"Sie schwiegen eine Weile, da keiner von beiden wusste, was er darauf erwidern hätte sollten."
Ich kann jetzt nur für mich sprechen, aber einen solchen Satz würde ich tatsächlich nicht schreiben. Das ist dann ein anderer Erzähler, der steht über den Dingen, der weiß alles und so, das wirkt auf mich entweder literarisch und klug (2666, infinite Jest) oder altmodisch und verstaubt. Ich würde es eher so machen (Sicht Person A): A senkte den Kopf und schwieg. Das war in der Tat eine Scheißsituation. Wie war es nur so weit gekommen? B hatte auch den Kopf gesenkt. Offenbar wusste er auch nicht, was er sagen sollte.
Also ich meine, dass Autoren, die so schreiben, gerne Wörter wie "offenbar" und "scheinbar" oder "ihm schien", oder "er sah aus, als hätte er keine Ahnung" … und so verwenden.
Wirklich "wissen", wie der andere denkt … eher weniger.
Also ich find, das kann man sich fast so vorstellen, wenn man wirklich ganz nah rangehen will und diese beschränkte Sicht und so, das ist fast so, als würde man in der ersten Person schreiben. Wie würde man es denn da formulieren? Da geht es auch immer irgendwie.
Aber ich finde das ist ein interessantes Thema. Mich würde auch interessieren, wie das andere machen. Hier gibt es so viele Text in der Ich-Form, da kommt das Thema nicht auf, Cube schreibt allwissend, aber immer auch bisschen literarsich und so … ich muss grad überlegen, Texte in letzter Zeit … weiß nicht. Gibt natürlich viel, aber nichts was mir in der Hinsicht grad exemplarsich in den Kopf kommt.
Also wenn ich das so anguck, was ich grad spontan so geschrieben hab:
A senkte den Kopf und schwieg. Das war in der Tat eine Scheißsituation. Wie war es nur so weit gekommen? B hatte auch den Kopf gesenkt. Offenbar wusste er auch nicht, was er sagen sollte.
Für mich ist:
Das war in der Tat eine Scheißsituation
der interessanteste Satz. Mich würden da die Grenzen interessieren, … also für mich ist da kein Erzähler, der das von außen bewertet, das ist Person A, die denkt: Scheißsituation. Man könnte es auch so machen:
Das ist eine Scheißsituation, dachte A. Aber im Kontext meine ich, das geht auch ohne "dacht er". Bin mir aber auch nicht immer hundert pro sicher, wie weit man das so machen darf. Ist wohl alles bisschen Stilsache.
Aber wie gesagt, ich seh das so, wenn man so schreibt, dann ist man ein Tick distanzierter als in der ersten Person, aber nicht so wahnsinnig viel. Kommt natürlich auch drauf an, wie nah man dran sein will, man kann vor und zurückzoomen auch, so wie mit der Zeit, in den nächsten wochen ging er häufig Essen und Schuhe kaufen und und ...
Und wenn du, wie ich gerade sehe, 1Q84 liest … guck dir das doch an. Murakami macht das doch auch so beschränkt in der dritten Person, da sind immer nur jeweils die Gedanken von Tengo oder Aomame drin, ich meine, da sind gar nie Murakamis oder Fukaeris Gedanken drin. Alles was geschrieben wird, stammt aus Tengos und Aomames Köpfen, ihre Gedanken fahren durch einen 3rd-person-ruhig-zen-japanisch Filter, und kommen dann so raus. Er beschreibt die Welt durch ihre Augen. Oder besser gesagt: Sie beschreiben die Welt mit seinen Worten. (Und häufig auch mit "ihren".) Ich weiß nicht mal, ob "er", also der Erzähler, ob der wirklich existiert. Ich denke nicht. Man müsste fast sagen: Das sind die umformulierten Gedanken der Hauptfiguren. Manchmal beschreibt "er" sogar ewig Dinge, die nicht wie "Echtzeitgedanken" daherkommen, wo man sich vom Gefühl her von der Figur entfernt, und dann kommt am Ende noch so alibimäßig: "Als Tengo mit seinen Gedanken an dieser Stelle angelangt war, griff die Kassiererin nach dem Korb" (Seite 631)
Und Murakami mixt das auch voll, also stilistisch. Mal schreibt er: Tengo traute seinen Ohren nicht. Kamatso wollte es nicht drücken? Das war aber Unsinn! Und mal: Kamatso wollte es nicht drücken? Das ist aber Unsinn!, dachte Tengo.
(Das grüne Buch 3 hab ich übrigens nicht gelesen, vielleicht ist da wieder was anders.)
Also ich glaube, eigentlich möchte Murakami in der ersten Person schreiben, jetzt hat er aber mehrere Personen in einem Roman, und dann auch noch eine Frau(!), also münzt er das Ganze auf dritte Person um. So hat er noch einen Filter dazwischen, das wirkt nicht immer so direkt, und der kann da vielleicht auch ein bisschen modulieren. Aber der hat nie diesen allwissenden literarischen Blick drauf wie Bolano oder DFW oder Kubus oder so.