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Erfahrung ist alles
Der letzte Schuss dröhnte in meinen Ohren. Zwei Meter vor mir lag ein älterer Herr in einer Blutlache. Es ging alles so schnell.
Ich war hinten im Bus eingestiegen. An der Haltestelle hatte außer mir nur mein Kumpel Eduard gestanden, der vorne einstieg und ein Ticket löste. Ich blieb an der hinteren Tür stehen und sah mich um. Vorne kramte Eduard in seinem Rucksack. Ich schüttelte nur den Kopf. Ich wollte endlich weg hier. Ich wollte Abstand zwischen uns und den Ladenbesitzer bringen, dessen Tageseinnahmen sich jetzt in Eduards Rucksack befanden. Auf einmal hatte er wieder die Pistole in der Hand, zielte auf den Busfahrer und zischte ihm etwas zu, woraufhin dieser losfuhr.
Die Ansage war deutlich: Wer sich rührte, würde erschossen werden. Um keine Zweifel daran zu lassen, dass er es ernst meinte, schoß er einmal längs durch den Bus. Ziemlich genau in der Mitte der Rückscheibe erschien ein Einschußloch. Das Winseln der Fahrgäste erfüllte den Raum. Ich starte Eduard an, sagte aber nichts.
Der Bus kreuzte weiter durch die Straßen der Innenstadt. Keine fünf Minuten später wurde der Bus von drei Einsatzwagen der Polizei verfolgt. Die Lautsprecherdurchsagen forderten zum Stopp auf. Stattdessen fuhr der Bus schneller. In den engen Straßen war Tempo 60 ziemlich waghalsig, ganz zu schweigen von den roten Ampeln, die konsequent überfahren wurden. Aber seitdem der Bus von Sirenengeheul begleitet wurde, gelang es den Autofahrern schneller, die Straßen freizumachen. Trotz allem musste ich mich festhalten, um nicht umzufallen. Plötzlich war ein älterer Herr von seinem Platz in der Mitte des Busses aufgestanden und bewegte sich auf Eduard zu. Rufe, er solle stehen bleiben, erfüllten den Raum. Dann fiel der Schuss.
Die anderen Fahrgäste starten mich entsetzt an, denn ich hatte ihn niedergeschoßen. Ich fuchtelte mit meiner Waffe herum, um sie einzuschüchtern. Eduard hielt weiter seine Waffe auf den Busfahrer gerichtet. Er lies sich dadurch nicht aus dem Konzept bringen. Lediglich ich hatte die Nerven verloren. Nun hatten wir eine Leiche an unseren Händen. Das war nicht geplant gewesen.
Ein weiterer Schuss fiel. Gleichzeitig kippte der Bus nach hinten rechts weg. Ich konnte mich gerade noch auf den Beinen halten. Jemand rief, dass die Polizisten auf den Reifen geschossen hätten. Ich konnte es nicht fassen. Die Straße war recht eng. Wenn der Busfahrer nicht die Kontrolle behalten hätte, wäre der Bus direkt in die parkenden Autos gerast und hätte sich quer gestellt. Der erste Polizeiwagen hielt nur fünf Meter Abstand und wäre unweigerlich voll mit dem Bus zusammengestoßen. Bei der Geschwindigkeit war die Wahrscheinlichkeit da lebend herauszukommen gering. Vorne fluchte der Busfahrer. Eduard zischte ihm zu, er solle die hintere Tür öffnen, was dieser auch prompt tat. Er gestikulierte wild, aber ich begriff sofort, was er wollte. Ich hangelte mich zu der Leiche im Mittelgang vor und zerrte sie am Fußgelenk zur hinteren Tür. Hinter uns quietschten Bremsen, als den Polizeiwagen die Leiche vor die Reifen geworfen wurde.
Aber auch dort wirkte die Situation trainiert. Lediglich der dritte Wagen hielt an. Die anderen beiden klebten weiter an der Stoßstange des Busses. Daran änderten auch die Kurswechsel des Busfahrers nichts. Der Bus schlingerte, aber dem Busfahrer gelang es nirgendwo anzustoßen. Eduards Drohung ihn zu erschießen, wenn der Bus zum stehen kam, wirkte hier sehr motivierend.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie einer der Fahrgäste versuchte mit dem Handy ein Foto von mir zu machen. Das juckte mich nicht. In meinem Praktikum als Maskenbildner hatte ich genügend gelernt, um Eduard und mir ein völliges 08/15-Aussehen zu verleihen. Eine Identifizierung dürfte ziemlich schwierig werden. Die Kleidung hatten sie vor Monaten in einem second-hand-Laden gekauft. Und da der Tatort ein öffentlicher Bus war, dürfte eine Ermittlung anhand von DNA-Spuren keinerlei Aussicht auf Erfolg haben.
Über uns kreiste ein Hubschrauber. Ich riß die Notaustiegsluke im Dach auf und feuerte nach oben. Da der Bus aber schlingerte, machte ich mir keine Hoffnung den Hubschrauber zu treffen. Als ich sah wie im Hubschrauber über mir eine Seitentür geöffnet wurde, setzte ich erneut einen Schuss ab. Mit Befriedigung sah ich, wie derjenige, der den Kopf herausgestreckt hatte, diesen ruckartig zurück zog. Irgendetwas war aber an seinem Gesicht merkwürdig gewesen. Ich meinte, eine Gasmaske gesehen zu haben, aber ich war nicht sicher.
Plötzlich fiel mir auf, das das Sirenengeheul leiser geworden war. Die Polizeiwagen hielten auf einmal gut 100 Meter Abstand. Ich rief Eduard zu, das hier irgendwas faul wäre. In diesem Moment fiel etwas durch die Dachluke herein, rollte zischend und klackernd zur Seite und Sekunden später erfüllte ein stechender Geruch den Raum. Das jemand "Tränengas!" rief, hörte ich schon nicht mehr, denn ich wurde sofort bewusstlos.