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Erzählungen einer Stadttaube
Gerade noch hatte sie es geschafft, sich auf das Vordach der Stadtsparkasse zu retten. Mit letzter Kraft ließ sie sich dort nieder, krank und verletzt wie sie war. Eine Frau verjagte sie, als sie auf der Wiese des Spielplatzes saß, um vielleicht ein paar Samen zu finden.
Eine zweite Taube flog an und saß sich neben sie.
„Siehst nicht gut aus“ , gurrte sie ihr zu.
„Ja, das Leben ist hart.“
„Ich weiß, geht uns allen so.“
„Musste mich gestern wieder von ein paar heruntergefallenen Pommes und Erbrochenem ernähren – keine Samen, keine Körner - weit und breit.
Nur Beton, Autos, Asphalt und Menschen.
Hab mich auch noch am Fuß verletzt – an einer Scherbe – bei der Landung. Tut höllisch weh – dann noch Magen-Darm – alles entzündet.“
„Ja, Magen-Darm haben wir alle hier. Deshalb mögen uns die Menschen nicht – wegen der Exkremente – sagen sie. Mit Samen und Körner wäre es besser.“
„Vor 5000 Jahren haben uns die Menschen domestiziert – jetzt sind wir gefangen in dieser Hölle - ortsgebunden.
Wir waren Glücksbringer und in der Bibel sind wir erwähnt. Die Menschen schätzten uns für unsere Klugheit, nutzten uns als Boten. Sie züchteten uns - mit besonderen Eigenschaften - so wie sie es für gut befanden.
Für ihre Kriege mussten wir herhalten - Brieftauben, die zur Heimat fliegen.
Wir wurden gezüchtet - bis zur symbiotischen Abhängigkeit.
Sie fütterten uns – wir flogen.
Als sie uns nicht mehr gebraucht haben, kümmerten sie sich nicht mehr um uns. Wir sitzen hier fest - wegen der Eigenschaften.
Jetzt haben Menschen ein Problem mit uns.
Sie sagen wir sind schmutzig – als ob uns das Spaß machen würde.
Sie sagen wir zerstören ihre Häuser – ja vielleicht - weil uns die richtige Nahrung fehlt.
Sie sagen uns falsche Dinge nach.
Wir würden sie krank machen – dabei machen sie uns krank.
Sie jagen uns, befestigen Spikes und Scherben am Mauerwerk, woran wir uns verletzen.
Manchmal fangen und quälen sie uns.“
„Verrückte Welt“ gurrte die andere Taube und flog weiter.
„Ja, verrückte Welt – morgen versuche ich nochmal Körner und Samen zu finden – auf der Wiese am Spielplatz.“