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Erlebnisse, Hermann
Ich hatte die beginnende Nacht im Rücken und ein letzter Rest von Sonne färbte den Himmel am Ende der Straße in ein blendendes Orange. Ich musste nach Oldenburg. Ein Freund erwartete mich dort noch heute Abend. Das Gefühl in meinen Händen ließ nach, die Konzentration im allgemeinen. Ich saß seit Stunden im Wagen. Der Regen bei Hannover hatte mir den letzten Nerv gezogen, hatte mich mürbe gemacht. Ich beschloss, den Wagen zur Seite zu fahren, mir ein Zimmer zu nehmen. Stefan musste warten. Ich würde es ihm erklären.
Stefan schreibt, ist Autor. Mein Verlag hat ihn seit einem halben Jahr unter Vertrag. Ich kenne ihn schon länger, weiß, dass er gut ist. Ich habe eine Empfehlung abgegeben. Ich wusste, dass es zu schaffen wäre für ihn. Es ging dann ziemlich rasch. Die Leute sprangen an auf die Geschichten von Stefan. Es war ein Goldgriff des Managements gewesen. Ich konnte mir aufgrund dieses Tipps eine fette Provision zusätzlich aushandeln. Er weiß davon nichts. Es tut nicht weh und das Geschäft am Markt ist hart genug. Stefan hat dort oben in Oldenburg ein Fachwerkshaus. Dort schreibt er und erledigt alles andere. Trifft seine Frauen und fährt zwischendurch an die Uni.
Ich hatte seine Vertragsverlängerung in der Tasche, hatte mit ihm auch ein Interview zu machen, welches der Verlag exklusiv an die FAZ verkaufen würde. Es war alles abgesprochen. Sie hatten Stefan im Visier. Sie hatten einiges vor mit ihm.
Doch ich war müde, wollte kein Risiko beim Weiterfahren eingehen. Ich dachte, dass Stefan es verstehen würde.
Das Telefonat in der Hotellobby war kurz. Es mache ihm nichts aus, nein, ist schon gut. So sagte er. Klar, in Ordnung. Dann also morgen.
Ich war beruhigt. Er hatte noch keine Starallüren. Die würden kommen. Sie sind früher oder später bei allen gekommen, die ich in diesem Job kennen gelernt hatte. Es war dieses Gefühl bei den Neuen, wenn sie den Vertrag in ihren Händen hielten. Wenn das, für das sie sich jahrelang abmühten, endlich Wirklichkeit wurde. Ich habe es immer wieder beobachten können. Manche sind daran zerbrochen. Hatten bei ihren Lesungen Wasser geschwitzt und sich später aufgegeben. Ich kannte einen, der wirklich genial war. Doch er hatte den falschen Freund. Jonny Walker. Wir mussten ihn aus dem Vertrag holen. Es war nicht die Reputation für unseren Verlag, die wir uns gewünscht hatten. Der Mann war gut, sein Vertrag mit uns war so was wie eine Lebensversicherung für ihn und wir verkaufen seine Bücher noch heute. Auch nach der zwölften Auflage.
Mein Freund in Oldenburg würde es schaffen. Er gehört zu denen, die mit dem Blut ihrer Mutter schreiben würden, um nach oben zu kommen. Ich hatte ihn zuletzt auf der Buchmesse getroffen. Er machte den lässigen Eindruck von Einem, der es schaffen wollte. Keine Spur Nervosität war ihm anzumerken gewesen. Ich fragte ihn damals, wie er zu seinen Geschichten kam.
Erlebnisse, Hermann, meinte er und sein Lächeln verströmte dabei die Aura, die für mich und das Verlagsmanagement immer schon in und um seine Geschichten zu spüren war.
Ich ließ mich aufs Bett fallen.
Der Drink unten in der Bar hatte mich endgültig müde gemacht. Ich dachte an Katja, meine Frau. Die Distanz, die sich durch meine Reisetätigkeit immer wieder ergab, empfand ich nicht als besonders schlimm. Einundzwanzig Jahre Ehe. Ich hatte es gemacht, wie der Priester damals sagte. Ich habe auch in den schlechten Zeiten hinter Katja gestanden. Jetzt ging es so. Es hätte besser sein können. Ich konnte es nur nie auf den Punkt bringen. Ich kann auch jetzt nicht sagen, was es ist, das dabei fehlt.
Das Zimmer war bescheiden eingerichtet. Seine Fenster gingen auf die Seite der Straße. Das machte nichts. Ich hasste die absolute Ruhe. Die Straße würde nicht stören. Ich musste, angezogen wie ich war, eingeschlafen sein, als ich das Klopfen an der Tür hörte.
,Lass mich rein. Bitte.’
Die leise Stimme einer Frau. Das Zimmerservice kurz nach Mitternacht? Das konnte nicht sein. Ich hatte nicht die Kette vorgelegt und stand mit offener Hose im Türrahmen. Das Licht des Ganges blendete. Sie hatte ein Badetuch übergeworfen, hatte nasses Haar und roch nach Dusche.
,Ich.. wissen Sie..’ Meine Stimme war rauh. Ich hatte den Schlaf in der Kehle. Ich tat nichts.
Es war ihr Duft. Sie schlüpfte an mir vorbei. Im Dunkel meines Zimmers sah ich ihre Augen blitzen. Das Fensterglas vibrierte. Es musste ein Achtzehntonner sein, der draußen vorbeidröhnte.
,Ich hab dich unten am Tresen gesehen.’ Sie sagte es so, wie sie es zu einem Freund sagt, dachte ich. Es klang so selbstverständlich. Es klang so....
Sie saß auf der Bettkante, glitt langsam unter die Decke. Sie hatte die Geschmeidigkeit einer Katze. Auf dem Kissen sah ich ihr Gesicht als helle Scheibe. Ich dachte in diesem Augenblick an Katja, meine Frau. Ich ahnte gleichzeitig, dass ich es tun würde und darüber nichts erzählen brauchte, wenn ich es einfach versuchte wegzustecken.
,Namen tun nichts zur Sache. Komm schon.’
Wieder diese Selbstverständlichkeit.
Es ging bis zum Morgen und es war das Schönste, das ich bislang erlebt hatte. Ich wusste nichts von dem, das in einem steckt, wenn der Duft einer Frau dazu bestimmt ist, einem das Atmen vergessen zu machen. Ich hatte das Gefühl für die Zeit verloren, für Hell und Dunkel, für das Oben und Unten. Es kam auf nichts mehr an. Meine Sinne reduzierten sich ganz darauf, alles mitzubekommen, auf nichts von dem, das mir gegeben wurde, zu verzichten. Ich brauchte meine Augen nicht. Ich sah mit den Händen. Ihr Atmen ging mit dem meinen, in Stößen, deren Maß wir beide angaben.
Es war in dieser Nacht geschehen. Ich vergaß Katja.
Sie schlich sich aus dem Zimmer, ohne Worte. Ihr Eintritt vor einer Ewigkeit war schon der Abschied gewesen. Ich saß im Frühstücksraum. Man hörte davon, dass es einem dann und wann passierte. Ich hatte nie daran gedacht, die Scheidung zu verlangen. Jetzt würde ich es tun. Ich hatte in all den Jahren neben meiner Frau darauf vergessen. Ich hatte vergessen zu leben.
Als ich Stefan im Vorgarten seines Hauses stehen sah, als ich ihn winken sah, stiegen Seevögel in den Himmel, ließen sich mit dem Wind zur Küste tragen. Ich hatte seine Vertragsverlängerung in der Tasche. Ich hatte noch etwas anderes eingepackt. So etwas von der Art, aus dem Stefans Geschichten entspringen mussten. Seine an mich gerichteten Worte bei dieser Buchmesse, die Worte, mit denen er so knapp und doch so treffend meine Frage beantwortete, die waren es gewesen. Ich erinnerte mich. Es begann damit die große Unruhe in mir. Jetzt wusste ich, was er damals gemeint hatte.
Ich hatte zu alldem nur eine Tür öffnen müssen. Es war dadurch nicht viel passiert. Aber das Entscheidende. Ich sah Stefans Lächeln und ahnte alles und spürte so was ähnliches wie ein kleines Glück.
Das Interview gelang ausgezeichnet.
Ich habe Stefan nichts von dieser Nacht erzählt.
Diese Nacht ist meine Geschichte.
Katja und ich leben getrennt. Alles ist gut.