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Erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche

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24.01.2015
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Erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche

Erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche

Die Kirchturmuhr schlug zehn, als Karin vor der Alterssiedlung zum Rosengarten ankam. Jakob Christen erwartete sie bereits.
„Ich freue mich, dass Sie mich besuchen. Ich darf doch Karin sagen?“ „Aber natürlich“, sagte die junge Journalistin, die nicht erwartet hatte, dass der alte Mann so leutselig und offen auf sie zukam. Von der Tageszeitung hatte sie den Auftrag, besondere Menschen zu interviewen und ein Portrait über sie zu schreiben. Sie hatte recherchiert und von dem Schuhmacher gehört, der gerne Lehrer geworden wäre, jedoch notgedrungen auf dem Schuhmacherstuhl landete. Ein Kollege in der Redaktion meinte:
„Da hast Du keine gute Wahl getroffen. Sein Leben ist nichts Besonderes.“
Diese Bemerkung hatte Karin nur noch mehr gereizt, dem auf den Grund zu gehen. Nun stand sie einem gut achtzigjährigen Mann gegenüber, der sie unter dem immer noch vollen Haarschopf mit erstaunlich jungen Augen ansah.
„Kommen Sie!“, sagte er und führte sie in sein Wohnzimmer, wo sich an den Wänden Regale bis zur Decke reckten, voll gestopft mit Büchern und doch wohlgeordnet. In Reih und Glied standen da Reiseberichte, Biographien, Bücher über Kunst und Musik und Romane in grosser Anzahl, von denen sie einige kannte. Jakob Christen sah ihren erstaunten Blick und meinte: „Es ist alles eine Frage der Zweckmässigkeit. Bücher sind wie gute Freunde und so habe ich hier alle um mich.“

Als sie bei einer Tasse Tee einander gegenübersassen, begann er aus seinem Leben zu erzählen.
„Ich bin in einer Familie mit vier jüngeren Geschwistern aufgewachsen. Mein Vater hatte eine Schuhmacher-Werkstatt und hoffte, dass ich sie einmal übernehmen würde. Mein Traum war es jedoch, nach der Schule das Lehrerseminar zu besuchen. Der Lehrer meinte, dass ich das Zeug dazu hätte.
Kurz vor meinem Schulaustritt erkrankte Vater an Krebs. Er war gerade noch dazu in der Lage, mich in seiner Werkstatt anzulernen. Dann starb er einfach so weg. Statt im Seminar, landete ich der Not gehorchend auf dem Schuhmacherstuhl.“

„Ich kann mir vorstellen, dass das nicht einfach war“, sagte Karin.
„Nein, die Enttäuschung war gross. Ich hatte mich so auf die Ausbildung und den Beruf des Lehrers gefreut. Das Leben schien mir grau und leer. Während Monaten wurde ich hin-...und hergerissen zwischen dem Wunsch, Lehrer zu werden, und der Notwendigkeit, als Schuhmacher für die Familie zu sorgen.
Von einer mir unbekannten Person bekam ich eines Tages eine Karte zugeschickt mit dem Text:
"Alles in Gottes Hand legen, alles in Gottes Hand lassen, alles aus Gottes Hand nehmen."
Dieser Spruch ärgerte mich dermassen, dass ich ihn zerknüllte und wegwarf. Wie konnte ich mein Leben dem in die Hand legen, der meinen Vater sterben liess!

Dann, eines Nachts, als ich wieder nicht schlafen konnte, stand ich auf und ging zum offenen Fenster. Der Garten vor dem Haus und die Weide draussen waren vom Mondlicht überflutet.
Eine tiefe Stille lag über allem.
Mein Rebellieren kam mir plötzlich so absurd vor. Und dann tat ich genau das, was auf der Karte gestanden hatte. Ich legte alles, mein Leben, meine Wünsche, meine Zukunft in Gottes Hand.

Hilda, Sie können es glauben oder nicht, in meinem Inneren bereitete sich ein Friede aus, wie ich ihn vorher noch nie erlebt hatte.
Ich will damit nicht sagen, dass ich von dem Moment an nie mehr den Wunsch verspürte Lehrer zu werden; aber das Aufbegehren, Schuhmacher sein zu müssen, war verschwunden.
Und wenn ich jetzt zurückblicke, denke ich, dass dieser Weg für mich der Richtige war.
Wie mancher brachte mir im Laufe der Jahre nicht nur die Schuhe zum Sohlen, sondern war froh, einem Menschen sagen zu dürfen, wo ihn sonst der Schuh drückte."

Jakob Christen schaute versonnen vor sich hin.
„Darf ich fragen, woran Sie gerade denken?“, fragte Karin nach einer Weile.
„An Heini, einen Buben, der von der Behörde fremd platziert wurde, da seine Eltern nicht für ihn sorgen konnten. Die Verpflanzung in eine ihm völlig fremde Pflegefamilie fiel dem sensiblen Knaben schwer. Er hatte es dort nicht leicht. Wenn er Schuhe zum Sohlen brachte, blieb er meistens noch eine Weile in meiner Werkstatt. Am Anfang sagte er kaum ein Wort. Er sass einfach da und schaute mir zu. Mit der Zeit kamen wir ins Gespräch und er schüttete mir sein Herz aus. Wir wurden gute Freunde. Als er erwachsen war, sagte er einmal, dass die Momente in meiner Werkstatt für ihn Höhepunkte waren und ihm über manches hinweggeholfen hätten.“
„Jeder hätte einen solchen Freund nötig“, sagte Karin darauf, „ aber solche Freunde sind heute selten geworden.“

Eine Weile schwiegen beide, bis Karin das Gespräch wieder aufnahm.
„Ich habe gehört, dass Sie einige Jahre als Entwicklungshelfer in Afrika gearbeitet haben, als die Familie nicht mehr auf Ihre Unterstützung angewiesen war.“
„Ja“, sagte er. „Ich konnte dort eine Schuhmacherwerkstatt aufbauen. Diese Jahre haben mich für manches entschädigt. Eine andere Kultur kennen zu lernen, hat mein Leben unendlich bereichert. Mitzuhelfen, dass junge Menschen, die sonst keine Perspektive gehabt hätten, einen handwerklichen Beruf erlernen konnten, war für mich eine grosse Freude.
Die Vase dort auf dem Fenstersims, haben mir die jungen Leute zum Abschied geschenkt. Leider ist sie auf der Heimreise zu Bruch gegangen. Aber ich konnte die Scherben einfach nicht wegwerfen und habe versucht, sie zusammenzukleben. Diese Vase erinnert mich an eine sehr glückliche Zeit meines Lebens.
In Afrika habe ich auch gelernt, etwas gelassener zu leben. Vor allem ein Erlebnis hat mir dabei geholfen. Einmal ritt ich spät abends mit meinem Pferd nach Hause. Ich wohnte ungefähr zehn Kilometer von der Werkstatt entfernt. Ich hatte keine Ahnung, dass einige junge Männer, für die ich in der Werkstatt keinen freien Ausbildungsplatz hatte, sich dafür rächen wollten.

Der Ort des Überfalls war strategisch gut gewählt. Ich musste dort jeweils einen Bach durchqueren. An dieser Stelle sollten drei der Mutigsten plötzlich mit Strohfackeln aus dem Dunkel auftauchen. Vor Schreck würde sich mein Pferd aufbäumen und mich abwerfen. Zwei weitere der Verschwörer sollten dann zur Stelle sein und mich krankenhausreif schlagen.
Später erzählte mir einer der Männer, den das schlechte Gewissen plagte, dass sie in meiner Begleitung mehrere uniformierte Reiter auf weissen Pferden gesehen hätten. Er und seine Kumpanen seien wie gelähmt gewesen. Keiner hätte sich von der Stelle bewegen können.

Ob das Engel waren, die mich beschützt haben? Ich vermute es. Jedenfalls hat mich dieses Erlebnis ungemein ermutigt und mir gezeigt, dass wir nicht einfach einem blinden Schicksal ausgeliefert sind, sondern dass unser Leben geführt und beschützt ist.“

Auf dem Weg zurück in die Redaktion musste Karin an die Bemerkung ihres Kollegen denken:
„Nichts Besonderes.“
Sie war da ganz anderer Meinung.

 
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Guten Abend Feuerwanze,

Herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Wenn die Geschichte Hoffnung macht, wie Du schreibst, so hat sie ihren Zweck erfüllt.

Ich wünsche Dir alles Gute und ein schönes Wochenende.
Marai

 

Hallo Marai,

wir haben lange nichts voneinander gehört. Schön, wieder was von dir zu lesen.

Ich habe deine Geschichte gelesen und sie hat mir gefallen. Das Schicksal lenkt uns manchmal in Bahnen, die wir nicht vorausgesehen haben, wenn das überhaupt möglich ist. Aber persönliche Pläne hat jeder und nicht alles geht auf, wie man es geplant hat.
So auch dein Protagonist Jacob Christen. Lehrer wollte er werden und wurde durch den frühen Tod seines Vaters ein guter Schuhmacher, der am Anfang nicht stolz auf diese Entwicklung war, bis ihn seine Vorbestimmung als Entwicklungshelfer nach Afrika geschickt hat und er dort vielen Menschen helfen konnte.

Dein Text liest sich am Anfang nicht ganz flüssig, ich kann dir aber nicht sagen, woran das liegt, denn sprachlich ist er korrekt.

„Darf ich fragen, woran Sie gerade denken?“, fragte Karin nach einer Weile.

Ab diesem Punkt las sich die Geschichte flüssiger, waren die Dialoge authentischer, wie ich das Gefühl hatte. Ich habe mit Spannung seine Erzählung von Afrika verfolgt, bis zu dem Punkt, wo er mit seinem Velo nach Hause gefahren war und die Männer sah, die ihn nach seiner Vermutung auflauerten. Dass sie so einfach weggelaufen sind und er später erfahren hat, dass er von Engeln begleitet worden sein soll, macht für mich die Spannung mit einem Schlag kaputt. Ich verstehe deine Intention, du wolltest zum Ausdruck bringen, dass wir im Großen und Ganzen nicht Herr unserer selbst sind, sondern geführt, um nicht zu sagen, gelenkt werden. Aber da ist mir zu wenig, dass die Männer einfach weglaufen. Da hätte ich mir gewünscht, sie hätten ihn angehalten, hätten versucht, oder begonnen, ihn wirklich zu überfallen, ihn auszurauben. Und dann hätten die Engel zuschlagen und sie vertreiben können. Die Spannung darf sich an dieser Stelle nicht einfach in Verklärung auflösen.

An einer unbewohnten Stelle lauerten mir zwei Männer auf, um mich auszurauben, vermute ich.

Er erzählt dies der Journalistin, als er wieder zu Hause ist. Die Vermutung, dass ihn die Männer ausrauben wollten, hat er aber damals schon gehabt, also wäre es richtiger, mit dem Verb vermuten im Präteritum zu bleiben.

Ich vermute es. Jedenfalls hat mich dieses Erlebnis ungemein ermutigt und mir gezeigt, dass wir nicht einfach einem blinden Schicksal ausgeliefert sind, sondern dass unser Leben geführt und beschützt ist.

Das wäre schön, zu glauben. Wenn das so wäre, würden nicht Menschen, egal welcher Herkunft, in einem Viehtransporter bestialisch zu Grunde gehen müssen, oder nach dem Kentern völlig überfüllter Schlepperboote ertrinken. Wo waren deren Engel?

Ansonsten eine schöne Geschichte

Schönen Gruß
khnebel

 

Hallo knebel,

Es freut mich, dass Du die Geschichte gelesen hast. Herzlichen Dank für Deinen Kommentar.
Dass sich der Text am Anfang nicht flüssig liest, ist gut möglich. Im Moment weiss ich jedoch auch nicht woran das liegt. Vielleicht kann jemand anders helfen.

Die Begegnung mit den Engeln hat sich tatsächlich so ereignet. Allerdings hiess der Mann nicht Jakob Christen.
Deshalb weiss ich nicht, ob es richtig ist die Situation zu verändern.
Aber ich verstehe was Du meinst. Für den Leser würde es noch mehr Spannung bringen.
Andererseits ist eine Begegnung mit der unsichtbaren Welt Spannung pur.
Ich muss noch darüber nachdenken.

Weshalb Jakob Christen beschützt wurde und andere in einem Viehtransporter zu Grunde gehen, oder in einem Schlepperboot ertrinken, darauf habe ich auch keine Antwort.
Ich kann nur immer wieder Gott um sein Erbarmen bitten und versuchen, mich an meinem Platz für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen.

Nochmals vielen Dank.
Alles Gute wünscht Dir
Marai

 
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Hallo Marai,

Ich kann nur immer wieder Gott um sein Erbarmen bitten und versuchen, mich an meinem Platz für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen.

Und wenn das jeder einzelne Mensch machen würde, hätten wir das Paradies auf Erden. An Gott muss nicht jeder glauben, aber sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, ist ein hehres Ziel. Dem steht aber leider das Geld im Wege. US Außenminister Haig hat 1981 gesagt: Es gibt wichtigeres, als im Frieden zu leben. Solange mit Waffen das beste Geld zu verdienen ist, brauchen wir noch viele beschützende Engel. Und da, wie du selbst sagst, Jakob Christen ein Auserkorener ist, kann auch weiterhin nicht jeder einen Engel an seiner Seite haben.

Ich wünsche dir noch einen schönen Sonntag

Schönen Gruß
khnebel

 
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Hallo khnebel,

Und trotzdem bin ich überzeugt, dass wir einen Schutzengel an unserer Seite haben, sonst wäre z.B. in meinem Leben manches schief ausgegangen.

Ich habe kürzlich ein Buch über Erfahrungen mit Engeln gelesen. Ein Pfarrer der reformierten Landeskirche in unserer Nähe hat in Zeitungen dazu aufgerufen, ihm solche Erfahrungen mitzuteilen. Du würdest staunen, was da Menschen alles erlebt haben.

Vieles, was in der Welt geschieht, verstehe ich nicht. Auch im eigenen Leben und in meinem Umfeld kann ich manches nicht verstehen. Trotzdem will ich es mit Jakob Christen halten und vertrauen, dass wir nicht einfach einem blinden Schicksal ausgeliefert sind, sondern dass da einer ist, der unser Leben lenkt und schützt.

Lieber khnebel, ich danke Dir und wünsche Dir eine beschützte Woche.
Marai

 
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Hallo Marai,

ich finde die Idee lobenswert, gegen die menschliche Ignoranz anzuschreiben. Wenn dieser Typ aus der Redaktion zur Reporterin, die den alten Mann interviewen will, meint: „Da hast du keine gute Wahl getroffen. Sein Leben ist nichts Besonderes“, dann stellt sich dem Leser sofort die Frage, ob es so etwas überhaupt geben kann, ein Leben, das nichts Besonderes ist.

Aus der humanistischen Perspektive wird man einwenden, dass jedes menschliche Leben wertvoll und besonders ist, aber den Reporter, der eine Story erzählen will, interessiert natürlich primär, ob dieses Leben für die Leserschaft seiner Zeitung spannend ist. Und obwohl Deiner Reporterin die Beweisführung glückt, dass der alte Mann durchaus eine bewegende Lebensgeschichte zu erzählen hat, finde ich das Ergebnis als Kurzgeschichte zu dürftig.

Das geht mit dem Titel los. Der fasst die Behauptung zusammen, die der Text beweisen will und das auch noch in der Form einer Schlagzeile. Eine solche Herangehensweise mag im Journalismus oder bei Sach- und Fachbüchern richtig sein, aber in der Literatur ist das problematisch. Stell Dir vor, Hemingway hätte seine berühmte Novelle "Haie rauben einem alten Fischer die Beute" genannt. Ein Titel sollte Inhalt oder Thema der Geschichte andeuten, aber keine resümierende Zusammenfassung der Ereignisse darstellen.

Der nächste Aspekt, der die Geschichte schwächt, ist die Distanz, aus der heraus die Begebenheiten geschildert werden. Der Leser erfährt sie aus zweiter Hand, zusätzlich in der Rückblende und außerdem gerafft. Aus diesem Grund fühlt man sich nirgends als szenischer Beobachter, weder bei den Ereignissen, die verhindern, dass Jakob Christen Lehrer wird, noch bei dem Raubüberfall. Das alles ist sehr, sehr weit weg.

Ein ganz wesentliches Mittel, eine Geschichte lebendig zu machen, besteht darin, die Illusion der Nähe zu erzeugen. Der Leser sollte glauben, dass er die Ereignisse direkt miterlebt, das zieht ihn in die Geschichte hinein. Distanz ist Gift. Und so wird aus den Begebenheiten in Deiner Geschichte eine betuliche Reminiszenz vergangener Zeiten, die Staub angesetzt haben. Ich finde, Du erweist dem Alten damit keinen guten Dienst. Besser wäre es, ihn als jemanden zu zeigen, der aktiv ist.

Und dann diese Engel-Geschichte. Das ist keine gute Wahl. Wie oft kommt es vor, dass Leute, die jemanden überfallen plötzlich aufgeben und davon rennen, weil sie einen Schutzgeist sehen? Das ist albern und verdient, den Unwillen, des Lesers auf sich zu ziehen. Ich spreche mich damit nicht gegen Schutzgeister aus, sondern gegen die Art, wie Du sie darstellst. Wenn Du das in einen Nebensatz verfrachtest, dann kann man es nicht ernst nehmen.

Der springende Punkt ist überhaupt nicht, welche Überzeugungen Du hast. Du kannst alles Mögliche für wahr halten. Aber wenn Du den Leser nicht einfach vor den Fakt stellen willst, dass Du an dieses oder jenes glaubst, dann musst Du es plausibel darstellen. Psychologisch nachvollziehbar.

Die Geschichte ist sicherlich gut gemeint, sie versucht eine positive Botschaft zu vermitteln. Aber die Umsetzung ist schwach, sie ist nicht lebendig genug und im Übrigen auch zu brav. Geschichten, die bei Kaffee und Kuchen erzählt werden, machen von vornherein skeptisch.

Ich empfehle Dir, aus der Distanz in die Nähe zu wechseln. Schau Deinem Protagonisten über die Schulter.

Gruß Achillus

 

Hallo Marai,

das Anliegen, das du in deiner Geschichte beschreiben möchtest, verdient Respekt. Man braucht ja bloß mal die Nachrufe irgendwelcher Leute in den Zeitungen zu betrachten, die entweder halbprominent oder wenigsten gut betucht sind und deshalb (und wahrscheinlich nur deshalb) auf ein besonderes Leben zurückblicken dürfen und sich irgendwelche Verdienste zuschreiben lassen, die in vielen Fällen in der Anhäufung von "Glücksgütern" (Geld oder Macht) bestehen, wobei gar nicht wissen möchte, mit welchen Mitteln sie zu ihnen gelangt sind und schon gleich nicht, ob sie gute Menschen sind...

Dennoch: Engel sind schrecklich (Rilke)

Ich erinnere mich an meine Großmutter, die mir am Sterbebett sagte, sie wolle mein Schutzengel sein (und vielleicht ist sie es ja auch). In der Geschichte bleibt für mich leider zu viel Distanz und wir erfahren nichts oder zu wenig über die Gefühlswelt dieses Jakob Christen (der Nachname wird wohl bewusst gewählt sein). Ich finde, dass du mehr daraus machen kannst, wenn du uns den Protagonisten mehr zeigst. Auch die Journalistin bleibt erstaunlich blass.

Ein paar Anmerkungen:

Sie hatte recherchiert und von dem Schuhmacher gehört, der gerne Lehrer geworden wäre, jedoch notgedrungen auf dem Schuhmacherstuhl landete.
wie hört man davon?

gut achtzig jährigen Mann
schreibt man das nicht achtzigjährig?

„Es ist alles eine Frage der Zweckmässigkeit. Bücher sind wie gute Freunde und so habe ich hier alle um mich.“
Hat er keine anderen Freunde oder Verwandte?

Es dauerte lange, bis ich meine Pläne begraben hatte und zu diesem Weg ja sagen konnte. Doch wenn ich jetzt zurückblicke denke ich, dass es so richtig war.
Manch einer beginnt auch noch mit vierzig ein Studium, warum er nicht?

Die Verpflanzung in eine ihm völlig fremde Pflegefamilie fiel dem sensiblen Knaben schwer.
ziemlich kühl ausgedrückt und wie zeigt sich seine Sensibilität?

„Ich habe gehört, dass Sie einige Jahre als Entwicklungshelfer in Afrika gearbeitet haben, als die Familie nicht mehr auf Ihre Unterstützung angewiesen war.“
Woher weiß sie das alles?

Später erfuhr ich, dass sie in meiner Begleitung mehrere kräftige Männer in Uniformen gesehen hätten.
Woher, wenn nicht von den Räubern selbst, erfährt er das?

sondern dass unser Leben geführt und beschützt ist.“
Das ist nun die schwierigste Frage überhaupt. Wenn unser Leben "geführt" ist, wie die es beschreibst, dann schließt sich eine alte Frage an. Haben wir einen freien Willen. Luther hat sie mit "Nein" beantwortet und Erasmus von Rotterdam mit "Ja" und zumindest ich glaube an den freien Willen. Und wenn ich deshalb auf den Engel verzichten muss.

ein wenig nachdenklich Grüße am letzten Sommertag (oder ist es der erste Herbsttag?)
Isegrims

 
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Hallo Achillus,

Herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Es stimmt vieles was Du sagst, angefangen beim Titel. Meine erste Version lautete: Nichts Besonderes. Da wir heute jedoch mit so viel Negativem überflutet werden wollte ich, dass der Titel etwas Positives ausdrückt.

Zum anderen gebe ich Dir auch da recht, dass es an Nähe fehlt, so dass der Leser die Ereignisse nicht direkt miterleben kann.
Ich schreibe seit Jahren in Zeitungen und Zeitschriften. Da muss es kurz und bündig sein.
Und ich frage mich nun, ob mir das Schreiben von Kurzgeschichten überhaupt liegt.


Trotzdem, ich werde über die Punkte, die du ansprichst, nachdenken und sehen, ob ich etwas verändern kann.
Ich danke Dir für Deine Mühe und wünsche Dir alles Gute.
Marai

 

Hallo Isegrims,

Es freut mich, dass Du die Geschichte gelesen hast und danke für den Kommentar.
Über die Punkte die Du ansprichst werde ich nachdenken und hoffe, dass es mir gelingt etwas mehr Nähe und Lebendigkeit in die Geschichte hineinzubringen.

Du sprichst auch die Frage der Führung an. Dazu kann ich nur sagen, dass Gott bei der Schöpfung keine Marionetten, sondern Menschen mit freier Willensentscheidung geschaffen hat.
Wir können wählen, ob wir seinen guten Plan und seine Führung für unser Leben annehmen, oder ob wir selbst bestimmt unseren Weg gehen wollen.

Liebe Isegrims, ich wünsche Dir alles Gute und grüsse Dich herzlich.
Marai

 

Und ich frage mich nun, ob mir das Schreiben von Kurzgeschichten überhaupt liegt.

Hm, die Frage verstehe ich nicht so ganz, Marai. Spekulierst Du über Dein Talent zum Schreiben von Kurzgeschichten? Lass Dich von solchen Überlegungen nicht abhalten. Wichtig scheint mir, ob Du gern schreiben und erzählen willst. Wenn ja, dann ist es erst einmal nur eine Frage des Trainings. Ob die Mühe dieses Trainings lohnt, kannst nur Du entscheiden.

Gruß Achillus

 

Guten Abend Achillus,

Vielen Dank für die ermutigenden Worte.
Ich war schon einmal am gleichen Punkt, aufgeben zu wollen. Und ich bin dann auch tatsächlich aus dem Forum ausgestiegen.
Anfangs Jahr habe ich Mut gefasst, es nochmals zu versuchen.

Eigentlich schreibe und erzähle ich gern und deshalb möchte ich daran arbeiten, dass mehr "Nähe" und "Lebendigkeit" in meine Geschichten hineinkommt.

Das habe ich nun bei einzelnen Stellen in obiger Geschichte versucht. Für mich hat es etwas gebracht. Ob das auch für die Leser so ist, weiss ich nicht.

Jedenfalls nochmals vielen Dank.
Marai

 
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Ja, einst gab es eine Zeit, da zu wünschen noch geholfen hat, aber das "einst" weist sowohl nach hinten als auch nach vorn auf dem Lebensweg, es war einmal und es wird einmal und genau auf der Grenze steht jeder, wenn er denn steht, und sollte er gerade mal wieder gehen, mit dem einen Fuß in der aktuellsten Vergangenheit - die eben immer länger wird - und dem vorausschreitenden in der nächstmöglichen Zukunft (selbst Rollatornutzer werfen Schatten hinter sich, wenn sie mühselig, aber immerhin: gehn!)

Wat binnisch widder kluch, wie der Rheinländer in mich sacht,

liebe Marai,

und glaub ja nich', dat isch Disch übersehn hätt, jaa verjessen! Aber der Schwemme der Neueinsteiger hierorts entspricht schon fast relativ der Flüchtlingsflut aus Afrika und der Levante im Herzen Europas, dass man dem einen oder andern "Hinz & Kunz", sag ich mal, unter die Arme greifen muss, oder - einfach mal Hecker & Koch nebst Konsorten und Exportrekorden in die Luft sprengen sollte und jedem hierort ins Ohr brüllen: In der Regel kann niemand vom Schreiben leben, aber jeder darf durchaus seinen Traum leben, der sich nicht quantifizieren lässt. Aber nur selten ist einer so klug wie Joseph, und weiß dem Pharao den Traum zu deuten.

Insofern ist Deine Geschichte aktueller, als man glaubt. Denn Afrika kommt zu uns, wenn man es so vereinfacht sagen kann - und da will keiner erst mal berühmt werden, selbst wenn sie alle auch mit modernen Medien umgehen können ... Aber bevor ich ein paar Flusen aufheb, eben eine ganz merkwürdige Empfindung: Der "Rosengarten" ist dreifach mythisch im germanistischen Sprachraum vorbelastet, in den Dolomiten das Reich des Laurin, der alle seinen Vorstellungen der Welt unterordnen wollte, am Mittelrhein gegenüber Worms, der Garten der Grimhild (in dem Jung-Siegfried durch den wesentlich älteren Dietrich von Bern seine Träume zurechtgestutzt bekam) und am Oberrhein im Wasgenwald (heute Vogesen), wo die Liebe der Hildegunde und des Walther, einer Burgundin und eines Goten, einer Übermacht von Burgunden standhielt. Wie das Leben halt so spielt

... wurde ich hin-[...]und hergerissen zwischen dem Wunsch[,] Lehrer zu werden[,] und der Notwendigkeit, als Schuhmacher für die Familie zu sorgen.
Ich will damit nicht sagen, dass ich von dem Moment an nie mehr den Wunsch verspürte[,] Lehrer zu werden; aber das Aufbegehren[,] Schuhmacher sein zu müssen, war verschwunden.
Und wenn ich jetzt zurückblicke[,] denke ich, dass dieser Weg für mich der Richtige war.
Aber auch gegenteiliges geschieht, denn hier wäre das Komma eher entbehrlich
Auf dem Weg zurück in die Redaktion, musste Karin an die Bemerkung ihres Kollegen denken:

Schöner Schlusssatz
Eine andere Kultur kennen zu lernen, hat mein Leben unendlich bereichert.
Es wäre nutzbringend für jeden!

Gruß aus dem Pott vom

Friedel,
der noch ein schönes Wochenende wünscht!, und sicher ist, datte schreibn kannz und wennich kurze Jeschichten, wat denn dann?

 

Lieber Friedel,

Du bist ein echter Ermutiger. Ich danke Dir.
Der erste Abschnitt Deines Kommentars gefällt mir besonders. Auch das mit dem Rosengarten.
Wie kommt es, dass Du so ein breites Wissen hast!? Jedenfalls ist für mich manches neu und das finde ich spannend.

Herzlichen Dank auch für die Korrektur.
Ein schönes Wochenende wünscht Dir
Marai

 

Wie kommt es, dass Du so ein breites Wissen hast!?

Nix zu danken,

liebe Marai,

aber - um Deine Frage auch für alle andern zu klären - ich vertraue nicht Wiki... und andern scheinbar demokratischen Veröffentlichungen, die Werbung und Propaganda enthalten (können). - Keine Angst, ich leide nicht unter Paranoia ... Hab mich von Realschulzeiten (1960 - 66, seit 67 verehr ich Dutschke) an für Geschichte und Politik interessiert, wozu durch mütterliches Vorbild der Hang zur Literatur kam. Zudem verlass ich mich eher auf mein Gedächtnis als auf Wiki... und ähnliche Zeitgeisterscheinungen (weiß jemand, was da ehrlich und was Werbung sei?). Was ja nicht bedeutet, dass ich nicht herrlich irren könne. Aber da ist das Internet viel anfälliger...

Gut Nacht wünscht der

Friedel

 

Lieber Friedel,

Deine Mutter muss eine bemerkenswerte Frau gewesen sein, wenn Sie Dir durch ihr Vorbild die Liebe zur Literatur schmackhaft machen konnte.

Was Dutschke betrifft, so habe ich diesen Namen bis heute noch nie gehört, deshalb musste ich wohl oder übel Wiki... in Anspruch nehmen!

Friedel, ich danke Dir.
Marai

 

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