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Liz

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12.07.2002
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Erledigt

Die Wohnung von Kalle Gerschko ist klein, dunkel und nicht gerade einladend. Spärlich möbliert strahlen seine Räumlichkeiten eine bedrückende Atmosphäre aus, die nur noch von der Düsternis in Kalle`s Herz übertroffen wird. Kalle sitzt in der Küche, sein Gesicht auf beide Hände gestützt und denkt nach.

Er ist eindeutig des Lebens überdrüssig. Kalle hat eigentlich keinen speziellen Grund dafür, aber sein Dasein empfindet er als trist und leer. Kalle sieht keine Möglichkeit, etwas Farbe in seinen Alltag zu bringen – er tut sich schwer mit Gefühlen. Kalle kennt weder Fröhlichkeit, noch Traurigkeit. Andere Menschen gehen ihm schnell auf die Nerven, er bleibt lieber für sich.

Kalle Gerschko ist vierzig Jahre alt, geschieden, kinderlos und unsagbar gelangweilt. Also beschließt er, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Nun soll man aber nicht glauben, dass Kalle so gefühlskalt ist, dass er kein Pflichtbewusstsein kennt. Dieses ist bei ihm ziemlich ausgeprägt, also überlegt er, welche Variante des Selbstmordes er wählen soll, um niemanden im nach hinein auf den Wecker zu fallen. Das ist schwieriger, als Kalle glaubt. Kalle ist nicht egoistisch veranlagt.

Er würde sich am liebsten vor einen Zug werfen, aber Kalle kann den Gedanken nicht ertragen, dass die Bahnbediensteten die ganze Sauerei wegmachen müssen – Hochdruckreiniger hin oder her. Man merkt, Kalle hat eine ausgeprägte soziale Ader, was reichlich seltsam anmutet, bei einem Menschen, dem eigentlich alles egal ist.

Kalle öffnet den Kühlschrank, mustert den Inhalt und schließt die Tür wieder. Er hat keinen Hunger. Es kommt ihm so vor, als hätte er schon jahrelang keinen Hunger mehr. Wann hat ihm das letzte Mal eine Speise gut geschmeckt? Kalle erinnert sich nicht. Er setzt sich wieder an seinen Küchentisch und plant seinen Selbstmord.

Er ist froh, dass er nur entfernte Verwandte hat, denen es scheißegal ist, ob er lebt oder nicht. Sie kennen ihn kaum, das ist gut, wie Kalle findet.
In seinem Testament ist auch alles geregelt, was man so zu regeln hat, also muss er sich darüber keine weiteren Gedanken machen.

Kalle überlegt, ob er eine Buchhandlung aufsuchen soll, um sich über die verschiedenen Varianten des Selbstmordes zu informieren, aber er denkt sich, dass er die Angelegenheit auch ohne einschlägige Ratschläge auf die Reihe kriegen wird.

Er denkt darüber nach, ob er über die Feuerleiter auf`s Dach des Wohnhauses klettern soll um mit einem kühnen Sprung auf die Straße seine Freiheit zu erlangen. Es spricht zuviel dagegen. Erstens gäbe es wieder eine Sauerei, zweitens will er den Anblick seines zerschmetterten Körpers niemanden zumuten, schon gar nicht Kindern. Gegenüber dem Wohnhaus liegt eine Volksschule. Nicht auszudenken, dass wegen ihm die Schüler einen Schock für`s Leben bekommen.

Kalle wird leicht nervös. Er hat sich eigentlich bis heute Morgen keine Gedanken über seinen Abgang gemacht und jetzt stellt sich heraus, dass die Planung desselben einiges Fingerspitzengefühl erfordert.

Er geht zum Medizinschränkchen und beginnt mit der Inventur. Vor einiger Zeit hat ihm sein Hausarzt Valium verschrieben, weil Kalle unter Schlafstörungen leidet.

Er seufzt, sein Vorrat ist bis auf einen kaum nennenswerten Rest aufgebraucht.

Also schlurft Kalle zum Telefon und ruft seinen Hausarzt an - bedauerlicherweise läuft das Tonband. Der Arzt ist auf Urlaub und weist in dringenden Notfällen auf seine Vertretung hin, aber Kalle – der langsam sauer wird – wirft missmutig den Hörer auf die Gabel.

Er beschließt, sich einen Kaffee aufzubrühen und die Tageszeitung zu lesen, um sich zu beruhigen. Vielleicht fällt ihm ja nachher eine Lösung ein. So denkt Kalle.

Später überlegt er, wie es wohl wäre, wenn er sich in der Badewanne die Pulsadern aufschneiden würde. Das wäre zwar auch eine blutige Schweinerei, aber diese wäre auf eine Stelle konzentriert – und auf jeden Fall eine Überlegung wert. Dann fällt ihm ein, dass er gar keine Badewanne besitzt, wie in seiner alten Wohnung, sondern lediglich eine Duschkabine.

Kalle läutet nochmals frustriert bei seinem Hausarzt an und notiert sich die Adresse der Urlaubsvertretung. Er zieht seinen Mantel und seine Schuhe an, versperrt sorgfältig die Haustüre und macht sich auf den Weg.

Als er in Gedanken versunken die Straße überquert, nicht auf den Verkehr achtend, wird er von einem Lastwagen – der Obst und Gemüse transportiert – überfahren.

Kalle Gerschko war vierzig Jahre alt, geschieden, kinderlos und unsagbar gelangweilt.

 

Hallo Liz,

ich weiss nicht, ob ich lachen, weinen, schmunzeln, oder traurig sein soll. Bitterböse Lebensironie! Nüchtern sachlich, hast due es geschrieben und immer wieder traurige Töne dazwischen. Kalle kann einem Leid tun.

Lukasch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Liz!

Nach dem Lesen der Geschichte bleibt ein ziemlich schaler Nachgeschmack. Emotionslos denkt Kalle über Selbstmord nach, ohne Selbstmitleid, Enttäuschung, Wut oder sonst irgendeiner Regung, die man erwarten würde. Sein Pflichtbewußtsein bzw. sein soziale Ader wirken grotesk angesichts dieser Leere.

Irgendwie "kafkaesk" ... Beklemmend ist auch der Schluss. Ein nichtssagendes Leben, ein 0815 Tod, wen kümmerts .. Tragisch, dass Kalle nicht den Schock des Lastwagenfahrers und der Passanten vermeiden konnte. In diesem Sinn ist er im Leben komplett gescheitert.

Ein ziemlich beklemmender Text ist dir da gelungen.

Ein paar Anmerkungen:

Spärlich möbliert strahlen seine Räumlichkeiten eine bedrückende Atmosphäre aus, die nur noch von der Düsternis in Kalle`s Herz übertroffen wird.

Super Einstieg. Die "Düsternis" zieht sich durch die ganze Geschichte.

Nicht auszudenken, dass wegen ihm die Kid`s einen Schock für`s Leben bekommen.

Wie ich Kalle kenne, würde er nie den Ausdruck Kids verwenden. ;-)

Pflichtbewußtsein und soziale Ader sind für mich nicht unbedingt dasselbe. Es stört zwar nicht im Text, aber vielleicht kommt es besser rüber, wenn du es glättest. Glaubst du funktioniert die Geschichte auch, wenn er aus Ordnungsliebe oder Bescheidenheit handeln würde?

Naja, egal. Tolle Idee super umgesetzt. :-)

lg
klara

 

@ Lukasch

genau das wollte ich vermitteln! Ich freue mich, dass der Text so bei dir angekommen ist.

@ Klara

findest du es wirklich "kafkaesk"? Das fasse ich mal als Super-Kompliment auf ...

Du hast völlig recht, Kalle ist gescheitert. Er konnte nicht einmal sein Einziges für ihn so bedeutungsvolles Anliegen seinen Selbstmord so unspektakulär wie möglich zu gestalten, verwirklichen.

Ich hab mir eigentlich gedacht, dass Ordnungsliebe und Bescheidenheit zu Kalles Eigenschaften gehören ... kommt aber nicht so rüber, wie du angemerkt hast. Werde ich einarbeiten.

Liebe Grüße an euch Zwei
Liz

 

Hallo Liz!

Dir ist eine fast perfekte Geschichte gelungen, auch wenn ich sie nicht kafkaesk finde. Dafür ist sie nicht wirr genug und hat zuwenig von Verfolgungswahn.;-)

Aber sie ist schön düster und auf eine seltsam beklemmende Weise traurig, weil man sich fragt, wie viele "Kalle's" da draußen herumrennen und genauso gelangweilt sind wie er.

Vielleicht ist Langeweile der Grund, warum uns der Selbstmord einer Person so überrascht...

Eine Sache jedoch stört mich an Deiner Geschichte. Und zwar der letzte Satz. Warum steht er da? Ich fände die Geschichte ohne diesen Satz viel besser...

Denn Du hast diesen Satz ja - mit "ist" statt "war" - schon oben stehen. Ich persönlich finde, dass dieser Satz viel von dem Endhöhepunkt der Geschichte nimmt.

Aber die Geschichte ist trotzdem gut.

Henry Bienek

PS:

(Guckt Euch ja nicht alle meine Beiträge an. Irgendwie moser ich immer ein bisschen rum, aber vielleicht bin ich einfach nur auf der Suche nach DER perfekten Geschichte. Bis jetzt habe ich sie anscheinend nicht gefunden. Vor allem nicht bei mir. Ich mag meine Geschichten meist hinterher auch nicht mehr so sehr - bin aber zu faul, sie zu korrigieren, grins...)

 
Zuletzt bearbeitet:

Heja Henry,

du findest wirklich, dass mir eine fast perfekte Geschichte gelungen ist??? Dafür bekommst einen :kuss:.

Der letzte Satz ist von mir gewollt und er bleibt auch so stehen.
____

Nörgeln und herummosern ist eine feine Sache, wenn gerechtfertigt - also bleib dabei - konstruktive Kritiken sind wertvoll.

Dass du zu faul bist, deine Geschichten im nach hinein zu korrigieren, wird dir auf dieser Site schnell ausgetrieben werden, hehe - wart`s nur ab ...

Liebe Grüße
Liz

 

Hallo Liz,

okay, okay, lass ihn ruhig stehen, aber sag mir wenigstens wieso?

By the way, meine Faulheit haben mir schon die fünf Freunde - kalauer - und zwei Freundinnen auszutreiben versucht, meine Eltern nicht zu vergessen, grins - das wird nix mehr...

Aber ich versuch die konstruktive Kritik dann in die nächste Geschichte herüber zu retten.:D

Henry Bienek

 

Heja Henry,

das ist schwierig, zu begründen, warum man einen Satz so und nicht anders geschrieben hat.

Ich finde einfach, er rundet das Ganze besser ab. Außerdem spiel ich gerne mit sich wiederholenden Sätzen, ab und zu zumindest. :)

 

Akzeptiert...

Ich weiss auch nicht immer, was ich mache.

Aber solange es Spass macht und anderen gefällt, grins...

Henry Bienek

 

Hi Liz,

zieht man sich den Hut an oder setzt man sich den Hut auf? Nur eine von mehreren Ungenauigkeiten, die neben der Fadesse des Textes diesem zusätzlich einen unschönen Beigeschmack geben. Tut mit leid, ich konnte weder mit dem unbewußt naiven Schreibstil noch mit dem nicht existenten Inhalt des Textes klarkommen.
Doch in erster Linie fehlt mir hier die Aussage, weniger die Pointe.

Was wolltest du mit diesem Text, Liz?

Liebe Grüße - Aqualung

 

Grüß dich Aqualung,

thx für reading und für deine Kommentare, schätze mal, mit dem Hut hast du recht. :)

Schade, dass du mit dem Inhalt der Story nichts anfangen konntest.

Das du mit meinem "unbewusst" naiven Schreibstil nichts klarkommst, tut mir zwar leid, aber ich kann es nicht ändern.

Was ich mit diesem Text wollte, habe ich in einem Posting bereits erwähnt.

Liebe Grüße
Liz

 

Hi Liz,

es ist tragisch, dass ein Mensch so gelangweilt sein kann, dass ihm nur der Tod bleibt. Und nicht einmal den kann er selbst bestimmen. Weder im Leben, noch seinen eigenen Tod betreffend, scheint Kalle viel erreicht zu haben. Traurig.
Stil und Inhalt der Geschichte haben in mir an keiner Stelle den Wunsch verursacht, mit dem Lesen aufzuhören. Ich danke dir für diesen Text.

Gruß,
Juliane

PS: Nimm doch bitte den Satz

(Kalle ist altmodisch veranlagt, er hat kein Handy).
raus, ja? Ich finde ihn überflüssig. Außerdem fühle ich mich dadurch so altmodisch, besitze doch ebenfalls kein Handy :).

 

Alles klar, Liz,

bei diesem Text von dir gings mir eben so.
Anderes von dir gefällt mir weitaus besser. Vielleicht sind auch nur schon zu viele Selbstmordgeschichten hier gepostet, inkl. meiner von irgendwann.

Halt die Ohren steif und nix für ungut, ok?

Grüße - Aqua

 

Hallo Liz,

Ich habe eine Frage:

Sind die ständigen Wiederholungen
' so denkt Kalle'
' Kalle sagt ..'
' Kalle macht ..'
Absicht?

Warum dieser Schreibstil?

Grüße,
Pierre D.

 

Heja Aqua,

eh kloar :p.
___

Guten Abend Nudelsuppe,

freut mich, dass du die Geschichte gelesen hast und mit ihr was anfangen konntest. :)

Den Satz mit dem Handy werde ich rausnehmen - irgendwie passt er ja wirklich nicht so recht.
___

Hallo Pierred,

wenn du meine anderen Geschichten kennen würdest, wüsstest du, dass der Schreibstil, den ich in dieser Story verwende, Absicht ist. Wieso? Weil ich gerne mit verschiedenen Stilrichtungen und Wortwiederholungen experimentiere, ganz einfach.

Beste Grüße an Euch alle
Liz

 

Servus Liz!

Ich fand die Geschichte interessant und damit meine ich, doch auch sehr gut. Die im Vorfeld angesprochene fehlende Handlung ergibt sich, da die Geschichte das Leben eines Menschen erzählt der eben nicht handlungsfähig ist. Er ist so angeödet, fadisiert, ohne Eigenleben, dass es ihm sogar umständlich ist seinen eigenen Tod zu planen.

Ich meine, man muss sich diesen Mann in seiner Wohnung sitzend und vor sich hinsinnierend einmal vorstellen. Rundum ist nichts was so etwas wie Atmosphäre vermittelt, alles ist kärglich, spartanisch, emotionslos.

Er denkt nicht, dass sein Tod jemand schmerzen könnte. Er denkt nach wem er mit seinem Selbstmord Arbeit aufhalst oder wer den Anblick seines toten Körpers ertragen muss, wo er diesen seiner Umwelt sichtlich ja nicht mal lebend zumutet. Das Gespräch sucht er mit seinem Arzt, der ist neutral, da muss er keine Gefühle investieren.

Der Schluss ist der Tod und der ist wie sein Leben, unspektakulär. Man wird einen Unfall registrieren, aber nicht Kalles Ableben.

Das ist schon alles gut rübergekommen.

Lieben Gruß schnee.eule

 

Mahlzeit Schnee.Eule,

du hast die Story absolut richtig interpretiert – genau das wollte ich vermitteln. :)

Das Gespräch mit dem Arzt sucht er nur, weil der Arzt Mittel zum Zweck ist. Sonst würde er ja nicht an ein Rezept für die Tabletten rankommen.

Er denkt nach wem er mit seinem Selbstmord Arbeit aufhalst oder wer den Anblick seines toten Körpers ertragen muss, wo er diesen seiner Umwelt sichtlich ja nicht mal lebend zumutet.

Besser kann man es nicht ausdrücken – genau so ist es.

Man liest sich und liebe Grüße
Liz

 

Hallo Liz, du hast es genau richig gemacht, ein Versager, wie er im Buche steht, traurig und trocken, aber auch bemitleidenswert, irgendwann wünscht man ihm, das er es endlich schafft. Genau das kam rüber. Das beste Zeichen dafür, das du den Ton getroffen hast.

Liebe grüsse Archetyp

 

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