom Standort. Auch sonst gab es viele sich wiederholende Muster, oft durchbrochen von einigen Ausnahmen. So schienen die Einheiten manche Gebiete der Kugelsphäre vorzuziehen, andere zu meiden. Auch kehrten sie auffällig oft zu ihren Ausgangspunkten zurück.
Während dieser Beobachtungen nahm die Wolke einige Anpassungen an sich selbst vor, für solch kleine Gravitationsquellen war sie nicht genügend gerüstet. Sie zu unterscheiden und auch in Ruhe weiterzuverfolgen fiel ihr schwer. Was ihr jedoch am meisten zu schaffen machte war dass es keinen Hinweis darauf gab, was die darunterliegende Quelle von anderen unterschied, warum sich gerade hier diese Abnormität entwickeln konnte. Die Wolke hatte sich schon zahlreiche Experimente ausgedacht, die man mit diesen kleinen Einheiten durchführen konnte. Es sollte nicht schwer sein eine dichte Gravitationsnadel in eine Anhäufung der Einheiten wirken zu lassen um zu erfahren wie diese darauf reagierten. Oder eine Einheit zu isolieren und sie von der Quelle zu entfernen. Es gab so viele Möglichkeiten, vielleicht konnte man sogar etwas wie Kommunikation aufbauen. Viel Verstand konnte in einer so kleinen Einheit nicht vorhanden sein, doch vielleicht besaßen sie ein Gruppenbewußtsein. Interessante Zeiten standen bevor, doch zuvor wollte die Wolke noch die Quelle darunter genauer begutachten. Und so tauchte sie ein, wie immer mit einem mulmigen Gefühl wenn sie sich größerer Gravitation aussetzte. Nur ihre Modifikationen verhinderten dass sie sich durch den ziehenden Druck verwirbelte und sich Selbst verlor. Es war ihr schon einige Male passiert und es war keine angenehme Erfahrung. Es dauerte immer eine ziemlich lange Zeit bis sich ihre Bestandteile wieder in der richtigen Konfiguration zusammenfanden. Und noch länger um die entsprechenden Modifikationen einzurichten um den Trichter wieder verlassen zu können.
Ihre Untersuchung der Quelle war sorgsam und langwierig, doch irgendwann gab sie auf. Hier war nichts besonderes zu entdecken, nichts das sie nicht schon tausende Male untersucht hätte. So machte sie sich an den Aufstieg um mit den Experimenten an den Einheiten zu beginnen.
Dann passierte etwas, dort wo sich die kleinen Entitäten bewegten, und eine ihrer Modifikationen versagte. Die Gravitation erfasste sie mit aller Wucht. Es blieb noch Zeit Verwirrung zu fühlen, dann Angst und Zorn. Sie wurde auseinander gezogen und durcheinandergewirbelt, ohne Schutz ihrer Modifikationen war ihre Wolkengestalt der Quelle hilflos ausgeliefert. Alles wurde unklarer, verschwommener, ihr Verstand zerfaserte sich. Ihr vorerst letzter klarer Gedanke war: „Schade darum“.
Im Forschungszentrum CERN gab es zu diesem Zeitpunkt einen Großalarm, beim Start des Beschleunigers war etwas grundlegend schief gegangen. Später fand man den Grund in einer geborstenen Schweißnaht. Von der Existenz dunkler Materie wußte man zu diesem Zeitpunkt schon, doch niemand ahnte, dass ein Wesen, bestehend aus dieser, gerade für ein paar Millionen Jahre in den Erdkern verbannt worden war.