- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Erinnerungen
Süße Sauerkirschen
(für Oma)
Im Garten meiner Großmutter stand er. Groß, prächtig, voll mit lauter großen, grünen Blättern. Der Sauerkirschbaum.
Vor allem im Frühling konnte ich den Baum stundenlang ansehen. Ich legte mich auf die Rasenfläche neben den Erdbeerbeeten und schaute auf die Kirschblüten, die sich in der Sonne öffneten.
Der Sauerkirschbaum stand direkt am Haus. Ein großes Haus, in dem meine Großmutter mit meinem Großvater lebte. Direkt neben der Baumkrone war der kleine Balkon, den man vom Schlafzimmer erreichen konnte. Der Balkon war allerdings kein richtiger Balkon. Ein ausgewachsener Mann hätte sich draußen nur hinquetschen können. Meine Großeltern hatten dort drei Fäden für die Wäsche gespannt, die sie allerdings kaum nutzten, da sie überall im Garten Wäscheleinen verlaufen ließen.
Wenn mein Bruder und ich zu Besuch waren, benutzten wir die Leinen als Netz beim Federballspielen.
Meine Großeltern liebten ihren Garten. Meine Großmutter bemalte die Schuppen- und Balkontüren und pflückte im Sommer die reifen Himbeeren, die im gesamten Randbereich des Gartens in großen Hecken verliefen.
Mein Großvater erledigte die harte Arbeit, für die man sich bücken musste.
Der Sauerkirschbaum wurde im Sommer von einem grünen Netz überdeckt, genau wie die drei Apfelbäume. Allerdings ließen meine Großeltern nach der Ernte stets ein paar Sauerkirschen für die Vögel dran.
Im Garten meiner Großeltern waren viele Tiere. Als ich früher dort war, durfte ich nach dem Frühstück Nüsse für das Eichhörnchen herauslegen.
Neben dem Kirschbaum stand ein kleiner Fliederbaum. Im Sommer sah ich kaum seine Blüten, weil alles voller Schmetterlinge war.
Auf den Sauerkirschbaum wollte ich immer klettern. Doch meine Großeltern wollten das nicht. Sie spannten stattdessen Seile um die starken Äste des Apfelbaums und schaukelten mich.
Neben dem Sauerkirschbaum stand eine weiße Gartenbank. Manchmal sah ich meine Großeltern im Morgensonnenschein auf dieser Bank sitzen, Arm in Arm, die Ruhe und die Schönheit ihres Gartens bewundern.
Die Sauerkirschen aßen sie selten gleich nach dem Pflücken. Meistens stand meine Oma in der Küche und machte Marmelade, wobei ich ihr oft half.
Der gesamte Keller meiner Großeltern hatte Regale an den Wänden, auf der sich alle möglichen Marmeladensorten stapelten. Alle waren Selbstgekocht, die Etiketten waren liebevoll mit Datum und Namen versehen worden.
Doch dann wurde es Winter.
Meine Großmutter hatte Artrose in den Knien. Sie wurde operiert. Während der zweiten Operation hatte sie einen kleinen Schlaganfall. Sie überlebte.
Sie starb ein paar Monate später in ihrem Schlafzimmer, als mein Opa ihr Erdbeeren machte.
Ihr Blick war auf den Sauerkirschbaum gerichtet.
Mein Opa lebte noch vier weitere Jahre alleine in dem Haus mit dem wunderschönen Garten.
Er arbeitete lange im Garten und wir halfen ihm beim Himbeerenpflücken.
Dann zogen wir und mein Großvater zusammen.
Er verkaufte das Haus mit dem schönen Garten.
Ich bin nie auf den Sauerkirschbaum geklettert.
Regelmäßig fahren wir zum Grab meiner Großmutter. Es ist so schön wie ihr Garten.
Manchmal fahren wir an dem Haus vorbei. Der schöne Garten hat dem Anbau platz gemacht.