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Erste Wahl
Alex und ich hatten uns seit Jahren nur noch auf Festen oder manchmal zufällig in der Stadt getroffen. Sie wollte, dass nichts mehr lief zwischen uns, Viktor zuliebe. Ich kannte Alex aber gut genug um zu spüren, dass sie noch mehr für mich übrig hatte, als sie zugab.
Jetzt hat sie ihn verlassen. Ich weiß nicht, wie lange die beiden zusammen waren, aber es müssen etwa zwanzig Jahre gewesen sein. Zeit genug für mich, mich ein paar Mal scheiden zu lassen und drei Kinder zu zeugen. Zeit genug auch, um manche Dinge zu bedauern.
Obwohl sie sich telefonisch angemeldet hatte, war es irgendwie surreal, als sie plötzlich in meinem Wohnzimmer stand. Sie kam mir überraschend klein vor und ich bemerkte, dass ihr Haar grau wurde. Erst, als wir uns umarmten, fühlte sie sich an wie damals. Und genau wie damals gab sie mir zu verstehen, wonach ihr der Sinn stand.
Sie war schon in der Schule ein außergewöhnliches Mädchen - eine echter Hingucker mit ihrem roten Haar, dem scharf geschnittenen Profil, dem Arsch, auf dem man ein Glas Bier hätte abstellen können und den immer etwas ausgefallenen Klamotten. Sie spielte Klarinette im Schulorchester – so gut, dass der Lehrer immer wieder versuchte, sie zu einem Musikstudium zu überreden. Als Klassenclown Marco daraufhin einmal dümmlich witzelte, dass Alexandra verdammt gut blasen könne, knöpfte sie ihn sich vor. Ganz ruhig und so ernsthaft, dass niemand es wagte, auch nur zu grinsen. Sie war ein Rätsel und blieb es, meist sogar für mich, der ich ihr Lover war.
Jetzt sitzt sie im Schneidersitz auf dem Sofa, die Faust vor den Mund gepresst, und starrt in den Regen. Sie glaubt wahrscheinlich, ich sei eingeschlafen. Das wäre auch kein Wunder gewesen nach diesem letzten Marathon. Ich denke an meine anderen Frauen und daran, dass mich Alex' unraffinierte, aber vollkommen schamlose Leidenschaft für alle Zeiten verdorben hat. Sie sitzt da, ohne den Bauch einzuziehen. Ihr ehemals draller Arsch hat jetzt ein paar kleine Dellen. Wenn ich auch nur noch einen Funken Energie hätte, würde ich sie gleich noch mal vögeln.
Als Viktor, dieser Versicherungsheini, auftauchte und anfing, Alex anzuschmachten, kriselte es bereits zwischen uns. Ich reagierte viel zu spät, weil ich mich trotz allem auf der sicheren Seite wähnte. Immerhin war Viktor zehn Jahre älter als sie und machte den Fehler, sie mit seinem Geld beeindrucken zu wollen. Aber dann tauchte er tatsächlich in Gorleben auf - in Anzug und Krawatte. Er schüttelte jedem im Team die Hand, als wäre er auf irgendeiner Tagung und nicht auf einer Demo. Ich war sicher, dass sich Alex das Lachen verkneifen musste, aber als ich sie ansah, schaute sie weg. Da wusste ich, dass Viktor gewonnen hatte.
„Warum hast du mich gehen lassen?“, fragte sie mich gestern.
Ich war nah dran, die Schultern zu zucken, unterdrückte den Impuls aber gerade noch. „Es lief doch sowieso nicht mehr gut zwischen uns. Ich wollte in das Solarprojekt einsteigen, du wolltest hierbleiben und dein Studium durchziehen.“
Ihr Blick ist, wenn er nicht zufällig sehr fröhlich ist, nur schwer zu ertragen. Das liegt an der Form ihrer Augen. Sie wirken immer wehmütig und ernst. So, dass man hofft, ein guter Junge gewesen zu sein, wenn sie einen ansieht.
Ich schrumpfte innerlich unter diesem Blick. Dann lächelte sie, wenn auch etwas schief, und ich entspannte mich.
„Ich werde nach Hause zurückgehen.“ Ihr Zeigefinger beschrieb kleine Kreise in den Tabakkrümeln auf dem Tisch.
„Zu Viktor? Jetzt?“ Ich klang sogar für meine eigenen Ohren eine Spur zu laut.
Sie nickte. „Morgen.“
„Liegt es an mir?“
Sie wirft mir einen Blick zu. „Es war schön bei dir.“
Ich weiß nicht, ob ich wirklich erfahren will, was sie denkt. Als sie den Arm um meinen Nacken legt und mich küsst, als gäbe es kein Morgen, ist es mir auch völlig egal.