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Erlebtes, Erfundenes und Erhofftes

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19.09.2012
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Erlebtes, Erfundenes und Erhofftes

Ich sitze im Galeriezimmer an meinem Schreibtisch und schaue durch die großen Fenster des Wintergartens. Ich sehe eine wunderschöne Idylle mit Teich, bunten Blumen und Gartenskulpturen. Ganz besonders liebe ich „Hugo“, den Steinmann aus San Agustin. Eine befreundete Künstlerin hat ihn in Menschengröße nach einem kleinen Original aus Kolumbien erschaffen. Den meisten Besuchern schaut Hugo zu grimmig. Für mich ist er der liebenswerte Wächter am Garteneingang und mein guter Geist aus einer längst vergangenen Zeit. Manchmal spreche ich mit ihm. Wer sich an Hugo vorbei traut, betritt einen Zaubergarten.
Man fühlt sich plötzlich in ein südliches Flair versetzt. Mit einer kleinen Insel auf dem Teich, die wie ein Urwald bewachsen ist. Einer kugelrund beschnittenen Kastanie, bei der nur die Blätter ihre Identität verraten. Und ich mag die großen alten Bäume, die alles vor fremden Blicken beschützen. Wenn ich will, kann ich nur bei mir sein. Meine Augen berauschen sich am Grün und Bunt des Gartens und meine Seele genießt die Ruhe. Gäste sagen, wer so einen Garten hat braucht keinen Urlaub. Das stimmt nicht.

Klaus und ich lernten uns zu Beginn meiner Dissertation an der Uni kennen. Ich war 45 und dabei mich scheiden zu lassen. Klaus war elf Jahre älter und berufener Professor an der gleichen Uni. Zwischen uns begann eine intensive Liebe, die wir als ein Geschenk der späten Jahre annahmen. Klaus war meine zweite Liebe, die wievielte ich für ihn war, weiß ich nicht. Die Liebe traf uns mit leidenschaftlicher Sinnlichkeit. Sie war wie ein Orkan, der uns erfasste und berauscht davon trug. Wir entdeckten eine aufeinander bezogene Achtsamkeit und pflegten sie. Tabulos sprachen wir über alles und hörten einander aufmerksam zu. Seine sanfte Art des Zuhörens gab mir eine wohltuende Wichtigkeit. Klaus war warmherzig, er beeindruckte mich und er war klug. Ich verliebte mich in die schönen Worte, die er mir zu sagen wusste. Wir träumten und besprachen unsere Zukunft und schwelgten in deren naher Umsetzung. Manchmal ängstigte mich die abgründige Macht unseres Verlangens. Dann schloss ich die Augen, um mich in meine Realität zu versetzen, um auf dem Boden aufzuschlagen. Da wo meine erwachsenen Kinder waren, unser Haus und der Mann, von dem ich mich gerade scheiden ließ.
Klaus hatte für uns in der Stadt eine Wohnung gemietet. Ich führte ein Doppelleben in einer gezuckerten Wirklichkeit. Es fiel mir unendlich schwer mich für die Pflicht oder das grenzenlos scheinende Glück zu entscheiden.

In unserem Miteinander entwickelte sich eine lockere aber klare Struktur. Klaus bestimmte mit seiner eloquenten Erzählkunst unsere Kommunikation nach außen. Er benutzte die, für seine Kreise nicht unübliche Unbescheidenheit eines scharfsinnig denkenden Selbstdarstellers. Er war der Sonnenschein jeder Party. Seine Worte waren immer einnehmend gefahrlos und er übertraf sich manchmal in gefälliger Liebenswürdigkeit anderen gegenüber, die mir unangenehm war. Seine Wortwahl war immer freundlich, manchmal auch schmucklos und schlicht, was ihn wiederum für jedermann erreichbar und nicht abgehoben erschienen ließ.
Klaus schmückte sich gerne in seiner Selbstdarstellung mit mir, mit meinem Leben in Südamerika, mit meiner Dissertation und mit meiner Person an sich. Er erzählte gerne und häufig von seinen Erfolgen in der Vergangenheit. Je mehr Klaus redete, umso stiller wurde ich. Den Zustand des schweigenden Funktionierens hatte ich in unangenehmer Erinnerung aus meiner ersten Ehe. Eine Entwicklung, die mir nicht gefiel und über die wir häufig sprachen. Mein kurzzeitig selbstbewusstes Auftreten an seiner Seite, wich immer mehr einem intellektuell angepassten Introvertiertsein. Ich wollte mit Klaus nicht in der Öffentlichkeit über seine rhetorischen Rücksichtslosigkeiten streiten. Die aufgeladenen Gespräche zu Hause häuften sich. Auch in der Hausarbeit, meiner Domäne, wusste er immer öfter alles besser. Die einzige Kompetenz, die er mir ohne Diskussion zugestand, war mein Sinn für alles Schöne und somit die Zuständigkeit für unser Äußeres. Er folgte meinen Anregungen gerne und erntete dafür Lob und Anerkennung.

Unsere Scheidungen waren inzwischen überstanden und wir zogen von der Stadt aufs Land und restaurierten großzügig mein Einfamilienhaus, einem Überbleibsel aus meiner ersten Ehe und ließen den Alltag in unser Leben Einzug halten.
Dann geschah es!
Das Unternehmen von Klaus, ein Forschungs- und Weiterbildungsinstitut, welches er neben seiner Uni Tätigkeit noch hatte und in dem ich arbeitete, war insolvent und ich arbeitslos. Zwei Dinge, die ich mir nicht vorstellen konnte, aber doch so waren. Sie passten weder in seine geniale Selbstdarstellung, noch in meinen Lebensplan. Der Schrecken der Wendezeit, die Arbeitslosigkeit, ereilte mich zu einer Zeit, in der ich keinesfalls mit ihr gerechnet hatte.
Ich nahm das Arbeitsloswerden zunächst nicht allzu ernst, da ich mehr damit beschäftigt war, unbeschadet den Niedergang der Firma zu überstehen. Andererseits war ich promoviert und hatte eine beachtliche Berufsbiografie vorzuweisen. Ich war mir sicher, bald eine neue Arbeit zu finden. Wer mit knapp 50 eine Dissertation erfolgreich beendet und danach für 6 Monate in Bogotá an der Deutschen Außenhandelskammer arbeitet, dem dürfte Arbeitslosigkeit die geringeren Sorgen bereiten, dachte ich. Ich war mir sicher, jede neue berufliche Herausforderung in ähnlicher Weise bewältigen zu können. Was die Arbeitslosigkeit mit mir machen würde, ahnte ich anfangs nicht.

Der unausweichliche Gang zum Arbeitsamt blieb mir nicht erspart. Er war heftig und unangenehm. Alles sträubte sich in mir. Ich hatte so viel Energie in meine Dissertation und in meine neue Beziehung zu Klaus investiert, in der vermeintlichen Gewissheit, dass mich beides genau vor diesem Gang beschützen würde. Aber das Gegenteil geschah. Ich fühlte mich schlecht und Wut stieg in mir auf. Wut gegen alles, auch gegen Klaus. Aber vor allem gegen mich selbst. Hatte ich wieder anderen mehr vertraut, als mir selbst?
Die junge Frau vom Arbeitsamt, sie hätte meine Tochter sein können, stellte mir Fragen, die ich für schwachsinnig hielt und gab mir Ratschläge, die ich nicht hören wollte. Wahrscheinlich erschien ich ihr arrogant. Ich wollte einfach nicht behandelt werden, wie eine unbedarfte Schulabgängerin.
Ich gab mir große Mühe beim Erstellen meiner Bewerbungsunterlagen und besonders beim Bewerbungsschreiben. Ich verwendete sinnlich-warm anzufassendes Papier mit Wasserzeichen und wählte jedes Wort sorgsam aus. Ein Maschinenbau-Unternehmen in Franken lud mich zu einem Vorstellungsgespräch mit der Begründung ein, man wolle die kennen lernen, die eine so außergewöhnliche Bewerbungsmappe einreicht.
Ich bewarb mich sehr oft, ohne Erfolg und habe mich gefragt, was Personal-verantwortliche bewerten. Flexibilität, Verfügbarkeit, Durchsetzungs- vermögen, Kompetenzen und eine ‚feinsinnige Wortkultur’ konnten sie leider nicht abstrahieren.
Jede Absage hat mich in ein Loch gestürzt. Der Sturz war schmerzhaft, das Loch war dunkel und ich war allein. In ihm wartete immer meine treue Weggefährtin, die Wut. Ich nahm ihre Gegenwart dankbar an und pflegte sie ein bis zwei Tage. Dann ließ ich sie gehen und stieg heraus aus meinem Loch. Ich weiß nicht, wie oft ich dieses Vorgehen wiederholte.
Immer redete ich mir ein, doch ganz ruhig nachzudenken und dann würde mir das Richtige einfallen. Ich überlegte, recherchierte, traf Leute, bewarb mich und führte Gespräche. Alles führte ins Nichts. Ein für mich gefährlicher Abwärtstrend begann.
Auch meine Hoffnung, dass Klaus mir in dieser Zeit mit seinem professionellen Habitus, seiner moderaten Weltsicht, seiner Wichtigkeit an der Uni und seinen vermeintlich vielen guten Kontakten einen kleinen Impuls geben oder eine Tür öffnen könnte, erwiesen sich als Trugschluss.
Ich fühlte mich miserabel und elend und nach jeder Absage uralt. Wo war nur mein mühsam erworbenes Selbstvertrauen? Klaus wollte nichts von meinem beklagenswerten Seelenzustand wissen. Die Zeit des aufmerksamen Zuhörens und Wahrnehmens war vorbei. Er verwaltete nun sein insolvenzgeschundenes Konto, pflegte seine Wichtigkeit und unseren Teich. Mein erspartes Geld schwand dahin und unsere so heiß ersehnte und besprochene Zukunft fand nicht statt. Unser schönes zu Hause glich einer Festung, für die es keine Ausgangstür gab.
Nur wenige ahnten, wie es um mich bestellt war. Nach außen hin blieb ich geschäftig und zuvorkommend. Ich begann mich einzurichten in meiner häuslichen Freudlosigkeit. Die Bedeutung von eigenem Geld lernte ich zu relativieren. Ich gab es nur für das Notwendigste aus und für meinen Sohn, der studierte und meine Unterstützung brauchte. Eigene Wünsche, Urlaub, Reisen und ein wenig Luxus, den ich so liebte, fanden nicht mehr statt. Am beklagenswertesten fand ich jedoch den Kleingeist, der sich inzwischen in unser Haus geschlichen hatte. Er setzte mir heftig zu.

Zum Glück hört meine Seele nie auf, neuen Mut zu fassen. Und so überwand ich die Zeit der traurigen Lethargie aus eigener Kraft und unser wunderbares Haus half mir, auf neue Ideen zu kommen.
Das große Wohnzimmer mit Kamin und Sitzgruppen, dem angrenzenden Wintergarten und den Kunstgegenständen bot die perfekte Kulisse für einen Salon. Mich faszinierten schon seit langem die Salongesellschaften des 18. Jahrhunderts, der Rahel Varnhagen und der Henriette Herz. Ihr freier Geist und ihre zeitkritisch-feinsinnigen Diskussionen. Ich überlegte, wie diese Gesprächs- und Geisteskultur auf das Heute übertragen werden konnte. Ich las viel dazu und entwickelte mein eigenes Konzept. Ich war beseelt von meiner Idee. Mit jeder neuen Überlegung nahm meine vergnügliche Begeisterung zu und ich merkte, wie mein Selbstvertrauen langsam zurückkehrte. Interessante Gäste, geistreiche Gespräche und ein schönes Ambiente sollten die Melange der Salongespräche sein. Das Themenangebot war breit gefächert. Ernsthaftes stand neben Kunst und Kultur, Literatur sowie schmunzelhaft Anekdotischem und live Musik. Das sich Eindenken in jedes neue Thema erforderte aufwendige und ausführliche Recherchen. Die Suche und der Kampf um die geeigneten Worte war eine große Herausforderung. Ich merkte, dass es mir großen Spaß machte und ich gerne Dinge aufschrieb, um sie nicht zu vergessen aber auch, um sie mir deutlicher zu machen und um sie selbst besser zu verstehen.
Ich erfand mich zu jedem Salon neu und beobachtete fasziniert meine Verwandlungskunst. Ich entdeckte neue Seiten an mir, die ich vorher nur ahnte.
Bei all meinen Bemühungen, Arbeit zu finden, ging ich zu sehr von Bisherigem aus. Mein Ziel war eine gute Stelle im Managementbereich zu finden. Doch dafür war ich zu alt, niemand wollte mich. Erst als ich das erkannte, begann sich meine Krise zu entwirren.
Ich war zu sehr in meinen Überlegungen gefangen, was ich bisher gut konnte. Aber meine Lösung lag darin, mich neu zu erfinden! Dazu musste ich mich auf Abwege begeben, von Gewohntem und Bekanntem. Von dem, was ich immer tat. Ich empfand eine seltsame Mischung aus Angst und Erleichterung.

Die Salons vermitteln mir, wichtig zu sein und etwas Besonderes und Außergewöhnliches zu tun. Die Salongäste bedenken mich reichlich mit Lob und Anerkennung, was mir wiederum hilft aus meinem Tal der Kümmernisse zu steigen. Ich habe mir inzwischen einen respektablen Ruf als Salon- und Kulturprofi erarbeitet und mich zu einer beachtenswerten Gegenspielerin für Klaus gewandelt. Klaus profitiert inzwischen von meinem Ansehen und von meinem neu geknüpften Netzwerk.
Wir begegnen uns wieder auf Augenhöhe, aber unsere Liebe begibt sich immer wieder auf unsicheres Terrain, weil ich jetzt jedes schöne Wort hinterfrage. Ich habe mich von vielen Wünschen und Träumen, die so greifbar schienen, verabschiedet und habe dafür eine größere Klarheit für das Wesentliche gewonnen.
Doch mein Erfolgsempfinden ist geteilt. Zur Arbeit und zur Anerkennung gehört auch Geld, welches mir persönliche Freiheit gibt. Die Einnahmen des Salons decken gerade die Ausgaben. Ich bin noch immer finanziell abhängig von Klaus. Aber der erste Schritt ist getan.
Ich möchte schreiben. Das wäre ein anderer Teil meiner Neuerfindung. Diesen Gedanken hege ich schon länger, traute mich aber nie, ihn zu Ende zu denken oder gar zu realisieren.
Inzwischen habe ich begonnen Tagebuch und einen Blog auf meiner Homepage zu schreiben. Doch ich bin mir nicht sicher, was mir besser gefällt, der Text, den ich verfasse oder die Tatsache an sich. Das Bloggen hat etwas Neuzeitliches, Modernes. Meine Freundinnen bewundern mich dafür. Ich signalisiere ihnen, ich weiß nicht nur, was das ist, sondern ich tue es auch selbst. Ein schönes Gefühl für jemanden, dem per se unterstellt wird, im ewig Gestrigen gefangen zu sein.
Ich möchte meine Gedanken über das Leben, deren Außergewöhnlich- keiten, über den vermeintlich schnöden Alltag, über die Lust und über das Lebenselixier aufschreiben. Das, was war und wovon ich noch träume. Ich möchte meine Geschichte weitergeben an meine Kinder und an meine Enkel. Warum? Vielleicht um sie zum Lachen zu bringen oder in Erstaunen zu versetzen. Wer weiß? Vielleicht schreibe ich sie auch nur auf, damit ich alles besser verstehe.
Ich traue mir wieder selbst und ich höre auf mich. Ich lasse zu, dass daraus Neues erwächst. Meine Krise ist noch nicht ganz überwunden, sie hat aber die Fratze der beklagenswerten Hoffnungslosigkeit verloren.
Wie alles ausgeht? Gut, wie sonst.

 

Hej alorac,

mich hast Du mit dieser Geschichte leider nicht berühren können.

Da ist (vermutlich) eine Frau, die gleich zu Beginn verrät, dass es ihr überdurchschnittlich gut geht und ihr Leben wenig sonst zu bieten hat.

Mäßiges Konfliktpotential bietet die plötzlich hereinbrechende Arbeitslosigkeit, wobei die Darstellung auf mich stellenweise unfreiwillig komisch wirkt.

Am Ende hat die Frau es allen gezeigt, weil sie "wichtig" ist und "etwas Besonderes und Außergewöhnliches" tut, obwohl sich dieses Besondere mit "Ich überlegte", "Ich las viel" und "meine Lösung lag darin, mich neu zu erfinden!" zusammen fassen ließe.

Mir ist das zu schwammig. Ich kann nicht mitfühlen, ich kann nicht erkennen, worauf die Geschichte hinausläuft und was sie überhaupt sagen oder zeigen will.

Ich hatte so viel Energie in meine Dissertation und in meine neue Beziehung zu Klaus investiert, in der vermeintlichen Gewissheit, dass mich beides genau vor diesem Gang beschützen würde. Aber das Gegenteil geschah. Ich fühlte mich schlecht und Wut stieg in mir auf.
Das hier fänd ich als Thematik spannender. Da könnte man mMn mehr draus machen.
Oder hier
Wo war nur mein mühsam erworbenes Selbstvertrauen?
Das ist auch eine interessante Frage, der man nachgehen könnte.

Ich wünsch Dir jedenfalls noch viel Spaß hier,

LG
Ane

 

Hallo Ane,
ich habe mit großem Interesse Deine Bemerkungen gelesen und danke Dir.
Ich denke neu darüber nach.
LG alorac

 

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