Erin
Wir waren auf dem Weg nach Ungarn, die Sonne schien und wir hatten gute Laune.
Erin saß am Lenkrad und fuhr entspannt irgendeine Landstraße entlang. Wir
hatten uns verfahren, aber das war egal. Irgendwann würde uns schon wieder ein
Straßenschild eine grobe Idee geben, wo wir uns befanden und wie viel Zeit wir
noch brauchen würden. Wir hatten Semesterferien und ewig Zeit. Es war Ende
Juli. Im Oktober gingen die Vorlesungen wieder los. So viel Sommer lag vor uns.
Wir redeten über
die Uni und einen unserer Professoren. Erin wollte ihre Abschlussarbeit bei ihm
schreiben. Über Zeit. Zeit in unserer Gesellschaft. Wie das Warten uns
verändert.
Eigentlich war das lächerlich. Ich kannte niemanden, der weniger auf andere
wartete, als Erin. Sie ließ warten. Sie war die, die immer zu spät kam. Aber es
machte keinem etwas aus. Man verbrachte gerne noch fünf Minuten länger allein
im Café wenn man wusste, dass Erin nur wenig später mit einem Lächeln
hereinstürmte und sich ausschweifend entschuldigte. Anschließend würde
sie davon erzählen, wie schön ihr Tag bisher war, welche tollen Menschen sie
getroffen hatte und was zur Hölle sie jetzt noch mit den restlichen Stunden
des Tages anfangen sollte. Irgendetwas Besonderes, nichts Langweiliges. Auf
keinen Fall gewöhnlich sein. Dann lieber sterben.
Ihre Energie war ansteckend und ich ertappte mich immer öfter dabei, wie ich
sie dafür nicht nur bewunderte, sondern mir auch wünschte, genauso zu sein. Ich
wollte diese roten Haare haben und diese Fähigkeit, jeden zu verzaubern, wenn
ich den Raum betrat. Ich wollte so schlank sein wie sie, ihre leicht
gebräunte Haut haben. Aber am meisten wollte ich, dass mich jeder liebte, so
wie er Erin liebte.
Jetzt hier auf der Landstraße waren wir alleine. Wir redeten seit Langem einmal
wieder, ohne dass sich Kommilitonen oder Freunde einmischten und Erin danach
fragten, was sie gleich noch unternehmen würde oder ob man sie abends auf
irgendeiner angesagten Party sieht.
Es tat gut, so in Ruhe gelassen zu werden. Wir
konnten über alles reden. Ihr Zauber ging nur auf mich über, es war ein
erhebendes Gefühl.
Sie warf ihren Kopf zurück und lachte laut auf.
``Und ich sage zu ihm: Gut, aber nur wenn ich das Thema selbst bestimmen kann.''
``Also hast du ihn gar nicht gefragt, ob du bei ihm schreiben kannst, sondern
er dich?''
Unser Professor war nicht besonders alt, vielleicht zehn Jahre trennten uns von
ihm. Dass Erin ihm gefiel, hatte ich schon vermutet. Abgesehen davon, dass sie
eigentlich jedem gefiel, hatte ich bemerkt, wie er sie ansah, wenn sie eine
ihrer linken Thesen in seinem Seminar vertrat. Während sie von
Chancengleichheit und höheren Steuern für Reiche sprach, sah er sie an wie eine
seltene Blume. Wie jemanden aus einer anderen Zeit, der in einer Parallelwelt
lebte, in der man noch alles gut machen und alle Kriege und Konflikte lösen
konnte. Er war verzückt von ihren Ansätzen und teils naiven Ideen. Sie hätte
auch gar nicht reden können, er hätte ihr auch so zu Füßen gelegen. Mit diesen
Vermutungen hatte ich also recht gehabt. Nach der letzten Veranstaltung vor
den Semesterferien hatte er in der Nähe des Hörsaals auf sie gewartet und sie
gefragt, ob sie bei ihm ihre Abschlussarbeit schreiben wolle. Ihre Vorstellung
einer gerechteren Gesellschaft sei sehr anregend. Ob sie das nicht vertiefen
möchte? Er könne ihr eine sehr gute Betreuung bieten und würde sich freuen,
wenn sie ihre Masterarbeit bei ihm schreiben würde.
``Ich meine, ich kann ja jetzt nicht einfach alles zusammenfassen, was ich im
Seminar schon erzählt habe. Das wird doch langweilig'', sie gestikulierte wild
mit der rechten Hand, ehe sie mit ihr wieder ans Lenkrad griff.
``Marx, Engels - die hatten alle schon diese Themen. Ich will was Neues
machen''. Mein Blick fiel auf ihre Ohrringe mit den roten Federn. Sie hatte sie
selbst gebastelt, eines ihrer zahlreichen Projekte. Demnächst wollte sie
Stricken lernen, sie hatte schon Wolle und Stricknadeln gekauft. Jetzt musste
sie nur noch wissen, was sie stricken wollte.
Wir fuhren und fuhren, es wurde vier Uhr und immer heißer. Um uns herum
stand der Weizen hüfthoch, und es schien, als hätten wir ewig so weiterfahren
können. Es wäre immer das gleiche Bild gewesen. Wir in dem kleinen roten Polo,
der Weizen und die Sonne. Es war perfekt.
``Er war also damit einverstanden, dass du ein anderes Thema nimmst?'', fragte
ich nach einer längeren Pause, in der wir beide nur die Natur um uns
beobachtet hatten. Ich kannte die Antwort zu der Frage bereits.
Natürlich war er damit einverstanden. Er wollte Kontakt zu ihr halten, noch
weiter mit ihr zu
tun haben. Da hätte sie auch über Affen oder Mathematik schreiben können und
nicht über kulturelle Phänomene. ``Naja, begeistert war er nicht, du kennst ihn
ja'', sie sah grinsend zu mir
auf den Beifahrersitz. ``Aber ich hab ihm erklärt, dass es nur so geht, weil
ich sonst einfach zu Frau Doktor Ellmann gehe, die freut sich über jeden, der
bei ihr schreiben möchte. Mit jeder betreuten Arbeit etabliert die sich doch
weiter in diesem Uni-Zirkus''.
Auch das war Erin. Sie wusste es. Wenn ich mich für schlau hielt, weil
ich ihre Verehrer, und waren sie auch noch so heimlich, enttarnte, so war sie
schon einen Schritt weiter. Sie suchte sich diejenigen aus, die ihr verfielen.
Und wenn sie jemanden wollte, dann bekam sie ihn auch. Als unser Professor zum
ersten Mal in unserem Seminarraum stand und uns begrüßte flüsterte sie mir ins
Ohr: ``Der ist schön. Hast du seine Hände gesehen? Groß und stark, groß und
stark''.
Vor drei Semestern lernte ich sie kennen. Damals hatte ich nicht geglaubt,
dass sie Interesse an mir
hätte. Zwei Semester später hatten wir uns angefreundet. Aber ich würde lügen,
würde ich behaupten, es sei eine gleichberechtigte Freundschaft gewesen. Ich
ordnete mich unter, war froh, dass ich Zeit mit ihr verbringen durfte. Ihren
Charakter kannte ich trotzdem nicht besser als andere. Ich wusste nur,
wie sie mit ihnen umgehen würde. Ihre echten Gefühle zeigte sie mir
in meiner Gegenwart trotzdem nicht. Mein einziger Vorteil gegenüber den anderen
war, dass
ich wusste, was mit mir passieren würde. Nach einer wunderbaren gemeinsamen
Zeit würde sie mich entsorgen. Wie das Basteln mit Federn war ich ein
kurzweiliger Zeitvertreib. Bald käme das Stricken oder Nähen oder was auch
immer. Alles andere wäre ihr doch sowieso zu langweilig. Ich fühlte mich
sicherer, weil ich das wusste. Ich wäre nicht verletzt wie alle anderen, wenn
Erin und ich nicht mehr befreundet wären. Das gab mir doch das Gefühl, ihr ein
wenig ebenbürtig zu sein.
``Ich bin das Fahren leid. Lass uns einen Platz suchen, an dem wir die Nacht
verbringen können.'' Ich nickte und sah mich um. Querfeldein waren ein paar
Bäume zu sehen. ``Vielleicht da hinten bei den Bäumen? Da werden wir nicht
direkt gesehen und haben unsere Ruhe''. Erin lachte: ``Du kleiner Schisser,
seit drei Stunden haben wir hier keinen gesehen und du machst dir Gedanken
darum, dass die uns wegschicken mit unserem Zelt'', sie holte kurz Luft und
bog urplötzlich nach rechts ab. ``Aber du hast recht. Unter Bäumen schläft es
sich besser''. Wir fuhren im Schritttempo über den unbefestigten Weg, über den
sonst nur Traktoren die einzelnen Felder erreichten. Ich wackelte von links
nach rechts, ab und an schlug ich mit dem Kopf gegen die Autotür. Erin grinste
vor sich hin: ``Ganz schöne Ruckelpartie, nicht?''
Die Bäume, die wir aus der Entfernung gesehen hatten, waren nur die
kümmerlichen Vorboten eines riesigen Waldes, der sich hinter ihnen erhob
und über einige Kilometer zu erstrecken schien. Wir fuhren etwas an den Wald
heran, bauten unser Zelt aus Angst vor wilden Tieren aber in sicherer
Entfernung auf. Es war wunderschön. Wir alleine mit unserem Zelt, die Sonne
bewegte sich langsam Richtung Horizont. Ich holte den Campingkocher und eine
Dose Ravioli, Erin breitete eine Decke vor dem Zelt aus und ging zum
Kofferraum, in dem noch einige Flaschen Bier lagen. Wahrscheinlich waren sie
lauwarm.
``Wenn sich die Flasche schon wärmer anfühlt, als die Luft drumherum, dann
kocht das Bier bestimmt'', die zwei Flaschen in ihrer Hand klirrten sachte
gegeneinander, als sie die zehn Meter über den unebenen Weg zu mir
herüberstolperte. Sie lächelte und ließ sich neben mich fallen, warf ihren Kopf
zurück und schaute in die Sonne. ``Schön, nicht? Selbst ein warmes Bier macht
uns diesen Moment nicht kaputt''. Sie öffnete die Flaschen mit dem Löffel des
Campingbestecks, ich versuchte derweil mit einem Messer die Dose Ravioli
aufzustechen. Sie gab mir ein Bier und nahm mir das Messer weg. ``Du bringst
dich noch um damit. Ich mache das gleich. Jetzt trink erstmal einen Schluck''.
Wir stießen an. Es schmeckte abscheulich. Wir lachten. ``So, und jetzt die
Dose. Ich mach das schon'', sie sprang auf und verschwand mit den Ravioli
hinter dem kleinen roten Auto. Quasi direkt kehrte sie mit einer aufgeklappten
Dose zurück. ``Wie hast du das gemacht?'' fragte ich sie etwas irritiert. Erin
konnte alles, nur mit Kraft und Werkzeug arbeiten, das lag ihr nicht. Die
Heringe musste ich in den Boden schlagen und wieder herausziehen, Deckel
von Gläsern aufzudrehen gelang ihr ebenso wenig, wie schwere Türen zu
öffnen. Erin war für filigrane Arbeiten gemacht. Nicht für das
Dosenöffnen. Sie grinste: ``Mein Vater hat im Kofferraum so ein Universalgerät.
Du weißt schon, Flaschenöffner, Korkenzieher, Schraubendreher - und eben auch
ein Dosenöffner.'' ``Ja, und das sagst du mir erst jetzt? Wir sind seit einer
Woche unterwegs und ich mühe mich jeden Tag mit dem doofen Messer ab''. Es
machte mich wirklich etwas wütend. Gestern erst hatte ich mir wieder in die
Hand geschnitten. Seit wir losgefahren sind, klebte jeden Tag ein Pflaster
auf einer neuen Stelle an meiner Hand. ``Es ist mir eben erst wieder
eingefallen, als ich das Bier geholt habe. Papa hat das Ding in so einem
Seitenfach mit Kabelbinder befestigt. Er hat echt einen Haufen Sachen da drin.
Bei den meisten will ich gar nicht wissen, wofür er die brauchte'', sie ließ
sich neben mich auf die Decke fallen, ohne zu reden aufzuhören:
``Haken, Kabelbinder, Messer'' - ``Dein Vater war Jäger, Erin. Er brauchte das
alles wahrscheinlich um'' - ``Genau. Los, schmeiß den Kocher an, ich möchte
vegetarische Ravioli essen und nicht an das Abschlachten von Tieren denken''.
Die Ravioli waren scheußlich. Vermutlich schmeckt alles, was man vier Tage
hintereinander isst, scheußlich. Trotzdem fühlte ich mich warm und satt. Wir
lagen auf dem Rücken und starrten in den Himmel. Noch konnten wir die Wolken
beobachten, doch bald würde die Sonne komplett verschwunden sein. Erin streckte
die Beine nach oben und begann zu strampeln, so als säße sie auf einem Rad.
Plötzlich warf sie sich auf die rechte Seite, drehte sich auf den Bauch und sah
mich herausfordernd an: ``Ich will rauchen!'' Sie sprang auf, lief wieder zum
Wagen und öffnete die Beifahrertür. Sie setzte sich in das Auto und begann
vermutlich, einen Joint zu drehen. In den nächsten fünf Minuten würde sie
dort alleine sitzen, den Rauch ansehen und sich etwas überlegen. Sobald ihr
etwas einfiel, wäre sie auf dem Weg zu mir, würde mir die restliche Tüte in
die Hand drücken und mir von ihrem großartigen neuen Plan erzählen. Ich
richtete mich auf und räumte die Überreste unseres Essens zusammen. Zwei Löffel
in einer Konservendose. Ich stellte sie von der Decke. Hinter mir hörte ich
Schritte, Erin reichte mir den kümmerlichen Rest ihres vormals
stattlichen Joints über die Schulter und ich überlegte kurz, ob er nicht
zu heiß würde, wenn ich daran zöge. Ich tat es trotzdem und der warme Qualm
füllte meine Lungen. Ich atmete noch einmal tief ein, warf meinen Kopf in den
Nacken und blies den Rauch nach oben aus. Die Sonne war weg, der Himmel
rötlich. Es war immer noch wunderschön.
In den nächsten zwei Stunden erzählte Erin mir von diesem Festival, was auf
einer der Donauinseln in Budapest stattfand und eine Woche dauerte. Sie hatte
von Bekannten gehört, dass es kein Problem sei, vom Stadtufer bis zur Insel zu
schwimmen und so die Kontrollen und Kassen zu umgehen. Man musste nur einen Tag
früher dort sein und nachts im Dunkeln einen Moment abpassen, an dem nicht
viel los und die Security mit sich selbst beschäftigt war. Wenn jede von uns
einen Müllsack mit ihren Sachen füllte und ihn gut verknotete,
könnten wir alles mit einem Mal hinüber schaffen. Einmal auf der Insel
brauchten wir nur noch Geld, um uns dort zu verpflegen. Oder wir klauten. Oder
ließen uns etwas ausgeben. Falls es ganz schlecht lief, könnten wir immer noch
gehen. Erin hatte fünf Minuten lang überlegt und dann eine Stunde
enthusiastisch von ihrer Idee erzählt. Solange man ihr nur zuhörte und nicht
nachdachte, klang es fantastisch. Vor allem, wenn Erin dazu
gestikulierte, sich im Kreis drehte und mit Begeisterung Lieder der Bands
sang, die sie bald auf dem Festival sehen sollte.
Ich hörte ihr zu und trank Bier. Nach dem dritten fühlte ich mich ein wenig so
wie Erin - motiviert und stark. Als könne mich nichts davon abhalten, durch
die halbe Donau zu schwimmen und wie ein Flüchtling mit nichts als einem
Plastiksack auf der Schulter an Land zu gehen. Ich hatte Lust auf Musik und
auf kaltes Bier. ``Wenn wir morgen dreihundert Kilometer fahren, könnten wir
abends schon da sein. Dann hätten wir noch einen ganzen Tag, an dem wir eine
gute Stelle am Ufer suchen können, von der aus wir abends starten - das wird
aufregend'', Erin rannte wieder zum Auto, drehte den nächsten Joint. ``Bring
ihn her'', rief ich. Sie war es gewohnt, dass ich sie in Ruhe rauchen lasse.
Doch sie hatte mich mit ihrer Euphorie angesteckt, ab jetzt wollte ich alles
tun, was sie tat, damit wir weiter gleich blieben in unserer Begeisterung. Ich
wollte nicht wie die letzten Tage nur neben ihr sitzen und zuhören, was sie zu
sagen hatte. Ich wollte mitmachen, an ihren Ideen mitwirken und nicht einfach
nur alles abnicken und bestaunen, was sie erzählte. Sie streckte den Kopf vor,
sah kurz zu mir herüber und murmelte etwas, was wie ``klar'' klang.
``Ich bleibe dabei, es macht am meisten Sinn, direkt einen Parkplatz zu
suchen, wenn wir abends in Budapest ankommen. Dann suchen wir noch in der
gleichen Nacht einen Platz am Ufer, verbringen den Tag dort und schwimmen
nachts rüber. Bam!'' Ich klatschte in die Hände und lachte laut. Erin stimmte
mit ein und wuschelte mir durch die Haare. Wir saßen uns auf der Decke
gegenüber, beide im Schneidersitz. Neben uns lagen mittlerweile nicht nur
Bierflaschen, sondern auch zwei leere Tetrapaks Weißwein. Ich war wirklich
betrunken und fühlte mich benebelt. Das Rauchen des Joints machte mich hungrig,
aber alles was wir hatten, waren Ravioli, also trank ich. Ich wusste nicht, wie
lange ich so noch durchhalten würde, doch bis jetzt ging es mir mit jedem
Schluck besser. Erin und ich lachten und planten unseren
Einbruch auf das Festivalgelände und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, sie
so zu sehen, wie es selten jemand tat. Ich war jetzt allen ein Stück voraus.
Ich wusste nicht nur, dass sie nicht lange mit jemandem zusammen sein konnte,
egal, wie sehr man sich bemühte, sondern ich war mit ihr jetzt gerade allein.
Ich saß mit ihr bekifft und betrunken auf einer verdammten Picknickdecke und
redete mit ihr. Es war der intimste Moment, den ich seit langer Zeit mit jemand
anderem hatte. Und als sie begann, über ihren toten Vater zu sprechen, dachte
ich, dass es für sie mindestens genauso lange her war.
``Er hat nie viel mit mir gesprochen. Ich glaube, meine Mutter hat ihn auch
schon lange nicht mehr verstanden. In der letzten Zeit war er eigentlich gar
nicht mehr bei uns zu hause. Nachts war er weg, kam morgens zurück und hat dann
in seinem Auto in unserer Garage geschlafen. Es roch immer nach Alkohol'', Erin
machte sich daran, den dritten Joint zu drehen. Ich glaubte nicht, dass sie ihn
rauchen wollte. Ich dachte sie tat es, damit ihre Finger eine bestimmte Aufgabe
hatten. ``Wisst ihr, wo er nachts war?'' ``Puff. Oder in irgendeiner Kaschemme.
Frauen aufreißen. Ich bin ihm ein paar Mal nachgefahren. Es war deprimierend'',
sie rollte einen Pappstreifen zu einem Tipp zusammen. Dann begann sie, Tabak
auf das Paper zu streuen. ``Ich weiß nicht, was er wirklich für ein Problem
hatte. Er hat's halt einfach weggefickt. Ist meine Theorie''. Vor einem halben
Jahr hatte ein Jogger ihn im Wald gefunden. Er hatte sich mit einem Jagdgewehr
erschossen. ``Ein Wunder, dass er das genommen hat. Er hatte so viel Auswahl
und das war mit Abstand das unhandlichste Ding, was er hätte nehmen können'',
sagte Erin immer wieder. Damals, vor einem halben Jahr, verstand ich das noch
nicht. ``Er war Jäger'', sagte sie da. Ungefähr in dem Moment hatte sie mich
als
Freundin ausgesucht. Ich hab es nur viel später kapiert, als ich mich ihr nicht
mehr entziehen konnte.
Sie legte den fertig gedrehten Joint zur Seite, atmete einmal tief ein,
lächelte mich an und sagte: ``Und jetzt ein anderes Thema - wann hattest du das
letzte Mal Sex?'' Ich verschluckte mich fast an meinem Wein und musste husten.
``Was?'' Erin amüsierte sich prächtig über meine Reaktion und wiederholte ihre
Frage und ich überlegte kurz, ehe ich antwortete: ``In Spanien. Vor einem Jahr
oder so.'' ``Und, wie war's?'' ``Ich weiß nicht mehr. Gut, glaube ich. Ich
glaube ganz gut, ja.'' Ich log sie an, damit sie nicht weiter nachfragte.
``Und wo?'' ``Warum willst du das alles wissen?'' ``Keine Ahnung, interessiert
mich halt. Also sag.'' ``Nun ja, auf einem Hausdach. Oben. Erst haben wir
gekifft, dann hat sich das so ergeben. Irgendwie.'' ``Wie hieß er?'' ``Marc.''
Sie griff zufrieden zu der Tüte und zündete sie nun doch an. ``Na los'', sagte
sie während sie das Feuerzeug beiseite legte, ``frag mich''. Es verunsicherte
mich, dass sie mir davon erzählen wollte. Normalerweise prahlte sie nicht mit
solchen Geschichten, obwohl sie durchaus damit hätte angeben können. ``Also
gut. Wann hattest du das letzte Mal Sex?'' Sie lächelte zufrieden: ``Weißt du
noch, wie er mir gesagt
hat, er betreue meine Masterarbeit gerne und ich könne immer mit ihm
Rücksprache halten?'' Ich nickte. ``Ich bin also einmal abends zu ihm hin, um
Rücksprache zu halten'', sie grinste. ``In sein Büro?'', fragte ich. Sie zog an
dem Joint und nickte. ``Und wann war das?'', wollte ich wissen. ``Kurz vor den
Semesterferien.'' ``Erin, das ist irgendwie krass. Ich meine, er ist dein Dozent. Er muss dich noch
benoten.'' Sie zog die Schultern hoch. ``Na und? Es war gut. Er hat so schöne
Hände, weißt du''. Sie gab mir die Tüte, ich zog daran und mir wurde
augenblicklich schlecht. Ich sprang auf, torkelte ein paar Meter und übergab
mich auf das Feld. Der säuerlich-süße Wein ergoss sich über die trockene Erde
und meine Turnschuhe. Erin hörte ich lachen.
Als sie fertig geraucht hatte, kam sie zu mir ins Zelt und wünschte mir eine
gute Nacht. Wir lagen beide nebeneinander auf dem Rücken und starrten nach
oben. Die Nacht war hell. Es fiel mir schwer, meine Augen zu schließen und mich
auf's Schlafen zu konzentrieren. Hinzu kam ein leises metallisches Kratzen, das
in unregelmäßigen Abständen an mein Ohr drang. Vielleicht hat es eine Stunde
gedauert, bis ich mit dem Geschmack von Salzsäure
im Mund einschlief.
Erin schnarchte leise, als ich wach wurde. Ich öffnete meinen Schlafsack und
krabbelte aus dem Zelt. Ein leichter Nebel lag über dem Feld. In meinem Kopf
pochte es und meine Kehle erinnerte mich daran, dass ich gestern gekotzt habe.
Ich ging zum Auto und holte eine Flasche Wasser. Während ich trank, inspizierte
ich unser Gelage von gestern Abend. Sieben Flaschen Bier, insgesamt ein Liter
Weißwein, etliche Kippen und natürlich die Dose Ravioli mit den zwei Löffeln.
Ich stellte die Wasserflasche ab und wollte gerade die Löffel aus der Dose
nehmen, um sie abzuwaschen und sie zusammen mit den Tetrapaks und Flaschen
in den Müllsack zu stopfen, als ich das Blut sah. Ich bückte mich, um besser
hineinschauen zu können. Eine graue Maus lag darin. Das musste das Geräusch
letzte Nacht gewesen sein. Vielleicht hatte sie die Essensreste
gerochen und war hineingeklettert. Jetzt war sie kalt und lag auf den zwei
Löffeln, die Erin und ich gestern nach dem Ravioli-Essen in der Konserve
hatten liegen lassen. Der Schwanz hing ein Stück heraus und lag auf der Erde.
Sie hatte die Dose umgeworfen, war hineingekrabbelt,
hatte die Ravioli-Reste aufgefressen und sich danach den Hals an der scharfen
Öffnung aufgeschnitten.
Und jetzt lag sie, den Kopf am Boden der Dose, tot in roter Tomatensoße und
ihrem eigenen Blut. Widerlich. Und seltsam. Irgendetwas störte mich an ihrem
Anblick, denn ich wusste, dass es so nicht gewesen war, nicht
so gewesen sein konnte.
Trotzdem tat ich nichts. Im Gegenteil. Ich nahm die Dose, ging zum Feld,
schüttelte die tote Maus heraus und warf die Dose in den Müllsack. Erin ekelte
sich doch vor toten Tieren.
Für die Strecke bis Budapest brauchten wir länger, als geplant. Ich erzählte
ihr nichts von der Maus. Tatsächlich redeten wir nicht viel. Ich hatte einen
schrecklichen Kater und vermutete, dass es Erin genauso ging. Schon beim
Zeltabbau sprachen wir kein Wort miteinander, sondern erfüllten beide unsere
Aufgaben. Ich quetschte die Schlafsäcke in ihre kleinen Hüllen, Erin
verstaute sie im Auto. Als ich mich daran machte, die Heringe
herauszuziehen, beobachtete ich aus dem Augenwinkel, wie sie an der linken
Ecke des Zeltes vorsichtig ihren Fuß auf einen Hering setzte und ihn langsam
mit der Fußspitze tief in den Boden drückte. Ich meinte, mich geirrt zu
haben. Der
Alkohol war noch immer da und würde mich wahrscheinlich bis heute Abend
begleiten. Ich zog also weiter Heringe, Erin ging langsam auf der anderen Seite
des Zeltes entlang und in Richtung Picknickdecke, die sie anschließend
zusammenlegte. Als ich mich auf die andere Seite des Zeltes vorgearbeitet
hatte, rieb ich mir die Augen, um klarer zu sehen. Natürlich half es nicht und
ich starrte auf die Heringe, die alle bis zur Krümmung im Acker steckten.
Rundherum war der Abdruck von Erins Sneakern zu
erkennen. Ich hatte also richtig gesehen. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Mit Erin stimmte
etwas nicht. Ich griff in den kleinen Plastikbeutel, nahm einen Hering heraus und zog mit ihm die vier Haken
aus dem Boden. Es war nicht leicht und meine Hände taten mir weh, besonders an
den Stellen, die ich mir in der vergangenen Woche mit dem Messer eingeschnitten
hatte, bei dem Versuch, Konserven zu öffnen. Vor allem der letzte Hering saß
fest und tief in der Erde. Ich hockte mich vor ihn, zog mit aller Kraft daran
und fiel hintenüber, als er sich letztlich doch noch löste. Erin hörte ich
lachen.
Im Auto sprachen wir nur
das Nötigste, ich las die Karte und gab Anweisungen, Erin fuhr und rauchte.
Selbst das Wetter schien grauer zu sein, als gestern. Ich beobachtete sie
dabei, wie sie ab und zu an ihr rechtes Ohr griff und an ihren Ohrringen zog.
Erst war es nur ein vorsichtiges Darüber-Streichen. Doch mit jeder Stunde, die
wir im Auto verbrachten, zog sie fester an den Federn. Zunächst ein
bisschen, dann sogar so sehr, dass das Ohrläppchen sich verformte und länger
wurde. Sogar das Ohrloch war nun kein schwarzer Punkt mehr, sondern ein kurzer
Strich.
Je näher wir der Stadt
kamen, desto mehr Backpacker standen am Straßenrand, hielten einen Daumen und
Schilder hoch, auf denen ``Sziget'' stand. Offenbar wollten sie alle zu dem
Festival. Viele hatten die Idee gehabt, früher in die Stadt zu kommen. Erin
wirkte selbst jetzt, fast 24 Stunden nach unserem Besäufnis im Feld, sehr
unzufrieden. Die gute Laune von gestern war komplett verflogen, sie fluchte
über die vielen Ampeln in der Stadt und die Punks, Hippies und sonstigen
alternativen Leute, die sich alle die Donauinsel als Ziel gesetzt hatten. Als
sie eine Gruppe Jugendlicher geradezu von der Straße hupte, hielt ich es nicht
mehr aus: ``Erin, was ist los mit dir? Wieso bist du so aggressiv?'' Sie fuhr
an den Straßenrand, drehte den Schlüssel und zog die Handbremse an. Der Motor
verstummte. ``Was?'' Sie sah mir tief in die Augen, nicht belustigt oder
amüsiert, sondern voller Wut. ``Na los, Mika, was willst du von mir?'' ``Na,
dass du wieder normal bist! Dass du wieder Erin bist! Ich erkenne dich nicht
wieder, du hupst Leute von der Straße, fluchst die ganze Zeit, was ist los?''
``Was los ist? Was willst du? Dass ich gut gelaunt den ganzen Versoffenen winke
und ihnen anbiete, sie mitzunehmen?'' ``Zum Beispiel, ja!'',
schrie ich ihr ins Gesicht.
``Gut'', sie startete den Motor, ``okay, wie du willst.'' Sie fuhr ihr
Seitenfenster herunter und rief einer jungen Frau in Schlaghose und mit
Batikshirt auf Englisch zu, dass sie sie ein Stück mitnehmen kann. Die Blonde
freute sich und warf ihren Rucksack in den Kofferraum. Ich krabbelte auf die
Rücksitzbank, damit sie sich vorne setzen konnte. ``Hi, I'm Rebecca. It's my
first time here in Budapest. No idea, where I am. Thank you so much for picking me
up.'' ``You're welcome'', murmelte Erin und fuhr langsam weiter.
Wir waren kurz vor unserem Ziel. Wir wollten vor einem Supermarkt parken und
von dort aus das Ufer ansehen. Mittlerweile, ohne Erins Euphorie, zweifelte ich
daran, ob wir wirklich durch die Donau bis zur Insel schwimmen konnten. Es war
gut, dass wir vor ein paar Kilometern Rebecca mitgenommen hatten. Sie redete
viel und erzählte eine Menge von ihrer Weltreise. Zumindest mit ihr konnte ich
mich unterhalten. Erin sagte kein Wort. ``So, that's how i got to Hungary.
Funny, isn't it?'' Ich stimmte ihr zu. Irgendwie war sie über Spanien und
Italien aus den USA hierhin gelangt, wollte aber auch noch
Österreich ansehen. ``You have to visit Austria, I have family in Vienna, you
can always stay with them'', sagte ich und ein kleiner Anflug der gestrigen
Euphorie überkam mich. Ich lächelte zum ersten Mal an diesem Tag und
tatsächlich fühlte ich mich ganz glücklich. Rebecca schien zufrieden
zu sein mit meiner Antwort.
``Listen, I would love to have a cigarette now. Would you mind stopping by this
tobacco store over there?'' ``Not at all'', antwortete Erin abgehackt und fuhr
direkt rechts ran. Rebecca stieg aus. ``Du bist echt nicht nett zu ihr'', sagte
ich. ``Ist mir egal. Was ist das überhaupt mit deiner Familie in Wien und so eine Scheiße?
Willste dich bei ihr einschleimen oder was?'' Ich hatte Erin noch nie so
aggressiv und böse erlebt. Sie schien komplett aufgebracht zu sein.
Sie krallte ihre Hände in das Lenkrad und schrie mich an. ``Erträgst du es
nicht mehr, mit mir allein im Auto zu sitzen?'' Jetzt schlug sie mit der
rechten Hand auf die Hupe, durch die Fenster konnte ich sehen, wie Rebecca im
Tabakladen zusammenzuckte und hastig in ihrem Portemonnaie kramte. ``Was soll
das, Erin?'' Jetzt wurde ich auch lauter, zog mich am Beifahrersitz weiter nach
vorne, um ihr besser ins Ohr schreien zu können. Ich war so wütend auf sie, auf
ihre Wut. Wo war meine wunderbare Erin? Diese freundliche, umwerfende, schöne
und liebe Person, die jeden verzauberte? Jetzt hier im Auto schien sie nervlich
am Ende zu sein. Und so, wie sie auf das Lenkrad einschlug, machte sie mir
Angst.
Rebecca trat gerade aus dem Tabakladen auf die Straße, als ich sie zur Rede
stellte: ``Erin, hast du der Maus die Kehle durchgeschnitten?'' Ruckartig
drehte sie sich zu mir um. ``Was?'' ``Da lag eine tote Maus in der
Ravioli-Dose. Hast du sie tot gemacht?'' ``Warum sollte ich?'', keifte sie mich an. ``Weil
sie dich genervt hat vielleicht? Weil du gestern Nacht nicht schlafen konntest, weil die Maus in der
Dose mit ihren Krallen gekratzt und Lärm gemacht hat?''
Erin startete den Motor. Natürlich war sie es gewesen. Keine Maus bringt sich
so dämlich um. Keine Maus schneidet sich selbst den Hals auf, nur um sich komplett andersherum in
eine Dose zu legen und dort zu verrecken. Erin atmete schwer, Rebecca kam auf
uns zu. Sie machte ein zerknirschtes Gesicht. So, als würde sie sich die Schuld
an Erins offenkundiger Unzufriedenheit geben. Sie langte an den Türgriff, doch
noch ehe sie daran ziehen und die Tür öffnen konnte, gab Erin langsam
Gas. Rebecca musste anfangen zu laufen, um Schritt zu
halten. Ich lag richtig. Blöde Jägerfamilie mit ihren Messern.
Ich weiß nicht, warum ich dann noch weiter machte. Rebecca
klopfte an die Scheibe und schrie, dass ihr Rucksack noch im Autor sei, aber
Erin bremste nicht. Ich hätte es gut sein lassen müssen. Tat ich aber nicht.
Mir war plötzlich so vieles klar. So, als sei es das erste Mal in der ganzen
Zeit, in der ich Erin kannte. Irgendetwas hatte sie wütend gemacht.
Wahrscheinlich schon gestern Abend, bevor sie sich die Maus vornahm. Wir hatten
geredet, einen kurzen Moment waren wir gleich euphorisch und freuten uns auf
das Festival. Das dachte ich. Dann dieses Gespräch über Sex, bei dem
sie sich wieder entfernte von mir. Ich hatte eine ausgedachte Geschichte
über Sex auf dem Hausdach erzählt, Erin stand wie immer über allem und
verführte derweil ihren Dozenten. Dachte ich.
Den im Büro hatte es genauso wenig gegeben wie den Sex auf dem Hausdach. Das
gleiche Gefühl, das mich schon beim Anblick der Maus überkam, stieg wieder in
mir hoch, mit Wut vermischt. ``Ist es das, Erin? Dass
er dich nicht angefasst hat? Dass er dich nicht mit seinen schönen Händen
angefasst hat?'', ich versuchte erneut, so nah wie möglich an ihrem Gesicht und
an ihren Ohren zu sein. Sie musste mich doch hören. Sie war aufgeflogen.
Schluss mit Erin.
Erin fuhr schneller. Es war komplett dunkel, nur
vereinzelte Straßenlampen sorgten für orangefarbenes Licht. Rebecca lief neben
dem Auto her und schlug ab und an mit ihrer linken Hand gegen die Scheiben.
Erin hatte es auf unseren Professor abgesehen. Sie hatte sich so gewünscht,
dass er sie anfasst. Doch das hatte er nicht getan. Wie hatte sie es genannt?
Probleme wegficken? Vielleicht war er der Erste, der sie zurückwies. Diese ganze
Lügengeschichte gestern Abend. Als ob sie es doch
real machen wollte dadurch, dass sie es jemandem erzählt. Jemandem, der dumm
oder verliebt genug in sie war, dass er es ihr glauben würde. Erin sah kurz zu
Rebecca, die jetzt schneller neben dem Wagen lief, und machte eine
Vollbremsung, ich knallte gegen die Kopflehne des Beifahrersitzes, Erin stieß mit ihrem
Kopf auf das Lenkrad. Rebecca war so schnell, dass sie erst vor dem Auto zum
Stehen kam. Sie drehte sich um, warf sich auf die Motorhaube und rief: ``Stop
that car, please! Stop it! You have all my stuff!'' Das war der Moment, in dem
nichts mehr von Erin
übrig war. Sie trat mit aller Kraft aufs Gaspedal. Rebecca wurde für einige
Meter mitgeschleift, dann geriet ihr linkes Bein unter den rechten
Vorderreifen, sie knallte nach hinten und wir überfuhren sie.
Das Knacken der
Knochen fuhr durch mich durch. Es brannte sich in meinem Kopf ein. Das
Geräusch vergaß ich nicht. Und was ich durch das Rückfenster
sehen konnte, trieb mir wieder die Kotze in der Speiseröhre hoch. Ich schluckte
einmal, während Erin ungebremst weiter fuhr und Menschen von der Straße auf den
Bürgersteig stürmten. ``Du machst sie tot! Erin, du machst sie alle tot!'' Ich
schrie nur noch, schrie so laut ich konnte. Sie
musste mich doch hören, oder nicht? ``Stopp jetzt endlich! Du machst sie
tot!'' Erin schien nichts zu hören. Dann hielt sie an. Wir standen unter einer
Laterne mitten auf einer Straße in Budapest. In der Ferne konnte man
Strahler am Himmel sehen. Vielleicht waren die von dem Festival. Sie wirkte sehr
beherrscht, als sie neben sich griff, das Handschuhfach öffnete und nach etwas
tastete. ``Na und?'', sagte sie sehr deutlich und klar, zog die Pistole aus dem
Fach und drehte sich um. Als sie auf den Auslöser drückte, zog es in meiner
Stirn. Nicht direkt da, wo man es vermutet. Es war vielmehr ein Gefühl, als wenn
jemand einen Faden durch die Mitte des Kopfes ziehen würde. Es war kein feiner Faden,
es war eher so, als würde mein Gehirn daran haften bleiben und nach
hinten gerissen werden. Es ist auch egal, wie es war. Ich wusste in dem Moment sofort,
dass ich tot war.