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Erinnerungen an sie

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11.03.2003
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Erinnerungen an sie

Erinnerungen an sie

Kristallklares Wasser sprudelte über die Steine hinweg. Zwischen winzigen Kieselsteinen suchte es sich seinen Weg. Die Sonne malte helle Reflexe auf die wirbelnde Wasseroberfläche. Glucksend umsprangen kleine Wellen eine Biegung des Wassers. Noch war das Wasser nichts weiter als ein Rinnsal, das sich schlängelnd seinen Weg durch einen lichten Wald suchte. Farne hingen vom Wind gebeugt am Ufer. Manch eines hatte eine leicht gelbe Färbung, die das Ende des Pflänzchens ankündete. Der schmale Streifen zwischen den Bäumen und dem Wasser war feucht und glitschig. Spuren längst gegangener Lebewesen waren zu sehen. Hie und da ein tieferer Abdruck eines schweren Tieres, das gemächlich vorübergelaufen war. Daneben die schmalen, weissen Stämme von zierlichen Birken, deren Blätter sich langsam lösten und goldgelb zu Boden fielen. Die Luft war erfüllt vom geschäftigen Treiben der Vögel, die sich nach Süden aufmachten und von den knabbernden Geräuschen flinker Eichhörnchen, die ihren Vorrat an Nüssen für den Winter anlegten.
Mitten in dieser Idylle der Natur sass still ein Mann. Er mochte kaum älter als dreissig Jahre sein. Ein vorüberhuschendes Eichhörnchen hätte ihn nicht bemerkt. Er sass da, die Augen ins Leere gerichtet, die Beine lose angewinkelt. Sein Gesicht war müde, seine Glieder schmerzten. Der Mann schien schon seit Ewigkeiten dazusitzen und nachzudenken. Ein gelbrotes Blatt löste sich und schwebte sanft zu Boden. Als es durch einen leichten Aufwind das Gesicht des Mannes streifte, vermeinte er die zärtliche Geste einer anderen zu verspüren. Durch einen Schleier sah er sie. Ihr Gesicht war weiss, rein. Sie lächelte. Es war das scheue Lächeln von jemandem, der nicht wusste, was er tun sollte. Doch sie streckte die Hand nach ihm aus – eine liebevolle Geste. So als wolle sie sagen: „Komm zu mir, ich vermisse dich schrecklich.“ Ihr Lächeln verschwand und machte einem traurigen Ausdruck Platz. Sie wich zurück. Die Erinnerung verblasste.
Er fand sich im Wald wieder. Noch immer hing der bittere Nachgeschmack dieser Erscheinung auf seinen Lippen. Er befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Sie fühlten sich trocken an. Seit wann hatte er nichts mehr getrunken? Doch er wagte es nicht, aufzustehen. Sie würde ihn verhöhnen. Eine einsame Träne rann ihm die Wange hinab. Sie suchte sich ihren Weg ebenso wie das Wasser. Einzelne Tropfen, die einen Strom ausmachten. Die Träne der tiefen Trauer. Der Wald war so friedlich – alles lief seinen gewohnten Gang. Doch sein Leben war für immer aus diesem Alltagstrott geworfen. Niemals wieder würde es so sein, wie es früher einmal gewesen war. Früher – in einem anderen Leben. Der Mann schloss die Augen. Ja, vorher war es wunderschön gewesen, einem Traum gleich. Gemeinsam mit ihr. Die Tage waren verronnen, mit ihr an der Seite durch einen blühenden und wundervoll duftenden Rosengarten.
Das Gesicht erstrahlte von neuem. Hell und leuchtend wie zuvor. Doch diesmal war es still. Keine Regung zeigte sich. Sie stand nur still da und beobachtete. Worte, längst gesprochen, ertönten erneut. „Du weisst, ich liebe dich. Vergiss das nie. Eines Tages wird einer von uns gehen und nie wieder zurückkehren. Doch die Erinnerung lebt weiter.“ Hell und zauberhaft erklangen diese Worte. Sie trösteten ihn. Seine Erinnerung an sie würde niemals verblassen. Niemals.

 

Hallo Marana,

als romantisch eher unbegabter Prakmatiker bin ich vielleicht nicht die Optimalbesetzung für eine Kritik, aber ich versuche es trotzdem ;)

Deine Geschichte hat sprachlich gefallen, schön kurz und trotzdem verspielt, viele gelungende Bilder, sehr detailreich ausgeschmückt. Manchmal bist du vielleicht ein klein wenig in Kitschige abgerutscht, aber nicht so, das es schmerzt ;)

Der melancholische Charakter des zweiten Teils bildet einen schönen Bogen zur Idylle am Anfang, gut finde ich auch die Art, wie du versuchst das Wasser im Metaphorischen Sinne einzubauen.

Das Ende und die Trauer des Mannes gehen aber leider ein wenig an mir vorbei.

Die verständliche Trauer des Mannes ist zwar nachzuvollziehen, aber offensichtlich hatte er eine äußert glückliche und erfüllte Beziehung. Er erinnert sich primär an diese Momente des Glücks, es wird mir nicht klar genug, warum er jetzt seit anscheinend einer halben Ewigkeit deprimiert im Wald sitzt.

Du Schreibst:

"Sein Gesicht war müde, seine Glieder schmerzten. Der Mann schien schon seit Ewigkeiten dazusitzen und nachzudenken."

An dieser Stelle habe ich mich gefragt, ja, aber über was? Klar, am Ende erfährt man, seine große Liebe ist gestorben aber so was passiert und normalerweise trauern Menschen nicht, indem sie wie eine Statue mitten im Wald verharren. War sie sein einziger Halt, oder war sie ein Moment des Glückes in einem eher deprimierenden Leben, oder, oder... ?

Warum hat ihn der Tot so stark getroffen, dass er defacto dort im Wald sich dazu entschloss, sein Leben zu pausieren, ja fast sich selber umbringen will? Er erwacht ja aus einer Art Trance um sich dann der positiven Aspekte zu erinnern und so ins Leben zurückzufinden - zumindest verstehe ich das jetzt mal so ;)

:teach:

Kleinere Anmerkungen:

  • Oft benutzt du relativ kurze Sätze (ist ja Mode). Hier stört mich persönlich diese Kürze mich aber eher, sie passt irgendwie nicht zu den verliebten, detailreichen und ausufernden Bildern die du zeichnest. Vielleicht wären hier ausnahmsweise Komma- und Bindesätze stimmiger.
  • Das häufige Auftreten des Wortes Wasser ist ein bisschen zu viel des Guten, die an und für sich gelungene Wassersymbolik wird dadurch ein wenig überstrapaziert.
  • Rechtschreibung, ss / ß : „Ihr Gesicht war wei-ß, rein“, „In der Stille sa-ß …“
  • „Ein vorüberhuschendes Eichhörnchen hätte ihn nicht bemerkt.“ – Der Satz bringt irgendwie nicht rüber, was du sagen willst.
  • “Die Luft war erfüllt von [Geräuschen]“ – finde ich ein komisches Bild.
Ich freue mich auf deine nächste Geschichte, schon diese hier war sehr angenehm zu lesen und macht Lust auf mehr :)

Liebe Grüße,

Thomas

 

Hoi Mäni

Wow, deine Sprache ist sowas von bildgewaltig. Du beschreibst sehr detailreich und genau, und zwar so, dass man sich alles genau vorstellen kann.
Was ich nicht ganz kapiere: Wieso würde sie ihn verhöhnen, wenn er aufstehen würde?
Und siehst du? Lune ist nicht die Einzige, die deine Geschichte gut findet.

Liebe Grüsse
Sandra

@ThomasSD
Bei uns in der Schweiz (auch Marana ist Schweizerin) gibt es das Doppel-S nicht. Es existiert nicht mal auf der Tastatur :-)

 

Hi ihr beiden!
Es freut mich, dass euch die Geschichte so gut gefallen hat! :bounce:

@ThomasSD:
Er überlegt einfach an allem herum, was er mit ihr erlebt hat. Er ist der Natur sehr verbunden und zieht sich deshalb in den Wald zurück, dort ist es ruhig, auch eventuelle Störungen durch andere Menschen, tröstende Worte von Freunden, kann er so "verhindern".

Danke, wegen der Wortwiederholungen. Scheint mein grosses Problem (bzw. eines davon) zu sein. Werde ich ändern sobald ich genug Zeit habe.

@Sandra:
Merci, dass Du mir bereits die "Arbeit" mit dem Doppel-S abgenommen hast. :)
Sie würde ihn vermutlich nicht verhöhnen. Aber er sich selbst. Er meint, nicht stark genug zu sein, wenn er aufstünde.


So, ich wünsche euch einen schönen Abend!

Liebe Grüsse,
Marana

 

Mensch, wieder mal eine klasse Geschichte von dir.
Auch ich bin beeindruckt, wie gut du Bilder in mein Gehirn zaubern kannst.
Schöne Geschichte
Wiebke

 

Danke, Wiebke, dass Du meine Geschichte gelesen hast und sie gut findest!

Liebe Grüsse,
Manuela

 

Hallo Marana,
traurig schön, deine Geschichte.:)

ich kann gut nachvollziehen, warum dein Prot. im Wald die Erinnerung sucht. (Vielleicht hatten sie auch schöne gemeinsame Stunden dort) ein ruhiger Wald ist für meinen Geschmack ein wunderschöner Zufluchtsort.

Nur etwas störte mich,

Zitat:
Eine einsame Träne rann ihm die Backe hinunter.

Backe???? ich finde Wange schöner

oder sagt man das in der Schweiz so? ;)
LG
Goldene Dame

 

Hi Goldene Dame!
Danke für Deinen positiven Kommentar!

Hm, Du hast Recht, das ist wohl ein schweizerdeutscher Ausdruck! Habe es schon korrigiert. Danke!

Liebe Grüsse,
Marana

 

Hallo Marana,

auch mir gefällt die Atmosphäre deiner geschichte, der fast klassische aufbau einer wunderbaren umgebung in der sich etwas sehr trauriges abspielt....

ich möchte mich aber auch thomas anschließen....zu seinen anmerkungen zum wasser und zur leichten (fast kitschigen) übertreibung..

dass er im wald sitzt kann ich sehr gut nachvollziehen.. gerade in momenten großer trauer zieht es doch viele menschen in die natur und zur stille und ruhe..ganz allein zu leiden...das fand ich prima..

viele grüße, streicher

 

Hi Streicher!
Danke für Deine Kritik!
Ja, Du hast Recht, zum Teil ist es ein bisschen sehr kitschig. :) Ich werd' mich bei Gelegenheit mal dahinterklemmen und all zu kitschige Sätze ermorden und in einem Schreibtischecken vergraben :D

Liebe Grüsse,
Marana

 

Hallo Marana,
kann mich meinen Vorrednern nur anschliessen, einfühlsame Geschichte mit sehr schönen Formulierungen,die beim Lesen wunderschöne Naturbilder vor meine Augen gezaubert haben.
Ich finde, solche Geschichten vertragen gut ein gesundes Mass an "Kitsch".
LG
Blanca

 

Hallo Sylvia!
Danke auch Dir für Deine Kritik!
Du findest nicht, dass sie an manchen Stellen etwas zu kitschig wirkt?

Liebe Grüsse ins hoffentlich sonnige Spanien!
Manuela

 

Hallo Manuela,
Nö, ich finde das passt schon zu den schönen Formulierungen. Andere mögen es vielleicht anders sehen, aber ich mag eben gerne solche bildhaften Formulierungen.
Lg aus dem sehr sonnigen Spanien (*schwitz*)
Sylvia

 

:)
Danke noch mal!
Du kannst gerne ein bisschen von der Kälte hier haben. (*dieKältenachSpanienschick* ... Na, angekommen? :D)

Liebe Grüsse,
Manuela

 

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