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Erinnerungen

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18.05.2011
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Erinnerungen

Sie konnte nie vergessen. Egal was ich anstellte, sie verzieh mir immer, nur vergessen hat sie`s nie. Und bei jeder, meist unpassenden, Gelegenheit wurde es mir, zur Belustigung aller anderen, pointiert wieder ins Gedächtnis gerufen. Letztlich hab ich dann immer mitgelacht. Es waren ja schöne Erinnerungen. An eine unbeschwerte Kindheit mit vielen Streichen, die mir meine Kinder hoffentlich niemals spielen werden. Mittlerweile hab ich meine eigene Familie, zusammen mit meiner früheren Jugendliebe. Oder sagen wir lieber Schwärmerei, denn wir sind damals nie „miteinander gegangen“. Aber nach 13 Jahren hat es dann wieder gefunkt. Und wir funken noch heute auf einer Wellenlänge. Der (Funk-) Kontakt zu meiner Mutter war über die Jahre auch gleich bleibend gut. Natürlich gab es mal das ein oder andere Rauschen in der Leitung, so manches Missverständnis, aber abgebrochen ist der Kontakt nie. Und heute verstehen wir uns besser denn je. Jetzt gerade sind wir auf dem Weg zu ihr und meinem Vater natürlich. Der letzte richtige Besuch ist schon wieder viel zu lange her. Es kommt halt, wie immer im Leben, zu viel Unwichtiges dazwischen und auf einmal stellt man fest, dass schon wieder eine Woche, ein Monat oder ein ganzes Jahr an einem vorbeigerauscht ist. Und man hat es noch nicht mal gemerkt.
Nur wird dieser Besuch anders werden als alle vorherigen. Sicher, es wird wieder ein großes Hallo mit freudigen Umarmungen und Sätzen geben wie: Schön dass ihr mal wieder da seid, kommt doch rein. Und dann gibt es wieder leckeres Essen wie es nur die eigene Mama, Mutti, Mami oder meinetwegen auch neudeutsch und natürlich viel cooler: Mum, zubereiten kann. Nur die Stimmung wird diesmal eine andere sein. Keine Spur mehr von der Leichtigkeit der früheren Besuche. Der Kloß im Hals wird jeden Atemzug zur Kraftanstrengung machen. Und am Ende gibt es kein: Bis zum nächsten Mal, schön dass ihr da wart. Denn es wird kein nächstes Mal geben. Meine Eltern ziehen aus. Ich dachte bisher immer das ginge nur umgekehrt, die Kinder ziehen irgendwann aus und das ist dann wahrscheinlich auch gut so, in den meisten Fällen zwar mit einer unvergleichlichen Wehmut verbunden, aber zumindest natürlich. Nur, wie ist das wenn die Eltern ausziehen? Nicht bei einem selbst, sondern aus dem Haus der eigenen Kindheit. Einem Ort an den man immer zurückkehren konnte. Heimat. Natürlich will man hinaus in die Welt, aber selbst an den schönsten Flecken dieser Erde ist man doch froh, wenn man weiß: es gibt einen Ort, an den ich jederzeit zurückkehren kann. Ohne zu fragen, ohne zu bitten, bedingungslos. Was ist der Spaziergang auf dem Mond wert ohne eine Erde zu der man zurückkehren kann? Nichts. Absolut rein gar nichts. Man wäre verloren. Es gäbe keinen sonnig warmen Platz zum auftanken. Jeder Quadratzentimeter dieser Lebenstankstelle ist einem doch so vertraut wie kaum ein anderer Ort auf dieser Welt. Es gibt keine Ecke, in der man sich als Kind nicht schon versteckt hätte, keinen Raum der nicht mal an einem ganz besonderen Tag von einem nicht in Worte zu fassenden Zauber erfüllt war.
Der Moment kurz nachdem alle Gäste der Geburtstagsfeier gegangen waren und das Wohnzimmer noch nach gelöschten Kerzen, Knabberkram und dem Kaffee zum Nachtisch roch. Leicht pappige Erdnussflips und angetrocknet harte Gummibärchen liebe ich bis heute. Oder das Abendessen in der warmen und hell erleuchteten Küche am Samstagabend, wenn man vom spielen in der kühlen Herbstluft heim kam und schon dieses leichte Magenkribbeln verspürte, weil man heute ausnahmsweise mal länger aufbleiben durfte, um gemeinsam „Wetten dass…?“ zu gucken.
Geborgenheit wäre vielleicht das Wort, das dem gerade noch am nächsten käme.
Und wenn man Jahre später noch, längst erwachsen und froh auf eigenen Beinen zu stehen, wieder an diesen Ort zurückkehrt, stehen die alten Möbel meist noch an derselben Stelle, sind die Vorhänge noch die guten teuren von damals, und steht im Garten der Schuppen noch an seinem angestammten Platz, wenn auch etwas altersschwach und von der Witterung mitgenommen. Manchmal findet man vielleicht noch ein altes Spielzeug, das in irgendeiner Ecke die Jahre und Jahrzehnte unentdeckt aber nicht immer unbeschadet überstanden hat. Und kommt man durch die Tür herein, umweht einen dieser vertraute Geruch, der sich sofort auf den Weg durch die Nase direkt zum Gehirn macht und ein Synapsenfeuerwerk alter Bilder entfacht. Man hängt seinen Mantel an die Garderobe, über deren Haken schon damals der Anorak flog als man endlich von der Schule nach hause kam. Wobei der schönste Moment für mich immer der kurz davor war. Wenn ich mit dem Fahrrad um die Ecke bog, über die ruhige Siedlungsstraße auf unseren Gehweg fuhr, die Sonne mit angenehmen 20 Grad besagten Anorak überflüssig machte, weshalb er im Fahrradkorb ein trostloses Dasein fristete und ich hoffte, dass meine Mutter dies nicht aus dem Küchenfenster heraus sah. Denn schließlich hätte ich mir ja eine Erkältung holen können. Oft drückte sie es gern sehr viel dramatischer aus: Du holst dir noch den Tod! Ich war demzufolge sehr oft todesmutig. Wie auch immer, was ich eigentlich sagen will: die Erinnerung an so einen Tag, an dem, während ich meinen Anorak aus dem Fahrradkorb nahm und hastig überwarf, nur um ihn wenige Sekunden später wieder auszuziehen und über den Garderobenhaken zu werfen, der Geruch von frischen Bratkartoffeln oder anderem leckeren Mama-Essen durch das geöffnete Küchenfenster die Luft im Vorgarten zum schwirren brachte, ist für mich der Inbegriff von Heimat. Und heute werde ich ihn zum letzten Mal riechen. Ich hab mir Bratkartoffeln gewünscht. Und zum Nachtisch Pfannkuchen. Nur die Sonne scheint heut nicht.
Mit beinahe 80 geht einem nicht mehr allzu viel leicht von der Hand. Jede Treppe wird mindestens zur Herausforderung, an manchen Tagen zum unüberwindbaren Hindernis. Hausarbeit ist auch heute noch Plackerei, obwohl wir meine Eltern schon vor Jahren zu einer Putzfrau überreden konnten. Was kein leichtes Unterfangen war. Es gibt im Leben wohl kaum etwas, das einem so schwer fällt, wie sich selbst die eigene Schwäche einzugestehen. Dem eigenen körperlichen Verfall tatenlos zusehen zu müssen, kann kein reines Vergnügen sein. Deshalb steht der Notwendigkeit wohl so oft die Sturheit im Weg. Und genauso wie die Mutter oder der Vater dem störrischen Kind beibringen müssen, was gut für ihn oder sie ist, so müssen gegen Ende des Lebens wohl die Kinder ihre Eltern vor den Folgen der eigenen Sturheit bewahren.
Es war also alles andere als leicht, sie davon zu überzeugen, dass es einfach nicht mehr geht. Nicht nur, dass wir zu weit auseinander wohnen und eine eigene Familie am Laufen zu halten ja schon zeitaufwendig genug ist. Irgendwann geht es einfach nicht mehr. Irgendwann muss die Sicherheit schwerer wiegen als die Freiheit. Oder etwas weniger pathetisch ausgedrückt: die Unabhängigkeit. Hinzu kommt: wenn das Alter einem schon fast die Kraft genommen hat sich selbst auf den Beinen zu halten, wie soll man dann noch jemand anderen stützen? Den in mancher Hinsicht vielleicht noch viel älteren Partner? Jede Generation von Eltern nimmt sich wahrscheinlich vor, ihren Kindern gegenüber im Alter weniger kompliziert zu sein als die Großeltern. Genauso wie sich jedes Kind vornimmt, seinen eigenen Kindern später einmal eine bessere Mutter oder ein etwas weniger strenger Vater zu sein. Vielleicht klappt das manchmal sogar. Aber allzu oft bleiben es eben doch nur gute Vorsätze, die im Strudel des Alltags und der Wirklichkeit in Vergessenheit geraten. Natürlich sollten sich Kinder auch um ihre Eltern kümmern. Aber Eltern müssen auch um sich kümmern lassen. Und da fangen die Probleme meist an.
Wir haben uns gemeinsam viele Alternativen angeschaut. Seniorenstifte, Altersheime, Pflegeheime – manche vermittelten die Tristesse eines Krankenhauses, andere versprühten den Charme eines Kurhotels. Gründe die gegen sie sprachen, ließen sich hingegen bei allen finden, zumindest für meine Eltern. Entweder war`s zu deprimierend, zu ete pe tete, zu grau, zu bunt, zu laut, zu leise, zu teuer, zu billig, zu weit weg, zu nah dran (am geliebten Haus)… Letztlich haben wir uns dann doch auf ein wunderschönes ehemaliges Kurhaus, so in mittlerer Entfernung, mittlerem Preissegment, hauptsächlich in drei Farben gehalten und mit normalen, angenehmen, neuen Nachbarn gefunden.
Aber was muss das für ein Gefühl sein, ein letztes Mal umzuziehen? Fast sein gesamtes Leben hinter sich zu lassen mit der Gewissheit, dass man nie mehr dort hin zurückkehren kann. Hofft man da auf ein Wunder? Darauf dass doch noch rechtzeitig der Jungbrunnen gefunden wird? Oder ist es in Ordnung so wie es ist, ganz gelassen, ganz natürlich, der Fluss des Lebens halt?
Madeleine, meine Frau, fragte mich neulich: „Wie werden wir wohl später sein? Ob wir so einfach loslassen könnten vom eigenen selbst bestimmten Leben? Von unserem Haus? Oder werden wir nicht auch erbittert darum kämpfen, bis zum wirklich allerletzten Strohhalm?“
Ich denke, mit der Antwort, die ihrer Frage schon innewohnte, hatte sie recht. Es sagt sich so leicht: Wenn es mir mal so richtig schlecht geht, dann könnt ihr ruhig den Stecker ziehen. Aber wenn es dann tatsächlich so weit ist, hängen die meisten doch an ihrem Leben und wollen ums Verrecken nicht loslassen. Und das gilt eben nicht nur für das Leben an sich, sondern auch für die Elemente der Lebensqualität.
Vor kurzem rief mich meine Mutter an.
„Wann kommt ihr denn nun eigentlich genau?“
„Ich schätze mal so gegen Mittag. Madeleine holt die Kinder noch vom Schwimmtraining ab und dann fahren wir direkt los.“
„Gut. Muss ich ja nur wissen, wegen dem Essen. Papa geht`s auch schon wieder etwas besser. Aber es wird wirklich Zeit, dass wir rund um die Uhr jemanden haben, der ihm hilft. Ich schaff das ja auch nicht immer.“
„Mhm.“ Der beste Trick, um zwei alte Menschen von einer Notwendigkeit zu überzeugen, ist übrigens, den jeweils anderen als eigentlichen Grund anzuführen und somit um Verständnis zu werben. Funktioniert immer. Man selber merkt ganz offensichtlich nicht, dass man alt wird. Da scheint die Wahrnehmung eindeutig gestört zu sein. Alle um einen herum sind natürlich schon ziemlich alt, aber man selbst doch nicht! Sagt man aber: „Das wäre das Beste für sie oder ihn, aber da musst du natürlich mitziehen“, dann kann man sich nach einigem Zögern und Nachdenken der Zustimmung ziemlich sicher sein.
Bei einem früheren Telefonat merkte ich das erste Mal, dass etwas Grundlegendes nicht mehr stimmte. Klar, sie waren über die Jahre immer gebrechlicher geworden und die Wehwehchen nahmen zu, aber im Großen und Ganzen konnten sie noch selbst für sich sorgen. Nur seit diesem Tag war mir klar, dass es nicht mehr lang so sein würde. Wir sprachen über meinen letzten Besuch. Ich hatte ihr damals mal wieder zusammen mit meinem Sohn einen kleinen Streich gespielt und ihr morgendliches Glas Orangensaft durch frisch gepressten Zitronensaft ausgetauscht. Ist ja eh noch viel gesünder. Nur, bei unserem Gespräch erwähnte sie dies mit keiner Silbe, früher hätte sie`s mir noch mindestens fünf Mal aufs Brot geschmiert. Natürlich hat sie uns diese kleine Gemeinheit sofort verziehen. Aber als ich sie darauf ansprach, konnte sie sich nicht erinnern. Sie hatte es vergessen. Ich kann gar nicht sagen wie mulmig mir in diesem Augenblick wurde. Es war so etwas wie der endgültige Anfang vom Ende. Von dort aus schien es nicht mehr weit zu sein bis zu dem Punkt, an dem sie vergessen würden, sich um sich selbst zu kümmern. In der Zwischenzeit haben wir ja die Konsequenzen aus dem und natürlich auch aus allem anderen ziehen müssen. Das Meiste haben wir auch schon verpackt und von vielem musste man sich schmerzlicher Weise auch trennen. Ich sehe mich noch heute auf unserem Dachboden stehen, mit drei Umzugskartons und einer Rolle blauer Müllsäcke unterm Arm. Es ist einer von diesen alten Speichern, die man nur über eine ausziehbare Leiter erreichen kann. Man benötigt dafür einen langen Stock an dessen Ende sich ein kleiner Metallhaken befindet, mit dem die Holzplatte in der Decke des Flures nach unten gezogen wird. Als kleines Kind war diese Luke für mich eine schier unerreichbare Pforte in eine sagenhafte, geheimnisumwobene Welt. Ich selbst war viel zu klein und zu schwach, um die Luke öffnen zu können. Ich durfte es auch nicht, viel zu gefährlich. Und so war es immer etwas ganz Besonderes, wenn sie dann tatsächlich mal geöffnet wurde und ich mit hinauf durfte. Die Wände sind auch jetzt noch schlecht bis gar nicht isoliert, so dass an vielen Stellen die nackten, dunkelrot-rostbraunen Dachziegel von innen zu sehen sind. In jeder Truhe und in jedem Karton gab es etwas „neues Altes“ zu entdecken. Zerlesene Bücher, Weihnachtsschmuck, ausrangiertes Spielzeug, der alte Teddy und manchmal sogar ein vergilbtes Foto. Die quietschende Tür des alten Kleiderschrankes mit den Wintermänteln war in meiner Fantasie der Zugang zu einer Märchenwelt. Aber wenn durch die milchigen Dachfenster ein paar Sonnenstrahlen, in deren Schein Myriaden von Staubkörnern tanzten, auf den alten Teppich fielen, wirkte schon der Dachboden selbst wie ein magischer Ort. Es war beinahe vollkommen still dort oben, nur ganz entfernt konnte man das Klappern von Geschirr in der Küche oder ein vorbeifahrendes Auto hören. Das lauteste war vielleicht das Pfeifen des Windes unter den Dachziegeln. Am spannendsten war es, altes Spielzeug aus den Kindertagen meiner Eltern zu finden. Der Gedanke allein, dass meine Eltern auch mal Kinder waren und dann auch noch mit dieser Seilbahn oder diesem Modellauto gespielt hatten, faszinierte mich jedes Mal aufs Neue. Und nun stand ich dort, ganz allein, wie früher, und verpackte die Erinnerungen in blauen Müllsäcken, um sie anschließend für immer auszulöschen. Manchmal blendete mich das Sonnelicht so stark, dass ich wie durch einen nassen Vorhang hindurch kaum etwas sehen konnte. Irgendwann stieg ich die Leiter wieder hinab, um neue Müllbeutel zu holen. Sie lagen in meinem alten Kinderzimmer. Nichts in diesem Raum erinnerte noch an meine jahrzehntelange Anwesenheit. Er war über die Jahre eine Mischung aus Bügelzimmer und Abstellraum geworden. Manchmal saß meine Mutter noch auf dem Balkon davor und las ein Buch. Aber letztlich hatte dieses Zimmer seine Persönlichkeit verloren. Kaum vorstellbar dass dort, wo nun ein Stapel frisch gebügelter Wäsche lag, einmal mein Lieblingsplatz war, an dem ich ganze Nachmittage hindurch gelesen oder einfach nur Musik gehört und vor mich hin geträumt hatte.
Es ist doch komisch: einerseits kann man sich kaum noch vorstellen, wie man es all die Jahre in so einem kleinen Zimmer ausgehalten hat. Und andererseits trauert man diesem geschlossenen Kosmos absoluter Sicherheit noch lange nach. Erst recht in so einem Augenblick. Mit nichts in der Welt will man als Kind sein Zimmer tauschen. Bis dieser Wille von jedem Jahr, dass diesen Raum durchstreift, Stück für Stück zum Fenster hinaus getragen wird.

Vielleicht mach ich mir auch einfach nur zu viele Gedanken. Es geschieht ja schließlich tausendfach und jeden Tag, dass Menschen alt werden und nicht mehr für sich selbst sorgen können. Bei manchen ermüden zuerst die Muskeln, bei manchen schreitet der Kopf voran. Aber bei allen geht beides irgendwann Hand in Hand. Und eines Tages ist man nicht nur zu schwach für den Weg zur Apotheke, sondern auch zu vergesslich für die regelmäßige Einnahme der Medizin. Vielleicht wird also alles gar nicht so schlimm, wie ich es mir jetzt auf meinem allerletzten Weg „nach hause“ ausmale. Nicht ganz so schmerzlich wie ich jetzt befürchte. Vielleicht zerreißt es mir doch nicht das Herz. Vielleicht geht es einfach weiter, so wie immer.
„Thomas?“ Madeleine schaut mich vom Fahrersitz aus an und streichelt mir über die Wange. „Wir sind da. Komm, deine Eltern stehen schon in der Tür.“
Ich nicke nur mit dem Kopf, öffne die Wagentür, steige aus, biege ein letztes Mal ums Eck und schließe sie zur Begrüßung in die Arme.
"Schön wieder hier zu sein..."

 
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Hallo und Willkommen auf hier Geschichten und so, Worstscenario,

Nur wird dieser Besuch anders werden als alle vorherigen.

Das könnte mit ein bisschen Nagelfeil ein spannender Einstiegssatz werden. Alles davor liest sich belehrend: Ich erzähle euch mal just, worum es im Folgenden so in etwa gehen wird. Würde ich rausschmeißen.


Natürlich will man hinaus in die Welt, aber selbst an den schönsten Flecken dieser Erde ist man doch froh, wenn man weiß: es gibt einen Ort, an den ich jederzeit zurückkehren kann. Ohne zu fragen, ohne zu bitten, bedingungslos.

Bla … Meine Eltern ziehen aus, das ist ungewöhnlich, deshalb spannend, und dann folgen solche Allgemeinplätze – raus.


Was ist der Spaziergang auf dem Mond wert ohne eine Erde zu der man zurückkehren kann?

Und jetzt auch noch kitschig. RAUS! (Komma nach „wert“)


Der Moment kurz nachdem alle Gäste der Geburtstagsfeier gegangen waren

Puh, es geht weiter. Ich wollt gerade umschalten. Komma nach „Moment“.


Oder das Abendessen in der warmen und hell erleuchteten Küche am Samstagabend, wenn man vom spielen in der kühlen Herbstluft heim kam und schon dieses leichte Magenkribbeln verspürte, weil man heute ausnahmsweise mal länger aufbleiben durfte, um gemeinsam „Wetten dass…?“ zu gucken.

Eigentlich gruselig, wie standardisiert unser aller Kindheit in so einer westlichen Industrie-/Konsumgesellschaft zu verlaufen sein scheint. Inhaltlich könnte der Satz von mir sein. Nur hab ich immer mehr wert auf die (Horror-)filme am Samstagabend gelegt.


Es war also alles andere als leicht, sie davon zu überzeugen, dass es einfach nicht mehr geht. Nicht nur, dass wir zu weit auseinander wohnen und eine eigene Familie am Laufen zu halten ja schon zeitaufwendig genug ist. Irgendwann geht es einfach nicht mehr. Irgendwann muss die Sicherheit schwerer wiegen als die Freiheit. Oder etwas weniger pathetisch ausgedrückt: die Unabhängigkeit. Hinzu kommt: wenn das Alter einem schon fast die Kraft genommen hat sich selbst auf den Beinen zu halten, wie soll man dann noch jemand anderen stützen? Den in mancher Hinsicht vielleicht noch viel älteren Partner? Jede Generation von Eltern nimmt sich wahrscheinlich vor, ihren Kindern gegenüber im Alter weniger kompliziert zu sein als die Großeltern. Genauso wie sich jedes Kind vornimmt, seinen eigenen Kindern später einmal eine bessere Mutter oder ein etwas weniger strenger Vater zu sein. Vielleicht klappt das manchmal sogar. Aber allzu oft bleiben es eben doch nur gute Vorsätze, die im Strudel des Alltags und der Wirklichkeit in Vergessenheit geraten. Natürlich sollten sich Kinder auch um ihre Eltern kümmern. Aber Eltern müssen auch um sich kümmern lassen. Und da fangen die Probleme meist an.

Danach habe ich's nur noch überflogen. Du hast da zuwenig handelnde Figuren drin und zuviel geschwätzigen Autor, der sagt „Freunde, mir ist da neulich folgender Gedanke gekommen, und zwar ist es ja so, dass ...“

Das können meinetwegen kluge Eingebungen sein, hübsch formuliert, aber im Mischungsverhältnis 10:1 mit einer tatsächlichen Geschichte ist das langweilig. Ich plädiere für eine Radikalkur, einfach mal zum Üben: Alles rausschneiden, wo nicht A mit B etwas tut, das C zur Folge hat. Dann weitersehen. Und schreiben.


Grüße
JC

PS: Viel zu allgemeiner Titel. Besonders ist ja diese Formulierung, dass die Eltern ausziehen. Da würde ich irgendwas draus drehen.

 

Hallo Worstseller +

willkommen hier, da hast Du aber einen recht breit ausgewalzten Text hingelegt, der sich locker um die Hälfte kürzen ließe, ohne eine Spur an Substanz zu verlieren.

' ... die es nur die eigene Mama, Mutti, Mami oder meinetwegen auch neudeutsch und natürlich viel cooler: Mum ... ' - so etwas ist nichts als langweiliger Füllkram.
Da es offensichtlich um eigene Erinnerungen des Erzählers geht, stellt sich die Frage, weshalb immer wieder von 'man' die Rede ist statt von 'ich'.

Zusammenfassend läßt sich sagen, dass dem Text die literarische Verdichtung, die Verknappung, fehlt. Er entspricht in etwa dem, was der Erzähler in dieser Form einem Kumpel bierselig und weitscheifig in der Kneipe erzählen würde. Das ist schade, weil das Niveau sprachlich hoch ist und die 'Story' mit dem Ende rund wirkt. Story in Anführungszeichen, weil es eigentlich keine ist.

Viele Grüße vom
gox

 

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