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Erwin in der Badewanne
Es ist schon dunkel draußen. Erwin, das kleine Nachtgespenst, sitzt auf der Kante von Mias großem Schrank. Gelangweilt lässt er seine Beine baumeln. Wo bleibt sie bloß. Mia ist immer noch nicht vom Rodelausflug mit ihren Eltern zurück.
Da! Endlich hört er das Öffnen der Wohnungstür und schon kommt das kleine Mädchen ins Kinderzimmer gesaust. „Hallo Erwin“, ruft sie fröhlich. „Ich darf noch in die Badewanne. Kommst du mit?“ Mia ist noch ganz durchgefroren und freut sich auf das warme Wasser. Aber Erwin schaut sie entsetzt an. „Ins Wasser soll ich gehen? Niemals!“ Entschieden schüttelt er den Kopf. Gespenster hassen Wasser.
„Es würde dir sicher gut tun. Du bist nämlich schon ganz schön verstaubt“, versucht Mia Erwin zu necken. Doch als er ihr gerade erklären will, warum Gespenster nicht ins Wasser gehen, ruft die Mama aus dem Bad: „Kommst du mein Schatz? Die Wanne ist voll.“ Und schwupp, ist Mia wieder aus dem Zimmer gelaufen. Erwin schaut ihr hinterher. Er baumelt weiter mit den Beinen und weiß nichts mit sich anzufangen.
Das Telefon klingelt, Mama geht hinunter in die Küche. Was Mia wohl alleine in der Badewanne macht? Erwin ist doch neugierig. Leise segelt er hinüber. Mia sitzt mitten in einem großen Berg aus Schaum. Zwischen ihren Füßen schwimmt ein kleiner blauer Wal und gerade pustet sie ein paar Schaumflocken in die Luft. Da entdeckt das Mädchen Erwin, der vorsichtig hinter einem Handtuch hervor lugt. Schnell nimmt sie ihren Wal und spritzt eine Ladung Wasser in Richtung Nachtgespenst.
„Hee!“ Erwin kann sich gerade so in die Luft retten. Doch schon feuert Mia eine neu Wasserfontäne in seine Richtung. Wieder daneben. Das Wasser klatscht an die Wand und spritzt in alle Richtungen. Erwin fliegt wild hin und her. Mia versucht immer wieder, ihn nass zu spritzen. Bald tropft es im halben Bad von der Decke, nur das kleine Gespenst bleibt trocken. Erwin streckt Mia die Zunge heraus. „Bäh, du triffst mich ja doch nicht.“ Na warte, denkt das Mädchen. Wusch! Die nächste Ladung donnert haarscharf an Erwin vorbei und reißt die rote Gummiente vom Regal. Mit einem protestierenden Quicken kullert sie über den Fußboden.
Da müssen beide laut lachen. Was für ein riesen Spaß. Keiner hört, wie die Mama die Treppe herauf kommt. Erst als sich die Türklinke bewegt, dreht Erwin sich erschrocken um. Klatsch! Da trifft ihn Mias letzte Wasserladung und er plumpst direkt in die Badewanne.
„Warum schreist du denn hier so laut herum?“, will Mama wissen. „Das klang wie eine ganze Affenbande! Und überhaupt, hier ist ja alles nass!“ „Och, ich spiel doch bloß.“ Mia schaut so unschuldig wie sie kann. „Bitte spritz nicht das ganze Wasser heraus und sei ein bisschen leiser. Okay?“ „Mhmmm.“ Mia nickt. Zum Glück will Mama weitertelefonieren. Ihre beste Freundin ist nämlich am Apparat. Und so darf Mia noch in der Wanne bleiben, was sonst undenkbar gewesen wäre.
Kaum ist Mama wieder nach unten verschwunden, flüstert Mia: „Erwin, du kannst wieder auftauchen. Mama ist weg.“ Doch Erwin ist nirgends zu entdecken. Erschrocken tastet Mia im Wasser herum. Durch den vielen Schaum ist fast nichts zu sehen. „Erwin, Erwin wo bist du?“ Ängstlich schaut sie sich um. Gespenster können nicht ertrinken - oder etwa doch? Endlich fühlt sie etwas, wie einen nassen Waschlappen. Und sie zieht das tropfende Ding heraus. „Erwin?“, fragt Mia besorgt. „Ist alles in Ordnung?“ Doch der Gespensterlappen in Mias Hand rührt sich nicht. Fieberhaft versucht sich das Mädchen zu erinnern, warum Gespenster kein Wasser mögen. Aber es will ihr nicht einfallen. Mit einem Mal ist ihr eiskalt. Was habe ich getan? Panisch dreht sie Erwin in den Händen hin und her. Plötzlich spürt sie eine Bewegung. Mühsam richtet sich das kleine Gespenst auf und grummelt vorwurfsvoll: „Ich bin nass geworden!“ Dabei zieht er ein so Mitleid erregendes Gesicht, dass Mia erleichtert lachen muss. „Ach je, wie schlimm.“
Beleidigt will er davonfliegen. Oh Schreck, es geht nicht. Patsch! Patsch! Er kommt einfach nicht von der Stelle. Erwin hat sich im Wasser vollgesogen, wie ein Schwamm. Und so ist er viel zu schwer zum Fliegen. „Was soll ich denn jetzt machen? Ein Gespenst muss doch fliegen!“, jammert Erwin. „Das ist nur deine Schuld, ich wollte nicht ins Wasser!“ Da bekommt Mia ein schlechtes Gewissen. Ganz vorsichtig drückt sie ihn aus, bis kaum noch Wasser heraus kommt.
Erwin versucht es erneut. Doch es will immer noch nicht richtig klappen mit dem Fliegen. Hilflos torkelt er durchs Zimmer. Er rempelt drei, vier Flaschen um und reißt auch noch die Bürsten herunter. Mia duckt sich. „Pass doch auf! Sonst kommt Mama gleich wieder rauf und schimpft mit mir.“ Hastig fischt sie die Flaschen aus dem Wasser und stellt sie zurück auf den Sims. Doch ehe sie noch die Bürsten einsammeln kann, ist das kleine Nachtgespenst am anderen Ende des Bades gegen den Spiegel geknallt. Mit einem Rums rutscht der nach unten, genau auf Papas Rasiercreme. Eine weiße Schlange schießt aus der Tube.
„Oh nein! Setzt dich sofort hin, bevor du noch mehr Schaden anrichtest.“ Ärgerlich springt Mia aus der Wanne. Zum Glück ist der Spiegel nicht kaputt gegangen. Sie wischt die verräterische Rasiercreme von den Fliesen. Das ganze Zimmer duftet nach Papa.
Wie ein Häufchen Elend hockt das kleine Nachtgespenst am Rand der Badewanne.
„Ich weiß was wir machen können.“ Mia strahlt Erwin an. Entschlossen hängt sie ihn über die Heizung. „Jetzt musst du schön still halten, dann bist du gleich wieder trocken“, erklärt sie dem Gespenst und klettert zurück ins Wasser. Es dauert auch gar nicht lange, bis Erwin sich warm und leicht fühlt. Zufrieden fliegt er eine kleine Proberunde durchs Bad.
Diesmal hören die beiden rechtzeitig, dass Mama wieder auf dem Weg nach oben ist. Schnell verschwindet Erwin ins Kinderzimmer. Noch einmal will er auf keinen Fall ins Wasser!
„Ach herrje, was ist denn hier los?“ Entsetzt schlägt Mama die Hände über dem Kopf zusammen. Mia schaut sich mit einem unguten Gefühl im Bauch um. „Ich wollte das nicht. Aber ich habe ein Monster verjagen müssen. Ehrlich Mama“, versucht sie sich herauszureden. „Raus aus der Wanne! Du gehst jetzt sofort schlafen, Fräulein. Ich lese heute nichts mehr vor, schließlich muss jemand dieses Schlachtfeld hier aufräumen.“
Kurz darauf klettert Mia erleichtert, das es nicht mehr Geschimpftes gab, in ihr Bett hinein. Mama gibt ihr noch einen Gutenachtkuss und knipst das Licht aus.
Als es draußen auf dem Flur still geworden ist, spürt Mia, wie Erwin sich noch einmal zu ihr auf die Bettdecke setzt. „Kommst du das nächste Mal wieder mit mir in die Wanne?“, fragt sie schläfrig.
„Oh nein!“ Erwin schüttelt energisch den Kopf.
„Aber es hat doch so einen Spaß gemacht?“
Ja, Spaß hat es schon gemacht, dass muss Erwin zugeben.
„Und schau mal wie schön weiß du geworden bist.“
Erstaunt schaut Erwin an sich hinunter. Tatsächlich. Der Mond scheint hell zum Fenster herein. Ein Strahl trifft genau auf Erwin, so dass es aussieht, als würde er von innen leuchten.
„Trotzdem! In den nächsten hundert Jahren brauche ich kein Bad mehr, mindestens!“, da ist sich Erwin ganz sicher. Doch Mia hört das schon nicht mehr, denn sie ist längst eingeschlafen.