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Erwachen
Es riecht nach Holz. Ich mag den Geruch von Holz. Ich finde ihn irgendwie beruhigend. Langsam fülle ich meine Lungen mit der wohlriechenden Luft. Das Geräusch, das dabei entsteht, ist das einzige in der vorherrschenden Stille. Mein Kopf fühlt sich seltsam an, doch das dumpfe Gefühl scheint aus weiter Ferne zu kommen. Es existiert nicht. Es gibt nur den gleichmäßigen Luftstrom durch meine Lungen und den Duft nach Holz. Die Luft, mit ihrem herrlichen Geruch. Die von dem gleichmäßigen Atem zerrissene und doch ungestörte Stille. Ein pochender Schmerz in meinem Hinterkopf. Nein. Nur die Luft. Der Geruch nach Holz scheint langsam nachzulassen, die Luft stickiger zu werden. Doch das ist nicht wichtig. Ich versuche mich zu entsinnen, was stattdessen wichtig ist. Meine Gedanken fließen zäh wie Honig. Ich möchte schneller zu denken, doch je mehr ich mich anstrenge desto eher scheinen die Gedanken mir zu entschlüpfen.
Wie in einem Stundenglas dringen die Erinnerungen Körnchen für Körnchen zu mir durch. Eine Feier. Es hat eine Feier gegeben. Vor meinem Auge flackern Bilder eines Blockhauses in Kopfschmerzen-bereitender Geschwindigkeit vorbei, als würden sie mit einem alten Videoprojektor an meine Netzhaut projiziert. Wieder ein dröhnender Schmerz in meinem Hinterkopf. Ich versuche die jüngsten Erinnerungen zu ordnen, doch es will mir nicht gelingen. Es ist, als versuchte ich ein vornüber geneigtes Bücherregal einzuräumen. Nach langem Überlegen kommt mir der Gedanke, dass ein hölzernes Blockhaus wohl den Duft erklären würde.
Verzweifelt versuche ich, mir als nächstes meiner näheren Umgebung bewusst zu werden. Dunkelheit. Wieso ist es dunkel? Es müsste nicht dunkel sein. Wenn ich meine Augen öffnete, dann könnte die Dunkelheit schwinden. Und was dann? Was ist so schlecht an der Dunkelheit? Ich kann nichts sehen. Stück für Stück erkämpfe ich mir die Gedanken, bis ich schließlich den Entschluss fasse, meine Augen zu öffnen. Ich kann spüren wie sich die Muskeln in meinem Gesicht straffen, wie sie sich zusammenziehen, in dem verzweifelten Versuch, die unendlich schweren Vorhänge von meinen Augen zu heben. Es kostet mich immense Kraft, und ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass meine Lider inzwischen schon geöffnet sind. Doch wie kann das sein? Nichts hat sich verändert. Ich blicke in die Finsternis und blinzle. Meine Augen drohen wieder zu zufallen, doch ich kämpfe dagegen an. Schließlich übermannt mich doch die Erschöpfung und meine Augen klappen wieder zu. Langsam atme ich aus. Was macht es schon, dass meine Augen wieder geschlossen sind? Ich kann ja ohnehin nichts sehen.Ich merke, wie mir das Atmen langsam schwerer fällt. Doch was könnte ich schon dagegen tun?Ich wandle eine Weile durch meine bescheidene Gedankenwelt wie durch Nebel, der zu dicht ist um ihn zu durchblicken. Von unendlich weit weg dringt schließlich ein Gefühl zu mir. Erinnerungen folgen. Erinnerungen, dieses Gefühl schon einmal erlebt zu haben. Ich brauche eine kurze Ewigkeit, bis ich feststelle, dass ich soeben meinen Zeh bewegt habe. Sobald mir dieser Gedanke gekommen ist, erscheint es mir lächerlich, dass ich darauf nicht schon früher gekommen bin. Nachdem ich das nun einmal begriffen habe, brechen die Erinnerungen nur so über mich herein. Ich kenne Zehen, Füße, Beine. Ich kenne Arme, Hände, Finger. Ich versuche einiges davon zu bewegen, doch mein Körper will mir noch immer nicht recht gehorchen. Mit den Erinnerungen an meinen Körper, kehren auch die Schmerzen zurück. Ein dumpfes Pochen in meinem Hinterkopf. Es kommt mir bekannt vor, ich vermag jedoch nicht zu sagen woher. Außerdem noch ein unangenehmes Ziehen im Rücken. Die Euphorie, die Kontrolle über all die möglichen und unmöglichen Teile meines Körpers wiedererlangt zu haben, wird getrübt. Warum habe ich mich nicht mit dem wohligen Duft nach Holz zufriedengeben können? Ich verharre eine Weile in der Hoffnung, die unangenehmen Gefühle mögen noch nachlassen. Doch ich warte vergebens.
Erneut beginne ich, meine Zehen zu bewegen. Es fühlt sich großartig an, so viel Macht zu haben, doch in mir drängt sich das Gefühl auf, irgendetwas zu übersehen. Ich stelle fest, dass der Nebel aus meinem Kopf noch nicht gänzlich verschwunden zu sein scheint. Nach einer Weile gehorchen mir meine Zehen immer besser, und auch die Fußgelenke ziehe ich probehalber an. Gleich darauf beginnt der gleichmäßige Klang meines Atmens sich zu beschleunigen, und ich kann spüren, wie mir die Kontrolle über meine Gedanken entgleitet und ich in die Dunkelheit abzudriften drohe. Verzweifelt kämpfe ich dagegen an, öffne meine Augen und versuche den unangenehmen Schmerz im Hinterkopf weitestgehend zu ignorieren, der mit neuerlicher Intensität meinen Schädel schier zu sprängen droht.
Eine Weile lang starre ich in die Schwärze, ehe ich meine Lider wieder sinken lasse. Langsam hebe ich meinen Unterarm. Mein Atem beschleunigt sich nicht merklich, ich werde wahrlich immer besser. Als meine Hand gegen etwas hartes stößt erschrecke ich so heftig, dass sie ziellos herab fällt und erneut auf etwas hartes aufschlägt. Der Schmerz durchzuckt mich plötzlich, ich kann eine Schweißperle spüren, die mich lieblich an der Wange zu kitzeln scheint. Ich beginne mühsam meine Augen zu öffnen, kann jedoch genau so wenig erkennen wie zuvor und lasse sie deshalb wieder zu klappen. Das Pochen in meinem Hinterkopf wird stärker und ich bin zunehmend verwirrt. Es kommt mir vor, als würde die Luft immer schlechter werden, doch das liegt vermutlich nur an der Anstrengung. Bei meinem nächsten Versuch, die Hand zu heben schaffe ich es, sie oben zu halten. Es fühlt sich hart an. Und rau. Langsam streiche ich mit der Hand hin und her, bemüht, die Kontur mit dem Finger so gut wie möglich zu erfassen. Als mir die Kraft ausgeht, lasse ich den Unterarm langsam sinken, um meine müden Muskeln zu entspannen. Langsam merke ich, wie sich eine Erinnerung anbahnt. Irgendein Gedanke, irgendeine Idee die mein Problem lösen oder wenigstens erklären würde. Irgendetwas mit dem Geruch. Ich kann ihn spüren, ich kann den Gedanken förmlich vor mir sehen, doch ich vermag nicht ihn zu ergreifen, obwohl es so einfach zu sein verspricht. Es ist frustrierend. Irgendetwas mit dem stickigen Geruch, der noch immer an Holz erinnert. Holz. Das ist es! Ich liege auf Holz! Ich weiß weder, woher die Erinnerung stammt, noch, wie sie mir weiterhelfen wird. Und dennoch fühlt es sich wie ein Erfolgserlebnis an. Erneut hebe ich die schmerzende Hand. Ich streiche über die Raue Oberfläche und spüre wie sich meine Gesichtsmuskulatur anspannt, um ein schwaches Lächeln anzudeuten, ob der Erkenntnis, tatsächlich über Holz zu streichen. Anstatt meine Hand nun auf dem direktesten Weg wieder sinken zu lassen, bewege ich sie nun zur Seite und taste um mich herum die Umgebung ab. Meine Schulter beginnt schon bald zu schmerzen und meine Lungen ringen nach Luft. Meine Atmung geht schnell und stoßweise, und ich kann das drängend scheinende Pochen in meiner Brust immer deutlicher spüren. Mit meiner anderen Hand taste ich nun ebenfalls an dem rauen Holz entlang in die Höhe. Die schnellere Atmung scheint mir Energie und Klarheit zu verleihen, und dennoch kann ich die Lungen nicht voll kriegen.
Noch eine Weile taste ich ziellos in der Dunkelheit umher, bevor ich glaube die Form erschlossen zu haben: Dicht neben mir gehen Wände zu beiden Seiten steil nach oben, wo einige Handbreit über mir waagerecht eine Beschränkung zu sein scheint. Ich überlege, kann mir jedoch keinen Reim auf die Form machen. Meine Lungen lechzen nach Luft, was ich in kurzen Abständen einsauge scheint nicht mehr zu genügen. Meine Handflächen werden feucht von Schweiß, und ohne den konkreten Grund dafür zu kennen, kann ich eine Angst in mir aufsteigen spüren. Langsam beginne ich zu begreifen wie das alles zusammen passt, doch der Nebel um meine Gedanken, der sich zuletzt gelichtet hat, scheint sich wieder zusammen zu brauen. Es macht mich verrückt. Es gibt ein Wort, das ich jetzt unbedingt brauche, ich weiß es. Ich bin mir nicht sicher was es ausdrückt, doch ich weiß das Wort verschafft mir Klarheit. Meine Lungen ziehen sich schmerzhaft zusammen, so als könnten sie keine Luft mehr bekommen. Ich kann meine Brust spüren, wie sie sich hebt und senkt, in dem verzweifelten Versuch, meine Lungen mit Luft zu füllen. Endlich blitzt das Wort aus einer weit entfernten Erinnerung auf. Sarg. Ich bin in einem Sarg. Das ist es. Und noch während ich begreife, was das bedeutet, werde ich unglaublich müde und ich merke wie meine Gedanken abdriften. Der letzte Gedanke, den ich fassen kann, ist Erleichterung, dass ich nicht länger im Nebel des Unverständnisses wandle und zugleich auch Bedauern, dass dies nun für immer mein letzter Gedanke gewesen sein wird.