Erwartung
~"Erwartung"~
Jedes Jahr komme ich hierher zurück. Es ist wie ein unbewusster Zwang. Selbst dann, wenn ich es schon längst verdrängt und vergessen hatte, verschlug es mich auf die eine oder andere Art hierhin. Immer an dem gleichen Abend; dem 15ten August, wenn es noch warm ist und die Sonne tiefrot stirbt.
Und heute stehe ich auch wieder in dem halbverfallenen Haus, weil schon längst niemand mehr so nah am Wald wohnt, und starre abwechselnd in den lilafarben getränkten Himmel oder zum dunklen Waldrand und warte auf Dich. Ich weiß ja, dass Du nicht kommen wirst. Aber Du hattest es doch versprochen. „Ehrlich,“, hast Du gesagt, „ich werde`s bestimmt nicht vergessen!“ Du warst unzuverlässig ohne Ende, aber etwas in Deinem Blick sagte mir, dass Du es ernst meintest und mir darüber hinaus noch etwas ganz anderes mitteilen wolltest.
Aber Du kamst nicht. Nie.
Was hatte ich erwartet?! Zuviel, ja.
Ich fahre vorsichtig über das spröde Holz des Fensterbretts, die Fensterscheibe vor mir ist zersplittert, die Vorhänge flattern sogar noch in den Raum hinein. Sehr verdreckt sind sie schon, doch ich weiß noch, wie wir sie damals gekauft haben. Da hatte ich ihn auch zum ersten Mal gesehen. Auf dem Rückweg vom Baumarkt kaufte meine Mutter mir an der Eisdiele gerade noch mein Lieblingseis, während ich –wie immer neugierig in dem Alter- umhersah und dann auf Dich aufmerksam wurde. Du hast einfach nur gelangweilt auf der Steintreppe gesessen und schienst auf jemanden zu warten. Die Sonne blendete Dich und ließ Deine Augen aussehen wie klares, blaues Meereswasser.
Allmählich wird es dunkel und die Kiefern verwandeln sich in schwarze Schatten. Kein Zeichen von Dir. Eine Scheidung hast Du mich schon gekostet. Wo ich denn jedes Jahr hin müsste und warum ich denn nicht sagen wollte, wohin ich ginge und ob da wohl ein anderer Mann im Spiel war? Man sollte doch in einer Ehe keine Geheimnisse haben. Er trieb es auf die Spitze, ich schwieg und ging. Ich erinnere mich an sein Gesicht. Verschwommen. Ob ich ihn heute noch erkennen würde?
Als es langsam aber sicher immer dunkler wird und ich schon die ersten Sterne und den porzellanblassen Mond erkennen kann, wird mir schmerzlich bewusst, dass Du auch dieses Mal nicht kommen wirst. Wieso enttäuscht es mich so sehr? Wie kann ich denn hoffen, dass Du nun –mehr als zwanzig Jahre später- hier auftauchst?!
Wieso wurdest Du an diesem Tag, nur eine halbe Stunde vor unserem Treffen von diesem Laster überfahren? Was wolltest Du mir sagen?
Ich wünschte, es gäbe Geister.