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Erlöschende Flammen

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02.03.2002
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Erlöschende Flammen

Die Nacht legte sich wie eine Decke über die Stadt, dämmte die Geräusche und nahm die Kälte. Das Haus stand am Hang und gewährte der Betrachterin vom Fenster aus eine gute Sicht. Es hatte zu schneien begonnen. Im Licht der Straßenlaterne, sah die Stadt aus wie in einer dieser kleinen Glaskugeln, in denen durch Schütteln ein Schwarm kleiner Flocken aufgewirbelt wurde. Ihr Blick versuchte sich an einer einzelnen Schneeflocke festzuklammern, versuchte ein Einzelschicksal bis zum Ende zu verfolgen. Doch es gelang stets nur für einen kurzen Moment. Es waren zu viele, die in hektischer Schweigsamkeit ihrer Erfüllung entgegen fielen. Ihr wurde das Paradoxe bewusst, dass gerade das unruhige Durcheinander tausender Schneeflocken ihr diese Ruhe vermittelte.

Sie wandte sich wieder dem Kamin zu und nahm ihren Platz in dem alten und massiven Ohrensessel ein. Neben sich das kleine runde Tischchen, das gerade genügend Platz bot, um die Lampe, ein Glas Glühwein und das Buch darauf abzulegen. Sie schaute in den Kamin.

Unruhiges Lodern. Wechselspiel der Farben zwischen rot und gelb. Untermalt von leisem Knistern, das nur von gelegentlichem, lauten Knacken durchbrochen wurde. Die Wärme passte sich dem Flammenspiel an und wogte im gleichen Rhythmus wie die Farben sich änderten. Ihr Blick entglitt in Regionen, die außerhalb des Sichtbaren lagen. Durch die Flammen hindurch blickte sie auf ihre Vergangenheit. Sie sah die tröstenden Hände der Mutter, als sie sich den Arm gebrochen hatte. Hörte ihre warme Stimme, wie sie der Tochter zum bestandenen Examen gratulierte. Noch einmal pulsierte die Ungeduld der Jugend durch ihren Körper. Ein weiteres Mal schloss sie ihrem gestorbenen Vater die Augen und stand weinend am Grab der Eltern. Wieder begegnete sie ihrem Mann, gebar ihr erstes Kind, dann ihr zweites. Sie durchlebte die Höhen und Tiefen der Schulzeit ihrer Kinder, lernte noch einmal die jungen Männer kennen, die ihr die Töchter wegnehmen würden. Sie half ihnen beim Umzug, der sie mit ihrem Mann allein im Haus ließ.

Die Flammen waren kleiner geworden. Sie stand auf und legte einige Scheite nach. Draußen hatten sich die Schneeflocken zu einem weißen Mantel zusammengefügt. Sie wandte sich vom Fenster ab. Es fiel ihr schwer, sich schmerzfrei zu bewegen. Der Körper war schneller gealtert als der Geist. Sie schenkte sich etwas Glühwein nach und setzte sich ächzend zurück in den Sessel. Der Raum war voller Bücher, die nur vom Flackern des Kamins beleuchtet wurden. Über dem Kamin zeigte ein altmodisches Bild ein Segelboot auf stürmischer See. Nur kurz blieb sie daran hängen. Es brauchte keine Konzentration, willig überließ sie sich der Magie der erneut auflodernden Flammen.

Sie hielt ihrem Mann die Hand, als er aufhörte gegen die Krankheit und den Tod anzukämpfen. Sie wurde das erste Mal Oma und hielt ihren ersten Enkel im Arm. Sie erlebte die letzten Weihnachten. Das Haus voller Leben, voller überschäumender Energie und Lachen. Sie hatten noch so viele Jahre vor sich. Sie roch den Geruch frischer Weihnachtsplätzchen, hörte das Kichern des Enkels, als er der Oma wieder eines stibitzt hatte. Ein Lächeln zog über ihr Gesicht. Das waren die Momente, die das Leben lebenswert gemacht hatten. So, wie die großen Augen der Enkel unter dem Weihnachtsbaum. Erwartungsvoll sahen sie die vielen Pakete, fieberten der Zuteilung entgegen, um sich weltentrückt dem Auspacken zu widmen. Das Lächeln verstärkte sich. Ihre Augen, auf das Feuer gerichtet, sahen keine Flammen. Sie war in der Vergangenheit, hatte ihre Liebsten um sich versammelt und dort blieb sie. Die stürmische See war überwunden. Das Feuer erlosch. Der Schneefall stoppte. Für kurze Zeit herrschte Dunkelheit, Stille und Kälte. Dann begann ein neuer Tag.

 

Hallo Maris,

zunächst die schlechten Nachrichten, also die von mir entdeckten Fehler (heute mal genau bin :D)):

"versuchte ein Einzelschicksal bis zum Ende(zu) verfolgen."
"Sie wand(te) sich wieder dem Kamin zu "
"Hörte(i) Ihre warme Stimme"
"Wieder begegnete sie(i) Ihrem Mann"
"legte einige Scheide(Scheite) nach."
"Sie wand(te) sich vom Fenster ab"
"Oma wieder eines stibizt(stibitzt) hatte"


Eigentlich fast etwas weihnachtliche Stimmung, die du da erzeugt hast. Gefühlvoll geschrieben und treffsicher mit dem Stilmitteln Schneeflocken und Kamin , winterliche Stimmung erzeugt. Der Lebenswinter der Frau. Ich persönlich würde den letzten Satz nicht geschrieben haben, weil es ein wenig gewollt gezwungen positiv wirkt. So könnte ich als Leser mir meinen eigenen Vers drauf machen, ob sie nun mit dem erloschenen Feuer auch gestorben ist oder weiterlebt.
Teilweise finde ich deinen Stil etwas holprig, du warst schon mal flüssiger.
Aber es befinden sich auch wieder deine typisch genialen Querkoppsätze darunter, z.B.:
"Ihr wurde das Paradoxe bewusst, dass gerade das unruhige Durcheinander tausender Schneeflocken ihr diese Ruhe vermittelte."

Ja, genauso wird es wohl schon jeder von uns erlebt haben, der fasziniert den Schneeflocken zugeschaut hat.
Zeit und Raum lösen sich dabei für eine kleine Weile in der totalen Bewegung des Fallens dieser Schneeflocken auf.

"Ihr Blick entglitt in Regionen, die außerhalb des Sichtbaren lagen. Durch die Flammen hindurch blickte sie auf ihre Vergangenheit."
Ja, genauso mag dich dich Querkopp, das sind diese kurzen Sätze, hinter denen man ganze Geschichten erdenken kann. Gut gemacht.

Kleine beschauliche Geschichte.

Lieben Gruß
Elvira

 

Hi Elvi,

lieb von dir, dass du mich gleich auf die dummen Fehler schubst. Und Danke natürlich sowohl für deine positiven Worte, als auch für die kritischen. Es wäre ganz lieb von dir, mir die holprigen Stellen etwas deutlicher unter die Nase zu reiben. Als Autor sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht und meint irgendwann, alles sei holprig. Was den letzten Satz anbetrifft: habe ihn weg genommen, denke, du liegst da richtig.

Die Stimmung zielt schon bewußt etwas Richtung Weihnachten, wir haben ja schon Ende November. :) Und ich hatte mich gerade in Gedanken und via Prospekt mit dem Kauf eines "Weihnachtsbaumes" beschäftigt. Einer der nicht grün ist, nicht nadelt, keine Äste hat und an der Decke hängt. Da musste ich innerlich einen gefühlsmäßigen Gegenpol schaffen.

Lieber Gruß
Maris

 

Hallo, querkopp!

Eine, dank der gut gewählten Bilder, sehr berührende Geschichte, die bestens in diese Jahreszeit passt.
Das Leben einer alten Frau, die wahrlich genügend Höhen und Tiefen hinter sich hat, wird dem altmodischen (!) Bild mit dem Segelboot auf stürmischer See gleichgesetzt und bekommt dadurch zusätzliche Konturen. Die hypnotische Wirkung der Flammen im Kamin läßt vor ihrem inneren Auge einen Film ablaufen, in dem sie die Hauptrolle spielt (bereits ein Hinweis auf den kommenden Tod, bei dem ebenfalls solcherlei "Filme" abgespult werden?).

Sie half ihnen beim Umzug, der sie mit ihrem Mann allein im Haus ließ.
Nach dem Auszug der Kinder wird ihr eine Leere bewußt.
Die Flammen waren runter gebrannt. Sie stand auf und legte einige Scheite nach.
Sprich: Sie rappelt sich wieder auf, bis später dann, die Flammen endgültig verlöschen.

Noch zwei Sätze, die mir besonders gut gefallen haben:

Der Körper war schneller gealtert als der Geist.
und:
Sie hielt ihrem Mann die Hand, als er aufhörte gegen die Krankheit und den Tod anzukämpfen.
:thumbsup: :thumbsup: :thumbsup:


Lieben Gruß
Antonia

 

Danke Antonia, freut mich, dass dir die kleine, kurze und beschauliche Geschichte gefallen hat.

Den "Film" kann man, wenn man will, als Hinweis sehen, muss aber nicht zwangsläufig sein. Der Film ist für die Protagonistin ein letztes Revue-passieren-lassen, falls nötig ein Klären offener Stellen, um den inneren Frieden zu haben und ein erfülltes Leben abschließen zu können.

ganz lieber Gruß vom querkopp

 

Hallo querkopp!

Ja, die Geschichte ist wirklich beschaulich. Auch in dem Sinn, dass man sich die Bilder gut vorstellen kann, die du beschreibst. Versteh ich den Schluss richtig, dass sie stirbt? Das Feuer als Sinnbild für ihr Leben, das dann erlischt? Ein schönes Symbol.

Naja, guter Text. Allerdings auch ein bisschen klischeehaft, so wie wir uns das Leben unserer Großmütter vorstellen. Ich meine, du beschreibst das Leben einer Frau, wie es sein soll, wie man es erwartet. Hmm .. weisst du was ich meine?

Naja, ist ok. Passt gut zu Weihnachten. Wenn man auf Weihnachten steht, findet man die Geschichte sicher ergreifend.
;)

lg
klara

 

Hallo Maris!

Viel Neues kann ich Dir leider auch nicht sagen, das haben meine Vorschreiberinnen schon getan... auch mir gefällt Deine ruhige Geschichte sehr gut. Die Ruhe mit der Du erzählst, die Bilder, die Du beschreibst, das rauf und runter... Klara hat recht, Du beschribst das "typische", ein bisschen, aber es stört nicht!! Ein schöner Text!

liebe Grüße, Anne :)

 

Hallo querkopp,

sicher verwendet der Text etliche Klischees, aber wenn man das ausdrücken will, was Du ansprichst, dann gibt es nicht so viele Möglichkeiten. Deshalb ist es wichtig, daß so eine Geschichte gut durchgeführt wird. Deine Geschichte erfüllt dieses Kriterium, besonders gelungen sind die verwendeten gegensätzlichen Bilder: Schneeflockenchaos - Beruhigung (diese Gegenüberstellung habe ich sonst noch nie gelesen, und ich habe schon vieles gelesen!). Ohrensessel - unruhiges Lodern, weißer Schneeflockenmantel - stürmische See ( die Amis haben dafür den Begriff der `white cap´ Bildung , paßt zum Schnee). Krankheit - frische Weihnachtsplätzchen.
Gestolpert bin ich nur über „die Flammen waren runter gebrannt“ das „runter“ fand ich zu salopp (es brennt wohl auch das Holz runter?), die Flammen begannen zu verlöschen ... fände ich günstiger (hoffentlich bin ich da jetzt nicht zu kleinlich).

Alles Gute,
tschüß... Woltochinon

 

Hallo ihr drei,

Danke, dass ihr euch die Zeit genommem habt mein "Werk" zu begutachten. Danke vor Allem für den kritischen Part. So widersprüchlich eure Aussagen zum Klischee sind (stört, stört nicht, geht nicht anders), ich habe alle drei nachvollziehen können und sehe es - vielleicht weil es am einfachsten für mich ist - wie Woltochinon.

@Klara
Ja, du hast den Schluss richtig verstanden.
Mit dem Klischee hast du mir echt Probleme gemacht, aber Frauen leben halt in der Regel so, wie man es erwartet ;) besonders Großmütter.

@Anne
"... aber es stört nicht!" = schöner Text

@Woltochinon
bei dir freut mich besonders eine Gegenüberstellung gefunden zu haben, die du noch nie gelesen hast. Der Begriff `white cap`war dann auch was für meine Bildung :D kannte ihn nicht.
Kleinlich warst du absolut nicht, das "runter brennen" hat mir bereits vorher im Hinterkopf nicht gefallen. `verlöschen` wollte ich wegen des Titels nicht nehmen, hoffe jetzt einen akzeptablen Kompromiss gefunden zu haben.

Liebe Grüße vom querkopp Maris

 

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