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Erinnerungen

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03.04.2003
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Erinnerungen

Süße Sauerkirschen
(für Oma)

Im Garten meiner Großmutter stand er. Groß, prächtig, voll mit lauter großen, grünen Blättern. Der Sauerkirschbaum.
Vor allem im Frühling konnte ich den Baum stundenlang ansehen. Ich legte mich auf die Rasenfläche neben den Erdbeerbeeten und schaute auf die Kirschblüten, die sich in der Sonne öffneten.
Der Sauerkirschbaum stand direkt am Haus. Ein großes Haus, in dem meine Großmutter mit meinem Großvater lebte. Direkt neben der Baumkrone war der kleine Balkon, den man vom Schlafzimmer erreichen konnte. Der Balkon war allerdings kein richtiger Balkon. Ein ausgewachsener Mann hätte sich draußen nur hinquetschen können. Meine Großeltern hatten dort drei Fäden für die Wäsche gespannt, die sie allerdings kaum nutzten, da sie überall im Garten Wäscheleinen verlaufen ließen.
Wenn mein Bruder und ich zu Besuch waren, benutzten wir die Leinen als Netz beim Federballspielen.
Meine Großeltern liebten ihren Garten. Meine Großmutter bemalte die Schuppen- und Balkontüren und pflückte im Sommer die reifen Himbeeren, die im gesamten Randbereich des Gartens in großen Hecken verliefen.
Mein Großvater erledigte die harte Arbeit, für die man sich bücken musste.

Der Sauerkirschbaum wurde im Sommer von einem grünen Netz überdeckt, genau wie die drei Apfelbäume. Allerdings ließen meine Großeltern nach der Ernte stets ein paar Sauerkirschen für die Vögel dran.
Im Garten meiner Großeltern waren viele Tiere. Als ich früher dort war, durfte ich nach dem Frühstück Nüsse für das Eichhörnchen herauslegen.
Neben dem Kirschbaum stand ein kleiner Fliederbaum. Im Sommer sah ich kaum seine Blüten, weil alles voller Schmetterlinge war.
Auf den Sauerkirschbaum wollte ich immer klettern. Doch meine Großeltern wollten das nicht. Sie spannten stattdessen Seile um die starken Äste des Apfelbaums und schaukelten mich.
Neben dem Sauerkirschbaum stand eine weiße Gartenbank. Manchmal sah ich meine Großeltern im Morgensonnenschein auf dieser Bank sitzen, Arm in Arm, die Ruhe und die Schönheit ihres Gartens bewundern.
Die Sauerkirschen aßen sie selten gleich nach dem Pflücken. Meistens stand meine Oma in der Küche und machte Marmelade, wobei ich ihr oft half.
Der gesamte Keller meiner Großeltern hatte Regale an den Wänden, auf der sich alle möglichen Marmeladensorten stapelten. Alle waren Selbstgekocht, die Etiketten waren liebevoll mit Datum und Namen versehen worden.
Doch dann wurde es Winter.
Meine Großmutter hatte Artrose in den Knien. Sie wurde operiert. Während der zweiten Operation hatte sie einen kleinen Schlaganfall. Sie überlebte.
Sie starb ein paar Monate später in ihrem Schlafzimmer, als mein Opa ihr Erdbeeren machte.
Ihr Blick war auf den Sauerkirschbaum gerichtet.
Mein Opa lebte noch vier weitere Jahre alleine in dem Haus mit dem wunderschönen Garten.
Er arbeitete lange im Garten und wir halfen ihm beim Himbeerenpflücken.
Dann zogen wir und mein Großvater zusammen.
Er verkaufte das Haus mit dem schönen Garten.
Ich bin nie auf den Sauerkirschbaum geklettert.

Regelmäßig fahren wir zum Grab meiner Großmutter. Es ist so schön wie ihr Garten.
Manchmal fahren wir an dem Haus vorbei. Der schöne Garten hat dem Anbau platz gemacht.

 

hi

Man könnte meinen, das hat sich alles genau so ereignet.
Schön, wie es dir gelingt, das Alltägliche so wunderschön zu verpacken.
Besonders die Details helfen dabei, dass man sich in der GEschichte wiederfindet.
Manche Sätze gefallen mir besonders.

Sie überlebte.
Sie starb ein paar Monate später in ihrem Schlafzimmer, als mein Opa ihr Erdbeeren machte.

Klingt irgendwie zynisch, zeigt aber nur das wahre Leben.

Er arbeitete lange im Garten und wir halfen ihm beim Himbeerenpflücken.

Hier gefällt mir, dass das Helfen beim Himbeerpflücken sozusagen für alles steht, was man mit dem Opa verbindet.

Mein Großvater erledigte die „harte“ Arbeit, für die man sich bücken musste.

Anführungszeichen, außer die bei wrtl. Rede, stören meist beim Lesen von Geschichten.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hi WibiB!

Eine wirklich schöne Geschichte! Am Anfang war sie für mich persönlich ein bisschen langfädig zum lesen, nicht so flüssig. Aber das hat mich überhaupt nicht mehr gestört, nachdem ich den Schluss gelesen hatte :)! Den Schluss finde ich wirklich gelungen, er wiederspiegelt irgendwie etwas von der Vergänglichkeit, die uns überall im Leben begegnet.

Ich habe noch einen kleinen Rechtschreibefehler beim schnellen Durchlesen gefunden:

Wenn mein Bruder und ich zu besuch waren, benutzten wir die Leinen als Netz beim Federballspielen.

Besuch gross schreiben.

Weiter so :)!

Liebe Grüsse
Lune

 

Hallo WibiB!

Auch mir hat diese Erninnerung gut gefallen. Die liebevollen Details, die Du herausgreifst und schilderst, von Garten und Großeltern, machen den Text sehr lebendig als Rückblick.

"Sie wurde Operiert" - operiert klein.

"Ich bin nie auf den Sauerkirschbaum geklettert." - in diesem schlichten Satz steckt sehr viel drin. Eine simple Feststellung.

"Regelmäßig fahren wir zum Grab meiner Großmutter. Es ist so schön wie ihr Garten.
Manchmal fahren wir an dem Haus vorbei. Der schöne Garten hat dem Anbau platz gemacht"
- finde ich sehr glungen. Das Grab wird zum Garten, der Garten stirbt. Man kann richtig den Schmerz der/des Protagonisten/in herauslesen, obwohl er explizit nicht erwähnt wird.

Ein schöner, ruhiger Text...

schöne Grüße
Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo alle miteinander.
Schön das meine Geschite so gut ankommt.
Denn zum größten Teil sind es wirkliche Erinnerungen.
Die Schreibfehler hab ich verbessert, danke für die Tipps
Schöne Grüße an die Welt da draußen
Wiebke

 

Servus Wibi!

Eine sehr berührende Geschichte. Man denkt an die eigenen Tage der Kindheit in Gärten bei Verwandten, riecht den Flieder wieder. Du hast das alles sehr schön dargestellt, die unwiederbringlichen Momente eines Menschenlebens, die verloren Chancen den Baum zu erklettern, die alltägliche Handlung des Großvaters während seine Frau mit dem Blick auf den Baum zu atmen aufhört.

Hat mir wirklich gut gefallen.
Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hi Wiebke!
Eine schöne Geschichte, all die Erinnerungen. Am besten hat mir der Satz hier gefallen:

Ich bin nie auf den Sauerkirschbaum geklettert.
Wie Maus schon gesagt hat, es steckt so wahnsinnig viel in diesem einen Satz. Verpasste Chancen, Dinge, die man machen wollte, aber aus irgendeinem Grund fallen liess. Ich könnte mich glatt in den Satz verlieben. :D

Liebe Grüsse,
Manuela

 

Hallo Manuela,
danke für deine Kritik, diese Geschichte liegt mir sehr am Herzen, und ich freue mich darüber, dass du auf sie geantwortet hast.
Schöne Grüße
Wiebke

 

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