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Erwartung

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06.07.2003
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Erwartung

~"Erwartung"~


Jedes Jahr komme ich hierher zurück. Es ist wie ein unbewusster Zwang. Selbst dann, wenn ich es schon längst verdrängt und vergessen hatte, verschlug es mich auf die eine oder andere Art hierhin. Immer an dem gleichen Abend; dem 15ten August, wenn es noch warm ist und die Sonne tiefrot stirbt.
Und heute stehe ich auch wieder in dem halbverfallenen Haus, weil schon längst niemand mehr so nah am Wald wohnt, und starre abwechselnd in den lilafarben getränkten Himmel oder zum dunklen Waldrand und warte auf Dich. Ich weiß ja, dass Du nicht kommen wirst. Aber Du hattest es doch versprochen. „Ehrlich,“, hast Du gesagt, „ich werde`s bestimmt nicht vergessen!“ Du warst unzuverlässig ohne Ende, aber etwas in Deinem Blick sagte mir, dass Du es ernst meintest und mir darüber hinaus noch etwas ganz anderes mitteilen wolltest.
Aber Du kamst nicht. Nie.
Was hatte ich erwartet?! Zuviel, ja.
Ich fahre vorsichtig über das spröde Holz des Fensterbretts, die Fensterscheibe vor mir ist zersplittert, die Vorhänge flattern sogar noch in den Raum hinein. Sehr verdreckt sind sie schon, doch ich weiß noch, wie wir sie damals gekauft haben. Da hatte ich ihn auch zum ersten Mal gesehen. Auf dem Rückweg vom Baumarkt kaufte meine Mutter mir an der Eisdiele gerade noch mein Lieblingseis, während ich –wie immer neugierig in dem Alter- umhersah und dann auf Dich aufmerksam wurde. Du hast einfach nur gelangweilt auf der Steintreppe gesessen und schienst auf jemanden zu warten. Die Sonne blendete Dich und ließ Deine Augen aussehen wie klares, blaues Meereswasser.
Allmählich wird es dunkel und die Kiefern verwandeln sich in schwarze Schatten. Kein Zeichen von Dir. Eine Scheidung hast Du mich schon gekostet. Wo ich denn jedes Jahr hin müsste und warum ich denn nicht sagen wollte, wohin ich ginge und ob da wohl ein anderer Mann im Spiel war? Man sollte doch in einer Ehe keine Geheimnisse haben. Er trieb es auf die Spitze, ich schwieg und ging. Ich erinnere mich an sein Gesicht. Verschwommen. Ob ich ihn heute noch erkennen würde?
Als es langsam aber sicher immer dunkler wird und ich schon die ersten Sterne und den porzellanblassen Mond erkennen kann, wird mir schmerzlich bewusst, dass Du auch dieses Mal nicht kommen wirst. Wieso enttäuscht es mich so sehr? Wie kann ich denn hoffen, dass Du nun –mehr als zwanzig Jahre später- hier auftauchst?!
Wieso wurdest Du an diesem Tag, nur eine halbe Stunde vor unserem Treffen von diesem Laster überfahren? Was wolltest Du mir sagen?
Ich wünschte, es gäbe Geister.

 

Hallo Mizugo4

eine sehr schöne, traurige Geschichte. Sie lehrt uns, jeden Tag wie den letzten Tag zu sehen. Oft gibt es Geschehenisse welche die Einflüsse unseres Lebens sehr schnell umkehren können. Doch könnten uns die Geister auch keine Antwort auf den Sinn des Geschehenen geben.


Weiter so Morpheus

 

Hi

Auch mir hat die Geschichte ganz gut gefallen, schöner Schluss.

>>„Ehrlich,“, hast Du gesagt, „ich werde`s bestimmt nicht vergessen!“
Die wörtliche Rede finde ich hier nicht nötig, vor allem, wenn es so ein Standardsatz ist, der sagt ja gar nichts über die Person aus.

Die Beschreibungen finde ich auch durchweg gelungen. Einziger Kritikpunkt ist die meiner Meinung nach fehlende Tiefe, wenn man mal von letzten Satz absieht.
Da wird einfach zu wenig erzählt, bzw. zuviel halb angedeutet. Ich weiß immer noch nicht, was er ihr denn evtl. sagen wollte. Bisschen mehr LÄnge hätte der Geschichte gut getan.

Liebe Grüße
Christoph

 

Zunächst einmal Danke für Eure Beiträge!

Zu Morpheus: Manchmal frage ich mich, ob es denn wirklich relevant ist, welchen Sinn ein Geschehnis haben könnte?! Vielleicht sollte man das ein wenig gelassener sehen: was passiert, passiert eben und was nicht, eben nicht...

Und zu wolkenkind: Ich fand die wörtliche Rede hier lediglich passend, weil sie sozusagen als Beweis das zuvor erwähnte unterstützt. (Ist sie so störend, daß ich sie rausnehmen sollte?)
Zum Thema des "zuviel Andeutens"... Das wurde bereits bei meinen anderen Texten kritisiert. Für mich ist das immer ein wenig schwer nachvollziehbar, da ich meine Texte (logischerweise) für fast schon zu eindeutig halte... Ist es denn so wichtig, daß ich erwähne, was er ihr genau sagen wollte? Was denkst Du denn, was er ihr mitteilen wollte? Ist es nicht viel entscheidender, welchen Eindruck das nicht gesagte auf sie hatte?

Sayonara,
Mizu

 

Zu der wörtlichen Rede: In Kurzgeschichten sollte eigentlich jedes überflüssige Wort vermieden werden, also würde ich die Rede streichen. Ist eben irgendwie doppelt gemoppelt, stört nicht wirklich, aber der Text verliert halt an Dichte. Nur meine Meinung ;)

Was das Andeuten angeht: Ich beschreibe auch lieber, als dass ich erkläre. Du musst ja nicht erwähnen, was er ihr sagen wollte, aber zumindest die Richtung andeuten. Alles, was ich als Leser weiß, ist dass die beiden sich verabredet haben und dass die Beziehung nicht gerade glücklich lief. Dadurch lässt sich leider nichtmal ahnen, was er ihr sagen wollte. Vielleicht wollte er die Beziehung beenden, vielleicht wollte er sie zur Rede stellen...
Ist wie das einzelne verschwommene Bild eines Films, den man nicht kennt :)

 

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